Zum Gebrauch des Konjunktivs in der indirekten Rede

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 Von Siegfried Jäger. Erschienen in Hugo Moser u. a. (Hg.) 1968: Forschungsbericht des IDS 1. Mannheim, 25-30

Die im Folgenden wiedergegebenen vorläufigen Forschungsergebnisse beruhen auf den Quellen FAZ, NAT, HOMO, HERZ. Sie betreffen den Gebrauch des Konjunktivs in der indirekten Rede.

1. Allgemeines

1.1. Bei der Verschiebung von direkter in indirekte Rede können folgende Ände­rungen eintreten:

Personenverschiebung
Hinzufügung von Konjunktionen
Änderung der Wortstellung
Wahl des Konjunktivs statt des IndikativsKeine dieser Veränderungen ist in allen Fällen unabdingbar. Der Konjunktiv er­scheint vor allem in Sätzen der folgenden Art:

a) Er sagte, daß er mich gesucht habe.
b) Er sagte, er habe mich gesucht.1.2. Es scheint, daß der Konjunktivgebrauch vom Inhalt der Obersatzausdrücke ((Als Obersatz bezeichne ich den jeweils regierenden Satz: Obersätze kön­nen daher Hauptsätze oder Gliedsätze verschiedener Grade sein.)) beeinflußt wird.

1.3. Sprachliche Hinweise auf indirekte Rede sind Kombinationen von:

a) Obersatz mit Hinweis auf mittelbare Wiedergabe eines Gedankeninhalts
b) Lexikalischer Hinweis auf mittelbare Wiedergabe nur im Kontext
c) Nebensatz mit einleitender Konjunktion (Endstellung des Finitums)
d) Nebensatz ohne einleitende Konjunktion (Zweitstellung des Finitums)
e) Konjunktiv I
f)  Konjunktiv II
g)  IndikativFolgende Kombinationen können auftreten:

ace ade bce bde
acf adf bcf bdf
acg adg bcg bd(g)

 

Die indirekte Frage erfordert immer Merkmal c.

1.4. Zeitungsbericht (FAZ), wissenschaftsgeschichtliche Darstellung (NAT), literarischer Roman (HOMO) und Trivialroman (HERZ) unterscheiden sich sehr deutlich, was die Vorkommenshäufigkeit der Konjunktive im Verhältnis zur Gesamtzahl der Finita betrifft. Die Unterschiede weisen möglicherweise be­reits darauf hin, wie irreführend ein Ergebnis sein kann, welches ausschließ­lich anhand nur literarischer oder nur gebrauchssprachlicher Quellen oder gar eines einzigen Werkes gleich welcher Art gewonnen wurde.

1.5. Es wird unterschieden zwischen eindeutigem und nicht eindeutigem Kon­junktiv,  (der auch als nicht eindeutiger Indikativ aufgefaßt werden könnte).

2. Konjunktiv I

2.1. Bestimmung der indirekten Rede durch drei Merkmale (Obersatz, Konjunk­tion, Konjunktiv) kommt bei eindeutigem Konjunktiv I in FAZ und HOMO in einem Viertel der Fälle vor, in NAT aber in 3/4 aller Fälle. Bei nichteindeu­tigem Konjunktiv liegen die Zahlen erheblich höher. HERZ kennt diese drei­fache Bestimmung nicht. – Bestimmung durch Obersatz und Konjunktiv I ist ebenfalls ziemlich häufig; Bestimmung durch Konjunktion und Konjunktiv I findet sich sehr selten. – Lediglich durch den (eindeutigen)Konjunktiv I bestimmt wird die indirekte Rede besonders häufig in FAZ, auch in HOMO, in den ande­ren Texten hur selten. In den letztgenannten Fällen liegen aber immer kontextu elle Hinweise auf indirekte Rede vor. Offenbar reicht der Konjunktiv allein nie zur Kennzeichnung indirekter Rede aus. Nur weil er hier – meist redundant -besonders häufig vorkommt, hat man ihn immer in besonders enge Verbindung mit der indirekten Rede gebracht.

2.2. Die durch eine Konjunktiv-I-Form vermittelte Information läßt sich oft durch Ersatzproben (Indikativ für Konjunktiv) bestimmen. Es zeigt sich aber, daß zwischen mit daß eingeleiteter indirekter Rede und Feststellungssatz nicht immer scharf unterschieden werden kann. Indirekte Frage, bereits durch die Einleitung als solche gekennzeichnet, verzichtet ohnehin meist auf den Kon­junktiv. Oft ist schließlich die indirekte Rede nur an Satzzeichen, Personen­verschiebung u. ä. kenntlich, vgl.

