Nie mehr arbeitslos!

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Von Ursula Kreft, erschienen in DISS-Journal 2 (1998)

Was kein Politiker mehr zu sagen wagt, das verspricht der neue Bericht an den Club of Rome: Die Arbeitslosigkeit wird abgeschafft, radikal und vollständig, und zwar für alle Menschen von 18 bis – man höre und staune – 78 Jahren.

 

Unter dem Titel „Wie wir arbeiten werden“ ist der Bericht, verfaßt von dem Ex-Manager Giarini und dem Ökonomen Liedtke, nun auf Deutsch erschienen. Club-Mitglied Ernst Ulrich von Weizsäcker lieferte ein begeistertes Vorwort, und die meisten Medien kommentierten positiv: Die Vorschläge seien visionär, aber machbar, eine sozialverträgliche Alternative zum ansonsten unvermeidbaren „amerikanischen Weg“ zu Billiglöhnen und wachsender Armut. Vor allem das sogenannte „Drei-Schichten“-Modell, tatsächlich ein zentrales Element des Berichts, hat gute Chancen, sich in der Debatte zu etablieren – als geschickte Lösung, mit der man Millionen Erwerbslose integriert, ohne die Kosten wesentlich zu erhöhen.

Für ihr Zukunftsmodell gliedern Giarini und Liedtke alle gesellschaftliche Arbeit, wo und wie auch immer sie geleistet wird, in drei Schichten. Was traditionell als normale Erwerbsarbeit gilt, erfassen die Autoren als „zweite Schicht“ – eine zunächst überraschende Degradierung, aber durchaus effektvoll. Denn nun muß – quasi natürlich und organisch – auch eine „erste Schicht“ existieren, als notwendige Grundlage gewissermaßen. Die Autoren sprechen denn auch von einer „Basisschicht der Arbeit“ – und weisen damit der „ersten Schicht“ geradezu elementare Bedeutung zu. Was die Autoren „erste Schicht“ nennen, erinnert zunächst an ein gigantisches ABM-Programm: Der Staat garantiert darin jedem und jeder von 18 bis 78 Jahren eine Arbeit von 20 Wochenstunden, bezahlt in der Höhe eines Mindesteinkommens, das eine „bescheidene Existenz“ sichert. Als Beschäftigte der „ersten Schicht“ sehen die Autoren nicht nur Arbeitslose. Vielmehr soll das gesamte Arbeitsleben dadurch „flexibler“ werden: In jeder Lebensphase, vom Studium bis zur Rente, sollen Menschen in der „ersten Schicht“ erwerbstätig sein. Hinzu kommt schließlich die „dritte Schicht“: Sie erfaßt Tätigkeiten, deren Marktwert entweder nicht berechnet wird (z.B. Hausarbeit, Krankenpflege und Kindererziehung in der Familie) oder nicht berechenbar ist (z.B. ehrenamtliches Engagement in Vereinen). Solche unbezahlte Arbeit wollen die Autoren erheblich aufgewertet sehen; sie werde zuwenig anerkannt und von den Ökonomen vernachlässigt.

Endlich scheint hier akzeptiert, was Gewerkschaften und Feministinnen fordern: das Recht auf Arbeit für alle und die ökonomische Würdigung der Hausfrauen-Tätigkeit. Überdies sparen die Autoren nicht an Philosophie und politisch korrekten Forderungen: Besonders den Alten, den Jugendlichen und den Frauen gilt ihre Sorge; über die „erste Schicht“ sollen diese Gruppen besser integriert werden. Denn „Arbeit“ sei nicht nur Geldverdienen, sondern „der augenfälligste und grundlegendste Ausdruck unserer Persönlichkeit und unserer Freiheit“. Kurz gesagt: „Wir sind zuallererst das, was wir tun“. Vor allem die Familienarbeit und die Ehrenämter in der „dritten Schicht“ erhalten Ehre, Würdigung und Lob im Übermaß. Von Bezahlung ist allerdings nicht die Rede. Auf vielen Seiten entfaltet der Bericht einen erheblichen philosophischen Charme – solange man ihn nicht im Detail liest.

Ihre „zweite Schicht“ (die klassische Erwerbsarbeit) wünschen sich Giarini/Liedtke erheblich flexibler als bisher und völlig frei: „Der einzelne kann frei entscheiden, ob und wieviel er auf dieser Ebene arbeiten möchte.“ In der „zweiten Schicht“ ist dem Staat jede Einflußnahme, die über vage „Rahmenbedingungen“ hinausgeht, strikt untersagt. Die Arbeitsmarktpolitik des Staates konzentriert sich allein in der „ersten Schicht“, hier allerdings mit geballter Macht. Bei näherem Hinsehen entpuppt sich diese Schicht als Sammelsurium von staatlich organisierten Teilzeitjobs zu Billiglöhnen, vielleicht in Höhe der deutschen Sozialhilfe, vielleicht darunter. Dazu werden alle Sozialleistungen – Arbeitslosengeld, Sozialhilfe etc. – vollständig abgeschafft und die freiwerdenden Gelder in die „erste Schicht“ geleitet. „Es wird keine Bezahlungen mehr für das Untätigbleiben geben“, fordern Giarini und Liedtke, „sondern Unterstützungen für das Tätigbleiben.“ Wer – „aus welchen Gründen auch immer“ – seine Arbeitskraft nicht in der „ersten Schicht“ bereitstelle, werde keine Unterstützung erhalten. So schmiegt sich die Zukunftsvision des Club of Rome elegant an die Debatten der Gegenwart: an die Programme in den USA, die jede staatliche Fürsorge als Anreiz zur Faulheit diskreditieren, an die „Sozialmißbraucher“-Kampagne in der BRD.

