Der Fluchtdiskurs zur Ukraine
Von Louis Kalchschmidt, Anna-Maria Mayer, Benno Nothardt, Carmen Perna, Milan Slat, Christian Sydow, Zeynep Topsir und Ebru Tugra
Als infolge des Bürgerkrieges in Syrien im Sommer 2015 viele Geflüchtete über die Balkanroute nach Deutschland kamen, begegneten ihnen Bürger*inneninitiativen und Politik mit großer Hilfsbereitschaft und die Medien nahmen überwiegend einen liberalen Standpunkt hinsichtlich der Migrationspolitik ein. Jedoch kippte die Stimmung von Medien und Politik bereits im Herbst 2015 von der Willkommenskultur zunehmend in eine Notstandsstimmung und spätestens nach der Silvesternacht 2015/16 wurden Rufe nach einer restriktiven Migrationspolitik dominant.
Die ersten Reaktionen deutscher Politiker*innen und Medien auf die Fluchtbewegungen aus der Ukraine, verursacht durch den Angriff Russlands Ende Februar 2022, erinnerten an die Willkommenskultur im Sommer 2015 und übertrafen diese. Denn anders als damals aktivierte die EU am 8. März 2022 die sogenannte »Massenzustrom-Richtlinie« (Richtlinie 2001/55/EG). Trotz des unglücklich gewählten Namens – das Kollektivsymbol »Massenzustrom« kann Ängste vor Flüchtlingsmassen fördern – erleichtert die Richtlinie die unbürokratische Aufnahme von Geflüchteten. Zusätzlich wird in Zeitungskommentaren das zivilgesellschaftliche und politische Engagement gelobt und konstatiert, dass nun im Vergleich zum Sommer 2015 und dem nachfolgenden Zeitraum alles anders sei.
Mit dem folgenden Beitrag wollen wir diese Behauptung, wie auch die folgenden Fragen untersuchen: Welche Veränderungen sind im Fluchtdiskurs momentan erkennbar? Welche Chancen ergeben sich daraus für eine geflüchtetenfreundliche Migrationspolitik? Zeichnen sich bereits jetzt Fallstricke oder Hinweise auf ein Kippen zurück zu Forderungen nach einer restriktiveren Migrationspolitik ab?
Der Artikel besteht aus zwei Teilen. Teil eins soll eine Übersicht über das derzeit gültige Wissen im Mediendiskurs zu Flucht geben und dieses mit dem Wissen aus 2015/16 kontrastieren (vgl. Jäger & Wamper 2017). Teil zwei dient einer vertiefenden Untersuchung der Darstellung der ukrainischen Geflüchteten. Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich vom 24.02.2022, dem Beginn der russischen Invasion, bis zum 24.04.2022. Für die Analyse beider Teile verwendeten wir die Kritische Diskursanalyse (vgl. Jäger 2015). Die Materialgrundlage des ersten Teils bilden 32 Kommentare der deutschen Leitmedien Tageszeitung (taz), Süddeutsche Zeitung (SZ) und Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) und im zweiten Teil werden 11 Reportagen und Hintergrundberichte der Sonntagsausgabe Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) analysiert.
alles anders als 2015/16
In allen drei Zeitungen wird rückblickend auf 2015/16 Politikkritik1 an einer bürokratischen, unwilligen oder unfähigen Aufnahmepolitik Deutschlands und der EU geübt. Diesem Fehlverhalten wird eine unbürokratische und effektive Hilfe für die derzeitigen Geflüchteten aus der Ukraine entgegengestellt: »Die Bevölkerung der Ukraine wird nicht ausgeschlossen, sondern warmherzig aufgenommen und begrüßt wie nicht einmal die Syrer nach der Überwindung der Balkanroute im Herbst 2015« (Johnson, taz, 01.03.22). Es wird festgestellt, dass ukrainische Geflüchtete besser aufgenommen würden und ihnen mehr Rechte von Seiten der EU zugesprochen würden. Beispielsweise wird genannt, dass ukrainische Geflüchtete dank der Massenzustrom-Richtlinie keine Asylverfahren durchlaufen müssten. Außerdem wird das Zusammenspiel der staatlichen Akteur*innen und des zivilgesellschaftlichen Engagements hervorgehoben:
»Es zeigt sich nicht nur, dass auf allen staatlichen Ebenen – von der EU bis hinunter in die Kommunen – schnell und unkompliziert gehandelt werden kann. Zu den großen Leistungen gehört vor allem – und wieder einmal – der Einsatz der Hilfsorganisationen, spontaner Initiativen und privater Haushalte, den kein Staat ersetzen könnte.« (Altenbockum, FAZ, 12.3.2022)
In der FAZ ist Politikkritik zudem mit der Aussage gemeinsame europäische Lösung verknüpft. Es wird behauptet, dass in der Vergangenheit das Fehlen eines gemeinsamen Vorgehens der EU-Staaten die Ursache für die Probleme im Umgang mit Geflüchteten gewesen sei. Jetzt hingegen funktioniere die Aufnahme. Selbst die »einstigen EU-Blockierer Polen und Ungarn« würden sich bewundernswert offen zeigen (Staib, FAZ, 14.03.2022). Zugleich wird aber auch darauf verwiesen, dass Freiwilligkeit nicht genüge und die EU langfristig ein Konzept brauche, um die unterschiedlichen Aufnahmequoten ihrer Länder auszugleichen.
