Eine Rezension von Torsten Bewernitz. Erschienen in DISS-Journal 23 (2012), 59-60
Wie zeichnet man eigentlich einen Foucaultschen Diskurs? Diese Frage hat sich dem Rezensenten unmittelbar gestellt, als er von dem Projekt einer „Philosophie für Einsteiger“ über das Werk Michel Foucaults hörte.
Einen Diskurs zu malen, das sei vorweggeschickt, haben auch Ruffing und Lorenz sich dann nicht getraut. Allerdings ist der „Diskurs“ zwar der bekannteste, bei weitem aber nicht der einzige, und vielleicht nicht mal der relevanteste Begriff in den Theorien Michel Foucaults. Die von Foucault als „archäologisch“ bezeichnete Diskursanalyse wurde später von ihm durch die eher als „genealogisch“ zu bezeichnende Dispositivanalyse erweitert. Das Dispositiv erläutert Reiner Ruffing als „Zusammenspiel von Macht und Wissen“ (45), neben der reinen „Rede“, dem Text, der im Diskurs analysiert wird, treten hier „Institutionen, Sitzordnungen, Lehrsätze, Redeordnungen […]“ (77).
Ansgar Lorenz kommentiert die Beschreibungen Ruffings mit Beispielzeichnungen, die aus dem Alltagsleben stammen. Die verschiedenen Formen der „Gouvernementalität“, einem weiteren Schlüsselbegriff in Foucaults Denken, der die verschiedenen politischen Rationalitäten (vgl. 78), die (Selbst)regierungskünste nicht nur des Staates sondern auch über jenen hinaus, beschreibt, illustriert Ansgar Lorenz etwa mit einem Beichtstuhl (Pastoralmacht), einem behelmten Polizisten („Policey“) und einem Hartz IV-Empfänger (Neoliberalismus).
Diese bildlichen Assoziationen machen auch den politischen Anspruch der philosophischen Einführung deutlich: Arbeit, Sicherheit, Strafsystem, Kontrolle, Rassismus werden textlich und bildlich angesprochen. Das harmoniert mit dem politischen Engagement des hier so ausführlich Gezeichneten, das ebenfalls entsprechend gewürdigt wird: Wir erfahren z.B. von Foucaults Verhältnis zu Karl Marx:
„Es ist sicher, dass Marx, selbst wenn man annimmt, dass Marx jetzt bald verschwindet, eines Tages wieder auftauchen wird. Was ich mir wünsche…“ (18)
zitiert Ruffing Foucault. Aber auch von Foucaults Interventionen um 1968, seinem Engagement gegen Gefängnisse und Psychiatrie, seinen inhaltlichen Differenzen mit Jean-Paul Sartre, die gemeinsamen politischen Aktionen nicht im Wege stand, und seiner umstrittenen Solidarität mit der iranischen Revolution.
Ebenso wenig kommt der private Foucault zu kurz – eine Ebene, die Foucault, der einmal den Vorschlag eines „Jahrs ohne Autor“ machte, sich selber also eben nicht als personellen Diskursbegründer sehen wollte, sicherlich unbehaglich wäre. Schnelle Autos, Drogenexperimente, unkonventionelle Sexualpraktiken – auch das war Michel Foucault, der als bekennender Homosexueller 1984 eines der ersten prominenten Aids-Opfer wurde.
Ob er nun wollte oder nicht: Diskursbegründer ist er wohl doch geworden. In den 1980er und 1990er Jahren war Michel Foucault einer der wichtigsten Stichwortgeber der Sozialwissenschaften, einen wesentlichen Einfluss hatten seine Theorien und Methoden auch hier auf Gender- und Queertheorien – Lorenz und Ruffing reflektieren das in der Wirkungsgeschichte (74f.), die auch die Arbeiten des DISS würdigt (37). Etwas skeptischer und langsamer als Sozial- und Literaturwissenschaften reagierte vor allem die Geschichtswissenschaft. Kein Wunder, denn Foucaults Einsatz war und ist ein Angriff auf eine linear verstandene Geschichte, wie auch überhaupt auf die „Humanwissenschaften“, damit auch die Sozialwissenschaften. Diese Wissenschaftskritik hat Michel Foucault unter einigen akademischen Strömungen, etwa bei Erneuerinnen der Kritischen Theorie Adornos und Horkheimers, den Ruf eines Irrationalisten eingebracht. Dass der Einfluss des Poststrukturalismus heute merklich zurückgegangen ist, liegt sicherlich auch daran, dass mit der Krise das Soziale, das Klassenverhältnis, wieder in den Fokus der Wissenschaften gelangt ist, während Foucault-Schülerinnen sich oftmals an Kulturfragen („cultural turn“), Geschlechterverhältnissen, sogar an „Tierrechten“ abarbeiteten.
Das ist aber letztlich ein Zerrbild der Foucaultschen Intention und Intervention, die diese sozialen Verhältnisse nicht abstritt, sondern um weitere Dimensionen ergänzte. Dass Foucaultsches Denken auch unter der Prämisse einer kapitalistischen Krise gewinnbringend sein kann, zeigen etwa die jüngst erschienen Bände aus der Wiener Reihe „Es kommt darauf an…“ „Was ist dein Streik?“ der spanischen Precarias a la deriva und „Occupy! Die aktuellen Kämpfe um die Besetzung des Politischen“ von Isabell Lorey, Jens Kastner und anderen. Lorenz‘ und Ruffings einführender Comic kann vielleicht ebenfalls dazu beitragen, das Zerrbild eines „irrationalistischen“ Michel Foucault zu korrigieren. Erschöpfend kann es dabei leider nicht zugehen – denn natürlich bleibt es eine Einführung und angesichts des Werks Foucaults ist letztlich mehr Text nötig, um Michel Foucault wirklich zu verstehen. Aber die „Philosophie für Einsteiger“ ist dann eben genau das, was der Titel verspricht: Ein Einstieg, dem eine lange Fahrt folgen muss.
Ansgar Lorenz und Reiner Ruffing
Michel Foucault
Philosophie für Einsteiger
München 2012: Wilhelm Fink-Verlag
80 S., 19,90 €