Anmerkungen zum kommenden DISS-Colloquium (23.-25.11.2018)
von Regina Wamper, erschienen in DISS-Journal 35 (2018)
Die politische Kultur in Deutschland ist in einen Kampf um mediale Wahrheit verwickelt. Was gilt als „Real News“ und was als „Fake News“? Oftmals findet die Auseinandersetzung darüber im Rahmen einer binären Inszenierung statt, in der tatsächliche Probleme der gegenwärtigen Medienproduktion unter den Tisch fallen. Gleichzeitig bilden diese Probleme allerdings auch ein Substrat, auf dem politische Akteur*innen versuchen, unter dem Schlachtruf der Meinungsfreiheit reaktionäre politische Ideen durchzusetzen. Mit diesem Spannungsfeld wird sich vom 23. bis 25. November 2018 das Kooperationscolloquium des DISS in der Würzburger Akademie Frankenwarte beschäftigen.
Ausgerechnet der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer SE, Mathias Döpfner kritisierte jüngst in einem Gastbeitrag für das Deutschlandradio-Programmheft ((Mathias Döpfner: „Die Lüge ist Alltag geworden“, in: Deutschlandradio-Programmheft, Juni 2018, S. 14. )) die Zunahme von Falschmeldungen. Unter dem Titel „Die Lüge ist Alltag geworden“ mahnt er eine Gefahr für die Demokratie durch digitale (!) Fake News an. Dies sei ähnlich bedrohlich wie „Revolutionäre auf der Straße“ oder eine putschende Bundeswehr.
Der Döpfnersche Gastbeitrag illustriert eindrucksvoll eine neue Umgangsform hegemonialer Medien mit Fake News. Als deren Urheber gelten ‚Extremisten‘, rechte, linke wie palästinensische und freilich auch Russland, und als deren Transporteure Facebook und Co. Zensur, beziehungsweise die Einschränkung der Meinungsfreiheit durch ebendiese Transporteure sei allerdings keine Lösung für dieses „komplexe, gesellschaftliche Problem“. Gefragt seien stattdessen Journalist*innen mit „Mut zur Wahrheit“, ein Slogan, der inzwischen doch recht unangenehm an Junge Freiheit, AfD und Compact News erinnert. Gefragt seien Journalist*innen, die ihr Handwerk beherrschten, eine „saubere, harte Recherche“. In diesem Sinne sei etwa natürlich die Nationalität eines überführten Straftäters zu nennen, „ganz gleich, welche Konsequenzen eine Enthüllung zeitigt“. Alles andere sei Erziehung der Leser*innen, quasi ideologisch, jedenfalls kein seriöser, unabhängiger Journalismus.
Kulturkampf um Meinungsfreiheit
Döpfners Gastbeitrag kann vor dem Hintergrund eines aktuellen kulturpolitischen Kampfes um Meinungsfreiheit bzw. um mediale Wahrheit gelesen werden. Auffallend ist dabei, dass die Debatten mit einem hohen Maß an Binarität geführt werden. Die einen bescheinigen hegemonialen Medien Unabhängigkeit, Seriosität und Objektivität, und auch Medienvertreter*innen inszenieren sich als Produzent*innen von ‚Real News‘ und kontern nicht selten gegen Anwürfe vor allem aus den Sozialen Medien mit dem Schlagwort der ‚Fake News‘. Währenddessen werden denselben Medien von anderer Seite in kampagnenartiger Weise Begriffe wie ‚Lügenpresse‘, ‚Lückenpresse‘ und ‚Political Correctness‘ entgegengeschleudert. Einerseits drohen angesichts dieser bi nären Inszenierung tatsächliche Probleme bürgerlicher Medien unter den Tisch zu fallen. Denn zweifelsfrei handelt es sich bei diesen Medien nicht um „ideologiefreie“ Projekte, der Kampfbegriff der Objektivität ist deshalb nicht nur unter diskurstheoretischen Gesichtspunkten abzulehnen. Zweifelsfrei werden Sagbarkeitsräume in bürgerlichen, wie auch allen anderen Medien ausgeweitet und eingeschränkt, wir können hier von Prozeduren der Selbstzensur sprechen. Ebenso zweifelsfrei gibt es staatliche Eingriffe in die Pressefreiheit, Stichwort: Akkreditierungen z.B. beim G20 in Hamburg. Auch haben wir es mit einem digitalen und neoliberalen Umstrukturierungsprozess in der Medienlandschaft zu tun, der sich durchaus auf den Journalismus und die in ihm agierenden Personen auswirkt.
