„Anständige Mädchen“ und „selbstbewusste Rebellinnen“

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Aktuelle Selbstbilder identitärer Frauen

Rezension von Leroy Böthel. Erschienen in DISS-Journal (39) 2020

Um die Zukunft der Identitären Bewegung (IB) ist es schlecht bestellt. In den vergangenen Monaten häuften sich die Nachrufe von Führungsfiguren und ideologischen Wegbereitern wie Martin Sellner und Götz Kubitschek. Doch auch wenn die IB politisch erledigt scheint, werden die Personen, Netzwerke und Strategien in der extremen Rechten weiterhin eine Rolle spielen – nicht zuletzt in wirksamer Position, in den Reihen der AfD. Die IB war durchaus stilbildend für eine Neue Rechte mit zeitgemäßer und jugendlicher Ansprache, ein Amalgam aus Agitprop und neurechten Buzzwords, ohne dabei direkt hochnotpeinlich zu wirken, wie Kubitschek selbst mit seiner ‚Konservativ-subversiven Aktion‘ ein Jahrzehnt davor.

Dass die IB darüber hinaus auch ein Raum für ideologische Aushandlungsprozesse ist/war, zeigt die Soziologin Julia Haas mit ihrer Studie „Anständige Mädchen“ und „selbstbewusste Rebellinnen“ – Aktuelle Selbstbilder identitärer Frauen. Vordergründig skizziert Haas die divergenten Selbstbilder identitärer Aktivistinnen wie Melanie Schmitz, Paula Winterfeldt oder Annika Stahn und stellt den Einfluss feministischer Ideen und Errungenschaften auf die geschlechterpolitischen Diskussionen der IB dar. Ihre Diskursanalyse erweitert so, anschließend an paradigmatische Publikationen von Renate Bitzan (2000) und dem ‚Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus‘ (2005), den Forschungskanon zu Frauen in der extremen Rechten. Zugleich ist diese Arbeit aber auch eine Zustandsbeschreibung des in der IB organisierten Antifeminismus, der sich mit Haas im Kontext der extremen Rechten durchaus als eine „Erneuerung in der Verhandlung von geschlechtspolitischen Themen“ lesen lässt. Als Material wählt Haas Instagram- und Blogpostings der Aktivistinnen. Gemeinsamer Nenner der Aktivistinnen ist hier eine ‚wehrhafte Feminität‘, die sich in konservativen, modernen oder auch rebellischen Selbstbildern ausdrückt. Interessant ist hierbei vor allem, wie Haas diese Facetten in Beziehung zu den Entwicklungsphasen der Frauenbewegung setzt, denn schließlich sei auch die extreme Rechte geprägt „durch jahrzehntelange Kämpfe um Gleichberechtigung und deren Erfolge“.

Durch das gewählte Material erhält die Analyse eine stark subjektive Komponente, die aber an keiner Stelle in psychologisierende Charakterstudien oder Relativismus umkippt. Beständig reflektiert Haas die Postings der Aktivistinnen vor dem Hintergrund einer völkisch-nationalistischen Ideologie. So bleibt beispielsweise von dem latenten Bestreben, die Ethnisierung sexueller Gewalt mühsam als rebellischen Akt gegen ‚feministische Sprachverbote‘ zu labeln, bei genauerer Draufsicht nicht viel übrig. Haas überführt das geschlechterpolitische Verständnis der IB eines stumpfen biologistischen Rassismus. Letztlich bleiben die Selbstbilder in der IB auch nur solange akzeptiert „wie diese ideologisch konform bleiben, heißt, wie sie ihre ‚weibliche Essenz‘ als ‚natürliches‘ und konstituierendes Moment ihrer Identität erleben“. Fraglich ist hingegen, inwiefern es sich – wie Haas suggeriert – um eine bewusste Strategie der Identitären handelt, unterschiedliche Frauenbilder zu produzieren, um möglichst breite Schichten anzusprechen oder inwiefern dieser Variantenreichtum nicht schon in der Ideologie angelegt ist und sich je nach Organisationsform und gesellschaftlichem Umfeld ausdifferenziert.

