Pegida als sächsisches Phänomen

  • Lesedauer:9 min Lesezeit

Von Michael Nattke und Anna Gorskih, erschienen im DISS-Journal 29 (20159

Während Pegida außerhalb Sachsens nie so recht hat Fuß fassen können, bringen das Original in Dresden und seine Ableger in Sachsen nach wie vor regelmäßig eine große Anzahl von Menschen auf die Straße. Auch wenn beim Auftritt von Geert Wilders mit knapp 10.000 Teilnehmer_innen im April 2015, die eigenen Erwartungen weit verfehlt wurden, gab es bis Redaktionsschluss keine einzige Pegida-Demonstration in Dresden, an welcher nicht wenigstens eine vierstellige Zahl von Demonstrant_innen dem Aufruf von Lutz Bachmann folgte.

Pegida startete als die außerparlamentarische Opposition einer neuen konformistischen Rechten in der Bundesrepublik. Mit Sarrazins Erfolg und insbesondere mit dem Aufstieg der AfD sind rassistische und nationalchauvinistische Positionen wieder zu einem ernstzunehmenden Diskursgegenstand außerhalb von Neonazi-Milieus geworden. Auch wenn es nur vereinzelte personelle Überschneidungen gab, ist der Aufstieg von Pegida nicht ohne den Aufstieg der AfD, ihren Einzug in den sächsischen Landtag und den derzeitigen Niedergang der NPD zu verstehen. Pegida-Mitbegründerin Katrin Oertel sagte nach einem Gespräch mit der AfD-Landesspitze im Januar dieses Jahres, dass man „viele gemeinsame Schnittmengen festgestellt“ habe. Auch ist es wenig überraschend, dass der Anteil der AfD-Wähler_innen unter den Pegida-Demonstrant_innen überproportional hoch ist. Laut einer Befragung von Beginn des Jahres 2015 würden bis zu 89 Prozent der Pegida-Demonstrant_innen die AfD wählen (vgl. Daphni u.a. 2015).

Im Kontext der Etablierung einer konformistischen Rechten in Gestalt der AfD und von Pegida ist auch die zum Fetisch avancierte „Dialogbereitschaft“ der etablierten Parteien und Entscheidungsträger_innen gegenüber Pegida zu verstehen. Der Fraktionschef der CDU im sächsischen Landtag etwa verkündete, dass er nicht der Meinung sei, „dass eine komplette Ausgrenzung der AfD für die Union langfristig sinnvoll ist.“ Zum Positionspapier von Pegida ergänzte er: „Einige Punkte davon könnte ich sofort unterschreiben.“ (Zit. nach http://jungle-world.com/artikel/2015/07/51414.html; Abruf: 29.04.2015) Berührungsängste gegenüber dem Gespräch mit Pegida und ihrem Anhang, wie sie auf Bundesebene vorherrschen, hat es auf Seiten des politischen Establishments in Sachsen nie gegeben. Wer in Sachsen nicht als dogmatischer „Linksextremist“ aus dem Diskurs ausgeschlossen werden wollte, organisierte Dialogforen, betonte, dass man mit seiner Arbeit schon seit Jahren den Dialog suche und befördere, und zeigte Verständnis für die angeblich vielen Fragen und Sorgen der „Bürger_innen“, die an jedem Montag mit „Lügenpresse“-Sprechchören und „Wir sind das Volk!“ durch die Straßen zogen. Selbst zivilgesellschaftliche Bündnisse, wie z.B. der Verein „Dresden für alle“ biederten sich dem Pegida-Anhang an. Diejenigen, die mit oder ohne Pegida gegen Flüchtlingsunterkünfte demonstrieren, wolle man ernst nehmen, sie „in Gesprächsrunden holen“ und sie dazu animieren sich einzubringen, sagten Sprecher_innen von „Dresden für alle“ gegenüber der Presse (vgl. Weller 2015). An der Spitze der Dialogführer fand sich immer wieder der „Wendeheld“ und Geschäftsführer der Sächsischen Landeszentrale für Politische Bildung Frank Richter. Richter, ein ehemaliger Priester, ist der Meinung, dass man mit allen reden solle und müsse. Er verwechselt hier die seelsorgerische Verantwortung eines Priesters mit der gesellschaftspolitischen des Direktors der Landeszentrale. In der Vergangenheit hat er auch die NPD auf öffentliche Podien eingeladen. Er stellte Pegida nicht nur seine Räume für eine Pressekonferenz zur Verfügung, die er moderierte, sondern lud über die Presseverteiler des Hauses auch gleich die Journalist_innen ein. Seite an Seite mit konservativen Politikwissenschaftler_innen wie Werner Patzelt von der TU Dresden, betonte Richter immer wieder, dass der Großteil der Pegida-Demonstrant_innen keine Rassist_innen seien, und erteilte ihnen damit den Persilschein zur gleichberechtigten Teilnahme an politischen Diskussionen.

