Von Ismail Küpeli ((Ismail Küpeli ist Politikwissenschaftler und Aktivist, u.a. in der Bundeskoordination Internationalismus. Er lebt derzeit in Portugal und begleitet die sozialen Bewegungen vor Ort solidarisch und kritisch und berichtet regelmäßig über die Folgen der Wirtschaftskrise und die Proteste gegen die neoliberale Krisenpolitik. Der Beitrag ist ein Auszug aus der Publikation: Nelkenrevolution reloaded? Krise und soziale Kämpfe in Portugal, Münster 2013: edition assemblage, 96 S. , 9,80 Euro.)) Erschienen in DISS-Journal 27 (2014)
Die portugiesische Gesellschaft ist bis heute stark geprägt durch Migrationsbewegungen. In den 1970er und 1980er Jahren wanderten insbesondere prekarisierte ArbeiterInnen aus den (ehemaligen) Kolonien ein, später aus Osteuropa. Durch die aktuelle Wirtschafts- und Finanzkrise hat auf der anderen Seite die Auswanderung nach Mittel- und Nordeuropa massiv zugenommen. Der Politikwissenschaftler und Aktivist Ismail Küpeli untersucht, wie sich Rassismus und Antiziganismus unter diesen spezifischen Bedingungen in Portugal ausformen.
Die massive Auswanderung von PortugiesInnen ist kein neues Phänomen. Bereits unter der Salazar-Diktatur verließen viele Menschen das Land, sei es aufgrund von Armut oder politischer Verfolgung. In den 1970er Jahren lebten über eine Million PortugiesInnen im Ausland und die Bevölkerung in Portugal sank von 9,7 Millionen (1960) auf 8,5 Millionen (1970). Die Rücküberweisungen der emigrierten portugiesischen ArbeiterInnen waren bis weit in die 1980er Jahre eine wichtige finanzielle Devisenquelle für Portugal. Noch 1989 lag der Anteil der Rücküberweisungen am Bruttoinlandsprodukt bei über 8%. Die Zahl der PortugiesInnen im Ausland beträgt inzwischen über 5,5 Millionen ((Vgl. Santos u.a. 2009, 15.)), was bei einer Bevölkerung von zehn Millionen, die noch in Portugal leben, die immense Auswanderung deutlich macht. Unmittelbar nach der Nelkenrevolution 1974 wanderten viele Günstlinge und UnterstützerInnen der Diktatur ins Ausland, neben einigen wohlhabenderen PortugiesInnen, die ihr Vermögen sichern wollten. In den 1970er und 1980er Jahren ging die Arbeitsmigration nach Nordeuropa etwas zurück. Portugal entwickelte sich in den 1990er Jahren zu einer Art migrationspolitischer Zwischenstation bzw. zu einer »Semiperipherie im globalen Migrationssystem« ((Góis/Marques 2010, 37.)). Während einerseits portugiesische ArbeiterInnen nach Nordeuropa gingen, um dort prekäre und schlecht bezahlte Jobs zu machen, kamen MigrantInnen nach Portugal, um hier prekäre und schlecht bezahlte Jobs zu machen. Ab Mitte der 1990er Jahre lag die Zahl der EinwanderInnen in Portugal höher als die Zahl der PortugiesInnen, die ins Ausland auswanderten. In der gegenwärtigen Krise hat die Arbeitsmigration von PortugiesInnen deutlich zugenommen. Zielländer sind, neben den reicheren europäischen Ländern, auch die ehemaligen Kolonien. Erwähnenswert ist etwa Angola mit seiner wachsenden Erdölindustrie, das inzwischen viele gut ausgebildete portugiesische ArbeiterInnen beschäftigt.
Durch die massive Auswanderung der PortugiesInnen und die massenhafte Einberufung von jungen Männern für die portugiesischen Kolonialkriege entstand in den 1960er Jahren in Portugal ein Mangel an Arbeitskräften. Die portugiesische Regierung antworte hierauf mit der Rekrutierung von Arbeitskräften aus den Kolonien. Diese portugiesischsprachigen EinwanderInnen aus Ländern Afrikas stellten bis Ende der 1990er Jahre die Mehrheit der MigrantInnen. ((Seit Ende der 1990er Jahre gibt es verstärkt eine Arbeitsmigration aus Osteuropa, insbesondere etwa aus der Ukraine. So stieg der Anteil der UkrainerInnen an der Gesamtzahl der AusländerInnen in Portugal von 0,4% (2001) auf 20,8% (2004).)) Sie haben, ebenso wie die EinwanderInnen aus Brasilien, in Portugal auf der rechtlichen Ebene gegenüber den anderen MigrantInnen eine bevorzugte Position. Sie können leichter eine Aufenthaltserlaubnis erhalten und bekommen schneller und unkomplizierter die portugiesische Staatsbürgerschaft. ((Die bevorzuge Behandlung der portugiesischsprachigen MigrantInnen setzt sich auch dort fort, wo formaljuristisch eine Gleichbehandlung vorgeschrieben ist. Während etwa 99% der Anträge auf Legalisierung von »illegalen« portugiesischsprachigen MigrantInnen erfolgreich waren, wurden 10% bis 43% der Anträge von nicht-portugiesischsprachigen MigrantInnen abgelehnt (vgl. Góis/Marques 2010, 45).)) Es gibt aufgrund der religiösen und sprachlichen Übereinstimmung zwischen der Mehrheitsgesellschaft und dieser Gruppe der MigrantInnen wenige Debatten bezüglich der staatlichen Sprach- und Religionspolitik.
