Ostbelgien im Visier des Rechtsextremismus. Von Alfred Schobert. Erschienen in: Klenkes. Magazin für Aachen 21, H. 9, S. 20-22
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das Gebiet Eupen-Malmedy Belgien angegliedert. Heute agitieren auf beiden Seiten der Grenze völkische Nationalisten mit Verbindungen zum politischen Establishment für den Anschluß Ostbelgiens an Deutschland.
„Der Zerfall Belgiens könnte schon bald auf der Tagesordnung stehen“, gab sich die rechtsextreme Wochenzeitung Junge Freiheit (JF) prophetisch und setzte ihrerseits die Frage „Was wird aus Eupen und St. Vith?“ auf die Agenda. Den willkommenen Anlaß lieferten wallonische wie flämische PolitikerInnen, die im Parlament Sezessionsgedanken formulierten. JF-Autor Nicolaus Rubeck ist bemüht, seine Phantasie zu zügeln, um nicht verfrüht allzuviel Porzellan zu zerschlagen. Dennoch brechen die großdeutschen Ansprüche durch. So betont Rubeck, daß Ostbelgien „nach dem Ersten Weltkrieg unter Bruch des Selbstbestimmungsrechts der Völker dem belgischen Staat eingegliedert“ wurde.
Daß Nazi-Deutschland im Zuge des Überfalls auf Belgien Ostbelgien annektierte, verschweigt Rubeck. (Logisch konsequent müßte er darin die Wiederherstellung des im – so der Nazi-Jargon – „Versailler Diktat“ gebrochenen „Selbstbestimmungsrechts der Völker“ sehen.) Rubecks historische Information beschränkt sich darauf, daß „die leidvollen Erfahrungen dieses Jahrhunderts“ in Ostbelgien dazu führten, „daß die Mehrheit der dortigen Bewohner nicht sehr gerne als ‚deutsche Belgier‘ oder deutsche Minderheit in Belgien bezeichnet werden will“. Rubeck nennt sie „die Deutschen“. Was ein ‚unverkrampftes Verständnis der belgischen Staatsangehörigkeit voraussetzt, das auf Abstammung beruhende deutsche Staatsangehörigkeitsrecht (ius sanguinis = Blutrecht) großzügig interpretiert und die OstbelgierInnen als Teil der deutschen Blutsbande versteht. Die hat indes in diesem Jahrhundert unter den entsprechenden Bandenchefs derart gewütet, daß es solchen großdeutschen Träumen (noch) an Legitimität ermangelt. Daher endet Rubeck un/verschämt: „Die (…) denkbare Vereinigung mit Deutschland, wagt bislang niemand in den Mund zu nehmen. Lediglich in Leserbriefen im Grenz-Echo wird vorsichtig darauf hingewiesen, die ‚historischen Beziehungen zu Deutschland nicht zu vergessen‘.“
Bonner Verstrickungen
Solche großdeutschen Pläne sind keineswegs nur Spinnerei rechtsextremer Narren, sondern finden Unterstützung bei Bonner Eliten. An erster Stelle muß hier der VDA genannt werden. Die Abkürzung steht für den Verein für das Deutschtum im Ausland. Über dessen Rolle als Kriegstreiber in zwei Weltkriegen, seinen Beitrag zur nazistischen Ausrottungspolitik und seine gegenwärtige Politik informiert man sich am besten in Hans-Rüdiger Minows und Walter von Goldendachs Buch ‚Deutschtum erwache!‘ Aus dem Innenleben des staatlichen Pangermanismus (Berlin 1994). Der VDA geriet kürzlich in die Kritik, weil die Verwendung aus der Staatskasse an den VDA geflossener Millionenbeträge nicht nachweisbar ist. Eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Annelie Buntenbach (B90/Grüne) konnte das Bundesinnenministerium nur unzureichend beantworten. Was wundert (oder gerade nicht), war der zuständige Staatssekretär, Dr. Horst Waffenschmidt, doch im betreffenden Zeitraum gleichzeitig Mitglied des VDA-Verwaltungsrats.
Unter den mit dem VDA kooperierenden Organisationen sei nur noch die Düsseldorfer Hermann-Niermann-Stiftung (HNS) erwähnt. Seit ihrer Gründung waren Vorstand und Kuratorium der HNS ein Tummelplatz für einschlägig bekannte Rechtsextremisten. In der derzeitigen Stiftungsspitze, die sich selbst als „Säuberer“ darstellt, sitzen neben Funktionären der Partei der deutschsprachigen Belgier (PDB) gleich zwei hohe Beamte des Bundesinnenministeriums: Uwe Stiemke und Leo Weiler. Im Prozeß gegen die Literaturzeitschrift Krautgarten, der jetzt der Aachener Walter-Hasenclever-Förderpreis verliehen wird, wurde Krautgarten in erster Instanz zur symbolischen Strafe von einem belgischen Franken verurteilt. Das Gericht attestierte den klagenden Niermännern allerdings zweideutiges Verhalten und bezichtigte Stiemke, „wiederholt wider besseres Wissen Unwahrheiten“ verbreitet zu haben. Ein anderer ostbelgischer Niermann-Kritiker, Freddy Derwahl, darf über Ministerialrat Stiemke ungestraft behaupten, er sei „Mitwisser einer Konspiration, die zwischen der Partei der deutschsprachigen Belgier und dem Stifter Hermann Niermann gegen Belgien“ gerichtet gewesen sei.