Immerhin: Auch ein niedrig bezahlter 20-Stunden-Job könnte für manchen Arbeitslosen eine Chance sein, seine Qualifikation zu erhalten oder sich weiterzubilden – doch dies ist keineswegs beabsichtigt. „Man muß dabei akzeptieren“, schreiben Giarini/Liedtke, „daß die Tätigkeiten der ersten Schicht in vielen Fällen nicht den individuellen Vorlieben entsprechen werden“. Persönliche Wünsche und berufliche Qualifikation können und sollen hier ausdrücklich keine Rolle spielen. Die Jobs der „ersten Schicht“ sind vorzugsweise solche, von denen die Autoren annehmen, daß sie dem Gemeinwohl dienen, aber keine besondere Qualifikation erfordern. Sie entstehen zum Beispiel dort, wo heute Kriegsdienstverweigerer ihren Dienst verrichten: in Altenheimen, in Krankenhäusern und im Umweltbereich, aber auch in den kommunalen Diensten, wo sie unter anderem zur Sicherheit der Städte beitragen sollen. Wer sich fragte, wie denn das Konzept der zero tolerance gegen Bettler, Graffitti-Spayer und sonstige unerwünschte City-Benutzer finanziert werden könnte, ohne teure Wachleute zu beschäftigen, der findet hier eine wohlfeile Lösung. Ganz nebenbei können auf diese Weise nicht nur die Arbeitslosen-Zahlen, sondern zugleich die Lohnkosten in arbeitsintensiven Bereichen sinken . Die Autoren propagieren die Jobs der „ersten Schicht“ dann auch als „billigere Alternativlösung“ zu teuren Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst und empfehlen sie besonders wegen der „Kostenexplosion im Gesundheitswesen“.

Den Vorwurf, er wolle einen modernen Arbeitsdienst installieren, konnte Liedtke in Interviews souverän parieren: Es werde doch niemand gezwungen, einen Job in der „ersten Schicht“ anzunehmen. Wer dieses Angebot des Staates ablehne, könne sich ja Arbeit in der „zweiten Schicht“ suchen oder sich ehrenamtlich in der „dritten“ betätigen. Tatsächlich ist die „erste Schicht“ weder mit einem Arbeitsdienst noch mit dem ABM-Konzept vergleichbar, da Übergänge zur Vollzeit-Erwerbstätigkeit fehlen. Der Bericht produziert vielmehr einen neuen, eigenständigen Niedriglohn-Sektor, einen staatlich organisierten und kontrollierten Quasi-Arbeitsmarkt, der überzählige Arbeitskräfte systematisch erfaßt und unmittelbar dorthin lenkt, wo gerade Bedarf besteht. Wären Giarini und Liedtke nicht des Kommunismus unverdächtig, könnte man beinahe vermuten, hier entstehe eine Enklave der Planwirtschaft im Neoliberalismus. Tatsächlich sind die Autoren jedoch überzeugt, daß Arbeit in großen Mengen unerledigt und unbeachtet überall herumliegt und ein ungeheurer Bedarf an Arbeitskräften besteht. Aus dieser Sicht existiert Arbeitslosigkeit nicht – es fehlt lediglich ein Markt, der Angebot und Nachfrage zusammenbringt. Die „erste Schicht“ schafft den gesellschaftlichen Raum für einen neuen Markt zu neuen Bedingungen, und der Staat wird sein wichtigster Unternehmer.

Darüber hinaus präsentiert sich die „erste Schicht“ jedoch als psychosoziales Konzept, das Arbeitslosigkeit (besser: den Ausschluß vom Markt) vorrangig als mentales Problem, als Verlust des Selbstwerts definiert. Der 20-Stunden-Job will nicht als schlichter Broterwerb, sondern als sozialtherapeutische Maßnahme gesehen werden. Grundlage dieses Konzepts sind jene negativen Folgen der Erwerbslosigkeit, die als psychosoziale Belastungen seit langem bekannt sind: das Gefühl der Erwerbslosen, deklassiert und ausgegrenzt zu sein, und die oft wiederholte Sorge, hier entstehe ein „sozialer Sprengsatz“, der eines Tages „explodieren“ könnte. Mit der „ersten Schicht“ bieten Giarini und Liedtke über den neuen Markt hinaus ein Integrationskonzept, die zwanglose und gewaltfreie Entschärfung des Sprengsatzes gewissermaßen. Die bisher Ausgegrenzten erhalten einen eigenen gesellschaftlichen Bereich, hochgeehrt als elementare „Basisschicht der Arbeit“. Zwar lebt man hier vom Existenzminimum, doch der Mangel an Geld soll ja durch psychosoziale Zuwendungen ausgeglichen werden – man dient dem Gemeinwohl, man ist re-integriert und darf sich aufgewertet fühlen. Wer nur lange genug als Drückeberger beschimpft wurde, wird diese Zuwendung dankbar empfangen.