Standortnationalismus – Völkischer Nationalismus – Autoritärer Staat

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Anmerkungen zum neuen Wahlprogramm der AfD

Von Helmut Kellershohn

 

Einleitung

Die AfD ist in ihrem neuen Wahlprogramm, das in seiner Endfassung noch nicht vorliegt,1 durchdrungen von der Idee, Deutschland bzw. die deutsche Wirtschaft auf einen „normalen Entwicklungspfad zurück[zu]führen“. Renormalisierung bedeutet für die AfD zum einen Renationalisierung, d.h.

1. mittelfristig die Rückentwicklung der Europäischen Union von einem „EU-Zentralstaat“ oder „Bundesstaat“ zu einem „Staatenbund souveräner Nationalstaaten“ (18) bzw. zu einem „Europa der Vaterländer“2 und

2. die Aufkündigung des „untergehenden Euro-Systems“ durch die „Wiedereinführung“ (18) nationaler Währungen („ggf. unter paralleler Beibehaltung des Euro oder einer ECU-ähnlichen flexibleren Verrechnungseinheit“).3

Renormalisierung bedeutet zum anderen

3. auf nationaler Ebene eine „marktwirtschaftliche Wirtschaftspolitik“ (16) durchzusetzen, die auf folgenden Grundsätzen beruht: „Schutz des Eigentums, Vertragsfreiheit, die Einheit von Handeln und Haftung, Berufsfreiheit, eine wettbewerbliche Wirtschaftsordnung“ (16). Unverkennbar handelt es sich hier um die Essentials einer neoliberalen Wirtschaftspolitik. Erinnert sei hier an die sechs Prinzipien der Wettbewerbsordnung, die der Ordoliberale Walter Eucken in seinem Klassiker „Grundsätze der Wirtschaftspolitik“ für konstitutiv hielt: „ein funktionierendes Preissystem, eine stabile Währung, offene Märkte, Privateigentum, Vertragsfreiheit und uneingeschränkte persönliche Haftung […].“4

Treibendes Motiv dieser Renormalisierung und Renationalisierung ist das, was Christoph Butterwegge immer als „Standortnationalismus“ bezeichnet hat,5 dessen Träger der souverän agierende „nationale Wettbewerbsstaat“ (Joachim Hirsch) ist. Es gehe darum, den „Wirtschaftsstandort Deutschland international wettbewerbsfähig“ (17) zu halten. Zu fragen ist, welche Forderungen die AfD stellt, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu wahren. Kern der Problematik ist die Art und Weise, wie sich der Staat auf die Marktwirtschaft beziehen, welche Wirtschafts-, Technologie- und Finanzpolitik betrieben werden soll, um Wettbewerbsfähigkeit zu generieren, ohne zu nicht-marktkonformen Mitteln (jedenfalls aus der Sicht der AfD) greifen zu müssen. Relevant sind in diesem Zusammenhang auch die Ausführungen zur Klimapolitik, schließlich ist dies ein Politikfeld, auf dem durch den „Green New Deal“ vermeintlich die stärksten Bedrohungen für den Wirtschaftsstandort ausgehen. Die AfD zaubert, noch reichlich unausgegoren, aber immerhin, einen „Blue Deal“ aus dem Hut.

Darüber hinaus werden von der AfD unter wettbewerbspolitischen Gesichtspunkten solche gesellschaftlichen Bereiche und Politikfelder in Betracht gezogen, die ihrer Meinung nach für den Erhalt einer marktwirtschaftlichen Ordnung von Belang sind. In Frage kommen hier vor allem die Familienpolitik und der Bereich Bildung, Wissenschaft und Forschung, insofern sie sich auf die Quantität und Qualität des für die Wirtschaft zur Verfügung stehenden Arbeitskräftepotentials beziehen. Das berührt unmittelbar die Frage der Migration, denn rein marktwirtschaftlich betrachtet könnte man der Auffassung sein, dass Zuwanderung für ein größeres Angebot auf den Arbeitsmärkten sorgen und den Standort Deutschland stärken könnte.

Bekanntlich ist das keineswegs die Auffassung der AfD, sieht man mal davon ab, dass sie ausnahmsweise „hoch qualifizierte Zuwanderer“ (37) durchaus „willkommen“ heißen möchte (so noch im Leitantrag). An diesem Punkt wird deutlich, dass der Nationalismus der AfD nicht nur die Ansprüche des „Standorts“ zu seinem Anliegen macht, sondern auch exklusive identitätspolitische Belange ins Auge fasst, die nach einer mehr oder weniger radikalen Begrenzung von Zuwanderung verlangen. In dieser identitätspolitischen Hinsicht sind des Weiteren all die Passagen des AfD-Wahlprogramms von Relevanz, in denen ‚Gemeinschaft(en)‘ imaginiert werden. Aussagen zur (patriarchalischen) Familie, zu Volk und Nation, zur Leitkultur oder etwa zur „heimatliche[n] Landschaft“ (68) verweisen auf den völkischen Nationalismus der AfD und dessen Kern, die Konstruktion des Volkes als weitgehend ethnisch homogener Abstammungsgemeinschaft (38).

Es sind von dorther zwei Ebenen im Wahlprogramm der AfD zu unterscheiden, die in einem Spannungsverhältnis, wenn nicht gar in einem Widerspruch zueinander stehen: einerseits die Ebene der nationalstaatlich verfassten Eigentümermarktgesellschaft, auf der die Standortinteressen kapitalistischer Privateigentümer verhandelt werden; andererseits die Ebene der einstmals von Alexander Rüstow so genannten „Vitalpolitik“, auf der die Belange der Gemeinschaft als ‚Gegenhalt‘ zur konkurrenzorientierten Wirtschaftsordnung thematisiert werden, nicht zuletzt im Sinne einer völkischen Identitätspolitik.

Eine dritte Ebene ist die des Staates. In der ihm angedachten Rolle als Hüter der Wettbewerbsordnung und als Wahrer der Standortinteressen der deutschen Wirtschaft steht der real existierende Staat aus der Sicht der AfD auf dem Prüfstand. Der Staat steht im Verdacht, sich unsachgemäß in die Belange der Wirtschaft einzumischen, Rechtsstaatsprinzipien zu verletzen und sich in den „Schicksalsfragen der Nation“ (8) als inkompetent zu erweisen. Schuld daran ist die „politische Klasse“, eine „politische Oligarchie“, die „die Schalthebel der staatlichen Macht, der politischen Bildung und des informationellen und medialen Einflusses auf die Bevölkerung in Händen“ (7) hält. Um dem „totalitäre[n] Gebaren“ (7) der Regierung gegenzusteuern, bedient sich die AfD des Arsenals neoliberaler Staatsvorstellungen, in denen es immer darum geht, den Staat gegen ‚unangemessene‘ gesellschaftliche Interessen und deren Pendant, das korrupte Establishment, abzuschotten: Einbau von Elementen der direkten Demokratie in das Verfassungssystem, strikte Gewaltenteilung, Beschränkung der Macht der Parteien, Veränderungen des Wahlsystems, Beendigung angeblich diskriminierender Praktiken (Gleichstellungspolitik!) – und dies alles im Namen von „Freiheit und Verantwortung“ (10) und Volkssouveränität. Das Ideal des Staates, das der AfD vorschwebt, ist der autoritär geführte nationale Wettbewerbsstaat auf völkischer Basis in einem „Europa der Nationen“. Es ist das Programm eines völkischen Neoliberalismus.6

Im Folgenden gehe ich auf einige zentrale Punkte des AfD-Wahlprogramms ein. Vollständigkeit wird nicht angestrebt, vielmehr geht es mir um die innere Systematik des Programms.

