Kriminaltango

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Von Hans Uske, erschienen in DISS-Journal 1 (1998).

„Nachts auf Deutschlands Straßen. Es vergeht keine Minute ohne Einbruch, Diebstahl, Vergewaltigung. Nachts auf Deutschlands Straßen. Die Täter haben nichts zu befürchten. Sie betrinken sich in ihren Kneipen, laufen offen durch die Nacht, urinieren gegen Hauswände. Nachts auf Deutschlands Straßen. Alle schweigen, doch die Wahrheit ist lange bekannt. Die Statistiken beweisen es: 85% aller Verbrechen werden von Männern begangen. Die Gefängnisse sind voll von Männern. Deutschland hat ein Männerproblem, aber niemand wagt das Tabu der Männerkriminalität anzusprechen!“

Die meisten Menschen werden solche Sätze als absurd empfinden, und kaum jemand wird aus den Zahlen einen „Handlungsbedarf“ herauslesen. Wenn wir aber „Männer“ durch „Ausländer“ oder „Jugendliche“ ersetzen, verwandelt sich die Absurdität in Evidenz, und es entstehen Artikel zu „Jugendkriminalität“, „Ausländerkriminalität“ und, als Gipfel der Bedrohung, „Kriminalität ausländischer Jugendlicher“. Soviel zu Statistikbeweisen und der „deutlichen Sprache“, die Zahlen angeblich sprechen.

Die Bekämpfung der Kriminalität ist zum Top-Thema geworden. Wir werden uns darauf einstellen müssen, daß es zu dem Wahlkampfthema werden wird. Die SPD hat nach England geschaut, wo Tony Blair law and order zum „Labour issue“ machte. Das hat in Hamburg zwar nicht funktioniert, war aber vom Standpunkt des Machterhalts nicht so dumm, wie im Nachhinein kommentiert wurde.

Denn die Sozialdemokraten haben ein Trauma. Mit dem Thema „Asyl“ und der damit verbundenen Mobilisierung des Alltagsrassismus war es der Union mehrmals gelungen, die SPD in die Defensive zu drängen. Als Partei, die an die Macht wollte, glaubte sie, ebenfalls die kollektiven Ängste vor den Flüchtlingen bedienen zu müssen, als Sozialdemokratie besaß sie aber jene liberalen Traditionen, die es ihr unmöglich machten, in diesem Feld „Effektivität“ und „Kompetenz“ auszustrahlen. Heraus kam eine Politik, die zwar am Ende all das sanktionierte, was die Regierung seit längerem gefordert hatte, der Partei aber dennoch den Ruch des Zauderns und Zögerns einbrachte.

Aus der Auseinandersetzung um das Asylrecht haben Teile der SPD den Schluß gezogen, man müsse der Union rechtzeitig die Stammtisch-Themen wegnehmen und selber besetzen. Seitdem lauert die Partei auf Kampagnenversuche des politischen Gegners. Rudolf Scharping befürchtete bereits 1994, daß die Koalitionsparteien eine „Mißbrauchskampagne“ gegen „Sozialbetrüger“ planten. Damals riet er seiner Partei, nicht abseits zu stehen und selber den „Mißbrauch“ des Sozialstaates zum Thema zu machen. Die bayrische SPD-Vorsitzende Renate Schmidt hatte im selben Zusammenhang daran erinnert, „daß die SPD sich selbst damit geschadet habe, die Asyldebatte zu lange zu ignorieren“ (WAZ, 28.11.1994). Wenn heute Unionspolitiker angeblich arbeitsscheue Sozialhilfeempfänger für 2 Mark die Stunde Laub fegen lassen wollen, können Sozialdemokraten darauf verweisen, längst ähnliche Vorschläge gemacht zu haben. Genau dieser Effekt soll sich auch beim Thema „Kriminalität“ einstellen.

Von linker Seite wird einer solchen Strategie gerne entgegengehalten, sie sei erfolglos, die Leute wählten schließlich doch lieber das Original. Eine solche Kritik ist aber problematisch. Was wäre denn, wenn die Strategie eines Tages Erfolg hätte, weil es der SPD gelingt, zum „Original“ zu werden, also jene Kompetenz auszustrahlen, die ihr jetzt noch fehlt?

Das gleiche gilt für den Hinweis, die Sozialdemokraten sollten sich lieber „ihren“ sozialpolitischen Themen zuwenden. Die nach der Hamburg-Wahl verbreitete Vorstellung, daß die beste Kriminalitätsbekämpfung der Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit sei, verknüpft die Angst vor der Kriminalität mit einer Personengruppe, die sowieso schon im Verdacht steht, „Sozialmißbrauch“ zu betreiben. Eine öffentliche Meinung, die mehr und mehr zu der Überzeugung gelangt, daß ein Arbeitslosenheer aus „arbeitsscheuen Individuen“ dazu neigt, „dunklen Geschäften“ nachzugehen, wird schnell zu der Überzeugung kommen, daß diese Leute „von der Straße“ müssen. Da aber zur Zeit niemand neue Arbeitsplätze einfach „schaffen“ kann, liegt der Einfall nahe, den Bezug von Arbeitslosenunterstützung an „Arbeit“ zu koppeln. Laub fegen als Beschäftigungstherapie. Arbeitsdienst statt Arbeit!

Das paßt sehr gut in die Logik der aktuellen Kriminalitätsdiskussion. In der Debatte entstehen zur Zeit Redeweisen über „Milieus der Unordnung“, die aus „Rücksichtslosigkeiten, Randale, Pennertum, aggressives Betteln, Unsauberkeit und Lärm“ bestehen (Kanther, WAZ, 25.10.1997). Die Abstraktion „Kriminalität“, die immer schon so unvergleichliche Dinge wie Ladendiebstahl und Raubmord, Schwarzarbeit und Millionenbetrug, illegalen Aufenthalt und Drogenverkauf in einen Topf geworfen hat, geht damit in der noch größeren Abstraktion „Unordnung“ auf. Durch scheinbar evidente Kausalketten wird plausibel gemacht, daß die Beseitigung von Bettlern, Dreck und Lärm dazu tauge, Kriminalität zu verhindern. Und tatsächlich: Weil die Angst vor der Kriminalität vor allem mit dem subjektiven Sicherheitsgefühl zu tun hat, kann die Beseitigung der „Unordnung“ auch die Angst verringern. Die Welt der „Null-Toleranz“ liefert Symbole der Sicherheit.