Neurechte Vordenker_innen

Die interne Debatte über die strategische Ausrichtung und die inhaltliche Ausgestaltung von Pegida haben derweil längst die gängigen Wortführer der Neuen Rechten in der Bundesrepublik übernommen. Das Who-is-Who des neurechten Spektrums ist inzwischen in unterschiedlichen Konstellationen als Redner_innen bei Pegida-Demonstrationen und deren Ablegern aufgetreten. Im April lud das verschwörungstheoretische COMPACT-Magazin von Jürgen Elsässer zu einem Gespräch mit Götz Kubitschek, dem leitenden Redakteur der Sezession, und Katrin Oertel unter der Überschrift „Pegida – wie weiter?“ vor rund 150 Zuhörer_innen nach Dresden ein. Kubitschek stellte auf dieser Veranstaltung fest, dass er „Teil dieser großen Volksbewegung geworden [ist], ohne sie zu dominieren“. Der größte Erfolg von Pegida ist seiner Ansicht nach die Erweiterung des Resonanzraums, den er als eine politische Kampfzone versteht. Pegida als Volksbewegung sei angetreten, um „von unten“, den „Widerstand gegen eine von oben aufgelegte Ordnung“ zu führen. Laut Kubitschek komme es nun darauf an, die Formen dieses Widerstandes zu variieren und dass aus Pegida heraus langfristige Strukturen für diesen Widerstand geschaffen würden. „Der Zorn“, so Kubitschek, „muss nach innen gerichtet werden.“ Es geht ihm darum, daraus eine Systemkritik zu formen, die sich entweder reformerisch oder revolutionär Geltung verschafft.

Das gesellschaftliche Umfeld

Eingebettet ist das sächsische Phänomen Pegida in ein Umland, das durch die Fokussierung auf die Dresdner Demonstrationen schnell in Vergessenheit gerät. Seit über einem halben Jahr protestieren Woche für Woche Hunderte an unterschiedlichen Orten in Sachsen gegen die Einrichtung von Flüchtlingsunterkünften in ihren Orten. Dazu kommt eine massive Zunahme der rassistischen Gewalt und der Übergriffe von Neonazis (vgl. Beratungsstelle 2015). Zumindest im Osten der Republik ist dies die größte Demonstrations-und Protestwelle in Deutschland seit den Hartz IV-Protesten im Jahr 2001 und den Demonstrationen am Ende der DDR im Jahr 1989. Insbesondere im Osten der Republik ist der Slogan „Wir sind das Volk!“ einer der meistverwendeten, nicht nur bei Pegida, sondern auch bei diesen Protesten. Auch wenn wir es nicht mit Massenaufmärschen zu tun haben, sind die Menschen, die gegen Asylsuchende auf die Straße gehen, keine Minderheit. Sie sind durchschnittlich gebildet, haben Jobs und Familien. Es sind die gleichen Menschen, die auch bei Pegida auf die Straße gehen. Nur ein Teil von ihnen gehört Neonazi-Strukturen oder anderen gesellschaftlichen Randgruppen an. Seit über 20 Jahren zeigen unterschiedliche Einstellungsstudien immer wieder, dass mindestens ein Viertel der deutschen Bevölkerung rassistische Positionen teilt (vgl. Decker u.a. 2014, 35ff.) und etwa die Hälfte ablehnend gegenüber Asylsuchenden eingestellt ist (vgl. Heitmeyer 2012, 15ff.). Menschenrechtsorientierte Gruppen und Vereine, die sich mit Rechtsextremismus, Diskriminierung und Rassismus auseinandersetzen, haben seit vielen Jahren auf den weit verbreiteten Rassismus in der deutschen Gesellschaft hingewiesen. Das Neue an den Entwicklungen der letzten beiden Jahre ist, dass die rassistische Mitte unserer Gesellschaft aus den Wohnzimmern in die Öffentlichkeit tritt und ihre Meinung offen artikuliert. Ihr Ruf „Wir sind das Volk“ bemüht den Slogan der DDR-Bürgerrechtsbewegung von 1989, transformiert ihn aber in einen völkisch-nationalistischen Kontext.

