Etwas mehr Diversität im Bundestag

  • Lesedauer:7 min Lesezeit

Aber der Flüchtling Tareq Alaows muss seine Kandidatur zurückziehen

Von Marvin Mosters

Im Frühjahr 2021, genauer am 02.02., verkündete das Bündnis 90/die Grünen Oberhausen und Dinslaken die Bundestagsdirektkandidatur von Tareq Alaows. Exakt neun Wochen später ließ diese Parteistelle per Pressemitteilung verlauten, dass er seine Kandidatur zurückzieht. Der Grund dafür war eine Bedrohungslage für ihn, seine Familie in Syrien und sein unmittelbares Umfeld, die sich auch durch rassistische Anfeindungen in nur neun Wochen Kandidatur entwickelt hat. Daraufhin erfolgte eine große Welle der Solidarität auf Twitter unter dem Hashtag #SolidaritaetMitTareq, der zeitweise auf Platz eins der deutschen Twittertrends lag. Doch auch vor dem Rückzug war das Interesse an seiner Person und Kandidatur groß. Nicht selten wurde getitelt, dass Alaows der erste syrische Flüchtling im deutschen Bundestag werden könnte.

Sechs Monate später fand die Bundestagswahl 2021 statt. Im Vergleich zu der Legislaturperiode 2017–2021 ist der Altersdurchschnitt der Bundestagsabgeordneten leicht gesunken und die Anteile der Frauen und der Abgeordneten mit Migrationshintergrund sind leicht gestiegen. Sie liegen aber immer noch deutlich unter denen in der Gesamtbevölkerung. Deutlich überrepräsentiert sind hingegen beispielsweise Akademiker*innen. Wünschenswert wäre ein Bundestag, in dem sich alle gesellschaftlichen Gruppen angemessen repräsentieren könnten.

Alaows bewarb sich aus diesem Grund auf ein Mandat für den deutschen Bundestag. Er wollte eine Stimme für hunderttausende Geflüchtete sein und durch seine eigenen Erfahrungen einen neuen Blickwinkel in den Bundestag bringen. Alaows, der 2015 über die Balkanroute aus Syrien nach Deutschland floh, studierte in Syrien Jura und war dort beim roten Halbmond aktiv, um humanitäre Hilfe zu leisten und Menschenrechtsverletzungen dokumentieren zu können. Nach seiner Ankunft in Deutschland und während seines Aufenthaltes in den Flüchtlingsunterkünften lernte er eigenständig deutsch und wurde auch hier politisch aktiv. Er organisierte mit und für die Bewohner*innen der Unterkünfte Demos für bessere Bedingungen und war später Teil des Bündnis Seebrücke. Arbeit fand er in Deutschland als Berater für Asyl- und Aufenthaltsrecht. Der Partei Bündnis/90 die Grünen schloss er sich an, weil sein politischer Schwerpunkt auf Migrations- und Klimapolitik und deren Wechselwirkungen lag. Durch dieses Engagement war sein Antrag auf Ermessenseinbürgerung erfolgversprechend. Das war von großer Bedeutung für ihn, weil Geflüchtete sonst in Deutschland frühesten nach sechs Jahren eine Chance auf Einbürgerung haben.

Für rechtspopulistische Strategien extremer Rechter, die sich an der Vorstellung eines Geflüchteten im deutschen Bundestag störten und dies verhindern wollten, lag hier bereits nach Ankündigung seiner Kandidatur der erste Angriffspunkt. Sie wurde als PR-Aktion der Partei Bündnis 90/Die Grünen betrachtet. Innerhalb dieser Beiträge fehlte der Hinweis auf die aussichtsreiche Ermessenseinbürgerung, die seine Kandidatur legitimiert hätte. Sie ließen die Aussicht auf die Ermessenseinbürgerung außer Acht, wahrscheinlich um der Kandidatur die dadurch erteilte Legitimation im Diskurs zu entziehen. Nach Alaows Rückzug und dem Bekanntwerden der rassistischen Anfeindungen, wurde der Abbruch seiner Kandidatur mit derselben Argumentation normalisiert. Sinngemäß wäre die Kandidatur ohne Staatsbürgerschaft ohnehin nicht gültig, weswegen die Beendigung seiner Kandidatur nur gerechtfertigt wäre.

