oder: Rassismus als flexible diskursive Ressource
Rezension von Jobst Paul, erschienen in DISS-Journal 35 (2018) ((Ich stütze mich auf die Rezension von Brandon T. Jett (Rollins College), http://www.hnet.org/reviews/showrev.php?id=50327 [accessed 29.05.2018]. ))
Gibt es einen nachweisbaren Zusammenhang zwischen Rassismus und dem Status der USA als Gefängnisstaat (carcereal state)? Wollte das weiße Amerika mit der Null-Toleranz-Strategie die Errungenschaften der Civil-Rights-Bewegung aushebeln? James Forman Jr., ein früherer Pflichtverteidiger und nun Yale-Rechtsprofessor, nähert sich in Locking Up Our Own: Crime and Punishment in Black America dem Thema der heutigen Masseneinkerkerung vor allem von schwarzen US-Bürgern mit Erfahrungen aus erster Hand und mit Zugang zu authentischen Quellen.
Mit Blick auf die Entwicklung vor allem in Washington DC von 1970 bis heute verweist er auf einen komplexen diskursiven Prozess, in dessen Zentrum die umstrittene Tatsache steht, dass viele schwarze Führer und ihren Gemeinden die Null-Toleranz-Strategie ursprünglich unterstützten. Angesichts der wachsenden Gewalt in den schwarzen Wohnquartieren hofften sie darauf, dass die Vernachlässigung dieser Quartiere durch die höheren Verwaltungen endlich ein Ende habe – ihre Zustimmung zur Null-Toleranz-Strategie ging mit der Forderung nach gezielten Bildungs-, die Berufs- und Wohnprogrammen einher. Sie forderten – mit anderen Worten – die Einlösung der Inhalte der civil-rights-Bewegung.
Beginnend mit der Reagan-Ära wurde daraus etwas ganz anderes: Die überwiegend weißen Verwaltungen legten die Gemeindesprecher schwarzer Wohnquartiere auf ihre Zusage zur Null-Toleranz-Strategie fest, ließen aber den anderen Teil der Forderungen immer mehr unter den Tisch fallen. Auf diese Weise wurden diese Sprecher zunehmend in eine unangenehme Lage gebracht und unter Zugzwang gesetzt.
Forman weist diese Entwicklung anhand zweier Stränge nach, nämlich beim Kampf gegen den Marijuana-Massenkonsum und gegen die Verbreitung von Schusswaffen in den 70er und 80er Jahren. In beiden Fällen entwickelte sich ein lang anhaltender Prozess, während dessen viele schwarze Führer die Verengung nicht erkennen konnten, in die sie ein ganz offensichtlich rassistisches Kalkül hineintrieb. Die heutige Massenverurteilung von Schwarzen konnten sie nicht absehen: Längst sind zu Drogenmissbrauch und Schusswaffendelikten viele andere Gründe hinzugekommen, wegen denen so viele schwarze US-Bürger verurteilt werden. Für Forman steuert die Lage auf einen schmerzhaften Wendepunkt zu. Der Erkenntnis des Unrechts werden, so konstatiert Forman zum Schluss, für die US-Gesellschaft Jahrzehnte der Aufarbeitung folgen, und für viele Gefangene Jahrzehnte einer vielleicht nur potenziellen Heilung.
James Forman Jr., Locking Up Our Own: Crime and Punishment in Black America. New York: Farrar, Straus and Giroux, 2017. 320 pp. $27.00 (cloth).