In allen Zeitungen wird die Ungleichbehandlung von früheren Geflüchteten im Vergleich zu den jetzigen aus der Ukraine angesprochen. So heißt es in der taz: »2015 gab es für geflüchtete Syrer in Ungarn Schlagstöcke und Stacheldraht. 2022 dürfen geflüchtete Ukrainer in Ungarn gratis Eisenbahn fahren« (Johnson, taz, 01.03.22). Ebenso wird kritisiert, dass Geflüchtete an der belarussisch-polnischen Grenze auch jetzt noch »oft die Brutalität der polnischen Grenzbeamten« erwarte (Großmann, SZ, 02.04.2022). Rassismus als Motiv für die Ungleichbehandlung wird dabei angedeutet. So heißt es in Bezug auf die Offenheit von Polen und Ungarn für Geflüchtete aus der Ukraine: »Offenkundig hilft es sich leichter, wenn es um Nachbarn geht« (Staib, FAZ, 14.03.2022). Vor einer Benennung als ›Rassismus‹ scheinen die Zeitungen aber zurückzuschrecken: Das Wort wird in keinem der Kommentare verwendet.
legitime / illegitime Migration
Deutliche Worte der Kritik finden alle Zeitungen für Versuche, Geflüchtete aus der Ukraine in gewollte und nichtgewollte zu unterscheiden. Angesprochen werden »die teils hässlichen Vorgänge auf den Fluchtrouten aus der Ukraine, wo manche Nichteuropäer von Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe berichten« (Johnson, taz, 01.03.2022). Und in Bezug auf ukrainische Geflüchtete anderer Nationalität wird klargestellt: »Selbst ganz ohne Pass besteht ein Anspruch auf Versorgung und Verfahren« (Altenbockum, FAZ, 07.03.2022).
Die Forderungen nach einer Gleichbehandlung aller Geflüchteten aus der Ukraine steht im Gegensatz zum Fluchtdiskurs 2015/16, als in den hegemonialen Medien die »Kategorisierung der Geflüchteten in legitime und illegitime« (Jäger & Wamper, S. 179) zugespitzt wurde und so der EU-Türkei-Deal vom 20.03.2016 zur Fluchtabwehr gerechtfertigt wurde. Eine mögliche Neuauflage solcher Unterscheidungen deutet sich zaghaft an, wenn in der FAZ gefordert wird, in Anbetracht begrenzter Kapazitäten wegen der Ukraine den Familiennachzug für frühere Geflüchtete »zu hinterfragen« (Staib, FAZ, 14.03.2022).
Diskursstrangverschränkung des Fluchtdiskurs mit dem Kriegsdiskurs
Der Fluchtdiskurs ist 2022 eng mit dem Kriegsdiskurs zur Ukraine verschränkt. Dies hat hier den Effekt, dass das Leid der Geflüchteten greifbarer gemacht und Empathie geweckt wird. So verwendet beispielweise die taz die Klimax »die hemmungslosen russischen Angriffe auf Städte, die brennenden Wohnhäuser, die verzweifelte millionenfache Flucht« (Johnson, taz, 03.04.2022) zur Dramatisierung. In der SZ ist die Rede von »Orte[n] des Grauens«, in denen Leichen begutachtet würden, »mit gefesselten Händen oder noch mit dem Fahrrad in der Hand« (Emcke, SZ, 09.04.2022).