+ Ivy findet:   „Ich habe überhaupt keine Gefühle“.

mit dem inhaltlich völlig verschiedenen Satz

HOMO 70:   (lvy)   findet   …,  ich habe überhaupt keine Gefühle.

2.3.  Das Formeninventar des Konjunktivs ist kleiner als das des Indikativs.
Das Vorhandensein nichteindeutiger   Formen wirkt sich deshalb wenig störend aus, weil die Redesituation in vielen Fällen die Verwendung des ein­deutigen Konjunktivs überflüssig macht.

In indirekter Rede tritt der Konjunktiv II zur Kennzeichnung indirekter Rede vor allem auf, wenn der Erzähler sich vom Inhalt der referierten Feststellung distanziert. (Vgl. aber 3.1.) Deshalb ist die Anwendung der in den meisten

Grammatiken anzutreffenden Regel: „Wähle immer die eindeutige Form!“ ((Vgl. z. B. Duden-Grammatik,  19662§ 6640 ff. Hans Glinz, Die Innere Form des Deutschen, S. 108, weist darauf hin, daß „der Mangel an Gewähr“, der durch den Konjunktiv I zum Ausdruck komme, bei Ersatz durch den Kon­junktiv II noch stärker betont werde.)) nicht ungefährlich;   durch sie können Aussagen verfälscht und Differenzierungsmöglichkeiten eingeebnet werden. ((Die gesprochene Sprache verzichtet weitgehend auf den Gebrauch des Kon­junktiv I. Bei aller mündlichen indirekten Redewiedergabe ist immer eine erste Person unmittelbar beteiligt, anders als bei schriftlicher Fixierung, bei der in der Regel ein mehr oder weniger entfernter Sachverhalt abgehandelt wird. Der Sprechende distanziert sich bewußt (durch den Konjunktiv II) oder er identifi­ziert sich (durch den Indikativ). Versucht er eine Sache zu objektivieren, taucht auch bei ihm der Konjunktiv I auf. Eigene flüchtige Beobachtungen an der ge­
sprochenen Sprache hatten ergeben, daß in Gesprächen mit Höhergestellten oder über Themen, die eine bestimmte Höhenlage hatten, der Konjunktiv I anzutref­fen ist. Der erste Schluß, daß der Wunsch, eine „gepflegte“ Sprache zu sprechen, dafür verantwortlich sei, hat sich als offenbar unrichtig herausgestellt. Gespräche mit Höhergestellten und Unterhaltungen, die ein hohes Niveau haben, dre­hen sich in der Regel um einen bestimmten Gegenstand, dem eine objektive Darstellung (hier: mit natürlicher Distanz) angemessen ist. – Die Anwendungs­maßstäbe für den Konjunktiv scheinen sich in geschriebener und gesprochener Sprache daher nicht grundsätzlich zu unterscheiden.))

2.4. Bei der Bildung der Finita sind neben den Vollverben (25%) die Hilfs­verben und Modalverben etwa in folgender Reihenfolge beteiligt: sein; haben, werden; können,  müssen, wollen,  sollen, mögen, dürfen. Die Beteiligung der Modalverben am Konjunktiv I entspricht ziemlich genau ihrer Beteiligung an der Bildung aller Gefüge mit Modalverben. Die Fähigkeit,  eindeutige Formen zu bilden, aber auch die Art des Gebrauchs der Verben (Tempusbildung), sind wohl für die Häufigkeit des Auftretens verantwortlich .

3. Konjunktiv II

3.1. Die Untersuchung des Konjunktiv II in indirekter Rede begegnet beson­deren Schwierigkeiten, weil seine Funktion nicht immer eindeutig zu erken­nen ist („Irrealis“ oder Distanzierung von der referierten Feststellung). Zu­
dem scheint die schematische Anwendung der sogenannten Ersatzregel (vgl. 2.3.) für eine gewisse Unsicherheit verantwortlich zu sein. Dies kann so­ weit gehen, daß Informationen ihre Eindeutigkeit verlieren, vgl. z. B.:

FAZ 1.2.66: Der amerikanische Außenminister Dean Rusk hat am Montag erklärt, die Vereinigten Staaten hätten Hanoi eine Verlängerung der Bombardierungspause für den Fall angeboten, daß die kommunistischen Führer . . . die amerikanische Friedens­offensive mit einer Friedensgeste beantwortet hätten.

Nun haben aber die Amerikaner tatsächlich eine Pause angeboten; das merkt man aber erst, wenn man den Kontext genau befragt. Hier hätte es also heißen müssen:

– die Amerikaner haben angeboten unter der Bedingung, daß die kommunistischen Führer … beantworten.

