Zur Chomsky-Instrumentalisierung der extremen Rechten

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Von Alfred Schobert. Erschienen in DISS-Journal 10 (2002).

Angekündigt mit der blutroten Kopfzeile „Warum Israel das Recht bricht“, erschien Ende Juni in Gerhard Freys National Zeitung (NaZe) ein ausführliches „Interview mit dem jüdischen Philosophen Chomsky“. Der Teil wurde mit „Wer stürzt die Welt in den Krieg? Was ein mutiger Jude enthüllt“ angepriesen. Was hat der Linguist vom MIT, dessen großes Engagement gegen die imperiale Politik der USA ihn zu einem der herausragenden linken Intellektuellen unserer Zeit macht, mit der NaZe zu tun?

In seiner Stellungnahme erinnert sich Chomsky nicht daran, jemals von der NaZe gehört zu haben. Er habe kein Interview mit ihr geführt und schloss: „So there is nothing to worry about.“ Ist das so einfach? Warum wehrt sich Chomsky nicht gegen ein seiner Aussage nach gefälschtes Interview in einem rechtsextremen Blatt? Widerspräche dies seiner Interpretation der Meinungsfreiheit? Was macht Chomsky für die extreme Rechte attraktiv? Was ermöglicht seine Instrumentalisierung? Ein Grundzug seines Engagements und zwei konkrete Interventionen Chomskys ließen ihn zum Gewährsmann in der Publizistik der extremen Rechten werden. Erstens versuchen Teile der extremen Rechten in Deutschland, Chomskys Engagement gegen den US-Imperialismus zu vereinnahmen, gegen den sie auch sind – freilich um von imperialer Politik Deutschlands zu schweigen; einen besonderen Reiz erhält Chomsky dadurch, dass er häufig zugleich Israel als „Klientel-Staat“ der USA kritisiert.

Zweitens sind Chomskys Stellungnahmen zugunsten Norman G. Finkelsteins ein Aufhänger für die extreme Rechte. Während der Finkelstein-Debatte wurde Chomsky in der NaZe als „Verfechter freier Meinungsäußerung auch für revisionistische Autoren“ gefeiert. Zuvor war Chomsky in Die Woche publikumswirksam für Finkelstein eingetreten. Der Holocaust werde tatsächlich seit den späten 60er Jahren „zur Rechtfertigung der israelischen Besetzung im Nahen Osten“ und „aus innenpolitischen Gründen in den USA“ ausgebeutet.

Drittens stößt Chomskys Eintreten für die Redefreiheit des Holocaust-Leugners Robert Faurisson bei der extremen Rechten seit den 80er Jahren auf Begeisterung. Der Holocaust-Leugner Germar Rudolf plauderte im November 1995 in den Staatsbriefen aus, wozu jüdische Autoren und insbesondere linke jüdische Autoren den Nazis dienen (sollen). In seinem Artikel „Semitischer Revisionismus“ klaubt er sich einen „jüdisch-israelischen Revisionismus“ zusammen, zu dem er auch Chomsky zählt. Es gelte, Kontakte mit und zwischen „kritischen Israelis“ und „dissidenten Juden in westlichen Ländern aufzubauen, die auch Kontakte zum Holocaust-Revisionismus nicht scheuen“. „Ob diese israelischen Juden dann auch bereit sind, neben den gesellschaftlichen Folgen der Mystifizierung des Holocaust auch die historiographischen zu kritisieren, steht zu wünschen und bleibt abzuwarten“.

Hans-Dietrich Sander, Herausgeber der Staatsbriefe, übernahm diesen Vorschlag Rudolfs 1999, als er es „nach Schröders Wahlprogramm für möglich [hielt], die Linken zum Volk zurückzuführen“. Bei „strategische(n) Gesprächsrunden in Berlin“ schlug er vor, „Kontakt mit prominenten linken Juden in den USA aufzunehmen, z.B. Noam Chomsky und Norman Finkelstein“. Doch sein Vorschlag wurde von den Angesprochenen, darunter Horst Mahler, nicht akzeptiert. „Es wäre nicht auszudenken“, kommentierte Sander resigniert, „wie Deutschland heute aussähe, wenn es gelungen wäre, unsere Ideen, mit den Analysen von Finkelstein und Chomsky verbunden, ins linke Spektrum einzupflanzen.“

Da die extreme Rechte gezielt Chomsky zu vereinnahmen sucht, ist es um so bedauerlicher, dass in der linken Chomsky-Rezeption seine überaus problematischen Positionen so unkritisch aufgenommen werden. Die Chomsky-Biographie Robert F. Barskys verkommt in den Passagen über Chomskys Unterstützung des Holocaust-Leugners Faurisson zur Hagiographie und sieht Chomsky in der Rolle des Opfers einer Kampagne von „Klonen von Kommissaren“ (Chomsky).

Kommentarlos zitiert Barsky eine Passage aus einem Brief Chomskys: „In den späten siebziger Jahren zum Beispiel […] war die einzige Zeitschrift, in der ich regelmäßig veröffentlichen konnte, Inquiry, die Zeitschrift des rechtsradikalen Cato-Institute.“ Diese Aussage könnte allerdings auf das „Interview“ Chomskys in der NaZe ein anderes Licht werfen; vielleicht ist das doch – und zwar grundsätzlich something to worry about.

Chomsky selbst liefert mit seinem „grundlegendsten moralischen Prinzip“ eine kluge Orientierung für die Chomsky-Rezeption: „Das grundlegendste moralische Prinzip müsste dazu führen, die einheimischen Verbrechen im Vergleich zu denen der offiziellen Feinde ‘hochzuspielen’“, also „diejenigen Verbrechen ‘hochzuspielen’, gegen die man etwas unternehmen kann.“ Demzufolge ginge es nicht darum, Chomskys Kritik an den USA lediglich aufzusaugen; vielmehr wäre sie einzubetten in die Kritik an Deutschland als Partner und Konkurrent der USA. Wie von selbst ergäbe sich dann auch eine politische Demarkationslinie zu all jenen, die aus teutonischer Motivation die USA kritisieren und sich dabei auch auf Chomsky berufen.