Wir hatten vermutet, dass die Verschränkung zwischen Fluchtdiskurs und Kriegsdiskurs dazu genutzt wird, dass der Wunsch, Flucht zu verhindern, als Argument für Waffenlieferungen genutzt wird. Das passiert jedoch in den Kommentaren zu Flucht höchstens in Andeutungen (vgl. Emcke, SZ, 09.04.2022). Allerdings wird in mehreren Kommentaren die kollektivsymbolische Darstellung von Geflüchteten als Teil einer ›hybriden Kriegsführung‹ aufgegriffen, die in der Berichterstattung über Geflüchtete an der belarussisch-polnischen Grenze 2021 eine wichtige Rolle spielte.
Lob der Zivilgesellschaft
Häufig wird »die riesige Hilfsbereitschaft der Zivilgesellschaft« (Peter, taz, 14.03.2022) beschrieben. Die Aussage ist mit der Aussage Asyl als moralisches Gebot verknüpft. Das zivilgesellschaftliche Engagement begründet sich in dem moralischen Gebot, es sei eine Pflicht den ukrainischen Kriegsopfern zu helfen. Gleichzeitig wird aber auch schon früh von Grenzen der Aufnahmefähigkeiten gesprochen:
»Niemand kann derzeit sagen, wie lange der riesige Andrang Geflüchteter in Berlin weitergehen wird und wie viele Ressourcen noch mobilisiert werden können. Die Krise ist weiterhin ganz nah.« (Peter, taz, 14.03.2022)
Vertiefung
In den hegemonialen Printmedien wurde in den letzten Jahren viel über Geflüchtete gesprochen, aber selten mit ihnen. Wenn sie doch einmal zu Wort kamen, dann oft nur als Zeug*innen ihres selbst erfahrenen Leids, nicht jedoch als Akteur*innen, die Kritik üben oder Forderungen stellen (vgl. Friede et al., 2022).
Auch in Bezug auf die Ukraine kommen Geflüchtete in den Kommentaren nicht zu Wort. In anderen Textformen hingegen wird ihnen ungewohnt viel Platz eingeräumt. Diese erfreuliche Entwicklung wollten wir am Beispiel der FAS genauer untersuchen und haben deshalb unser Dossier um elf längere Reportagen und Hintergrundberichte ergänzt. Uns interessierte, zu welchen Aussagen Geflüchtete zitiert werden und ob sie als politische Akteur*innen dargestellt werden. Überraschenderweise stellte sich heraus, dass in den Texten einige Aussagen angesprochen werden, die in den Kommentaren nicht zu finden sind.
Aktive Geflüchtete & ukrainisches Held*innentum
»Bilder […] von in Boote gepferchten Migranten auf dem Mittelmeer […] wecken Mitgefühl und schaffen doch Distanz […]. [Z]wischen denen, die geben, und denen, die empfangen, gibt es unübersehbar eine Hierarchie.« (Thomann, FAS, 20.03.2022)
Dieses Zitat zeigt, dass in Anbetracht der Flucht aus der Ukraine auch in der FAS die Fallstricke von Opferdarstellungen reflektiert werden. Und der Reflexion folgt die Praxis: Geflüchtete werden tatsächlich häufig wörtlich zitiert, meist werden ihre Namen und Berufe angegeben und oft Biographien skizziert, so dass sie als Individuen mit Persönlichkeiten wirken. Zwar werden auch Ukrainer*innen häufig als Zeug*innen des Leids der Geflüchteten zitiert, beispielsweise zu den Schrecken von Bombardements oder Traumatisierungen von Kindern. Sie kommen aber auch häufig als selbstbewusste politische Kommentator*innen zu Wort: So kritisiert Aleksandr Schevchuk fehlende Meinungsfreiheit in Russland und die ehemalige Social-Media-Managerin Vseslava fordert eine Flugverbotszone für die Ukraine.