Andere politische Akteur*innen zeigten sich hingegen solidarisch mit Alaows. Sie bedauerten den Rückzug und verurteilten die Gründe dafür. Von einigen Einzelpersonen wurde darüber hinaus auch Verständnis gezeigt, weil sie selbst bereits rassistische Anfeindungen innerhalb ihrer politischen Karriere erlebt hätten und nachvollziehen könnten, wie diese auf Betroffene wirkten.

In meiner Strukturanalyse der Berichterstattungen wird deutlich, dass nicht allein Politiker*innen mit Migrationshintergrund solche Anfeindungen erlebt haben, sondern auch nicht-migrantische Personen. Dazu kommt, dass Personen des öffentlichen Lebens, die für eine humane Asylpolitik einstehen, oftmals zusätzlich bedroht oder angegriffen werden. In der Berichterstattung über Alaows werden als Beleg der Gefahren für diese Fälle wie unter Anderen der NSU 2.0, Initiative Heimatschutz Kinzigtal1 oder der Mord an Walther Lübcke genannt. Die Täter der meistens anonymisierten Drohungen bis hin zum Mord werden in den untersuchten Medien als Rechtsextreme, rechte Terrororganisationen, rechtes Spektrum, Neonazis, Gegner der Demokratie und Antidemokraten bezeichnet. Insbesondere die letzten beiden Bezeichnungen haben in dem Fall Tareq Alaows eine besondere Bedeutung, weil in den untersuchten Beiträgen die deutsche Demokratie als das Hauptopfer des Falles herausgestellt wird. Oft wird von einer Schande für die deutsche Demokratie geschrieben oder, dass die Gründe für Alaows Rückzug erbärmlich für unsere Demokratie seien.

Damit findet eine Opfer-Verschiebung statt: Nicht Migrant*innen wie Alaows werden als Hauptopfer von Rassismus gesehen, sondern Deutsche beziehungsweise „unsere“ deutsche Demokratie. Dadurch verschiebt sich auch die Wahrnehmung der Täter*innen: Rassismus wird auf die extreme Rechte reduziert und so verdrängt, obwohl er eigentlich ein Phänomen der ganzen Gesellschaft ist. In der Politik aber auch in der Gesamtgesellschaft verhindern solche rassistischen und diskriminierenden Anfeindungen die Teilhabe von Personen, die – wie im Fall der Politik – häufig genug unterrepräsentiert sind.

Zwar wird in den untersuchten Beiträgen eine Entwicklung in dem Diskurstrang der politischen und sozialen Teilhabe festgestellt, die besagt, dass es immer mehr Gruppen möglich wird sich im öffentlichen Leben oder der Politik darzustellen und ihre Belange präsentieren zu können. Allerdings steigt das Diskussionspotenzial durch die Zunahme an neuen Gruppierungen, die sich vertreten wollen, weil nun vielmehr Aushandlungsbedarf besteht. Die Gegenrichtung dieser an sich positiven Entwicklung ist, dass eine Zunahme von diskriminierenden Verhaltensweisen und Gewaltandrohungen zu verzeichnen ist.

Alaows politisches Aufstreben sahen einige Personen wohl als Grund nicht die Wahl entscheiden zu lassen, sondern dafür seine Kandidatur durch Drohungen und Anfeindungen zu einem Ende zu bringen. Dadurch wurde einem Politiker mit einem im Bundestag noch nicht vorhandenen Blickwinkel auf die Migrations- und Asylpolitik die Chance verwehrt seine politischen Ideen einzubringen und zeitgleich stellvertretend für hunderttausende Geflüchtete in Deutschland zu kandidieren.

Marvin Mosters studiert Soziologie an der Universität Duisburg-Essen und hat als Praktikant im DISS die Medienberichterstattung über den Rückzug von Alaows in einer Kritischen Diskursanalyse untersucht.

1 Hier erhielt der damalige Präsident des hessischen Landkreisrates im Jahr 2015 auf Grund seines Einsatzes für Geflüchtete und der Bereitstellung von Erstaufnahmeeinrichtungen Morddrohungen von der sogenannten „Initiative Heimatschutz Kinzigtal“

 

Dieser Artikel stammt aus dem DISS-Journal 42 vom November 2021. Die vollständige Ausgabe als PDF finden Sie hier.