1. Wirtschafts- und Technologiepolitik

Im Sinne des Standortnationalismus möchte die AfD verhindern, dass – unter den Bedingungen einer schwächelnden „weltweite[n] Konjunktur“ – „politisch initiierte, manche Branchen brachial treffende Umbrüche – wie die ‚Klimarettung‘ – immense Investitionen und Umstrukturierungen“ erfordern, die die „Basis der deutschen Wirtschaft“ (16) gefährden. Zumal die Auswirkungen der Corona-Pandemie die exportorientierte und „von internationaler Arbeitsteilung abhängige() deutsche Volkswirtschaft“ im besonderen Maße treffen würden.

Speziell liegt der AfD der deutsche Mittelstand am Herzen. Dieser „Stabilitätsanker“ der Wirtschaft, der den „Großteil der Arbeitsplätze“ bereitstelle, schaffe – im Gegensatz zu den „Großkonzernen – „oft ohne staatliche Subventionen und Steuererleichterungen“ (16). Der Mittelstand leide unter der „Doppelbelastung durch politisch initiierte Strukturbrüche und pandemiebedingte Einschränkungen“. Die umfangreichen „Rettungspakete“ könnten nicht die „Erholung der Realwirtschaft ersetzen oder über Nacht herbeiführen“. Mit Hilfe dieser Rettungspakete werde aber „eine Umverteilung im Sinne der ‚Großen Transformation‘7 zum Nachteil unserer Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt vorangetrieben.“ (16)

Aus dieser Problembeschreibung leitet die AfD mehrere Forderungen ab:

Befreiung der Wirtschaft „von politisch herbeigeführten Belastungen“ („komplett“)

Entschädigung der Wirtschaftssektoren […], die von den Corona-Maßnahmen besonders betroffen sind“ (gemeint ist wohl vor allem der Mittelstand, dessen „Entlastung“ gefordert wird)

Erringung der „Technologieführerschaft“ mittels eines „Blue-Deal

Dieser letzte Punkt ist der AfD besonders wichtig, weil sie erstens demonstrieren will, dass sie keineswegs eine Gegnerin des technischen Fortschritts ist (sie lobt überschwänglich „deutsche[n] Erfindergeist“) und Renormalisierung nicht mit Rückwärtsgewandtheit zu verwechseln ist. Die AfD offeriert, ganz unbescheiden, einen „Blue-Deal“ als Kontrapunkt zum „Green New Deal“.

Ihr „Entwicklungsplan“ sieht vor, den ganzen Bildungs- und Forschungsbereich auf MINT-Fächer auszurichten, neue wissensbasierte Produkte zu fördern und die „Dynamik kleiner innovativer Einheiten“ (17) zu nutzen. Bevorzugte zukunftsträchtige Bereiche sind: der pharmazeutisch-medizinische Komplex, Quantencomputing, Weltraumnutzung, Infrastruktur. Die „Rahmenbedingungen für Investitionen“ sollen verbessert werden und „Staatseingriffe in den Energiemarkt“ (17) unterbleiben. Der Staat soll „effizienter“ werden, was Bürokratieabbau einschließt. Gefordert wird beispielsweise

Entschlackung und Flexibilisierung des Arbeitsrechts“ (wird nicht näher erläutert)

Benachteiligung des Mittelstands gegenüber multinationalen Großkonzernen beenden“

Regulierungen und Subventionen überprüfen und, wo möglich, abbauen bzw. zeitlich befristen“ (18).

Die AfD verbindet ihren „Entwicklungsplan“ mit einer Polemik gegen „sozialistische ‚Industriepolitik‘“, ein Seitenhieb u.a. gegen das Konzept des Bundeswirtschaftsministers Altmaier. Unternehmerische Aktivitäten des Staates, direkte staatliche Einflussnahme auf die Wirtschaft, Steuerung der Wirtschaft per „Vorgaben und Subventionen“ (18) sind der AfD ein Dorn im Auge (wenngleich sie in Richtung Mittelstand wohl ein Auge zudrücken möchte!). Das sei alles „Staatswirtschaft“ und führe in den „Niedergang“. Man beruft sich auf die soziale Marktwirtschaft á la Erhard und wiederholt das alte ordoliberale Bekenntnis: „Die Aufgabe des Staates soll die Erhaltung des Wettbewerbs und die Verhinderung von Monopolen, Kartellen und sonstigen den Marktmechanismus schädigenden Einflüsse [sic!] sein.“ Auch die „Schaffung ‚europäischer Monopole‘ oder staatlich verordneten [sic!] Preiserhöhungen für vermeintlich gute Zwecke“ (18) lehnt die AfD ab. Wie eine solche antimonopolistische Staatspolitik durchgesetzt werden kann und wie sie vereinbar ist mit der propagierten Erringung der „Technologieführerschaft“, darüber schweigt die AfD.

2. Klimapolitik

Wenn von „Staatswirtschaft“ und von „vermeintlich gute[n] Zwecke[n]“ die Rede ist, ist die Kritik an der Klimapolitik nicht allzu fern. Zwar verzichtet die AfD in ihrem Programm auf den dystopischen Begriff der „Ökodiktatur“. Und sie begnügt sich nicht damit, den Klimawandel zu leugnen. Vielmehr hält sie den Klimawandel für eine Art ‚Gezeiten‘-Vorgang, für einen immer wiederkehrenden natürlichen Vorgang, dem man auch positive Seiten abgewinnen könne (Stichwort: „Ergrünen der Erde“). Deshalb sei der Kampf gegen den Klimawandel ein Kampf gegen Windmühlen. Welchen Zweck verfolgt die AfD mit dieser These, mit der sie die „Große Transformation“, den „Great Reset“ ablehnt, wie er z.B. von den ‚aufgeklärten‘ Akteuren des Weltwirtschaftsforums vertreten wird?

1. Es ist bereits deutlich geworden, dass der AfD vor allem die deutsche Industrie und der technische Fortschritt am Herzen liegt. Sie plädiert auch in puncto Klimapolitik für einen Technikoptimismus und damit für eine „positive Zukunftserwartung“ (62). Denn: „Nicht Verzicht, Rückschritt und Sozialismus haben die Umweltbelastungen reduziert, sondern technischer Fortschritt und eine auf klaren Regeln basierende Marktwirtschaft.“ (62) Ein Argument, das insofern nicht stimmt, als unter dem Strich die Umweltbelastungen gestiegen sind – trotz oder gerade wegen des technischen Fortschritts.

2. Was aber die AfD besonders interessiert, ist nicht der technische Fortschritt als solcher, sondern sind die Kapitalfraktionen, die nach Meinung der AfD Träger des technischen Fortschritts sein sollten und die durchaus staatlicherseits unterstützt werden sollten. „Gesicherte und günstige Energieversorgung ist eine der Grundvoraussetzungen von Wohlstand, Sicherheit und Gesundheit. Diese sicherzustellen ist Kernaufgabe des Staates.“ (62) Sicherheit und Preiswertigkeit sind die beiden Kriterien, an denen sich staatliches Handeln, das die „Rahmenbedingungen“ dementsprechend gestalten soll, zu orientieren hat. Denn: „Teure Energie und knappe Energie lässt Industrie abwandern und schränkt den Lebensstandard breiter Teile der Bevölkerung, gerade auch der unteren Einkommensgruppen, drastisch ein.“ (62) Von dorther lehnt die AfD den „Green New Deal“ der EU ab, weil er ihrer Meinung das nicht gewährleistet und zudem auf „Planwirtschaft“ (= Sozialismus) setzt.