Während in der Willkommenskultur 2015 und in den Debatten über Seenotrettung meist deutsche Helfer*innen als Held*innen beschrieben wurden, werden 2022 oft Ukrainer*innen als mutig dargestellt: So spricht ein Priester aus Kramatorsk von den Risiken, die er eingeht, um Hilfsmittel und Geflüchtete zu befördern und die Art Managerin und Politologin Iryna Kondratenko erzählt von der Einrichtung einer Suppenküche in Mariupol. Erst als ein paar Straßen weiter eine Bombe einschlägt, entscheidet sie sich doch noch zu fliehen. Solche Taten wirken nicht nur held*innenhaft, sondern verweisen auch auf die Aussage Lösung der Probleme durch aktive Geflüchtete, die im Gegensatz zur sonst dominierenden Betonung des Leids der Geflüchteten steht. Selbsthilfe wird nicht nur von Ukrainer*innen beschrieben, sondern auch von russischen Geflüchteten, die im Exil in Tiflis ein internationales Netzwerk gründen, »zur Unterstützung von Menschen, die Russland aus politischen Gründen verlassen« (Veser, FAS, 27.03.2022).
Eine große Bedeutung bei der Held*innenkonstruktion haben Geschlechterrollen: Oft sind es Frauen*, von denen beschrieben wird, wie sie mutig humanitäre Hilfe leisten, während Männer* ihren Mut im Militär beweisen. Kämpft ein ukrainischer Mann* nicht an der Front, scheint dies gerechtfertigt werden zu müssen. So entschuldigt beispielsweise Aleksandr seine Flucht mit der Behinderung seiner Tochter. Und selbst in Bezug auf non-binäre Menschen verläuft die Held*innenkonstruktion entlang traditioneller Geschlechterrollen:
»Julija, eine queer-feministische Aktivistin […] sagt […], eine ›non-binäre Person männlicher Ausprägung‹, sei entschlossen, sich zu den Freiwilligen zu melden. Ihre Partnerperson, auch non-binär, aber mit weiblicher Ausprägung, zögert noch. Julija selbst will zwar nicht mit der Waffe kämpfen, aber sie will Blut spenden« (Gnauck & Schuller, FAZ, 27.02.2022).
Ökonomischer Nutzen von Migration
Während Geflüchtete in der Notstandsstimmung 2015/16 als Last für die Aufnahmebevölkerung bewertet wurden, wird bei ukrainischen Geflüchteten ein ökonomischer Nutzen erhofft. Wanderarbeiter*innen aus Osteuropa der letzten Jahre werden als Beleg für einen hohen Bedarf an Arbeitskräften angeführt, aber es wird auch gefragt, ob Kriegsflüchtlinge genauso nützlich sind wie jene.
Als notwendig für eine schnelle ökonomische Integration wird eine dauerhafte Bleibeperspektive im Aufenthaltsrecht und das Anrecht auf Integrationsmaßnahmen benannt. Aus dem ökonomischen Nutzen von Geflüchteten werden also Rechte der Geflüchteten abgeleitet.
Verortung Russland im kollektivsymbolischen Außen und die Konstituierung des Westens
Geflüchtete dienen als Anlass, um Russland im kollektivsymbolischen ›Außen‹ zu verorten, als menschenverachtender und undemokratischer Staat. Eine Reportage überträgt sogar Goebbels »Begriff vom ›totalen Krieg‹« auf Russland, vor dem die Menschen in ein Europa fliehen, in dem »der Mensch frei atmen kann« (Gnauck, FAZ, 10.04.2022). So wird dem »totalitären« (ebd.) Russland ein modernes, demokratisches Europa als ›Innen‹ entgegengesetzt, »dessen freiheitliche Werte in Wahrheit nichts an Strahlkraft verloren haben« (Schmidt, FAS, 20.03.2022). Dadurch kann Deutschland symbolisch als Teil der modernen, freien Welt im Kampf gegen das Böse eingeordnet werden, während die Erinnerung an den Nationalsozialismus weit weg nach Russland projiziert wird.
Gleichzeitig wird eine Verweichlichung des ›Innen‹ kritisiert, die die Fähigkeit zur Verteidigung gefährde:
»Über der obsessiven Beschäftigung mit Wellness, veganer Ernährung oder Radfahrstreifen hätten wir unser strategisches Denken verloren, unsere Wehrhaftigkeit.« (Thomann, FAS, 20.03.2022)
Dabei ist mit Wehrhaftigkeit aber keine Militarisierung der ganzen Gesellschaft gemeint, denn jene soll gerade darauf gerichtet werden, das »unbeschwerte« (ebd.) Leben zu bewahren.
Fazit
Eine Besonderheit des Fluchtdiskurses von Ende Februar bis Ende April 2022 ist, dass anders als in früheren Zeiträumen, die Aufnahme von mehreren Millionen Geflüchteten als machbar bewertet wird und die unbürokratische Hilfe und das zivilgesellschaftliche Engagement gelobt wird.