Alle legalen MigrantInnen erhalten in Portugal eine Arbeitserlaubnis und alle ArbeiterInnen, seien es portugiesische oder ausländische, sind rechtlich gleichgestellt. Einige zehntausend »illegale« MigrantInnen wurden 1992, 1996 und 2001 legalisiert, dabei handelt es sich hauptsächlich um Menschen aus der Ukraine, Moldawien, Rumänien und Russland. Inzwischen leben ca. 500.000 MigrantInnen in Portugal, die damit etwa 5% der Gesamtbevölkerung bilden.
Rassismus gegen MigrantInnen und Roma
Allerdings unterscheiden sich die soziale Anerkennung und die ökonomische Position der MigrantInnen deutlich von ihrem rechtlichen Status. Die üblichen rassistischen und sexistischen Klischees finden sich auch in Portugal wieder: Die Bilder von »faulen Schwarzen«, »sexy Brasilianerinnen« und »diebischen Zigeunern« finden sich sowohl im Alltag als auch in den Massenmedien wieder. Insbesondere Schwarze und Roma sind häufig Opfer von verbalen rassistischen Angriffen. Viele MigrantInnen haben eher prekäre Jobs, werden oft unterbezahlt und sind wesentlich mehr von Arbeitslosigkeit und Armut betroffen als die Menschen aus der Mehrheitsgesellschaft. ArbeitgeberInnen nutzen die ökonomische Verwundbarkeit der MigrantInnen, insbesondere von OsteuropäerInnen, um schlecht angesehene und körperlich anstrengende Arbeiten für geringe Löhne verrichten zu lassen.
Verglichen mit Deutschland fällt die geringe Anzahl von rassistischen Gewaltakten auf. ((Gewaltakte meinen hier den Einsatz von massiver physischer Gewalt, mit direkten Folgen wie etwa Körperverletzung. Strukturelle oder psychische Gewalt ist explizit ausgenommen.)) Allerdings sind die vorhandenen Daten sehr lückenhaft und sozialwissenschaftliche Untersuchungen rassistischer Gewalt existieren kaum. In einer der wenigen empirischen Untersuchungen wurden für den Zeitraum zwischen 2000 und 2002 neun Fälle von rassistischer Gewalt erfasst, die in sieben der Fälle von PolizistInnen begangen wurden. ((Vgl. Dias/Seabra 2003, 36.)) Es gibt auch mindestens zwei Fälle, in denen junge Migranten bei Polizeikontrollen erschossen wurden: 2003 ein 26-jähriger Kapverdianer und 2009 ein 14-jähriger Bewohner eines Lissaboner Slums. Die Polizei behauptet, dass die Opfer die PolizistInnen angegriffen hätten, die dann in Notwehr geschossen hätten. In beiden Fällen wurden die PolizistInnen freigesprochen. Eine weitere Tätergruppe sind vereinzelte FaschistInnen – eine größere militante faschistische Bewegung existiert nicht.
Rassismus äußert sich in Portugal nicht nur gegenüber MigrantInnen, sondern wesentlich stärker gegenüber den ca. 40.000-50.000 Roma, die eine »einheimische« ethnische Minderheit bilden. ((Auch dies unterscheidet Portugal von Deutschland, wo der Rassismus sich zentral gegen die MigrantInnen richtet – und nicht gegen »einheimische« Minderheiten wie etwa Sorben.)) Die Roma sind in Portugal sozial und ökonomisch marginalisiert. Die rassistischen Diskriminierungen beginnen in den Schulen, wo portugiesische Eltern sich dagegen wehren, dass ihre Kinder und Roma-Kinder zusammen unterrichtet werden. Dies ging in der Vergangenheit zum Teil so weit, dass an den Schultoren Schilder mit der Aufschrift »Kein Zugang für Zigeuner« aufgestellt wurden. ((So etwa 2003 in der Ortschaft Teivas (vgl. ECRI 2007, 30).)) Die Schulverwaltungen sind oft nicht gewillt oder nicht interessiert, gegen solche Diskriminierungen vorzugehen. In einem Fall fragte die Polizei in den Schulen, ob bei ihnen Roma unterrichtet werden und ob der Schulverwaltung kriminelle Handlungen dieser Schüler bekannt sind. Diese Anfrage der Polizei wurde Ende 2012 bekannt, nachdem ein Schulleiter in Almada, einer Kleinstadt südlich von Lissabon, sich weigerte, diese rassistischen Fragen zu beantworten und sich beim Bildungsministerium darüber beschwerte. Dies löste eine öffentliche Debatte aus.