Durch die Wahl der eindeutigen Konjunktivformen wird die angestrebte In­formation restlos unkenntlich.

3.2.  Etwa 1/10 aller Konjunktiv-Il-Formen werden von Vollverben gebildet (22   von 212, davon 17 verschiedene).

3.3. Die würde-Umschreibung wirft besondere Probleme auf. Ersatz durch (eindeutigen oder nichteindeutigen) Konjunktiv I ohne inhaltliche Verschie­bung ist nur in wenigen Füllen möglich. Es scheint, daß die würde-Umschrei-bung – eine Konjunktiv-Il-Form! – in unseren Texten meist aus konkreten Grün-den („Irrealis“; Distanzierung von der referierten Feststellung) der entsprechen­den Konjunktiv-I-Form („werde„) vorgezogen wird.

4. Einige Bemerkungen zum Konjunktiv (I und II) in indirekter Rede

4.1. Beziehungen zwischen Tempus des Obersatzes und Konjunktivgebrauch im abhängigen Satz konnten nicht festgestellt werden. Ebensowenig hat sich Ne­gation des Obersatzes als relevant erwiesen. Das gilt auch für die Wahl des Ne­bensatzschemas. (B. Ulvestad kommt in seinen Untersuchungen zu anderen Eraeb-nissen. Sie konnten von mir noch nicht restlos ausgewertet werden.) – Nach prä­sentischem Obersatz kommt Konjunktiv II recht selten vor; ob hier Überbleibsel einer ehemals (normgemäß) festen Tempusfolge vorliegen, muß offen bleiben.

5. Zusammenfassung

5.1. Durch Gebrauch von Konjunktiv I (und II) kann sich der Berichtende von den Feststellungen anderer distanzieren.

5.2. Ist die indirekte Rede mit einer Konjunktion (daß, ob, usw.) eingeleitet, erübrigt sich eine Distanzierung. Sie kann natürlich trotzdem vorgenommen wer­den.

5.3.  Durch den Konjunktiv I wird eine natürliche, durch die Situation gege­bene Distanz zum Ausdruck gebracht. Das ist bei der 3. Person Singular und (mit Einschränkung) Plural der Fall. Bei der 3. Person Plural liegt eine leichte Störung vor, die dadurch zu Stande kommt, daß das Pronomen Sie in der höflichen Anrede gebraucht wird.

Bei Anrede (2. Person Singular und Plural) ist der Konjunktiv I nicht nötig. Na­türliche Distanz ist nicht gegeben. Bei bewußter Distanz wird der Konjunktiv II gebraucht.

Bei der ersten Person Singular und Plural liegt keine natürliche Distanz vor. Hier gibt es auch keine eindeutigen Konjunktiv-I-Formen, außer von sein. Werden eindeutige Konjunktiv-Formen benutzt, entsteht bewußte Distanz.

Es zeigt sich, daß das Formen Inventar des Konjunktiv I, bis auf wenige Aus­nahmen (3. Person Plural; hauptsätzliche indirekte Rede ohne Obersatz), den Erfordernissen der indirekten Rede sehr gut entspricht. Die durch die lautge­schichtliche Entwicklung verlorengegangenen Formen sind möglicherweise aus diesem Grunde auch nicht erneuert worden.

5.4. Bei irrealer Verwendung des Konjunktiv II in indirekter Rede treten häu­fig Unsicherheiten auf, die ihre Ursache in der schematisch angewandten Er­satzregel haben. In: Er sagte, sie kämen, wenn die Glocken geläutet wurden, weiß man nicht, ob dies heißen soll: Ja, wir kommen beim Läuten, oder di­rekte Rede: Wir kämen, wenn die Glocken geläutet würden. Wer also nur zum Ausdruck der indirekten Rede hier den Konjunktiv II verwendet, druckt sich mißverständlich aus.

5 .5 . Die sogenannte würde-Umschreibung ordnet sich zwanglos als Konjunktiv II des Futurs ein. Sie dient zumeist der Darstellung bewußter Distanz. Die Ersatz­regel: „Wenn weder ein eindeutiger Konjunktiv I noch ein eindeutiger Konjunk­tiv II vorliegt,  ist die würde-Umschreibung zu verwenden“, sollte nicht ange­wandt werden. würde-Umschreibungen in diesen Fällen gelten als umgangs­sprachlich. Ob in der gesprochenen Sprache besondere Voraussetzungen für ihren Gebrauch vorliegen, müßte noch untersucht werden.