Ebenfalls wird die Ungleichbehandlung verschiedener Geflüchtetengruppen innerhalb Deutschlands und Europas kritisiert, wenn auch nicht mit dem Wort Rassismus benannt. Rassismus wird auch in Bezug auf 2015/16 verschleiert; kritisiert werden bürokratische Hindernisse, Unfähigkeit und Unwillen von politischen Akteur*innen. Rassistische Forderungen nach Obergrenzen und Abschottung, sowie Anschläge auf Geflüchtetenunterkünfte werden jedoch nicht thematisiert. Eine Reflexion des Rechtsextremismus findet nicht statt und wird stattdessen nach Polen und Ungarn projiziert.
Eine weitere Besonderheit des momentanen Diskurses ist, dass die Aufnahme aller Geflüchteten unabhängig von der Nationalität gefordert wird, sofern sie aus der Ukraine fliehen. Diese Aufnahme wird in den Zeitungen auch ohne eine Obergrenze diskutiert, wenn auch eine mögliche baldige bürokratische Überlastung angedeutet wird, ohne dass jedoch eine Forderung nach einer restriktiveren Migrationspolitik laut werden würde.
Der Fluchtdiskurs 2022 ist mit dem Kriegsdiskurs verknüpft. Hierdurch kann einerseits Krieg als Fluchtursache eindringlich dargestellt werden. Anderseits werden Geflüchtete manchmal kollektivsymbolisch als Teil einer hybriden Kriegsführung beschrieben, was sie entpersonalisiert und bedrohlich wirken lässt.
In Bezug auf die Darstellung von ukrainischen Geflüchteten ist ansonsten jedoch feststellbar, dass sie in Reportagen und Hintergrundberichten häufig zitiert werden und als politische Kommentator*innen zu Wort kommen, was eine Besonderheit des momentanen Fluchtdiskurs ist. Zudem sind nun nicht nur deutsche Zivilakteur*innen held*innenhaft, sondern auch Geflüchtete aus der Ukraine und aus Russland werden als Held*innen konstruiert.
Diese positive Entwicklung wird durch die sehr vergeschlechtlichte Darstellung der Held*innen getrübt: Männer* wären heldenhaft an der Front, Frauen*, indem sie humanitäre Unterstützung leisten würden.
Geflüchtete werden als ökonomisch nützlich diskutiert. Das birgt die Gefahr eines Endes der neuen Willkommenskultur, sobald festgestellt wird, dass der Bedarf nach Arbeitskräften befriedigt sei. Außerdem wird Flucht genutzt, um Russland als totalitäres ›Außen‹ einem schöngefärbten Bild einer demokratischen und freien EU als ›Innen‹ entgegenzusetzen. Kritik daran, dass EU und NATO durch Kriege, Ausbeutung des globalen Südens, Impfungerechtigkeit und Klimawandel selbst Fluchtursachen schaffen, wird dadurch überdeckt.
Unterrichtsmaterialien: Auf Anfrage an info@diss-duisburg.de mailen wir gerne einen kleinen Workshop für den Einsatz in der gymnasialen Oberstufe.
Literatur:
- Friede, Judith et.al. 2022: Deutsche Rettung? Eine Kritische Diskursanalyse des Fluchtdiskurses um Carola Rackete und Moria. Unrast.
- Jäger, Margarete & Wamper, Regina (Hg.) 2017:
Von der Willkommenskultur zur Notstandsstimmung, DISS, https://www.diss-duisburg.de/wp-content/uploads/2017/02/DISS-2017-Von-der-Willkommenskultur-zur-Notstandsstimmung.pdf - Jäger, Siegfried 2015: Kritische Diskursanalyse,
Eine Einführung, 7. Aufl., Unrast.
Auf Anfrage an info@diss-duisburg.de mailen wir gerne das Dossier.
Die Autor*innen sind Praktikant*innen und Teilnehmer*innen
im Arbeitskreis Migration des DISS
Dieser Artikel stammt aus dem gemeinsamen Sonderheft „Für eine andere Zeitenwende!“ – eine Gemeinschaftsproduktion der Zeitschrift kulturrevolution und des DISS-Journals aus dem Juli 2022. Die vollständige Ausgabe als PDF finden Sie hier.
1 Alle Aussagen im Sinne der Kritischen Diskursanalyse sind zur Hervorhebung kursiv gesetzt, außerdem die Namen von Zeitungen.