Innere Unsicherheit

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Was kommt nach Schily? Von Thomas Kunz. Erschienen in DISS-Journal 14 (2005)

Otto Schily geht – und die Frage, welche Politik der Inneren Sicherheit wohl nach ihm komme, treibt nun nicht nur Journalisten um. Die Frage ist allerdings aus anderen Gründen interessant, als dies die meisten Nachrufe nahe legen.
Denn was ist unter „was“ zu verstehen? Die interessierte Öffentlichkeit orakelt über den designierten Nachfolger Schäuble und dessen zukünftige Sicherheitspolitik.

Der Witz, den die FRANKFURTER RUNDSCHAU am 14.10.2005 kolportierte, „Was erwarten die Grünen, wenn Wolfgang Schäuble tatsächlich Innenminister werden sollte? Einen Linksruck“, mag da belustigen, führt aber in die Irre. Die Formulierung unterstellt nämlich, Schily – der rote Ex-Grüne – habe eine viel konservativere und repressivere Sicherheitspolitik betrieben, als die, die nun von Schäuble zu erwarten sei. Doch diese Sicht bedient nur die Eitelkeit und Überheblichkeit des Noch-Ministers Schily und verkennt mehrere Aspekte, die eine Wahrnehmung der Inneren Sicherheitspolitik der letzten Jahre als Schilys Alleinverdienst doch erheblich relativieren und vielmehr die politische Mitverantwortung gerade auch der Grünen mit in den Blick rücken.

Mögen die Schmerzensschreie der Grünen auch an dieser Stelle etwas vernehmbarer gewesen sein, als in manch anderem Politikfeld – Fakt ist: die Politik der Inneren Sicherheit der letzten sieben Jahre wurde von einer rot-grünen Regierungskoalition auf Basis einer rot-grünen Parlamentsmehrheit betrieben. Sie war gerade nicht die Einzeltat des „großen Schily“: das rot-grüne Regierungsbündnis wusste die Kontinuität einer repressiv-rassistischen Sicherheitspolitik à la Kanther wider alle Erwartungen auf der linken und entgegen den Befürchtungen auf der rechten Seite des politischen Spektrums zu gewährleisten. Die große Koalition wurde in diesem wichtigen Politikfeld schon längst praktiziert, ja vorweggenommen und erfolgreich erprobt – personifiziert in der männerbündelnden Achse Schily- Beckstein: Sicherheitshaft für sog. gefährliche Ausländer, biometrische Daten auf Ausweisen, überhaupt die weitere Inanspruchnahme des Ausländerrechtes zur „Terror“bekämpfung – diametrale Gegensätze schienen und scheinen zwischen SPD und CDU hier nicht zu bestehen. Die rhetorische Inanspruchnahme eines nationalkollektiven Sicherheitsbedürfnisses ebenso wie die neorassistisch unterlegten Bebilderungen und Personifizierungen heraufbeschworener Bedrohungssituationen in Gestalt der bösen Ausländer haben eine Verbreitung gefunden, die über Parteigrenzen, zumal die der sog. großen Volksparteien hinweg verläuft.

Sicherheitspolitik unter Schäuble könnte zwar im Vorgriff durchaus als im Vergleich dazu gemäßigt kolportiert werden – abzuwarten bleibt freilich, wie sie tatsächlich aussehen wird. Aber dies wäre kein Indiz für eine größere Liberalität im Vergleich zur Politik in der Ära Schily. Schäuble kann sich vielmehr entspannt zurücklehnen, weil bereits in den vergangenen Jahren gute Vorarbeit geleistet wurde.

Hier ist auf eine Erkenntnis zu verweisen, die bereits 1999 im DISS-Journal unter der Überschrift „Das erschöpfte Boot. Otto Schily und die Einwanderer“ zu lesen war: „Diskurse, einmal etabliert, brechen nicht einfach ab, wenn die Regierung wechselt.“ (DISS-Journal 3/1999). Dies gilt auch für die Politik nach Schily.

Was folgt für die Kritik an der Inneren Sicherheitspolitik angesichts der längst bestehenden Großen Sicherheitskoalition, an der die Grünen bislang zumindest mitbeteiligt waren? Welche Kritik ist zu artikulieren, wenn sich die parlamentarischen Bezugspunkte und Ansprechpartner- Innen für ein kritisches, außerparlamentarisches Bewegungsspektrum in den vergangenen sieben Jahren als untauglich – und als Enttäuschung erwiesen haben? Wie kann – angesichts der ernüchternden Erfahrung von Rot-Grün – eine Kritik an der Inneren Sicherheitspolitik aussehen?

Zwar bemühen sich die Grünen prompt wieder – kaum nach ihrem Abschied, sich als Hüter der Bürgerrechte und als die linksliberalen Garanten der Grund- und Bürgerrechte zu profilieren. Dabei zeichnete sich das rot-grüne Projekt ja gerade dadurch aus, dass die Grünen insbesondere im Bereich Innere Sicherheit so manche Kröte schluckten, dass beide Partner diese Politik um den Preis des Koalitionsfriedens immer mitgetragen haben – wenn auch mit Zähneknirschen – aber Zähneknirschen ist zu wenig, um als Gegner einer solchen Politik zu gelten.

Die Fixierung auf Schily lässt die Grünen deshalb irrigerweise in einem Oppositionslicht erscheinen und sitzt insofern den Parteistrategen auf. Dass Schily Kanther noch rechts überholte, war zwar unerwartet, taugte aber nur zu Beginn der Regierungszeit von Rot-Grün zum Skandalon. Vielmehr wäre das Frohlocken des bürgerrechtsorientierten Spektrums zu hinterfragen, das den Wahlsieg von Rot-Grün begleitete und das zunehmend der Ernüchterung wich.

Nun kommt Schäuble (wieder). Damit scheinen die politischen Koordinaten auf den ersten Blick wieder zu stimmen: Innere Sicherheitspolitik wird wieder von Konservativen gemacht. Die Grünen hoffen damit zugleich, ihren alten Platz – vorübergehend – einfach wieder einnehmen zu können. Diesen eleganten Positionswechsel sollte man indes nicht mitvollziehen. Die grüne Partei hat sich in den vergangenen Jahren von ihrer Restbewegungsbasis emanzipiert, hat sich neoliberalisiert und will nun – zum Wohle dieses Landes – nicht nur „gute“ Oppositionsarbeit leisten, sondern endlich auch schwarz-grün-fähig werden.

Insofern bleibt zu hoffen, dass sich die verbliebenen kritischen Potenziale in Gestalt eines außerparlamentarischen Restbewegungsmilieus endlich auch von den Rockschößen der Grünen emanzipieren. Denn diese fallen als Hoffnungsträger künftiger Kritik aus, weil sie bereits enttäuscht haben. Der jetzige Wechsel ist – so betrachtet – keine Zäsur im Hinblick auf die Qualität der zukünftigen Inneren Sicherheitspolitik, denn diese Zäsur hat mit dem Dienstantritt der rot-grünen Koalition in unerwarteter Weise bereits stattgefunden: Vor dem Auge des kritischen Beobachters etablierten sich Teile der vormalig außerparlamentarischen Opposition und der Neuen Sozialen Bewegungen, die ihren Frieden mit dem ehemals kritisierten System – und fortan Regierungspolitik, d.h. auch Innere Sicherheitspolitik machten. Es war maßgeblich eine staatstragende, rot-grüne Sicherheits-, Zuzugsbegrenzungs- und Abschiebepolitik – und das kann Schäuble nur freuen.

Die interessante Frage lautet deshalb nicht: „Was kommt nach Schily?“ als vielmehr: „Opposition, where are you?“