Antisemitische Phantasmen im Internet

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Von Jens Zimmermann. Erschienen in DISS-Journal 18 (2009)

Die antisemitische Projektion, dass Juden (zuviel) Einfluss auf Politik, Ökonomie und Medien hätten, gehört zum Kern des gegenw ärtigen Judenhasses. In einer Studie der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2007 stimmten insgesamt 33% der Teilnehmer der Frage zu: „Die Juden haben auf der Welt zuviel Einfluss.“ Dieses Ergebnis macht nachdenklich, auch wenn es sich dabei nicht um eine repräsentative Studie handelt. Doch an Gelegenheiten, jene Facette des antisemitischen Ressentiments zu beobachten, fehlt es nicht.

In jüngster Vergangenheit war zum Beispiel der sogenannte „Madoff- Skandal“ ((Ende 2008 wurde bekannt, dass der US-amerikanische Börsen- und Finanzmakler Bernard Madoff mit Hilfe eines Investmentfonds insgesamt über 65 Milliarden Dollar veruntreut hatte. Juni 2009 wurde er zu 150 Jahren Haft verurteilt. Der .Madoff-Skandal. gilt als einer der größten Fälle von Wirtschaftskriminalität weltweit. In den Medien wurde vor allem auf Madoffs jüdische Herkunft verwiesen.)) ein Auslöser für latenten und offenen Antisemitismus in zahlreichen Internetforen ((Ich verweise in diesem Artikel auf die Diskussionsseiten von yahoo! online, politkforen.net und heise.de. Folgend werde ich den link zu den threads angeben. http://de.news.yahoo.com/blog/allgemein/ beitrag/18177/ (23.10.09) http://www.politikforen.net/ showthread.php?s=fa77ed97d1598130bc9 339e8e88ce70d&t=71505 (23.10.09) http://www.heise.de/newsticker/foren/ S-Finanzkrise-soll-Flut-von-antisemitischen- Kommentaren-in-Internetforenverursacht- haben/forum-145056/list/ (23.10.09) Die konkreten Belegstellen können bei mir angefragt werden.)). Eine „Probebohrung“ reicht aus, um idealtypische Elemente des modernisierten Antisemitismus zu Tage zu fördern.

Im online-Forum von yahoo! online hatte man schnell die Schuldigen für die Finanzkrise ausgemacht: „Das Finanzjudentum ist für die derzeitige Krise voll verantwortlich.“ Das Phantasma einer „jüdischen Verschwörung“ findet sich auch in anderen Beiträgen wieder. So stellt der user Erik der Rote in seinem Beitrag fest: „natürlich mühselig festzustellen das er auch zum Volk der Auserwählten zählt.“ Rhetorisch fragt elas: „Ist vielleicht die amerikanische Justiz auch in den Händen des auserwählten Volkes?“ Die userin Ingeborg weiß dies zu beantworten: „Jene helfen Jenen.“

Zur Ikonographie des Judenhasses gehört das Bild des „jüdischen Kapitalisten“, der vor allem Nicht-Juden übervorteilt. Eine biologistische Version dieses Stereotyps präsentiert der user Kaltduscher: „Tja, tats ächlich schwer zu glauben, dass die Geldgier-Gen-Abhängigen nicht dem Talmud folgen und nicht nur den Gojim, sondern nun auch Geldgier- Gen abhängige Auserwählte einkochen.“ Als Zentrum dieser Verschwörung wird die .US-Ostküste. und die Wallstreet ausgemacht: „Ich gewinne aber immer mehr den Eindruck, das das gelobte Land an der US Ostküste liegt nicht zwischen Nahariya und Elat.“ Auch die Identifikation von „Juden“ und Israel wird in den postings vollzogen. So gibt der user H5N1 Asia an, dass es doch komisch sei, dass er noch nichts von Verlusten israelischer Banken gehört habe, „wo doch die Juden an fast allen grossen (sic) Geldgeschäften beteiligt sind.“ Und so folgert quetsch innerhalb der antisemitischen Logik konsequent: „Der größte Teil des betrügerisch erreichten Kapitals liegt sowieso in Israel auf Nummer Sicher (sic)…“

Ein weiteres Strukturmerkmal des modernen Antisemitismus ist die Täter-Opfer-Umkehr. In dieser Logik sehen die user kirov und Kaltduscher auch Deutschland gefährdet: „Die Mischpoke tut alles, um in Deutschland die jetzt nach und nach auffliegenden Riesen-Betrügereien ihrer weltweit dislozierten Familienmitglieder herunterzuspielen und zu verheimlichen.“ Gründe für das Gelingen seien dabei vor allem „mosaische Freunde“ wie Josef Ackermann und das „Zionisten-Organ“ Spiegel. Das alles kulminiert im paranoiden Gesellschaftsbild: „Ist ja auch ein Stück aus dem Tollhaus, dass die hier lebenden Juden, die nur 0,1 Prozent der Bevölkerung ausmachen, aber wie Leo Kirch, Springer und andere jüdische Familien fast 99 Prozent der Printmedien (…) kontrollieren.“ Auffallend, aber nicht untypisch für den modernen Antisemitismus, ist die „Identifizierung“ von Personen als „jüdisch“, welche allerdings keine Juden sind. In der antisemitischen Logik ist dies jedoch plausibel, da „Medienmacht“ als „typischer Herrschaftsbereich der Juden“ imaginiert wird. Im Umkehrschluss ist dann jede Person, die sich dort verorten lässt, „jüdisch“.

Eine kursorische Durchsicht von populären Internetforen (yahoo, Heise, politikforen.net) reicht aus, um bei Themen wie z. B. dem „Madoff- Skandal“ auf weltanschaulichen Antisemitismus zu treffen, wie er sich seit Mitte des 18. Jahrhunderts entwickelt hat. Das Bild des „jüdischen Kapitalisten“, die „jüdische Weltverschwörung“ und die imaginierte „jüdische“ Kontrolle der Medien, Politik und Ökonomie sowie ein wachsender Hass auf Israel gehören zum Inventar des offenen, modernen Judenhasses, der sich in der Anonymität von Internetforen bestens ausleben lässt. Dass es „nur“ in Internetforen passiert, kann kein Trost sein, handelt es sich beim Netz doch um die Informationstechnologie der Zukunft und damit auch jener der Kommunikation von Ressentiments.