Die Kampagne gegen Rechts in Medien und Politik. Von Siegfried Jäger, erschienen in DISS-Journal 7 (2000)
Wie aus heiterem Himmel wurde im Frühsommer 2000 das Thema Rechtsextremismus und Rassismus durch Politik und Medien derart massiv ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt, dass man meinen konnte, man habe es mit einem völlig neuen Phänomen zu tun oder doch mit einer völlig neuen Qualität einer Gefahr, die es bisher in der Bundesrepublik Deutschland in dieser Form nicht gegeben hätte. Schnell war die Rede von einem medialen Sommerloch, das man füllen wolle.
Bei aller berechtigten Kritik im einzelnen hat diese Debatte dazu geführt, dass erstmalig über Rechtsextremismus und Rassismus in einer Weise gestritten worden ist, wie dies in der Bundesrepublik Deutschland nie zuvor der Fall gewesen ist – bis hin zu Überlegungen, eine größere faschistische Partei wie die NPD zu verbieten. Diese Debatte wird jedoch nicht wirklich etwas bewirken, wenn nicht auch der institutionelle bzw. strukturelle Rassismus zurückgedrängt wird, wenn es nicht gelingt, rassistische Elemente aus Politik, aus den Medien und damit auch aus dem Alltag zu verbannen.
Die aktuelle Zunahme rechtsextrem und rassistisch motivierter Straftaten erschreckt. Im ersten Dreivierteljahr dieses Jahres verzeichnete man offiziell rund 6000 solcher Verbrechen. Dazu kam etwas scheinbar völlig Neues: Auch antisemitisch motivierte Straftaten nahmen drastisch zu. Synagogen wurden beschmiert und angezündet, Gedenkstätten wurden verwüstet, es gab eine dichte Reihe von Friedhofsschändungen und am 28.7. einen Bombenanschlag auf Aussiedler in der Düsseldorfer U-Bahn, unter denen sich auch mehrere Menschen jüdischen Glaubens befanden.
Waren es diese Vorfälle, die die mediopolitische Klasse wachrüttelte? War es das endliche Erwachen der neuen rot-grünen Bundesregierung, die sich zwei Jahre nach ihrem Amtsantritt endlich bemüßigt sah, sich eines Themas anzunehmen, das die Bundesrepublik Deutschland seit ihrem Bestehen begleitete? Um diese Frage zu beantworten, ist etwas weiter auszuholen.
Der Traum von einem homogenen Deutschland
Bereits in den frühen 80er Jahren wurde im Bundestag ein ethnopluralistisches Konzept propagiert, das darauf hinauslaufen sollte und letztlich auch darauf hinaus lief, den Artikel 16 des Grundgesetzes, den dessen Mütter und Väter auch im Blick auf den Völkermord an den Juden in die Verfassung hineingeschrieben hatten, so weit zu verunstalten, dass – in Verbindung etwa mit dem Schengener Abkommen – der Entwicklung einer Festung Europa nichts mehr im Wege stand. Dieser Artikel, der m. E. immer in Verbindung mit Art. 1 des GG über die Unantastbarkeit der Würde des Menschen zu lesen ist, sollte Flüchtlingen und Verfolgten in Deutschland Asyl bieten. Er war aber denjenigen im Wege, die die Blut- und Boden-Ideologie noch nicht vergessen hatten und immer noch von einem deutschen Volk träumten, homogen nach Herkunft, Kultur und Sprache.
Eine Wende zum Besseren?
Doch nun, mit dem fast einhelligen Votum der Politiker aller demokratischen Parteien, mit der Bereitstellung großer Geldsummen zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus, scheint eine Wende zum Besseren eingetreten zu sein. Diese Wende ist markiert durch Kanzler Gerhard Schröders Eintreten für die Bereitstellung von Green Cards für indische Informatiker bei der Eröffnung der Cebit im Frühjahr, durch die Einrichtung eines „Bündnisses für Demokratie und Toleranz – gegen Extremismus und Gewalt“ im Mai des Jahres im Bundestag, durch die „Berliner“ Rede von Johannes Rau von Beginn dieses Jahres, durch Wolfgang Thierses Ansprache zum Problem der Einwanderung im September 2000 und nicht zuletzt eben durch die flächendeckende Medienkampagne, die seit Mitte des Jahres gegen Rechtsextremismus und Rassismus aufgezogen worden ist.