3. Der von der AfD vorgeschlagene „Energiemix“ geht auf Kosten „‘erneuerbarer‘ Energielieferanten“ (62). Die AfD wünscht sich neben Solar- und Windanlagen (deren Betrieb staatlicherseits restringiert werden soll)

eine Verlängerung der Laufzeiten für die verbliebenen, im Weltmaßstab angeblich sehr sicheren Kernkraftwerke und „die Neueinrichtung von sicheren Kernkraftwerken“ (63) plus begleitender Forschung in Kernforschungszentren („Brutreaktoren“, „Fusionsenergie“)

die „Verstromung von Braun- und Steinkohle als grundlast- und regelfähige Energiequelle“ (deutsche Kohlekraftwerke seien die „weltweit saubersten und effizientesten“)

Gaskraftwerke (Fertigstellung von Nord Stream 2, auch Flüssiggas ist genehm).

Neben der Förderung dieser ‚alten‘ Energien und der sie produzierenden Unternehmen spricht sich die AfD gegen die Wasserstoffwirtschaft und gegen Elektromobilität sowie die Nutzung von „Energiepflanzen“ aus.

Gefördert werden sollen angemessene Rahmenbedingungen für die „privatwirtschaftliche Luft- und Raumfahrt“ und die Schaffung einer „europäische[n] [!] Zuliefererindustrie“ mit dem Ziel der „weiteren Erschließung des Weltraumes für die Wissenschaft als Rohstoffquelle und [sic!] als möglicher neuer Lebensraum für den Menschen“ (63), auch auf der Basis „internationaler Raumfahrtprogramme“. Weiterhin sollen Gentechnik und Kunststofftechnik sowie „Abfallbeseitigungs- und Rohstoffrückgewinnungstechniken“ weiterentwickelt und genutzt werden. In der Entwicklungspolitik sieht man Spielraum für die Möglichkeit des Exports von „Wiederaufbereitungstechnologien“ in die Entwicklungsländer, denen man im Übrigen die „Verschmutzung der Meere“ zur Last legt.

4. Mit diesen Projekten im Energie- und High Tech-Bereich, die man dem „Blue Deal“- Projekt der AfD zuordnen kann, will die AfD erstens den von ihr befürchteten „Gesellschaftsumbau“ (62) durch den „Green New Deal“ entgegentreten und zweitens den Unternehmen, die in den von der AfD priorisierten Industriebereichen tätig sind, profitable Investitionsmöglichkeiten erschließen helfen – insgesamt wohl nach Meinung der AfD ein ‚liberaler Interventionismus‘ (im Gegensatz zu dem als „planwirtschaftlich“ denunzierten Interventionismus des Green New Deal). Dass ein solcher technikaffiner Interventionismus nicht zu einem „Gesellschaftsumbau“ führen würde (ebenso wie eine neoliberale Wirtschaftspolitik), bleibt das Geheimnis der AfD. Produktivkraftentwicklung unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen führt immer zu gesellschaftlichen Veränderungen, und zwar in hohem Maß unkontrolliert, je weniger sie durch politische Steuerung moderiert werden.

5. Im Gegensatz zu einer Auffassung, es ginge der AfD darum, so weiter zu machen wie bisher oder sich gar rückwärts zu orientieren, muss betont werden, dass sie sich eher an die alte Devise von Franz Josef Strauß hält, konservativ sei, an der Spitze des technischen Fortschritts zu marschieren. Sie schlägt allerdings einen anderen Entwicklungspfad vor als den, der mit dem „Great Reset“ geplant ist. Und auch der AfD geht es um den Profit, z.B. den der Autoindustrie. Betrachtet man das Ganze im Hinblick auf die Interessen kapitalistischer Unternehmen, so lautet das Kalkül der AfD: Ökologisches Wirtschaften (samt gesellschaftlicher Akzeptanz) mag gut sein, aber der Profit muss stimmen. Wenn nicht, werden Unternehmen nach Alternativen Ausschau halten, von denen die AfD glaubt, sie bieten zu können.

3. Steuerpolitik

Der neoliberale Grundton im Bundestagswahlprogramm, das sollte deutlich geworden sein, ist unübersehbar. Das zeigt sich auch in dem Kapitel, das sich mit den Steuern beschäftigt. Bekanntlich hatte die AfD in ihrem Grundsatzprogramm (GP 2016) neben der Schuldenbremse die Einführung einer Abgaben- und Steuerbremse gefordert, „um die maximale Summe der Belastung auf einen bestimmten Prozentsatz im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt festzuschreiben“ (GP 2016, 74). Der finanzielle Spielraum des Staates soll damit weiter eingeschränkt werden. Der Prozentsatz wird allerdings auch im Wahlprogramm nicht genauer bestimmt. Die AfD hält es offensichtlich nicht für nötig, die Finanzierung ihres Entwicklungsprojekts durchzurechnen, sondern begnügt sich damit, Änderungspläne bezüglich der Steuergesetzgebung in die Welt zu setzen.8

Die AfD schlägt vor, die Steuern auf die Mehrwertsteuer und die Einkommensteuer zu konzentrieren. Das bedeutet:

1. die Aufhebung der sog. Substanzsteuern: Das sind die Grundsteuer (auf Haus- und Grundbesitz), die Vermögenssteuer (ist zurzeit ausgesetzt) und die Erbschafts- und Schenkungssteuer;

2. die Aufhebung der Gewerbesteuer: das betrifft die Kommunen, als Ersatz bietet die AfD ein „kommunales Zuschlagsrecht auf die Ertragsteuern der Gemeindebürger und der ortsansässigen Unternehmen“, gemeint sind wohl ein höherer Anteil der Gemeinden an der Lohn- und Einkommensteuer und ein „Zuschlagsrecht“ auf die Körperschaftssteuer, die bislang nicht den Gemeinden zufließt;

3. Die Aufhebung der Grunderwerbssteuer (eine Verkehrssteuer);

4. die Aufhebung „kleinere[r]“ Verbrauchssteuern, wie der Energie-, Schaumwein-, Kaffee-, Biersteuer und solcher Kommunalsteuern wie Vergnügungs-, Schankerlaubnis-, Jagd- und Fischerei- sowie die Zweitwohnungssteuer;

5. die endgültige Aufhebung der Solidaritätssteuer.

Schaut man sich diese Forderungen unter dem Gesichtspunkt an, wer davon profitieren würde, so wird eine soziale Schieflage deutlich. Von der Aufhebung der Substanzsteuern und der Gewerbesteuern würden Unternehmen aller Art einen Vorteil haben, besonders aber, das betont die AfD am Beispiel der Erbschafts- und Schenkungssteuern, der gewerbliche Mittelstand. In zweiter Linie dann Haus- und Grundbesitzer aller Art sowie Immobilienbesitzer, die vermieten. Der Wegfall der Grunderwerbssteuer würde ‚Besserverdienenden‘ zugutekommen, die es sich leisten können, Wohnungseigentum zu erwerben. Nur von der Aufhebung der „kleineren Verbrauchssteuern“, sieht man mal z.B. von der Zweitwohnungssteuer ab, würden zum Teil die sogenannten „kleinen Leute“ profitieren. Da auch noch der Name Kirchhof fällt, kann man daraus schließen, dass die AfD mit einem Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer von 25 Prozent liebäugelt.9 Der Schwerpunkt der Steuereinnahmen läge also auf der Mehrwertsteuer, die bekanntlich das Portemonnaie der „kleinen Leute“ relativ am meisten belastet. Auffallend ist, dass mit der Aufhebung der Grund- und Gewerbesteuer vor allem die Kommunen betroffen sind.

