Anregungen und Gegenstrategien

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Neue Publikationen des Informations- und Dokumentationszentrums für Antirassismusarbeit (IDA)- Eine Sammelrezension von Leroy Böthel. Erschienen in DISS-Journal 23 (2012), 46-47

Das Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit (IDA) hat zu Beginn des Jahres drei Broschüren veröffentlicht, die sich gezielt an der PädagogInnen richten.

Die Broschüre Islamfeindlichkeit. Aspekte, Stimmen, Gegenstrategien (IF), die von Stephan Bundschuh, Ansgar Drücker und Birgit Jagusch herausgegeben wurde, fokussiert Islamfeindlichkeit als gesellschaftliches Phänomen. Paradigmatisch in diesem Zusammenhang ist der Beitrag von Iman Attia, der sich mit der kulturalisierenden Wirkmacht von Diskursen auseinandersetzt. Iman Attia kritisiert Essenzialisierungen und Hierarchisierungen, aber speziell auch die „Exotisierung ‚des Orients‘ als Strategie zur Verlagerung eigener Themen in ‚die Fremde‘“ (IF, 8). In der Folge kommen dann auch muslimische Initiativen und Zusammenschlüsse selbst zu Wort, die vor allem die alltäglichen Konsequenzen rassistischer und anti-muslimischer Einstellungsmuster in der Gesellschaft reflektieren. So berichtet Raida Chbib für das Kölner Begegnungs- und Fortbildungszentrum muslimischer Frauen (BfmF) von alltäglichen Diskriminierungen der Mitglieder – „fast alle können von feindseligen Blicken, Beschimpfungen und Benachteiligungen im Alltag ein Lied singen“ (IF, 39).

Problematisch sind hingegen einzelne Beiträge, die Kritik am antimuslimischen Rassismus mit einer generellen Absage an jegliche Kritik am Islam verbinden. Dies ist vor allem bei den Beiträgen von Sakine Subaşi und Mehmet Ata der Fall. Während Sakine Subaşi eine generelle Kritik an Zwangsverheiratungen und Ehrenmorden verwirft, weil „diese Formen der Gewalt gegen Frauen auch in nichtmuslimischen Communities vorkommen“ (IF, 23), unterstellt Mehmet Ata den Medien „eine Ungleichbehandlung der Religionen“ (IF, 13), weil sie die – antisemitischen – Holocaust-Karikaturen im Gegensatz zu den Mohammed-Karikaturen nicht abdruckten. Dabei wird allerdings der qualitative Unterschied der karikierten Objekte, der sich aus den gesellschaftlichen Machtstrukturen ergibt, außer Acht gelassen und eine ausschließlich religiöse Deutung der Karikaturen vorgenommen.

Hier wäre mehr Differenzierung wünschenswert gewesen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sich Begriffe, die in der Rassismusforschung nicht unumstritten sind – wie etwa der der Islamophobie – in die pädogogische Praxis einschreiben.

Anknüpfend an diese phänomenologische Betrachtungen zeichnet die ebenfalls von der IDA-NRW initiierte, von Stephan Bundschuh, Birgit Jagusch und Hanna Mai herausgegebene Broschüre Facebook, Fun und Ramadan. Lebenswelten muslimischer Jugendlicher (LW) ein breites Bild des Alltags muslimischer Jugendlicher.

Sie nimmt bewusst eine Perspektive ‚von unten‘ ein und überflügelt damit etablierte Vorstellungen und Vorurteile, die vielerorts grassieren. In ihrem einleitenden Artikel versuchen die HerausgeberInnen genau diese Problematik im Diskurs über (junge) Muslime und Muslima – sie fassen mit den Begriffen auch nichtreligiöse Jugendliche, die „aus muslimisch geprägten Ländern stammen“ (LW, 6) – zum Ausgangspunkt der Broschüre zu machen. Das sich ergebende „Spannungsfeld zwischen Fremdzuschreibung und Selbstdefinition“ (LW, 4) versuchen die Beiträge sukzessive auszuloten. In vielen Beiträgen werden Institutionen und Projekte vorgestellt, die mit muslimischen Jugendlichen arbeiten (u.a. DIALOGBEREIT, Stadteilmütter und amira); Erfahrungen einzelner Mitglieder werden genauso berücksichtigt wie die der Projekte im Allgemeinen. Gleichzeitig werden aber auch generellere Themen angesprochen – von Islamkunde an deutschen Schulen (Lamya Kaddor; LW, 46ff.) bis hin zu Antisemitismus ‚im Kontext von Rassismus und Migration‘ (amira-Team; LW, 65).

