Ein Veranstaltungsbericht von Ina Ruth, erschienen in DISS-Journal 6 (2000)
Am 30. und 31. März veranstaltete der Arbeitskreis Diskursanalyse, ein Zusammenschluß Augsburger und Münchener Soziologen, in Zusammenarbeit mit der Sektion Sprachanalyse der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) in Augsburg zum zweiten Mal einen Workshop zum Thema „Perspektiven der Diskursanalyse“.
Nach der Entfaltung des thematischen Rahmens des Workshops durch die Veranstalter begann der erste thematische Block: „Theoretische Konzeptionen und Methoden“. Als erste sprach Hannelore Bublitz aus Paderborn über „Diskurse als praktische und methodische Struktur-‚Achsen‘ der Gesellschaft‘“. In ihrem Vortrag hob sie dabei besonders die Bedeutung der Diskursanalyse als Archäologie moderner Gesellschaften hervor. Das bedeutet, dass mit Hilfe der Diskursanalyse die soziale Wirklichkeit als ein Effekt von Diskursen herausgestellt werden kann, wobei es besonders auf die Konstituierung von Normen bzw. Normalität ankomme.
Nach dem Beitrag von Sabine Maasen aus München zur Therapeutisierung sexueller Selbste stellte Juliette Wedl aus Berlin in ihrem Vortrag die Frage nach der „Macht des Diskurses über den Analysierenden“. Dabei bezog sie sich auf die Frage nach der Möglichkeit der Kritik innerhalb der Diskursanalyse und warf dabei die Frage nach dem Begriff der Hegemonie auf. Das Problem „Möglichkeiten der Kritik“ im Rahmen von Diskursanalyse stellte auch Anne Waldschmidt aus Dortmund in ihrem Vortrag heraus. Waldschmidt vertrat die These, dass Diskursanalyse beim Strukturieren von Material helfe, jedoch keine Hilfe für die Interpretation biete.
In der darauf folgenden Podiumsdiskussion zum Thema „Diskursanalyse und Sprachsoziologie“ mit Michael Schwab-Trapp (Dortmund), Wolfgang Teubert (IDS Mannheim), Siegfried Jäger (DISS), Matthias Jung (Düsseldorf) und Rainer Keller (München) wurden die verschiedenen Standpunkte in bezug auf die Frage nach dem Nutzen und der Durchführbarkeit von Diskursanalysen diskutiert, wobei deutlich wurde, dass nicht nur unterschiedliche Auffassungen vom Begriff des Diskurses, sondern auch von der Methode der Diskursanalyse vorlagen. Ein Brückenschalg zwischen Sprachsoziologie und Diskursanalyse deutete sich in einem Konzept von Dispositivanalyse an, bei dem Diskurse, nicht-diskursive Praxen und „Sichtbarkeiten, Vergegenständlichungen“ als expliziter und impliziter Wissenszusammenhang gesehen werden.
Der zweite thematische Block des Workshops: „Methodische Ansätze des Diskursanalyse“ begann mit dem Vortrag von Thomas Höhne aus Frankfurt, der nicht nur das Projekt „Diskurs, Macht und Wissen in Schulbüchern“ vorstellte, sondern auch das darin angewendete diskursanalytische Instrumentarium entfaltete. Willy Viehöfer aus Augsburg hob in seinem Vortrag die Bedeutung von narrativen Strukturen innerhalb von Diskursen heraus.
Auf drei Foren wurden „Theoretische Grundlagen, Methoden- und Projektmanagement bei Diskursanalyse“, der „Einsatz qualitiativer und quantitativer Textanalyse-Software in der diskursanalytischen Forschungspraxis“ sowie „Zum Nutzen der Diskursanlyse“ auf der Grundlage praktischer Erfahrungen zur Diskussion gestellt.
Im dritten Block des Workshops, „Genese, Struktur und Effekte von Diskurses“, vertrat D. Zifonun (Konstanz) in seinem Vortrag zum ‚Erinnerungsdiskurs‘ in Deutschland die These der ‚Selbststigmatisierung als Strategie zur Schuldabwehr‘. Darauf stellten Gabriele Cleve und Ina Ruth das diskursanalytisch verfahrende DISS-Projekt über „den Stadteil Gelsenkirchen-Bismarck/Schalke-Nord“ vor, einem „Stadtteil mit besonderem Erneuerungsbedarf“, bei dem insbesondere die Brauchbarkeit von Diskursanalyse für gesellschaftlich komplexe Fragestellungen sichtbar gemacht werden konnte. Philip Sarasin aus Basel stellte die „Materialität des Diskurses“ am Beispiel der Hygiene-Literatur des 19. Jahrhunderts dar.
Abschließend hielt E. Gotsbacher aus Wien einen Beitrag zur „Diskursdynamik als Machtfaktor in der Regulierung sozialer Beziehungen“ und untermalte seinen Vortrag mit einigen Hör-Beispielen aus seinen in Wien geführten Interview-Gesprächen.
Trotz eines gewissen „konstruktiven Chaos“ der Veranstaltung muß den Initiatoren bescheinigt werden, daß es ihnen in guter Kooperation mit den ReferentInnen gelang, die Diskussion über die Kritische Diskursanalyse weiterzutreiben und Ansätze interdisziplinärer Theoriebildung und empirischer Forschung in diesem Bereich sichtbar werden zu lassen. Das drückt sich auch in dem geplanten „Handbuch Kritische Diskursanalyse“ aus, das noch in diesem Jahr bei Leske & Budrich erscheinen wird.