Vor diesem Hintergrund wäre es interessant zu erfahren, wie sich die AfD die Verteilung der Staatsausgaben vorstellt. Sinkende Staatseinnahmen und damit der Zwang zu Einsparungen führen zu Konflikten zwischen den verschiedenen Ressorts. Natürlich soll der Staat effizienter und „schlanker“ werden, Bürokratie soll abgebaut werden. Das spart Geld (falls es gelänge), ebenso der Verzicht auf einen Green New Deal oder die geforderte Schließung des „Asylparadies Deutschland“ (34). Aber den Blue-Deal gäbe es sicherlich nicht zum Nulltarif, ebenso wenig die „Wiederherstellung der Wehrfähigkeit Deutschlands“ „durch umfangreiche strukturelle, personelle und materielle Aufbauprogramme“, die „Wiedereinsetzung der Wehrpflicht“ und die Einführung eines „allgemeinen Gemeinschaftsdienstjahres“ (25). Gleiches gilt für die Aufrüstung der Polizei im Bereich der inneren Sicherheit (28ff.) Wie aber steht es mit den Sozialausgaben? – Sozialpolitik ist in den Augen der AfD primär Bevölkerungs- und Familienpolitik und zielt auf die Schnittstelle, an der sich das Interesse an der ausreichenden Reproduktion des Arbeitskräftepotenzials und der Wunsch am Erhalt der Familie „als Sozialisationsraum und emotionale intergenerative Lebensgemeinschaft“, als „Keimzelle unserer Gesellschaft“ (39) trifft.

4. Familienpolitik

Wie bereits in den früheren Programmen konzentriert sich die AfD auf die „Notwendigkeit einer aktivierenden, also geburtenfördenden Familienpolitik“ mit dem Ziel, „die demografische Katastrophe, in die wir geraten sind, [nicht] weiter zu verschlimmern“ (39). Man wolle eine „positive, familienfreundliche Sozialpolitik“. Schließlich gehe es dabei um die „Bestandserhaltung“ des deutschen Volkes10 und den Erhalt der „sozialen Sicherungssysteme und letztlich unserer kulturellen Identität“ (39). Das Ideal ist die 3-Kind-Familie (41), die optimalerweise „von einem Gehalt leben kann“ (40).

Bemerkenswert ist, was die AfD zu den Ursachen der „demografischen Katastrophe“ schreibt. Während sie sich auf der einen Seite technikaffin und wettbewerbsfreundlich gibt, argumentiert sie in puncto Familie traditionalistisch, ganz im Sinne der eingangs angesprochenen „Vitalpolitik“. Der Geburtenrückgang wird kulturpessimistisch gedeutet, als Ausdruck eines Wertezerfalls und Einstellungswandels. Schuld daran sei ein Sozialstaat, der als „Helfer in allen Lebenslagen“ wahrgenommen werde, mit der Konsequenz, dass das Bild der Familie als „generationsübergreifende Wirtschafts- und Versorgungsgemeinschaft“ in den Hintergrund getreten sei. Stattdessen sei der „Hang zur vorrangigen ökonomischen Wohlstandsoptimierung während der Lebenserwerbsphase zum Leitbild einer materiellen Gesellschaft“ getreten. Was die AfD kritisiert, ist das Übergreifen von Wertorientierungen, die ihr im Bereich der Ökonomie durchaus angebracht erscheinen und die man zusammenfassend unter den Begriff des ‚Besitzindividualismus‘ subsumieren könnte, auf das System Familie. Die Orientierung auf „Selbstverwirklichung“ habe dazu geführt, dass der Kinderwunsch in der Lebensplanung „zugunsten von Einkommen und Karriere“ (39) verdrängt werde. Das Anliegen der AfD ist es also, gegensätzliche Wertorientierungen in Einklang zu bringen: in der Sphäre der Wirtschaft Leistungs-, in der Sphäre der Familie Gemeinschaftsorientierung. Welches Familienbild der AfD vorschwebt, soll im Folgenden gezeigt werden.

Neben einer ideologischen Offensive für das „in den Familien überlieferte Werte- und Bezugssystem“ sowie für eine Aufwertung der Familienarbeit und gegen die „ideologisch motivierte Desorientierung von links-grüner Seite“ („pseudofamiliäre Leitbilder“), empfiehlt die AfD eine Vielzahl von juristischen und finanziellen Maßnahmen, insbesondere mit Blick auf die „mittlere Einkommensschicht“ (40). Hier ein (unvollständiger) Überblick (40ff.):

1. Steuerliche Vergünstigungen: Darunter fallen Familiensplitting, „Anhebung des Kinderfreibetrags“, „vollständige steuerliche Absetzbarkeit von kinderbezogenen Ausgaben“, „Absenkung der Mehrwertsteuer für Artikel des Kinderbedarfs“;

2. Finanzielle Zuwendungen und Subventionen (auch an Dritte): Dreijähriges Kinderbetreuungsgeld für Eltern bzw. Großeltern, Ehe-Start-Kredit (gebunden an die deutsche Staatsbürgerschaft), Unterstützung von BAFÖG-
Empfängern mit Kindern, Förderung von Wohnungskauf (statt Förderung von Energieeffizienzhäusern), Anreize für Unternehmen, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erleichtern, „nach Kinderzahl gestaffelte Lohnsubventionen an Arbeitgeber“ beim beruflichen Wiedereinstieg der Eltern, „Schaffung günstiger Mietwohnungen“;

3. Rechtliche Veränderungen: „Verpflichtende Schwangerschaftskonfliktberatung“ zum „Schutz des Lebens“, Abtreibungen als Ausnahme (medizinische, kriminologische Indikation), Meldepflichtigkeit von Abtreibungen (Verstöße sind zu ahnden), Verbot der Leihmutterschaft, „kinderfreundliche Gesellschaft als Staatsziel“ (aber keine „Kinderrechte“ im GG), Änderungen im Scheidungsrecht (Berücksichtigung „schwerwiegende[n] Fehlverhalten[s] gegen die eheliche Solidarität bei den Scheidungsfolgen“), „Kinder in den Familien belassen, Kindesentzug nur in Ausnahmen“;

4. Sonstige Maßnahmen: Unterbindung von Missbrauchsmöglichkeiten beim Kindergeld (Vorwurf gegen Arbeitsmigranten!), Familienbeauftragte statt Gleichstellungsbeauftragte, ‚ideologiefreie‘ Kinderbetreuung in Kitas und Schulen (statt „Genderwahn“ und „Frühsexualisierung“).

