Das kolonialistische Narrativ und die NS-Propaganda

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Von Jobst Paul. Erschienen in DISS-Journal (38) 2019

Sandler, Willeke 2018
Empire in the Heimat: Colonialism and Public Culture in the Third Reich
Oxford: Oxford University Press. 360 pp. $74.00 (cloth)
ISBN 978-0-19-069790-7.

Mit Blick auf die deutsche Kolonialgeschichte kann Willeke Sandlers Studie „Empire in the Heimat: Colonialism and Public Culture in the Third Reich“ ((Willeke Sandler, Loyola University, Maryland, Department of History. Ich referiere hier die wichtigsten Aspekte der Rezension von Jakob Zollmann (WZB Berlin Social Science Center) in H-Diplo (August 2019) [https://www.h-net.org/reviews/showrev.php?id=53492].)) als Fortsetzung der Untersuchung von Stefan Manz [Constructing a German Diaspora, The “Greater German Empire”, 1871-1918, in: DISS-Journal 33 (2017)] gelten. ((Oxford : Routledge Taylor & Francis Group, 2013. 360 S.)) Manz beschrieb das ideologische und organisatorische Eigenleben der ‚Auslandsdeutschen‘ (innerhalb und außerhalb Deutschlands) in der Hochphase des deutschen Kolonialismus bis 1918. Und er betonte die literarische Repräsentanz der ‚Stimme‘ der Auslandsdeutschen in populären deutschen Medien, wobei das ‚weltweite Deutschtum‘ romantisch verklärt wurde.Willeke Sandler betrachtet nun die Entwicklung nach 1919, d.h. nach dem Verlust der deutschen Kolonien, in der Weimarer Republik und im NS-Regime.

Erstaunlich daran ist einerseits, dass sich die Kolonialbegeisterung in der deutschen Öffentlichkeit bis in die politischen Eliten hinein weiterhin in Grenzen hielt und Kolonialpolitik letztlich der innenpolitischen Identitätssuche diente. Erstaunlich ist andererseits, dass die Lobbyisten der kolonialen Interessen, vor allem die Deutsche Kolonialgesellschaft (DKG), auch nach 1919 noch weit mehr als 20 Jahre unbeirrt versuchte, einen Meinungsumschwung zugunsten der Rückgabe – nun der verlorenen Kolonien herbeizuführen. Doch auch nach 10 Jahren (1929) zählte man immer noch gerade 25 000 Mitglieder. Hier kamen Hitler und die NSDAP ins Spiel. In den NS-Programmen war von Beginn an von ‚Land‘ und von ‚Gebieten‘ die Rede, die zu unterwerfen seien, und die Einverleibung der Funktionäre der Koloniallobby in die NS-Bewegung war willkommen. Diesem taktischen Ziel blieb die NS-Propaganda verpflichtet, indem sie die kolonialistische Agenda rhetorisch unterstützte, darunter aber ausschließlich die Unterwerfung Osteuropas und der Sowjetunion verstand.

Dennoch diente sich die Kolonial-Lobby zu Beginn der 1930er Jahre und erst recht anlässlich der NS-Machtübernahme 1933 in der Hoffnung auf Gegenleistungen vollkommen der NS-Bewegung an. Sie inszenierte eine ‘Selbstgleichschaltung’, nannte sich nun ‘Reichskolonialbund’ (RKB), nahm Nazi-Größen in den Vorstand auf und schloss – entsprechend einem ‚Führer‘-Prinzip – politisch unliebsame und ‚nicht-arische‘ Mitglieder aus.

Doch das half alles nichts. Sandler zeichnet detailliert den hinhaltenden Widerstand der RKB-Führung nach, ihre eigenen Kolonialinteressen in Afrika zugunsten der NS-‚Ostpolitik‘ aufzugeben, bis 1936 Fakten geschaffen wurden: Die NS-Führung verordnete eine weitere, nun wirkliche ‚Gleichschaltung’, löste den Verband auf und verleibte den neuen RKB der NS-Bewegung ein. Allerdings wollte man auf den propagandistischen Wert des kolonialistischen Narrativs nicht verzichten: Zum Ärger der alten Kolonialkader wurde eine mediale, propagandistische Kampagne eröffnet, die einerseits versuchte, mit ‚Kolonialkitsch‘ – z.B. in Filmen wie Carl Peters (1941), Ohm Krüger (1941) und Germanin (1943) – eine hauptsächlich rassistische, antisemitische und anglophobe Umerziehung der Öffentlichkeit zu unterfüttern.

Andererseits diente die Konzeption dazu, den ‚guten Deutschen‘ zu inszenieren, der z.B. mit der Thematik Völkermord (an den Hereros) nicht in Verbindung gebracht werden sollte/konnte. Es liegt auf der Hand, dass diese Immunisierung wenig später angesichts der Überfälle auf Polen und auf die Sowjetunion fortwirkte und auch fortwirken sollte.

Die NS-Medienkampagne hatte übrigens Erfolg: Der RKB verzeichnete im Jahr 1941 bereits 2 Millionen Mitglieder. Mit der Katastrophe von Stalingrad (1942/43) allerdings brach diese propagandistische Instrumentalisierung des Kolonialismus in sich zusammen: Der RKB löste sich auf.