So sehr eine solche Kampagne zu begrüßen ist, so sehr ist doch gleichzeitig zu bezweifeln, ob sie Erfolg haben wird, wenn sie den seit langem grassierenden alltäglichen Rassismus, soweit er sich nicht militant äußerte, vernachlässigt. Das gilt insbesondere für den institutionellen bzw. strukturellen Rassismus. Gemeint damit ist die Verankerung von Rassismus in Institutionen, Gesetzen und Verordnungen. Dieser institutionelle Rassismus wurde geleugnet, und entsprechende Vorhaltungen von NGOs und Wissenschaftlern wurden oftmals harsch zurückgewiesen.
Institutioneller Rassismus als strukturelle Gewalt
Derweil gingen auch während der Sommerkampagne teilweise brutalste Abschiebungen unvermindert weiter, nicht nur im in dieser Hinsicht verpönten Bayern, sondern in fast allen deutschen Bundesländern. Diese Maßnahmen berufen sich meist auf bestehende Rechtsgrundlagen, wobei allerdings die vorhandenen Ermessensspielräume nicht immer ausgenutzt wurden; zum Teil handelt es sich jedoch auch um Maßnahmen wie Verschleierung von Tatsachen, Übergriffe der Vollzugsbeamten, Misshandlungen (in einigen Fällen mit Todesfolge) etc. Hier ist deshalb von einem institutionellen Rassismus zu sprechen, weil dabei Menschen „anderer“ Herkunft negativ eingestuft und mit institutionellen Machtmitteln sanktioniert werden. Diese Bestimmung entspricht der international gebräuchlichen Definition von (institutionellem) Rassismus, was allerdings weniger bedeutsam ist als die Tatsache, dass dieser institutionelle Rassismus einen alltäglichen und auch militanten Rassismus und Rechtsextremismus, also direkte Gewalt, zu provozieren geeignet ist. Er setzt das Signal: „Ausländer sind hier unerwünscht!“, ein Signal, das an der Basis aufgenommen und nicht selten in Taten und Tätlichkeiten gegen Einwanderer und sonstige „fremd“ wirkende Menschen umgesetzt wird. Dieser institutionelle Rassismus trägt dazu bei, in Deutschland ein rassistisches Klima zu schaffen bzw. zu reproduzieren, was dann zu dem Widerspruch führt, dass ausländische Experten, die dringend benötigt werden, in Deutschland nicht in Sicherheit leben können, da auch sie von Rassismus betroffen sind.
Keine aktuelle Fehlentwicklung sondern Fortsetzung eines Missstandes
Man muss es immer wieder betonen: Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus sind keine Erscheinungen, die man als kurzfristig entstandene aktuelle Fehlentwicklungen, als Folge der deutschen Wende von 1990 oder gar als Modeerscheinungen abtun könnte, die schnell vorüber gehen, wenn man nur die vorhandenen polizeilichen und juristischen Möglichkeiten nutzt. Es handelt sich vielmehr um die Fortdauer einer historisch hervorgebrachten Ideologie und deren Folgen, die zutiefst etwas mit der Beschaffenheit der gesamten Gesellschaft zu tun hat. Mit Adorno ist also zu fragen, ob die spezifischen Umstände, die den Faschismus und seine Menschenfeindlichkeit zeitigten, in wie auch immer modifizierter Form fortdauern, die Aussichten auf eine wirklich demokratische Gesellschaft also trübe sind, ja bis hin zu der Frage, ob sich mit diesen bedrohlichen Phänomenen nicht doch ankündigt, dass wir einer gesellschaftlichen Entwicklung entgegensehen, die zwar wohl kaum einer Wiederholung des Dritten Reiches gleichkommen wird, aber eine Gesellschaft zur Folge haben könnte, die autoritär, gefährlich und für viele Menschen höchst bedrohlich sein könnte, weil in ihr Irrationalität zur Vernunft umgedeutet und damit normalisiert wird. (Gemeint ist hier keineswegs, daß es der Kapitalismus sei, der quasi automatisch den Faschismus zeitige. Bei den genannten „Umständen“ handelt es sich um utilitaristisch-fordistisch-tayloristisches Denken, Machbarkeitswahn, menschenverachtende faschistische Ideologeme, die Masseneinfluß bekommen, autoritär-staatliche Strukturen, Untertanengeist etc.) Anzeichen dafür sind vorhanden. Sie liegen in der Fortdauer völkisch-nationalistischen und technisch-instrumentellen Denkens in größeren Teilen der Bevölkerung, einschließlich zumindest eines Teils der gesellschaftlichen Eliten und selbst der Wissenschaft, in der Spaltung von Menschengruppen in nützliche und unnütze Mitglieder unserer Gesellschaft und in einer Leugnung oder doch Verharmlosung des alltäglichen institutionellen Rassismus.