Aktivitäten gegen Pegida

Optimistisch stimmen Aktivitäten, die sich gegen Pegida richten. Anfang Mai zogen 4.000 Menschen auf einer sogenannten Tolerade durch die Dresdner Innenstadt und feierten anschließend ein Festival in einem der größten Techno-Clubs der Stadt. Die Organisator_innen der Veranstaltung waren Party-Veranstalter_innen, Clubbetreiber_innen, DJs, Künstler_innen und kollektive Soundsysteme. Ziel der Tolerade war eine Positionierung eben dieser Organisator_innen, der Szene und ihrer Crowd für eine menschenwürdige Aufnahme von Geflüchteten und eine klare Absage gegenüber Rassismus. Der überwiegende Teil derjenigen, die seit Monaten mit Soli-Partys Geld für ihre Parade gesammelt und sie letztlich auf die Beine gestellt haben, war in der Vergangenheit nicht politisch in Erscheinung getreten. Mit Pegida verschoben sich in den letzten Monaten die Wertesysteme und damit auch die bis dahin geltende gesellschaftliche Normalität zum Thema Antirassismus. Das gab den Ausschlag für das Handeln dieser Gruppe und ihre erste öffentlich wahrnehmbare Aktion, die Tolerade. Die Gruppe wird weiter arbeiten und plant weitere Aktionen. Neben der Tolerade haben auch zahlreiche andere Akteur_innen in Dresden in den letzten Monaten ihre Politisierung erlebt oder haben sich öffentlich positioniert. Insbesondere Kunstschaffende, Theater und Kultur haben festgestellt, dass sie in einer demokratischen Gesellschaft eine politische Rolle haben, eine Haltung einnehmen und diese mit Leben füllen müssen. In ganz Sachsen werden immer mehr Menschen aktiv, um Geflüchtete zu unterstützen. Sie bilden eine neue und vielfältige Gegenbewegung zur rassistischen Stimmungsmache von Pegida und seinen Ablegern (vgl. Kleiner 2015) In linksalternativen Kreisen gelingt seit Pegida gar die tatsächliche Einbindung von Geflüchteten in die politische Arbeit. Es gibt mehrsprachige Plena und Diskussionsrunden. Geflüchtete werden an ihren Unterkünften zu gemeinsamen Demonstrationen und Aktionen abgeholt. Pegida wirkte als Katalysator für diejenigen, die dem ansteigenden Zuzug von Menschen aus den Krisenregionen der Welt nicht länger tatenlos zusehen und ihre Unterstützung anbieten wollen.

Literatur

Beratungsstelle 2015: Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt der RAA Sachsen e.V.: Erneut Anstieg rechtsmotivierter und rassistischer Gewalt (Presseerklärung v. 24.02.). https://www.raa-sachsen.de/index.php/pressemitteilung/pressemitteilung-der-opferberatung-fuer-betroffene-recht.html (Abruf: 30.04.)

Daphni, Prisca u.a. 2015: Protestforschung am Limit: Eine soziologische Annäherung an Pegida, Berlin.

Decker, Oliver u.a. 2014: Die stabilisierte Mitte – Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland, Leipzig.

Heitmeyer, Wilhelm 2012: Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in einem entsicherten Jahrzehnt, in: Ders. (Hg.): Deutsche Zustände, Folge 10, Berlin, S. 15-40.

Kleiner, Bernd 2015: Immer mehr Menschen werden aktiv, um Flüchtlingen zu helfen, in: Der Paritätische 02/2015, S. 20f.

Weller, Andreas 2015: Bis Dresden weltoffen ist, in: Sächsische Zeitung v. 02.05., http://www.sz-online.de/nachrichten/bis-dresden-weltoffen-ist-3094799.html (Abruf: 04.05.)

 

Michael Nattke ist Fachreferent beim Kulturbüro Sachsen e.V.; seit 2014 Moderation der Fachkommission „Ideologien der Ungleichwertigkeit“ im Stiftungsverbund der Heinrich-Böll-Stiftungen.

Anna Gorskih studiert Sozialwissenschaften und Philosophie in Leipzig, im Rahmen eines Praktikums beim Kulturbüro Sachsen leistete sie Recherchearbeiten zu Pegida.