Von Burak Yilmaz. Erschienen in DISS-Journal 34 (2017) Seit der verstärkten Fluchtbewegung nach Europa und Deutschland im Sommer 2015 bekomme ich als Gruppenleiter des Projektes „Junge Muslime in Auschwitz“ vermehrt E-Mails aus der Lehrerschaft im gesamten Bundesgebiet. Sie fragen nach einer möglichen Gedenkstättenfahrt mit ihren Schülerinnen und Schülern an. Im Projekt „Junge Muslime in Auschwitz“ organisieren wir jährliche Auschwitzfahrten und bieten im Anschluss ein drei- bis sechsmonatiges Theaterprojekt an, um die Erlebnisse der Teilnehmenden zu verarbeiten. Ziel ist es, stigmatisierten Jugendlichen einen Schutzraum anzubieten, indem sie ihre Lebensgeschichte durch Biografiearbeit in einen gesellschaftlichen und historischen Zusammenhang bringen. So schilderte mir zuletzt eine Lehrerin, dass die Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte ihre Schülerinnen und Schüler für gegenwärtigen Antisemitismus sensibilisieren würde. Ihre Schülerinnen und Schüler kämen kaum in Kontakt mit „Deutschen“ und „deutschen Gepflogenheiten“. Daher…
Oder: Der aktuelle Umgang mit ‚Racial Profiling’ als Indiz für eine Rechtsverschiebung des öffentlichen Diskurses Von Thomas Kunz. Erschienen in DISS-Journal 33 (2017) Unter ‚Racial Profiling’ ist laut einer Studie des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIM) aus dem Jahr 2013 die Praxis zu verstehen, „das physische Erscheinungsbild, sogenannte ethnische Merkmale oder die ‚Rasse’ einer Person als Entscheidungsgrundlage für polizeiliche Maßnahmen wie Personenkontrollen, Ermittlungen und Überwachungen heranzuziehen.“ (Cremer 2013, 6). Sowohl die Praxis des ‚Racial Profiling’ als auch die Kritik daran sind in der Bundesrepublik kein neues Thema. Bereits in der Vergangenheit wurden von Polizei und Strafverfolgungsbehörden angewandte rassistische Kontrollpraktiken pointiert kritisiert. Auch die Rechtsprechung hierzu wurde in der Vergangenheit in den Medien aufgegriffen (vgl. ebd.). Hierbei zeichnete sich bislang eine durchaus ablehnende Grundhaltung gegenüber dieser Praxis ab. ((Die Studie des DIM betont allerdings,…
Die gesellschaftspolitischen Folgen der Silvester-Ereignisse Von Isolde Aigner. Erschienen in DISS-Journal 33 (2017) Die sexuellen Übergriffe an Frauen in Köln und anderen Großstädten an Silvester 2015 haben innerhalb weniger Tage eine öffentlich-mediale Debatte um sexualisierte Gewalt ausgelöst, die wochenlang die Titelseiten dominierte. Dabei trat insbesondere eine Ethnisierung von Sexismus ((Eine Ethnisierung von Sexismus zeichnet sich nach Margarete Jäger dadurch aus, dass bestimmte sexistische (oder frauenfeindliche Haltungen und Verhaltensweise zum Charakteristikum einer bestimmten ‚Ethnie’ gemacht werden, indem beispielsweise behauptet wird, dass türkische oder muslimische Männer sexistisch seien und Frauen in besonderer Weise unterdrückten.)) in Erscheinung, indem sexualisierte Gewalt vor allem Einwanderern und Geflüchteten, also den ‚Anderen’ zugeschrieben wurde. Zwar gab es damals auch Gegendiskurse, die eine rassistische Instrumentalisierung der Silvester-Ereignisse ((Silvester-Ereignisse bezeichnen das diskursive Ereignis um Silvester.)) kritisierten und zurückwiesen, wie zum Beispiel die…
Oder doch globale politische Verwerfungen? Bemerkungen zum Diskurs über ‚sächsische Verhältnisse‘ im Kontext einer generellen Rechtsverschiebung Von Tino Heim. Erschienen in DISS-Journal 32 (2016) Pegida hat angesichts der seit Monaten bei ca. 2.000 stagnierenden Teilnahmezahlen den Zenit überschritten, und der Erfolg der AfD bei den Landtagswahlen 2016 – 15,2% in Baden-Württemberg, 24,3% in Sachsen-Anhalt, 20,8% in Mecklenburg-Vorpommern – stellt die 9,7% in Sachsen 2014 weit in den Schatten. Gleichwohl steht der Freistaat als Spitzenreiter bei rechter Gewalt weiter im Fokus der Thematisierung eines bundesweiten Rechtsrucks und den zwischen verbalen Abgrenzungen und taktischer Übernahme rechtspopulistischer Forderungen schwankenden politischen Reaktionen. Im Winter 2016 kumulierten entsprechende Debatten um das markante Diskursereignis der Vorfälle in Clausnitz und Bautzen am 18. bzw. 20. Februar. ((In Clausnitz war ein Bus mit Geflüchteten unter „Ausländer raus“-Rufen blockiert worden. Die Polizei…
Von Dr. Margarete Jäger. Vortrag, gehalten am 16.9.99 an der Universität Georg-August-Universität Göttingen beim Kolloquium „Wissenstransfer zwischen Experten und Laien. Umrisse einer Transferwissenschaft“. Untersuchungen zum Einwanderungsdiskurs in Deutschland haben sich immer wieder mit einer Argumentationsfigur auseinanderzusetzen, die ich im folgenden als Ethnisierung von Sexismus[1] bezeichne. Sie zeigt eine Diskursverschränkung an, die ganz besondere Wirkungen entfaltet. Kaum jemanden ist wohl die Auffassung noch nicht begegnet, daß türkische oder moslemische Männer besonders sexistisch seien, daß sie Frauen in besonderer Weise unterdrückten. Dieses Argument dient dann häufig als Begründung dafür, daß ein Zusammenleben mit Türken oder Moslems für ‚uns’ nur schwer oder gar nicht möglich ist. Sehr häufig wird dieser ethnisierte Sexismus auch mit dem Islam in Verbindung gebracht, wenn etwa angenommen wird, der Koran schreibe Männern die Herrschaft über Frauen geradezu vor. Ein Vergleich mit anderen Vorurteilen, die ansonsten gegenüber…