Eine Rezension von Emel Cetin. Erschienen in DISS-Journal 20 (2010)
Eine Giraffe lädt einen Elefanten in ihr Haus ein. Natürlich ist dieses Haus perfekt auf die Bedürfnisse der Giraffe zugeschnitten, doch für den Elefanten erweist sich schon der Eintritt als mühseliger Akt. Die Tür ist viel zu schmal für das breite Tier. Einmal im Haus angekommen, halten die Treppen seinem Gewicht nicht stand, auch die Wände reißt er ein. Daraufhin empfiehlt die Giraffe dem Elefanten eine Abmagerungskur. Der Elefant dagegen ist der Ansicht, das Haus müsse umgebaut werden.
Liest man diese Geschichte aus integrationspolitischer Perspektive, manifestiert sich hier die Hauptthese von Mark Terkessidis: „Integration“ kann nicht durch individuelle Anpassungsleistungen entstehen, sondern durch einen radikalen „Umbau“ der Institutionen. Dies erfordere eine Anerkennung der Vielfalt und Heterogenität des Zusammenlebens in Deutschland. An dem Konzept und der Debatte um Integration kritisiert er, dass diese sich stets auf einen fiktiven Soll-Zustand der Gesellschaft beziehen, den es zu erreichen gilt. Dagegen plädiert Mark Terkessidis dafür, den Ist-Zustand als Ausgangspunkt politischen Handelns ernst zu nehmen. Die existierende Vielfalt gilt es zu gestalten, indem die bestehenden Institutionen im Hinblick auf die gesellschaftliche Heterogenität verändert werden. „Diese Veränderung wird nicht funktionieren, wenn Personen mit Migrationshintergrund schlicht als Abweichung von der Norm betrachtet werden, als eine Gruppe, die neben dem ‚Normalbetrieb‘ noch kompensatorisch eingegliedert werden muss“ (S. 103f.)
In seinem Groß-Essay grenzt sich Mark Terkessidis von Multikulti-Konzepten genauso ab wie von der öffentlichen Forderung nach Integration. Interkultur meint weder einen einseitigen Anpassungsprozess an eine konstruierte und vage definierte deutsche „Leitkultur“ noch ein einfaches Nebeneinander der Kulturen. Anstatt vergeblich nach „deutschen Wurzeln“ zu suchen, plädiert er dafür, die Vielfalt auf den Straßen, die so genannte Parapolis, zum Ausgangspunkt für eine andere Idee der deutschen Bevölkerung zu nehmen. Interkultur ist somit ein politisches Programm, das Barrierefreiheit herstellen möchte. Bezugspunkt dafür sind die Institutionen, die es abzuwandeln gilt. Dementsprechend gehe es darum, „ein Gebäude so umzubauen, dass es nicht nur für die ‚Normalen‘ gut funktioniert, die von vornherein die richtigen Voraussetzungen mitbringen, sondern für alle Bewohner oder Benutzer“ (S. 9).
Mark Terkessidis setzt in seinem Buch ohne zu trivialisieren an konkreten und persönlichen Ereignissen an, die er problematisiert und schließlich in eine politische Analyse münden lässt. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Sarrazin-Debatte bietet das Buch interessante Denkansätze.
Mark Terkessidis
Interkultur
2010 Frankfurt: Suhrkamp
ISBN: 978-3-518-12589-2
220 S., 13,00 €