Wegweiser nach Ostbelgien
Diese honorigen Organisationen unterhalten oder unterhielten (punktuell sogar enge) Beziehungen zu Organisationen, die – auch amtlicherseits! – dem Rechtsextremismus zugeordnet werden. Nur ein Beispiel: Innerhalb der arbeitsteilig funktionierenden rechtsextremen Publizistik ist die Zeitschrift Junges Forum auf das Thema Ostbelgien spezialisiert. Herausgegeben wird das Blatt von der rechtsextremistischen Deutsch-Europäischen Studiengesellschaft (DESG). In den 60er Jahren auf die NPD orientiert, spielte das JuFo später eine wichtige Rolle bei der Herausbildung der ‚Neuen Rechten‘. Die Kontinuität zu Fraktionen und Spielarten des Nazismus wird freilich gepflegt.
Das JuFo veröffentliche eine Reihe von Heften über Belgien, bspw. 150 Jahre Belgien – 150 Jahre Sprachenkampf. Dieses Heft enthielt auch eine Anzeige der Zeitschrift Wegweiser; offenkundig sah das „Organ des ‚Rates der hochdeutschen Volksgruppe V.o.E.'“ in den LeserInnen des rechtsextremistischen JuFo potentielle AbonnentInnen. Was das Selbstverständnis des vom langjährigen Kurator der HNS, Dr. Hubert Funk, geleiteten Blattes wohl charakterisiert.
Drei JuFo-Ausgaben füllt Yvo J.D. Peeters, der auch immer wieder bei Aktivitäten im näheren oder weiteren Umfeld der HNS zu finden ist. 1988 war Peeters auf Antrag des privatrechtlichen Interessenverbandes Rat der Deutschen Volksgruppe als Gutachter tätig. Peeters JuFo-Text Volk und Staat. Die Zukunft kleinerer Völker und ethnischer Minderheiten im neuen Europa ist dem oben erwähnten „Herrn Dr. H. Funk gewidmet, dem unermüdlichen Kämpfer für die belgiendeutsche Gemeinschaft“.
Man irrt, wenn man Peeters‘ JuFo-Publikationen für politisch unbedenkliche Grundsatzartikel eines Spezialisten für Völkerrecht hält. Der nordrheinwestfälische Verfassungsschutz charakterisiert 1995 das JuFo als „lose Folge einzelner, umfangreicher Abhandlungen, die den rechtsextremistischen Ansätzen der ,Neuen Rechten‘ ein theoretisches Fundament geben sollen“. Daß es sich bei den wissenschaftsförmigen Abhandlungen um intellektuelle Zeitbomben handelt, wird schon deutlich, wenn man sie im Kontext anderer JuFo-Texte liest.
„Grenzkorrekturen in Minderheitengebieten“
So fordert Peter Bahn im JuFo, „längerfristig“ planend, „eine Neustrukturierung der europäischen Landkarte nach ethnischen Kriterien“ und die „Vornahme von Grenzkorrekturen in einer Reihe von Minderheitengebieten“. Zu diesen Minderheitengebieten zählt er ausdrücklich Ostbelgien, dessen Autonomiestatus „völlig unzureichend“ sei. Bei diesem Text Bahns handelt es sich um einen Vortrag beim Frühjahrsseminar 1986 der DESG.
Die Referentenliste liest sich wie ein Auszug aus dem Who is Who des europäischen Rechtsextremismus: U.a. referierten Robert Steuckers, Kopf des belgischen Ablegers der französischen Nouvelle Droite, und der ebenfalls einschlägig bekannte Londoner Michael Walker. Bei diesem völkisch-nationalistischen Stelldichein kam auch ein Vertreter der PDB zu Wort. Gerd Henkes, ein enger Vertrauter des stellvertretenden HNS-Vorsitzenden und PDBlers Lorenz Paasch, in mehreren von der HNS geförderten kulturellen Organisationen tätig und von Beruf Verwaltungsangestellter des Rates der Deuschsprachigen Gemeinschaft, sprach über „das unzureichende Ausmaß“ der ostbelgischen Autonomie (und bekräftigte damit Peter Bahns diesbezügliche Ausführungen). Die JF weiß schon, warum sie die PDB wegen „ihrer offenen Sprache und dem Verlassen vorgegebener Denkschablonen“ lobt.
Allerdings dürfte die 1992 durchgeführte Umfrage der Eupener Tageszeitung Grenz-Echo bei Pangermanen dieseits und jenseits der Grenze Enttäuschung hervorrufen: „Auf die hypothetische Frage der weiteren Zugehörigkeit Ostbelgiens im Falle einer Auflösung des Königreiches stimmten damals“, so hat die JF sich kundig gemacht, „lediglich 4 Prozent für den Anschluß an ein deutsches Bundesland“ — die KameradInnen werden also noch viel Wühl- und ‚Überzeugungs‘- und Infiltrationsarbeit für die pangermanische Sache leisten müssen. Das schafft aber auch etliche Ansatzpunkte, sich dagegen zu wehren.