Die Broschüre Rechtsextremismus – War da was? Informationen zur extremen Rechten in NRW und Anregungen für die pädagogische Praxis (RE), die von dem IDA-NRW herausgegeben wird, widmet sich ihrem Thema sehr differenziert. Sie versucht die oft kritisierten ‚blinden Stellen‘ der sozialpädagogischen Auseinandersetzung mit rechten Jugendlichen aufzuzeigen, um ein solides Fundament für die Praxis bereitzustellen. Dies gelingt durch eine sehr gute Textauswahl.

Der Schwerpunkt liegt auf den ‚Autonomen Nationalisten‘ (AN), die, wie Barbara Manthe in ihrem einleitenden Überblick vermerkt, obwohl sie „in vielen Bundesländern kaum von Bedeutung sind, […] in NRW einen Großteil“ (RE, 5) der extrem rechten Szene ausmachen. Das Fazit der Autorinnen ist recht deutlich: Anspruch und Wirklichkeit gehen bei den AN doch meist weit auseinander, wenn auch im gewissen Grad eine „Offenheit für diverse jugendkulturelle ‚styles‘“ (RE, 36) identifiziert wird, die sich partiell über tradierte Ideale innerhalb der Szene hinwegsetzt.

Zudem beziehen sich viele Beiträge auf rechte Wortergreifungs-Strategien im Internet. Möglichkeiten der Intervention sind – so Yves Müller und Juliane Lang in ihren beiden Beiträgen – vor allem dann geboten und notwendig, wenn die Rechten in herkömmlichen Foren und auf etablierten Plattformen aktiv werden und versuchen, den „virtuellen demokratischen Raum“ (RE, 58) zu unterhöhlen.

Erwähnenswert ist außerdem die Aufführung der ‚Grauen Wölfe‘ in diesem Kontext der extremen Rechten. Kemal Bozay, der schon im Jahr 2000 mit Fikret Aslan zu diesem Thema die wohl erste (deutschsprachige) wissenschaftliche Auseinandersetzung  verfasste ((Im Juli diesen Jahres wird dieses Buch in der dritten Auflage erscheinen: Fikret Aslan / Kemal Bozay: Graue Wölfe heulen wieder. Türkische Faschisten und ihre Vernetzung in der BRD. Münster: Unrast, 2000. Für eine theoretische Perspektive des Transnationalismus siehe zudem: Arslan, Emre: Der Mythos der Nation im transnationalen Raum. Türkische Graue Wölfe in Deutschland. Wiesbaden: VS, 2009.)), sucht in seinem Beitrag ‘Ich bin stolz, Türke zu sein!’ vor allem nach den Ursachen für die Hinwendung migrantischer Jugendlichen zu extrem rechten und nationalistischen Gruppierungen.

In ihrem praxisorientierten Teil zeigt die Broschüre allerdings einige Schwächen. Möglicherweise bedingt durch  ihren pädagogischen Zuschnitt vereinfachen viele Beiträge das Thema – und somit: gesellschaftliche Probleme – und verfallen tendenziell in eine eindimensionale Kontrastierung. Die ‘gute’ Gesellschaft wird so ein ums andere mal gegen einen vermeintlich äußeren Feind positioniert. Natürlich müssen in einem schulischen Kontext Konzepte und Strategien für eine Auseinandersetzung mit rechten Jugendlichen formuliert werden – allein schon der MitschülerInnen wegen, die zu den potentiellen Opfern rechter ‚Praxis‘ zählen; gleichzeitig wird diesen aber nur ein begrenzter zeitlicher Raum geboten, der eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit rassistischen, antisemitischen oder sexistischen Erscheinungen erschwert.

Schade ist auch, dass – vor allem mit Blick auf die gewünschte Verwendung in einem (sozial-)pädagogischen Kontext – Abbildungen zu den verschiedenen Themen fehlen. Aktuelle und erläuternde Bilder von szenespezifischen Kleidungsmarken und -stilen, Codes und Symboliken wären da vorteilhaft gewesen. Insgesamt jedoch  bietet die breite und qualitativ gute Auswahl der Beiträge aber mehr als die eingangs versprochenen ‚Anregungen‘ .

Die Broschüren können kostenlos (gegen Versandkosten) beim IDA erworben werden. Ein Bestellformular findet sich auf www.idaev.de. Darüber hinaus steht die Broschüre Facebook, Fun und Ramadan auch als kostenlose PDF zur Verfügung. (www.idaev.de/cms/upload/PDF/Publikationen/IDA_Facebook_Fun_und_Ramadan.pdf)