Zusammenfassend kann man sagen, dass die AfD erstens nichts gegen Staatsinterventionismus hat, sofern es um eine bevölkerungspolitisch motivierte Familienpolitik und die rechtlich-ökonomische Rekonstruktion des traditionellen bürgerlich-patriarchalischen Familiensystems geht, wenn auch mit einigen Zugeständnissen an die moderne Arbeitswelt, die allerdings auf Kosten der Frauen gehen. Darüber, wie ‚familienfreundliche‘ Reallöhne für wohl vorwiegend männliche Alleinverdiener durchgesetzt werden können, gibt die AfD keine Auskunft, was auf einen zentralen Widerspruch verweist: Der Erhalt der (männlichen) Alleinverdiener-Familie setzt entsprechende Reallöhne voraus, die freilich mit der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft nur schwerlich vereinbar sind. Zweitens hält die AfD in diesem Fall, gewissermaßen kompensatorisch, staatliche Interventionen mit steuerlichen Vergünstigungen, höheren finanziellen Zuwendungen und Subventionen und einer Veränderung der rechtlichen Rahmenbedingungen für notwendig. Drittens spielt die AfD ihr Familienkonzept systematisch gegen andere Politikaufgaben aus. Unter dem Stichwort „kulturelle Identität“ (40) werden nicht-deutsche BürgerInnen benachteiligt; Gleichstellungspolitik dient selbstverständlich nicht der Erhaltung der „kulturellen Identität“ und Energiesparmaßnamen müssen weichen, wenn es um die Schaffung von Wohnraum geht.

Insgesamt zeigt sich, wie in den bisherigen Programmen, dass für die AfD Sozialpolitik im Wesentlichen pronatalistische Bevölkerungs- und Familienpolitik ist. Das gilt auch für die Rentenpolitik, in der die familiaristische und identitätspolitische Perspektive gleichfalls dominiert.11 Familienpolitik steht im Dienste der „Bestandserhaltung“ des deutschen Volkes – bezogen auf die Erfordernisse des Arbeitsmarkts und der sozialen Sicherungssysteme, bezogen auf die patriarchalische Kernfamílie als „kulturelle Identität“ verbürgende Instanz und bezogen auf die Familie als primäre Erziehungsinstanz und „emotionale intergenerative Lebensgemeinschaft“, die „Sicherheit, Obhut, Heimat, Liebe und Glück“ (39) gewährleistet.

5. Bildung, Wissenschaft und Forschung

Die AfD gibt die Devise aus: „Deutschland muss wieder ein Land der Spitzenforschung werden.“ (55) Zur Bildungs- und Forschungspolitik hieß es bereits (siehe oben Punkt 1), man müsse sie an den MINT-Fächern orientieren. Im Abschnitt „Bildung, Wissenschaft und Forschung“ des Programms ist davon allerdings keine Rede mehr, sieht man mal von der Ausweitung des Informatikunterrichts auf alle weiterführenden Schulen ab. Man argumentiert vergleichsweise konservativ. Selbstverständlich möchte die AfD keine „Gleichmacherei“, sondern ein „leistungsorientiertes, differenziertes Bildungswesen“ (53), in dem die „Leistungsunterschiede zwischen den Schülern innerhalb einer Schulform begrenzt bleiben“, und selbstverständlich beklagt man die „Absenkung des Niveaus“.12 Als Allheilmittel empfiehlt die AfD strukturelle Veränderungen: die Restauration des dreigliedrigen Schulsystems (verschämt spricht die AfD von einem „mehrgliedrige[n] Schulsystem“)13, die Stärkung des „berufliche[n] Bildungs- und Ausbildungssystem[s]“ – statt immer „höhere[r] Abiturientenquoten“ – sowie die rechtliche Ermöglichung von Aufnahmeprüfungen an den Hochschulen. Der Bologna-Prozess in der EU soll rückgängig gemacht, die Grundfinanzierung der Hochschulen erhöht und „politische Zielvorgaben zu Studentenzahlen, Studienerfolg und anderen Quoten“ (55) beendet werden.

Größere Aufmerksamkeit widmet das Programm wieder (wie im Falle der Familienpolitik) der identitätspolitischen Seite. Kern des Anliegens ist die Forderung nach der Vermittlung „deutsche[n] Kulturgut[s]“ (54). Hervorgehoben werden „Literatur, Musik, Geschichte“. Das dazu vermittelte Wissen sei „immanenter Bestandteil der deutschen Identität“ und müsse daher „ab der Grundschule“ verpflichtender Unterrichtsstoff sein. Nicht zum deutschen Kulturgut gehöre die „Gender-Ideologie“ (56), die den „Erkenntnissen der Biologie“ widerspreche. Gender Studies an den Hochschulen, gender-gerechte Sprache, Gleichstellungsbeauftragte und Gender-Quoten werden daher abgelehnt.

Unsere deutsche Kultur“ (55) ist des Weiteren Maßstab für den Umgang mit muslimischen Schüler_innen, denen Islamunterricht verwehrt und die Teilnahme „am Sport- und Schwimmunterricht sowie an Klassenfahrten“ zur Pflicht erklärt wird. Koranuntericht (in deutscher Sprache) dürfe zudem nicht in verfassungsfeindlichen Moscheen erteilt werden. Die so geforderte „Anpassung an unsere deutsche Kultur“ wird „weniger gebildeten“ Migrantenkindern aus „vornehmlich außereuropäischen Kulturkreisen“ (54) und „schulpflichtige[n] Asylbewerber[n]“ erst gar nicht zugetraut. Erstere entsprächen „vielfach“ nicht den „Anforderungen des deutschen Arbeitsmarkts“, belasteten den „Sozialstaat daher dauerhaft“;14 durch Letztere werde der „Lernfortschritt einheimischer Schüler […] beeinträchtigt“ (54). Der „Bildungsstand“ soll denn auch als „wesentliches Entscheidungskriterium“ in der Einwanderungspolitik berücksichtigt werden.

6. Kultur

Die Bewahrung der „deutsche Kultur“ – das sollte bereits deutlich geworden sein – gehört zu den ‚heiligen Kühen‘ der AfD. Der systematische Stellenwert dieses Abschnittes ergibt sich aus dem eingangs angesprochenen Spannungsverhältnis. Auf der einen Seite sorgt sich die AfD um den „Wirtschaftsstandort Deutschland“ (17) und dessen Basis, die „wettbewerbliche Wirtschaftsordnung“15 (16); anders ausgedrückt: Um nach außen in der Konkurrenz der Nationalstaaten unter den Bedingungen der Globalisierung16 bestehen zu können, bedarf es im Inneren einer effektiven Wettbewerbsordnung, d.h. möglichst freier Konkurrenzverhältnisse, die es freilich ohne Gewinner und Verlierer nicht gibt. Es stellt sich daher auf der anderen Seite die Frage nach dem „Zusammenhalt der Gesellschaft“ (57). Für gewöhnlich wird dieses Thema unter dem Stichwort „Sozialstaat“ verhandelt. Die AfD dagegen widmet sich dem Thema im Programmpunkt „Kultur“.

Worauf beruht nun der „Zusammenhalt der Gesellschaft“?

1. Die AfD (nicht nur sie) propagiert eine „deutsche Leitkultur“, die von einem „Wertekonsens“ getragen wird, „der für unser Volk identitätsbildend ist und uns von anderen unterscheidet“. Welche Werte dies sind, ist allerdings bereits vorgegeben. Vage beruft sich die AfD auf Christentum, Aufklärung und „unsere() künstlerischen und wissenschaftlichen Werken“ (57), ohne zu explizieren, welche Werte sie mit Christentum, Aufklärung etc. verbindet, zumal z.B. der fundamentale Wert der christlichen Nächstenliebe oder der Rationalismus der Aufklärung keineswegs unterscheidende Merkmale „unser[es] Volk[es]“ sind. Die so genannte „deutsche Leitkultur“ ist folglich eine Leerformel. Gleichwohl wird ihr eine „gemeinschaftsstiftende Wirkung“ zugeschrieben, die sich z.B. im Grundgesetz manifestiere. Die polemische Abgrenzung gegen „Kulturrelativismus und Multikulturalismus“, vor allem mit Blick auf den Islam, ist die Kehrseite solch inhaltsleerer Setzungen.

