Stolpersteine für schwule Männer

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Auch in Duisburg nicht länger verschwiegen

Von Jürgen Wenke

Das Kunst- und NS-Erinnerungsprojekt „Stolpersteine“ stellt die Erinnerung und Würdigung konkreter Personen in den Mittelpunkt – und weist doch nach inzwischen mehr als 80000 Stolpersteinen in Europa über diese Einzelpersonen hinaus.

Oftmals werden in der Aufzählung, welche Personengruppen mit Stolpersteinen gewürdigt werden können, homosexuelle Männer zwar genannt – aber vor Ort, d.h. in vielen Gemeinden und Städten ist dann festzustellen: Es gibt keine Stolpersteine für verfolgte Homosexuelle, weil es keine Initiative dazu gibt. Auch andere Gruppen sind oftmals „vergessen“, z.B. Euthanasie-Opfer.

Die staatliche Verfolgung homosexueller Männer in Deutschland ist Teil deutscher Geschichte. Von 1871 (Reichsgründung) bis zur Beendigung der staatlichen Repression im Jahr 1994 durch Streichung des §175 aus dem Strafgesetzbuch vergingen fast 124 Jahre. Sprachlich zugespitzt könnte man sagen: Deutschland ist Weltmeister in der Verfolgung homosexueller Männer. Und Weltmeister im Ermorden homosexueller Männer (während der NS-Zeit). Ein beschämendes Faktum. In den zwölf Jahren von 1933-1945 wurden mehrere Tausend Männer in Konzentrationslagern ermordet, in diesem Zeitraum wurden insgesamt ca. 50.000 Männer mittels §175 verurteilt. Verbote von Vereinen, Lokalen, Zeitschriften, Anlegen von Rosa Listen, Folterungen, Kastrationen, Zuchthaus- und Gefängnisstrafen waren Teil der NS-Repressionen. Und nach 1945? Es ging so weiter. Ein Hamburger Forscher brachte es auf den Punkt: Nach 1945 gab es alles, was es auch zur Nazizeit gab – bis auf Konzentrationslager. Der Staat der Bundesrepublik Deutschland (von den Unterschieden zur DDR sei hier nicht die Rede) verfolgte bis 1969 unverändert weiter mittels des im Jahr 1935 verschärften §175/(175a) aus der NS-Zeit. Nach 1945 wurden nochmals etwa 50.000 Männer verurteilt und viele ihrer Lebens- und Zukunftschancen, ihrer Gesundheit und Freiheit beraubt.

Abbild dieses schändlichen deutschen Umganges mit homosexuellen Männern ist auch die geringe Sichtbarkeit von staatlicher Erinnerung – von Kultur zu sprechen verbietet sich angesichts der Marginalität. Erst im Jahr 2018 hat sich Bundespräsident Steinmeier für die Fehler des Staates entschuldigt. Gleichzeitig verweigert bis heute der (noch) amtierende Bundestagspräsident Schäuble, dass im Bundestag eine Gedenkstunde die Verfolgung homosexueller Männer am jährlich wiederkehrenden 27. Januar (Auschwitz-Befreiungstag) in den Mittelpunkt stellt. Mehrjährige Initiativen dazu wurden abgeschmettert.

Die Widersprüchlichkeit im Verhalten zwischen dem ersten und dem zweiten Repräsentanten der BRD in Bezug auf die Anerkennung und Würdigung der Verfolgten und Ermordeten wird deutlich.

Demgegenüber steht die nicht-staatliche Erinnerungskultur an Opfer z.B. durch das dingliche, wohnortbezogene Kunstprojekt „Stolpersteine“ – und in der Summe damit die Würdigung von ganzen Opfergruppen durch Stolpersteine in Deutschland und anderswo. Ein Projekt, an dem sich jede Person durch Initiative beteiligen kann. Es setzt einen starken Kontrapunkt – auch gegen die staatliche Widersprüchlichkeit im Umgang mit der Würdigung von schwulen Opfern. Auch und gerade die Freiheit keine „Erlaubnis“ zu benötigen macht das Projekt für viele Menschen „attraktiv“. Verantwortung übernehmen gegen Verantwortungslosigkeit staatlicher Bedenkenträger.

Mein Beitrag zum Stolpersteinprojekt: Erforschung von Lebens- und Verfolgungswegen homosexueller Männer – seit 2006/7 konnte ich dazu beitragen, dass mehr als 40 schwule Männer nicht vergessen sind: mittels eines Forschungsberichtes und der Initiative zur Verlegung eines Stolpersteines am jeweiligen Wohnort (Schwerpunkt im Ruhrgebiet, aber auch in anderen Regionen Deutschlands).

In Duisburg sind es derzeit (Stand Sommer 2021) sechs Männer, die mit einem Stolperstein in Erinnerung bleiben. Ihre Namen:1

Werner Bangert (der erste Stolperstein in Duisburg (2012) für einen verfolgten Homosexuellen), es folgten am 12. Sept. 2018 Stolpersteine für Alfred Ledermann, August Zgorzelski, Walter Braumann und Paul Friederich. Der sechste Stein würdigt Willi Kühlen, der kleine Betonwürfel mit der Messinginschrift und Angaben zu dem Kriegsvermissten ist zwar schon produziert, wartet aber noch auf die Verlegung am Flachsmarkt.

Mehrere Opfer hatte eine nachweisbare Verfolgung und Verurteilung zu erleiden in Verbindung mit anderen Männern. So wurde Alfred Ledermann zusammen mit Wilhelm Zitschka aus Düsseldorf verurteilt. Für Zitschka ist die Verlegung eines Stolpersteines dort in Planung. August Zgorzelski wurde gemeinsam mit Willi Kühlen in Duisburg vom Landgericht verurteilt, außerdem wurde Z. in einem weiteren Duisburger Gerichtsverfahren zusammen mit Heinrich Kamps aus Viersen mit Haft bestraft. In Viersen liegt seit 2021 dessen Stolperstein zur Erinnerung. Zgorzelski und Kamps wurden im KZ Buchenwald ermordet.

Es wird also deutlich: Eine (Stadt-)Grenzen überschreitende Betrachtung macht inhaltlich Sinn. Im Ballungsraum Ruhrgebiet insbesondere. Und auch eine Abgrenzung der unterschiedlichen Verfolgtenkategorien macht in vielen Fällen wenig Sinn: Es gab Verfolgte, die mehrfach stigmatisiert waren, z.B. als Juden und Homosexuelle und Sozialdemokraten.

Weitere Infos zu den Personen und Orten, Fotos, Lagepläne, Originaldokumente usw. finden sich auf:
www.stolpersteine-homosexuelle.de

 

1 In der Online-Broschüre des DISS Dreihundert Stolpersteine in Duisburg finden Sie die Genannten unter: Werner Bangert (167), Alfred Ledermann (299), August Zgorzelski (169), Walter Braumann (188) und Paul Friederich (294)
https://www.diss-duisburg.de/online-bibliothek/bucher-im-volltext/broschuere-ueber-die-duisburger-stolpersteine/

 

Dieser Artikel stammt aus dem DISS-Journal 42 vom November 2021. Die vollständige Ausgabe als PDF finden Sie hier.