Bei der Frage nach menschenwürdigem Leben geht die rassistische Diskriminierung weiter. Viele Roma wohnen in Blechhütten in den Slums ohne Zugang zu Trinkwasser und Elektrizität, weil sie auf dem »normalen« Immobilienmarkt keinen Wohnraum erhalten. Es gibt zwar staatliche Projekte, um halbwegs akzeptable Wohnverhältnisse ((Hier geht es um Selbstverständlichkeiten wie Zugang zu Wasser und Elektrizität.)) möglich zu machen, die aber oft zu wütenden Protesten derjenigen führen, die keine Roma in »ihrer« Nachbarschaft wünschen. In einigen wenigen Fällen ging dieser Protest bis zur Bildung von rassistischen Bürgerwehren, die Jagd auf Roma machten, wie etwa 1997 in der nordportugiesischen Ortschaft Francelos. Eine selbsternannte Miliz beschuldigte die Roma in Francelos des Drogenhandels und organisierte Angriffe auf vermeintliche Dealer und Demonstrationen gegen die Roma. Später wurden einige Mitglieder der Miliz wegen Körperverletzungen und Entführungen zu fünf Jahren Haft verurteilt. In weniger beachteten Fällen sind die lokalen Behörden oft nicht gewillt, die Roma vor solchen rassistischen Angriffen zu schützen. In manchen Fällen geht sogar die Vertreibung von Roma-Siedlungen auf die Initiative der lokalen Behörden zurück, wie etwa in der südportugiesischen Stadt Faro 2003. Rassistische Gewaltakte gehen ebenfalls von der Polizei aus, die etwa unbegründete Razzien gegen Roma-Siedlungen durchführt. PolizistInnen, die Roma misshandeln, müssen keine Konsequenzen befürchten: Bisher ist kein Fall bekannt, in dem ein Polizist oder eine Polizistin für rassistische Gewalt bestraft wurde.
Die ökonomische Marginalisierung der Roma hat viele Konsequenzen. Viele müssen auf die informelle Ökonomie ausweichen und etwa als »fliegende Händler« auf Jahrmärkten arbeiten, weil sie keine Jobs auf dem regulären Arbeitsmarkt erhalten. Die Polizei und die örtlichen staatlichen Behörden gehen gegen diese Händler mit unverhältnismäßiger Härte vor und versuchen, sie zu vertreiben. Nicht nur als ArbeiterInnen, sondern auch als KundInnen erfahren Roma Benachteiligungen – sei es, dass sie keinen Eintritt in Geschäfte erhalten ((Der letzte bekannte Fall ereignete sich im Dezember 2012, als ein Bankmanager einen Kunden vom Sicherheitsdienst aus der Bankfiliale werfen ließ, weil er davon ausgegangen war, dass der Kunde Roma sei.)) oder Banken ihnen keine Kredite geben.
Bisher stehen die antirassistischen NGOs wie etwa »SOS Racismo« und die selbstorganisierten Roma-Gruppen recht allein im Kampf gegen diese vielfältigen Formen des Rassismus. Positiv erwähnenswert ist lediglich, dass es in Portugal bisher keine relevante politische Kraft gibt, die öffentlich antiziganistisch auftritt – anders als in einigen anderen europäischen Ländern.
Literatur
Bruno Dias u.a. 2002: Migrants, Minorities and Employment in Portugal: Exclusion, Discrimination and Anti-discrimination. European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia (EUMC), Wien.
European Commission against Racism and Intolerance 2007: Third Report on Portugal. Council of Europe, Straßburg.
Pedro Góis, José Carlos Marques 2010: Portugal – eine Semiperipherie im globalen Migrationssystem. In: Teresa Pinheiro (Hg.): Portugiesische Migrationen – Geschichte, Repräsentation und Erinnerungskulturen. VS Verlag, Wiesbaden, 37-53.
Tiago Santos u.a. 2009: Research Survey on Migrants‘ Experiences of Racism and Xenophobia in Portugal. Númena, Porto Salvo.