Von der ‚wehrhaften Feminität‘ ist es nicht weit zu einem veritablen Antifeminismus, der sich – wie Haas in Exkursen darlegt – stark an neurechten und rechtskonservativen Autorinnen wie Ellen Kositza und Birgit Kelle orientiert. Wirken teils jahrzehntealte Kampfbegriffe wie ‚Kulturmarxismus‘ und ‚68er‘ mittlerweile etwas altbacken und angedreht, versprechen die offenen Attacken der identitären Aktivistinnen auf ‚Feminismus‘ und ‚Gender-Gaga‘ eine höhere Anschlussfähigkeit – ohne mit den Prämissen neurechter ‚Kulturtheorie‘ zu brechen. Der Antifeminismus spielt so auch eine zentrale Rolle im Meta-Narrativ der IB, dem ‚Großen Austausch‘: Die vom Feminismus geprägten Frauen tragen an der ‚Massenmigration‘ insofern eine Mitschuld, als dass sie die Männer ‚verweichlichen‘, die Gebärfreudigkeit senken und aufgrund ihrer (unterstellten) emotionalen Konstitution vor allem ‚flüchtlingsfreundliche‘ Parteien wählen würden.

Letztlich wird der Antifeminismus in dieser ideologischen Verkettung so auch zu einer Triebfeder des rechten Terrors: Anders Breivik, der Attentäter von Utøya, hat genauso von einer „Kriegsführung gegen den europäischen Mann“ schwadroniert, wie die nachfolgenden Rechtsterroristen Tarrant (Christchurch), Balliet (Halle) und Rathjen (Hanau). Die gestiegene Zahl von Veröffentlichungen, die sich mit dem Antifeminismus in der extremen Rechten beschäftigen und für ihn eine höhere Wertigkeit einfordern, sind nicht zuletzt deshalb sehr zu begrüßen – vor allem wenn es sich hierbei, wie in der Diskursanalyse von Julia Haas, nicht nur um gute Fallstudien, sondern auch um eine Kritik völkisch-nationalistischer Ideologie handelt. ((Beispielhaft kann hier das Verlagsprogramm von Marta Press angeführt werden, das neben der Arbeit von Haas in jüngerer Vergangenheit auch Arbeiten von Juliane Lang & Ulrich Peters (2018), Rebekka Blum (2019) und Christopher Fritzsche (2019) aufgenommen hat. Der Rechte Rand (H. 183) widmete dem Antifeminismus in seiner Ausgabe März/April 2020 einen Themenschwerpunkt.)) Umso schöner, wenn man dies einem (vorerst) gescheiterten Projekt wie der IB noch abtrotzen kann.

Literatur

Antifaschistisches Frauennetzwerk/Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus 2005: Braune Schwestern? Feministische Analysen zu Frauen in der extremen Rechten, Münster: Unrast.

Bitzan, Renate 2000: Selbstbilder rechter Frauen. Zwischen Antisexismus und völkischem Denken, Tübingen: edition diskord.

Blum, Rebekka 2019: Angst um die Vormachtstellung. Zum Begriff und zur Geschichte des deutschen Antifeminismus, Hamburg: Marta Press.

Fritzsche, Christopher 2019: Geschlechtspolitische Debatten in der neurechten Wochenzeitung Junge Freiheit, Hamburg: Marta Press.

Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit in NRW (Hg.) 2020: Rechte Frauen* und Frauen*Rechte? Antifeminismus in der extremen Rechten. Überblick 1/2020, Düsseldorf.

Lang, Juliane/Peters, Ulrich (Hg.) 2018: Antifeminismus in Bewegung. Aktuelle Debatten um Geschlecht und sexuelle Vielfalt, Hamburg: Marta Press.

Leroy Böthel ist Soziologe und Mitarbeiter der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in NRW.

 

Julia Haas
„Anständige Mädchen“ und „selbstbewusste Rebellinnen“
Aktuelle Selbstbilder identitärer Frauen.
Hamburg 2020: Marta Press
284 Seiten, 32,00 Euro
ISBN 978-3-944442-95-2