2. Ein besonderes Augenmerk richtet die AfD auf die „Nationalsprache“ als dem „Herz einer Kulturnation“. Die deutsche Sprache sei daher auch „zentrales Element deutscher Identität“ und müsse als „Staatssprache“ in das Grundgesetz aufgenommen werden, um ihrer Zurückdrängung „durch andere Sprachen“ (gemeint ist wohl das Englische) entgegenzuwirken. Anknüpfend an ihren Standortnationalismus fordert die AfD den Erhalt des Deutschen als „Lehr- und Wissenschaftssprache“ und als Kommunikationssprache in den Unternehmen. Eine verpflichtende Einführung der „‘gendergerechten Sprache‘“ wird abgelehnt.

3. Als weiteren Kitt der Gesellschaft betrachtet die AfD das „Heimatgefühl“ (58) (Brauchtum, Mundartpflege, lokale Kulturvereine, „heimische Architektur“) und das „Nationalbewusstsein“, ohne das „ein Volk […] auf die Dauer nicht bestehen“ (58) könne. Wichtigstes Element ist diesbezüglich ein Verständnis der deutschen Geschichte, das sich „nicht nur auf die Tiefpunkte“ konzentriert, sondern „auch die Höhepunkte“ einbezieht (vgl. Gaulands „Vogelschiss“-Rede), so als ob sich erstere durch die Erinnerung an letztere relativieren ließe. Eine Erinnerungskultur, die u.a. die „Schleifung von Denkmälern und Umbenennung von Straßen“ praktiziert, wird als „ideologisch geprägte(), moralisierende() Umdeutung der Geschichte“ gerügt. Vornehmlich die „‘Dekolonisierung‘ unserer Kultur“ wird als „Demontage unserer historisch-kulturellen Identität“ gebrandmarkt.

Als konstitutiv für den Zusammenhalt einer Gesellschaft, die auf einer privatwirtschaftlich betriebenen Wettbewerbsordnung beruht, unterstellt die AfD – zusammenfassend – identitätsstiftende und gemeinschaftsbildende Elemente (Leitkultur, Nationalsprache, Nationalbewusstsein), deren zentraler Bezugspunkt ein spezifischer Volksbegriff ist.

Idealtypisch kann man drei Hauptvarianten des Volksbegriffs identifizieren17: Erstens das Volk als plebs, womit „die Angehörigen der ‚unteren Schichten’, das – in der Monarchie im Gegensatz zu den Herrschenden stehende – ‚einfache Volk’“ gemeint sind; zweitens Volk als demos, worunter „die Vorstellung einer ‚Gemeinschaft’ aller Bewohner des Staates, basierend auf gleichen politischen und rechtlichen Teilhabemöglichkeiten subsumiert“ wird; und drittens Volk als ethnos, womit „das Konzept einer auf gemeinsamen Merkmalen wie gleiche Abstammung, Sprache und Kultur beruhenden ‚Gemeinschaft’ bezeichnet“ wird. Dieser ethnische Volksbegriff liegt dem völkischen Nationalismus der AfD zugrunde. Es verwundert daher nicht, dass auch das Merkmal „Abstammung“ im Programm angesprochen wird, typischerweise nicht im Abschnitt „Kultur“, sondern im Zusammenhang mit der Behandlung des Themas „Migration“ (siehe Punkt 7), das dem Aufbau eines „Schutzsystem[s] des 21. Jahrhunderts“ für Deutschland gewidmet ist. Der Eckpfeiler dieses Schutzsystems ist die von der AfD geforderte Revision des Staatsbürgerrechts: „Das Geburtsortprinzip (Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Geburt in Deutschland, auch wenn keine Elternteil Deutscher ist) wollen wir wieder aus dem Gesetz streichen und zum Abstammungsprinzip zurückkehren, wie es bis zum Jahre 2000 galt.“ (38) Dieses Abstammungsprinzip (ius sanguinis), im Deutschen Reich 1913 als Bestimmungsmerkmal der Staatsbürgerschaft rechtlich verankert, gehörte zu den völkischen Relikten im Grundgesetz und soll nun wieder restitutiert werden.

Die auf „Abstammung, Sprache und Kultur“ beruhende Volksgemeinschaft – Kern des völkischen Nationalismus – gilt der AfD als Garantie für den „Zusammenhalt der Gesellschaft“, und zwar in doppelter Hinsicht: zum einen, wie eingangs bereits angesprochen, als ‚Gegenhalt‘ zur kapitalistischen Wettbewerbsökonomie, zum anderen als Voraussetzung dafür, dass überhaupt ein deutscher nationaler Wettbewerbsstaat weiter existieren kann. Insofern erklärt die AfD das „Volk“ im ethnischen Sinne zum Subjekt kapitalistischer Ökonomie, jenseits der Klassengegensätze, die diese Ökonomie durchziehen. In diesem Sinne kann von einem – eingangs angesprochenen – völkischen Neoliberalismus gesprochen werden.

7. Migration, Asyl und Integration

Wie sieht nun das „Schutzsystem des 21. Jahrhunderts“ für Deutschland aus? – Der „Leitantrag“ der Bundesprogrammkommission will sich am „australischen Modell“ (33) der Zuwanderung orientieren:

Unser Modell für das 21. Jahrhundert hat neben der Ablösung der überholten internationalen Regelwerke, wie der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951, folgende Kernpunkte:

Fokus auf humanitäre Hilfe in Krisenregionen selbst (intrakontinentale Fluchtalternativen)

Zurückweisung von Asylsuchenden bei Einreise an der Grenze gemäß Art. 16a Abs. 2 S. 1GG

Ausschließlich qualifizierte Einwanderung nach australischem Vorbild

Humanitäre Aufnahme nur für vom Bundestag ausgewählte, besonders schutzbedürftige Personen

Solange ein dauerhafter und wirksamer Schutz der EU-Außengrenzen fehlt und die untaugliche überstaatliche Rechtslage fortbesteht, muss Deutschland die Kontrolle der Grenzen und die Unterbindung illegaler Grenzüberschreitungen selbst in die Hand nehmen.“ (33f.)