Andererseits aber sind es genau diese Probleme, die dazu genutzt werden, um mit dem Schlachtruf der Meinungsfreiheit reaktionäre politische Ideen durchzusetzen. Heute sind es vor allem extrem rechte Gruppierungen und Parteien, die den Begriff der Lügenpresse einsetzen und damit eine spezifische Umdeutung des Begriffs der Meinungsfreiheit herbeiführen. Inhaltlich geht es dabei jedoch vor allem um die Abwehr von Kritik. Nicht nur wird der Begriff der Meinungsfreiheit als Kritikfreiheit verstanden, sondern die Kritik an diskriminierenden Aussagen selbst wird als Diskriminierung gedeutet. Auf diese Weise werden aber Diskriminierende zu Diskriminierten. Diese Täter-Opfer-Umkehr bewirkt, dass diskriminierende Rede nicht mehr als solche wahrgenommen wird, und führt gleichzeitig zu einer Stigmatisierung von Diskriminierungskritik. Kritische Positionen werden mit dem Stigmawort der Political Correctness belegt und von rechten Gruppierungen und Parteien als Ausdruck linker Meinungshegemonie gedeutet, die gebrochen werden müsse.
Nun agiert die politische Rechte aber nicht im luftleeren Raum. Debatten um Diskriminierung, freie Meinungsäußerung und Political Correctness finden auch im politischen Mainstream statt. Auch diese Debatte offenbart ein bestimmtes Verständnis von Meinungsfreiheit und von Kritik. Meinungsfreiheit erscheint auch hier oftmals als Gut, das die Äußerung einer Meinung deckt, jedoch nicht die Kritik an Meinungsäußerungen. Kritik wird in dieser Perspektive mit Zensur gleichgesetzt. Und Zensur wird ebenfalls unterstellt, wenn im Sinne der Stigmawörter Lückenpresse oder Lügenpresse ausbleibende Berichterstattung zu einem Ereignis eingefordert wird.
Beispiel Kriminalitätsberichterstattung
Vor allem in Zusammenhang mit der Kriminalitätsberichterstattung taucht der Vorwurf der Lücken- und Lügenpresse häufig auf. Leitmedien und vor allem öffentlich-rechtliche Medien werden dann zur Berichterstattung aufgefordert, wenn es sich bei Tatverdächtigen um Menschen mit Migrationshintergrund handelt. Und sie werden dazu aufgefordert, den Migrationshintergrund zu benennen, auch wenn sie dabei gegen ihre eigenen Leitlinien agieren würden.
Beispielhaft können die medienpolitischen Diskussionen rund um die Tötungsdelikte in Freiburg 2016 und Kandel 2017 genannt werden. Den öffentlich-rechtlichen Medien wurde damals vorgeworfen, nicht oder nicht ‚objektiv‘ darüber berichtet zu haben. Die Reaktion der Medien auf diese Kritik war vorwiegend defensiv. Man habe sich nichts vorzuwerfen, schließlich habe man in etlichen anderen Fällen die Herkunft von Tatverdächtigen ja genannt. Solche Argumentationen deuten auf eine Verschiebung des Referenzrahmens hin, denn damit wird als Maßstab einer fairen Berichterstattung nicht mehr eine antidiskriminierende Praxis, sondern der Bruch mit ihr anerkannt. Auch hier gilt die Meinungsfreiheit als das maßgebliche Argument. In einigen Fällen führte der politische Druck dieser Argumentation zu einer Berichterstattung, die nur dann von Tötungsdelikten und Beziehungstaten berichtet, wenn Tatverdächtige einen Migrationshintergrund hatten. Meinungsfreiheit und Transparenz werden so als positive Werte gegen antidiskriminierende Grundsätze ausgespielt.
Verunsicherung der Medien
Im Hinblick auf einen befürchteten Legitimitätsverlust ist sowohl beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen als auch innerhalb der Print-Leitmedien eine enorme Verunsicherung zu beobachten. Immerhin hat es sich als erfolgreiches Mittel rechter Akteur*innen erwiesen, exorbitante Bedrohungen mit Hilfe von Fake News zu inszenieren und damit bürgerliche Medien unter erheblichen Druck zu setzen.
Diskurstheoretisch gesehen blendet die dichotome Fremdzuschreibung von Fake News und die Selbstzuschreibung von Real News aus, dass auch Qualitätsjournalismus in herrschende, gegebenenfalls exkludierende und diskriminierende Diskurse eingebettet ist und dass er diese in der Berichterstattung reproduziert. Auch wenn es derzeit auf der Hand liegt, in welcher Weise und mit welchen Folgen durch bewusst lancierte Fake News Manipulationen betrieben werden, heißt das im Umkehrschluss nicht, dass Real News wertfrei seien und nicht beeinflussen. Auch Leit-Medien geben Deutungsmöglichkeiten und Sichtweisen vor, ordnen Ereignisse politisch ein und legen Lösungsstrategien nahe. Auch heißt das nicht, dass Leit-Medien frei von Fake News wären. Allerdings drängt derzeit die rechte Strategie, die Medien in eine binär ausgerichtete Verteidigungsstrategie zu treiben, erfolgreich die medienkritische Arbeit der vergangenen Jahrzehnte an den Rand und vermutlich aus dem öffentlichen Bewusstsein.
Im Rahmen des Colloquiums wird der Status Quo analysiert, um darauf aufbauend Wege eines kritischen Umgangs mit der heutigen Medienberichterstattung erarbeiten. Mehr Infos gibt es beim DISS sowie der Akademie Frankenwarte Würzburg unter: www.frankenwarte.de