Von Hans Uske, erschienen in DISS-Journal 6 (2000)
Wenn Belegschaften um ihre Arbeitsplätze kämpfen, setzen sie ihre Interessen häufig auch gegen die Interessen von Kolleginnen und Kollegen anderer Firmen durch. Das Problem läßt sich nicht verhindern, eine Harmonisierung der Interessen ist in der Regel nicht möglich. Hätte die Gewerkschaft erklärt: Wir vertreten die Interessen unserer Mitglieder, Konkurrenz schadet nur, so wäre der versuchte Ausschluß der ausländischen Experten vom deutschen Arbeitsmarkt zwar nicht schön, läge aber in der Logik einer solchen Interessenvertretung und müßte nicht einmal rassistisch sein, denn das Kriterium der Grenzziehung wäre die Mitgliedschaft und nicht die ethnische Zugehörigkeit.
In der Tradition der Gewerkschaften liegt es nun aber, gegensätzliche Interessen von Arbeitnehmern möglichst zu harmonisieren. Einzel- oder Gruppen-Interessen werden dabei am „Interesse der Arbeitnehmer“ (früher auch „Klasseninteresse“) oder gar dem Menschheitsinteresse ausgerichtet. Sie werden in das Schema „unten“ gegen „oben“ gepreßt. Mit Hilfe dieser ideologischen Operation werden die durch das Interesse Ausgeschlossenen auf seltsame Art wieder in das zu vertretende Ganze eingeschlossen.
So auch beim „Inder“. Natürlich fühlte sich der DGB unwohl bei dem Gedanken, mit der CDU in einen Topf geworfen zu werden. Natürlich kritisierte er die Unionskampagne. Sie schüre die Ausländerfeindlichkeit und sei vorurteilsbeladen. „Hüten wir uns aber davor, die Debatte mit falschen Argumenten zu führen“, warnt der IG Metall-Vorsitzende Klaus Zwickel in der Mitgliederzeitung „metall“ (4/2000).
Wie aber sehen die „richtigen“ Argumente aus?
„Es geht nicht um ‚Kinder statt Inder‘. Es geht um Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen jeder Nationalität. Es geht darum, ob sich die Wirtschaft um Arbeit für alle bemüht. Ob sie Menschen hilft. Oder ob sie sie ausquetscht, solange sie jung sind, und wenn sie älter werden, wegwirft wie Altpapier.“ (Zwickel)
In dieser harmonischen Komposition ist kein Platz für häßliche Gegensätze. Die Welt ist ein Klassenkampf-Märchen: Es gibt nur unten und oben, Menschlichkeit und Unmenschlichkeit. „Der Inder“ steht als „Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen jeder Nationalität“ Seit‘ an Seit‘ mit seinen hiesigen Klassenbrüdern und –schwestern – und bleibt dennoch in der Heimat. Der Interessenskonflikt ist jedenfalls irgendwie verlorengegangen. In dieser Idylle würde er nur stören. „Der Inder“ kommt deshalb im Rest des Kommentars nicht mehr vor.
Dafür taucht er an anderer, passenderer Stelle wieder auf. Im Streitgespräch der Wirtschaftswoche (10/2000) analysiert Karin Benz-Overhage vom IG-Metall-Vorstand die Strategie der IT-Branche und variiert dabei ein gängiges Argument, das auch Rüttgers benutzt: Die Branche „will aufstrebenden Entwicklungsländern die fähigsten Arbeitskräfte für wenig Geld wegkaufen. Damit würgt sie den Aufschwung in diesen Staaten ab. Und sie lässt 40-jährige Arbeitslose in Deutschland weiter im Regen stehen.“
Der „Computer-Inder“ sollte sich schämen. Er erscheint als williges Objekt des Kapitals, eine Art „Klassenverräter“, der Lohndumping begeht, sein Land und damit seine Kollegen in den Ruin treibt und einem 40jährigen Arbeitslosen die Existenz wegnimmt. Der Ausschluß fremden Personals erscheint jetzt nicht mehr als (bedauerliches) Resultat eigener Interessenwahrnehmung, sondern als ein gerechter Akt internationaler Solidarität unter den Völkern.
Für die weniger traditionsbewußten Mitglieder gibt es das Argument aber auch in der Stammtischvariante. Klaus Zwickel erzählt die Geschichte vom kleinen Mann, dem „Steuerzahler“, der letztendlich immer der Dumme ist, weil er „die Zeche“ zahlt. („Die Welt online“, 26.2.2000) Zum Beweis bemüht er eine abenteuerliche Beweiskette:
„Wenn man den Entwicklungsländern die besten Köpfe wegkauft, bremst man dort das Wirtschaftswachstum und verursacht eine höhere Arbeitslosigkeit. Diese Länder fallen dann weitgehend als Exportmärkte für uns aus, es sei denn, wir erhöhen die Entwicklungshilfe – dann müsste aber der Steuerzahler und nicht die IT-Branche die Zeche zahlen.“
Zur Ehrenrettung der IG Metall sei gesagt, daß es auch anders geht. In einer „Erklärung von Betriebsräten der großen IT-Unternehmen und der IG Metall zu Greencard und IT-Fachkräftemangel“ zeigen Betriebsräte der großen IT-Unternehmen, daß zumindest das Lohndumping-Argument beseitigt werden kann, ohne gleich Einwanderer prinzipiell vom deutschen Arbeitsmarkt auszuschließen (www.igmetall.de):
„Die gesetzlich notwendige Zustimmung der Betriebsräte zur Einstellung der ‚Greencard-Spezialisten‘ wird es dann geben, wenn sie zu gleichen Bedingungen und Gehältern wie alle anderen Spezialisten eingestellt werden.“
Ein solches Vorgehen löst zwar das grundsätzliche Dilemma der Gewerkschaft nicht, gibt ihm aber eine erträglichere Verlaufsform.