Jens Bünnig ist tot

  • Lesedauer:3 min Lesezeit

Nachruf auf einen Freund, Genossen und Kollegen. Von Walter Schulz.  Erschienen in DISS-Journal 19 (2010)

Jens Bünnig gehörte zu einem politischen Freundeskreis, aus dem heraus 1987 das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung gegründet worden ist. Die Arbeit des DISS hat er immer kritisch und solidarisch begleitet.

Lange hat er einer schweren Krankheit getrotzt, am Ende hat seine Kraft nicht gereicht. Am 25. April 2010 ist er in Duisburg gestorben. Jens war ein unermüdlicher Kämpfer für die Menschenwürde, geprägt von der Erfahrung des deutschen Desasters, der bleiernen Unfähigkeit zu trauern über die Verbrechen des Nationalsozialismus, die Leiden der Opfer, die seelischen, kulturellen und moralischen Verwüstungen, die der Faschismus hinterlassen hatte und in denen sich eine von neuem Wohlstand befriedete Gesellschaft einrichtete.

Am Aufruhr der Jungen, der Schüler, Studenten und der politisch aktiven Teile der Gewerkschaften gegen die Aufrüstung, die Notstandsgesetze, die Kumpanei mit den repressivsten Regimen der 3. Welt, war er von Beginn an beteiligt, prägte und organisierte ihn mit. Jens entfaltete einen aufklärerischen und revolutionären Willen, den er nie aufgegeben hat. Der an der Universität entwickelte sozialistische Anspruch verstärkte sich noch, als er die Arbeit in den Gewerkschaften und Betrieben aufnahm und intensivierte: die Schulungsarbeit bei Mannesmann, die Arbeit mit den Opelanern, die Gründung und die Verbreitung der „Revier“. Es ging ihm um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, der Lebensbedingungen der Beschäftigten, die Bildung der Kinder oder die Integration von Migrantinnen und Migranten, die Solidarität der Arbeiterbewegung. Ihn trieb sein unbedingter Wille zur Veränderung einer Gesellschaft, in der „der Mensch dem Menschen ein Wolf ist, der künftige (drohende) Hunger bereits den Menschen hungrig macht und in den Krieg zwingt“, das Wissen um die Veränderbarkeit und die Aufgabe, Verhältnisse herzustellen, in denen der Einzelne sich verwirklichen kann, weil er in der Gesellschaft getragen wird.

In all seinen Unternehmungen war Jens ein Perfektionist und zugleich immer von einer tiefen inneren Unruhe getrieben. Niemals war das Erreichte genug, das Erstellte nie fertig, die gerade gestellte Aufgabe von einer neuen Notwendigkeit schon überholt. Dabei hat er sich und manchmal auch andere nicht geschont. Lange Jahre hatte Jens sich von fast allen zurückgezogen. Ständig war er auf der Suche nach Wissen und Erkenntnissen, ein unermüdlicher Leser. Abgeschlossen in seinen Räumen entstanden wissenschaftliche und politische Manuskripte und literarische Arbeiten. Selten veröffentlichte er seine Arbeiten. Die Niederlage der Linken, unsere Mutlosigkeit, der Zusammenbruch unserer Kraft und unseres unbedingten Willens zur Veränderung hatten ihn bitter gemacht. Und diese Bitterkeit richtete er gegen sich selbst und oft auch gegen die Freunde und Weggefährten.

In den letzten Monaten seiner schweren Erkrankung öffnete er sich, wollte mit einer kaum fassbaren Energie leben und wirken, diskutierte, erfragte und hinterfragte. Das schloss die eigene Wirkung nicht aus. Selbstkritisch reflektierte er, wie eng doch unser Blick für die Widersprüche in dieser Gesellschaft gewesen sei, wie viele kritische Potentiale, wie viele kluge Geister und emotionale Kräfte wir nicht bemerkt oder nicht geachtet hätten. Ihn trieb bis in die letzten Stunden die Suche nach einer tiefgreifenden neuen Strategie der Linken, die es bräuchte, „wenn Europa gerade mit seinen aufklärerischen, humanistischen und sozialen Potentialen noch eine Chance haben will.“

Jens war immer einer, der voran ging. Sein unermüdlicher Einsatz für Frieden, Gerechtigkeit und Humanität hat uns geprägt. Wir trauern um einen Freund und Genossen. Er wird uns fehlen.