Auf dem Bundesparteitag in Dresden wurde dieses Modell18 verschärft. Im Antrag von Andreas Lichert, AfD-Landtagsabgeordneter aus dem Umfeld des Instituts für Staatspolitik, wurde das japanische Modell der Zuwanderung, unterstützt von Björn Höcke, zur Abstimmung gestellt und angenommen, dann aber nachträglich durch einen Kompromissantrag modifiziert und erneut angenommen.19 Als „Wegbereiter“ (pi-news) des Antrags gilt Jan Moldenhauer,20 der 2018 in der Wissenschaftlichen Reihe des Instituts für Staatspolitik die Studie „Japans Politik der Null-Zuwanderung – Vorbild für Deutschland“ veröffentlichte. Björn Höcke übernahm 2019 in seiner Rede auf dem Kyffhäusertreffen das Anliegen der Studie: „Wir müssen den japanischen Weg gehen. […] Es ist die 180 Grad-Wende in der deutschen, in der europäischen Einwanderungspolitik.“

Im Interview mit pi-news (vgl. Fn. 1) erläutert Moldenhauer diesen „japanischen Weg“, von dem er behauptet, dass er auf der Kompatibilität von ökonomischen Erfordernissen und prioritär gesetzten identitätspolitischen, völkischen Belangen beruht: „Die Zuwanderungspolitik der demokratischen und erfolgreichen Industrie- und Exportnation Japan fußt nicht auf einem Ökonomie-, sondern auf einem Identitätsprimat. Diese politische Schwerpunktsetzung führt dazu, dass dem Erhalt der Identität des japanischen Volkes Vorrang vor ökonomischen Fragen eingeräumt wird. Gleichzeitig werden ökonomische Belange insofern berücksichtigt, dass Japan sich als eine der erfolgreichsten Wirtschaftsnationen behaupten kann.“

Moldenhauer spricht von einem „Spagat“, der auf einem „Bündel aufeinander abgestimmter Elemente bzw. Maßnahmen“ beruhe. Darunter versteht er „erstens eine restriktive und damit inländerfreundliche Asyl- und Flüchtlingspolitik, zweitens eine großzügige Entwicklungs- und Flüchtlingshilfepolitik in betroffenen Regionen, also vor Ort, drittens eine Zuwanderungspolitik, die auf der Re-Migration ausgewanderter ethnischer Japaner und deren Nachkommen, einem Gastarbeiterprogramm mit konsequent durchgesetzter Rückkehrpflicht und einer Spitzenkräfteanwerbungspolitik basiert, viertens eine Familienpolitik, die auf Fertilitätsanreize zur Anhebung der japanischen Geburtenrate setzt, fünftens eine Technisierungsstrategie als Zuwanderungsvermeidungsstrategie und sechsten ein Wirtschaftsmodell, das mit dem japanischen Volkscharakter kompatibel ist und durch ein knappgehaltenes Arbeitskräfteangebot Produktivitäts-, Qualitäts- und Innovationsanreize generiert.“

Moldenhauer ist überzeugt, dass das beschlossene AfD-Wahlprogramm „den Geist“ des japanischen Weges „atme[n]“ würde. Inwieweit das zutrifft und inwieweit speziell eine gegen Null tendierende „Zuwanderungsvermeidungsstrategie“ im Programm zum Tragen kommt, muss anhand der Überprüfung des endgültigen Programmtextes geklärt werden. Unabhängig davon muss betont werden, dass das Programm des Leitantrags schon jetzt, wie oben gezeigt (s. Punkt 6), identitätspolitische und ökonomische Ziele zu verbinden sucht.

8. Demokratie und Rechtstaat

Um ihre Ziele durchzusetzen, strebt die AfD einen Umbau des Staates bzw. Verfassungsänderungen an. Sie kritisiert die real existierende Demokratie vor allem mit Blick auf die Rolle der Parteien und des Parlaments. Ganz im Stile Robert Michels‘ bemängelt sie Oligarchisierungstendenzen in den „etablierten Parteien“. Diese eigennützig handelnde Oligarchie habe die „Schalthebel der staatlichen Macht, der politischen Bildung und des informationellen und medialen Einflusses auf die Bevölkerung in Händen“ (7). Ihr „totalitäres Gehabe“ präge das Regierungshandeln. Die AfD greift hier auf einen Typ neoliberaler Argumentation zurück, die sich Thomas Biebricher zufolge auf die „vermeintlich übermäßige Machtfülle der Demokratie in ihrer zeitgenössischen Form“ (Biebricher 2021, 119; vgl. Fn. 1) bezieht und vor allem von Friedrich August v. Hayek in Sorge um das effektive Funktionieren von Märkten entfaltet wird. Welche Gegenmittel schlägt die AfD vor?

1. Die AfD empfiehlt den Einbau von Elementen der „unmittelbaren Demokratie“ in die Verfassungsordnung nach dem Vorbild der Schweiz. Die dortigen Volksabstimmungen seien Ausdruck „uneingeschränkter Volkssouveränität“ und würden „die Flut der oftmals unsinnigen Gesetzesvorlagen eindämmen und die Parlamente zu sorgfältiger Arbeit zwingen“,21 statt dass z.B. die Abgeordneten „in eigener Sache – etwa Diäten-, Fraktions- und Parteienfinanzierung und die Finanzierung von ‚parteinahen‘ Stiftungen“ entschieden. Auch die Wortbrüchigkeit „der etablierten Parteien bezüglich der EU mit den existenzbedrohenden Wirkungen [für die] nachfolgenden Generationen“ könne auf diesem Wege beendet werden.

Als weitere Verfassungsänderungen schlägt die AfD vor: „Ohne Zustimmung des Volkes darf das Grundgesetz nicht geändert und kein bedeutsamer völkerrechtlicher Vertrag geschlossen werden. Wir wollen dem Volk das Recht geben, den Abgeordneten auf die Finger zu schauen und vom Parlament beschlossene Gesetze zu ändern oder abzulehnen. Das Volk soll die Möglichkeit erhalten, Gesetzesinitiativen einzubringen und per Volksabstimmung zu beschließen.“ (7)22

Was erhofft sich die AfD von einem derartigen Einbau direktdemokratischer Elemente in die Verfassung? – Vieles spricht dafür, dass sich die AfD hier der populistischen Propaganda mit ihrer Entgegensetzung von Volk (verstanden als Ethnos und Demos) und „politische[r] Klasse“ (7) bedient. Sie suggeriert die Einheitlichkeit des Volkswillens, dessen inhaltliche Ausformung genau den Zielen entspräche, die die AfD als erwünscht definiert und die sie gegen die „politische Oligarchie“ (7) durchgesetzt wissen möchte. In diesem Sinne heißt es: „Nach unserer Überzeugung können die fundamentalen Krisen von Währung, Migration, Islam und Energie nicht von der Regierung und vom Parlament alleine tragfähig bewältigt werden. Das Volk als Souverän muss in direkter Mitbestimmung Träger solcher schicksalhaften Entscheidungen sein.“ (8) Die populistische Propaganda und der Appell an die Volkssouveränität beruhen auf der Fiktion, dass, wäre das Volk nur direkt an den politischen Entscheidungen beteiligt (statt vermittelt über die Parteien), das Ergebnis im Sinne der Populisten ausfallen würde. Ohne diese Vereinnahmung des Volkswillens wäre der populistische Gegensatz Volk – Elite hinfällig.

Anzumerken bleibt noch, dass sich die AfD in ihrem Grundsatzprogramm zwar auch auf das Schweizer Modell der Volksabstimmungen beruft, tatsächlich aber in eine andere Richtung argumentiert, die eher an die Weimarer Verfassung erinnert. Dort plädiert sie für eine Stärkung der Rolle des Bundespräsidenten23 durch dessen Direktwahl (Grundsatzprogramm 2016, 13), so dass eher davon auszugehen ist, dass sie sich am Modell eines plebiszitären Präsidialsystems orientiert. Die repräsentative Demokratie würde also von zwei Seiten in die Zange genommen bzw. überspielt werden, nämlich zum einen von unten durch Volksabstimmungen, zum anderen von oben durch die Autorität des Bundespräsidenten.

2. Als weiteres Mittel, um der „überbordenden Staatsgewalt“ – verursacht durch „zahlreiche Gesetze und die politische Praxis“ (8) – Einhalt zu gebieten, fordert die AfD eine strikte Gewaltenteilung, auch dies ein Anliegen führender neoliberaler Theoretiker, wie Thomas Biebricher gezeigt hat (Biebricher 2021, 87ff.; vgl. Fn. 1). Im Grundsatzprogramm heißt es: „Es geht dabei im Kern um die wechselseitige Kontrolle der legislativen, exekutiven und judikativen Funktionen eines Staates.“ Diese Kontrolle sieht die AfD gefährdet: „Ehemalige Politiker auf Richterstühlen, Abgeordnete die zugleich Kanzler, Ministerpräsident oder Minister sind und sich insoweit selbst kontrollieren, sowie parteipolitische Netzwerke, die durch verbotene, verfassungswidrige Ämterpatronage entstehen, können nicht länger toleriert werden.“ (8)

Die AfD fordert daher, um mit dem ersten Punkt („ehemalige Politiker auf Richterstühlen“) zu beginnen, eine „Entpolitisierung der Justiz“, um die „Unabhängigkeit der dritten Gewalt“ zu gewährleisten. Sie will u.a.

eine „Karenzzeit für Richter“ in der „Verfassungs-, der Verwaltungs- und der Finanzgerichtsbarkeit“, d.h. sie dürfen vor ihrer Tätigkeit zehn Jahre lang „keiner Partei oder politischen Organisation angehört haben“ (8)

den Ausbau der „Selbstverwaltung der Justiz“ und beruft sich auf einen „Modellvorschlag des Deutschen Richterbundes, einen Justizwahlausschuss und einen Justizverwaltungsrat einzurichten“ (8), um vor allem die „Verfassungsgerichte und Rechnungshöfe […] vor parteipolitischer Einwirkung zu schützen“.

Bezogen auf den zweiten Punkt verlangt die AfD

die „Trennung von Amt und Mandat“

die Abschaffung der parlamentarischen Staatssekretäre und der politischen Beamten

und die Besetzung der Beamten- und Richterstellen „ausschließlich nach Qualifikation“ (gegen die sog. Ämterpatronage), was im Übrigen auch für Minister gelten soll, unabhängig von ihrer parteipolitischen Karriere.

3. Sowohl die von der AfD vorgeschlagenen direktdemokratischen Elemente als auch die Forderung nach einer strikten Gewaltenteilung richten sich gegen die Parteien, zu denen sich die AfD offensichtlich nicht rechnet. „Die Allmacht der Parteien und deren Inanspruchnahme des Staates gefährden unsere Demokratie.“ (9) Dem möchte die AfD entgegenwirken, indem sie erstens die bisherige Parteienfinanzierung (bzgl. Stiftungsfinanzierung, Spendenregelungen24) infrage stellen will25 und zweitens den Einfluss der Wähler auf die „personelle Zusammensetzung der Parlamente“ durch die „freie Listenwahl“ – „mit der Möglichkeit des Kumulierens, Panaschierens und Streichens von Kandidaten“ – stärken möchte. Weitere Forderungen wenden sich gegen das „Berufspolitikertum“, das zur „Monopolisierung der Macht“ (9) beitrage. Die AfD fühlt sich dem „Ideal des Bürgerabgeordneten“ (9) verpflichtet, Mandats- und Amtszeiten sollten begrenzt und die Regeln für Nebentätigkeiten verschärft werden.26 Quotenregelungen lehnt die AfD selbstverständlich ab.

Fazit

Die Kritik der AfD an der repräsentativen Demokratie, die unter der Knute der Parteien stünde, unterliegt einer Prämisse, die im Programm in einer Nebenbemerkung eingeflochten wird: „Im Zentrum unseres Menschenbildes stehen Freiheit und Verantwortung. Wir gehen von der Befähigung und Bereitschaft jedes Einzelnen aus, in Freiheit und Verantwortung sein Leben zu gestalten und seine Angelegenheiten und die seiner Familie zu besorgen. Gängelung und Indoktrination durch Staat oder gesellschaftliche Gruppen lehnen wir ab.“ (10) Das klingt zunächst sympathisch, erweist sich aber mit Blick auf die innere Systematik des Programms als zutiefst ideologisch.

 

1 Im Folgenden beziehe ich mich auf den Leitantrag der Bundesprogrammkommission (https://cdn.afd.tools/wp-content/uploads/sites/111/2021/02/Leitantrag-Bundestagswahlprogramm-2021-Dresden.pdf). Pi-news schreibt dazu: „Auf dem Bundesparteitag kam es zu einigen erstaunlichen Korrekturen im AfD-Wahlprogramm, wozu neben der Forderung nach einem ‚Dexit‘ und einer klaren Anti-Corona-Maßnahmepolitik vor allem die Formulierung einer Alternative zur gegenwärtigen Einwanderungspraxis gehört.“ (http://www.pi-news.net/2021/04/japan-als-migrationspolitisches-vorbild-ist-ein-paradigmenwechsel-der-afd/) Auf die letzte Korrektur gehe ich unter Punkt 7 ein.

2 Die Forderung nach einem ‚Dexit‘ auf dem Bundesparteitag, die im Leitantrag wie im Europawahlprogramm nur als ultima ratio enthalten war, wird in der Jungen Freiheit vom ‚Abendländler‘ David Engels heftig als unklug und – vom Standpunkt einer „Großraumwirtschaft“ – als antiquiert kritisiert (vgl. JF17/21, 18).

3 Langfristig hält die AfD „eine grundsätzliche Reform des Geldsystems für notwendig, hin zu einem freien Währungswettbewerb oder einem goldgedeckten Währungssystem.“ (22)

4 Hier zitiert nach Thomas Biebricher: Die politische Theorie des Neoliberalismus, Berlin 2021, 60.

5 Vgl. z.B. Christoph Butterwegge: Modernisierter Rechtsextremismus in Europa. Zusammenhänge von Neoliberalismus und Rechtsextremismus, in: Peter Bathke/Susanne Spindler (Hg.): Neoliberalismus und Rechtsextremismus in Europa. Zusammenhänge – Widersprüche – Gegenstrategien, Berlin 2006, 15-33.

6 Dieser Begriff geht zurück auf Gerd Wiegel: Völkischer Neoliberalismus. Vom populistischen Spagat einer modernisierten Rechten, in: Dietrich Heither/Gerd Wiegel (Hg.): Die Stolzdeutschen. Von Mordspatrioten, Herrenreitern und ihrer Leitkultur, Köln 2001, 143-171.

7 „Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation (engl. World in Transition – A Social Contract for Sustainability) ist der Titel des Hauptgutachtens des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) aus dem Jahr 2011. Es wurde im Vorfeld der Konferenz der Vereinten Nationen über nachhaltige Entwicklung 2012 (Rio+20) erstellt. Hauptanliegen der Autoren ist es, eine weltweite Transformation zu einer klimaverträglichen Gesellschaft ohne Nutzung fossiler Brennstoffe in Gang zu setzen bzw. zu beschleunigen. Der WBGU spricht sich [auch] gegen die Nutzung der Kernenergie aus.“

(https://de.wikipedia.org/wiki/Welt_im_Wandel_%E2%80%93_Gesellschaftsvertrag_f%C3%BCr_eine_Gro%C3%9Fe_Transformation)

8 Der rechtslibertäre Vordenker Markus Krall will die Höhe der Gesamtsteuern auf „maximal 15 Prozent des Bruttosozialprodukts“ (JF-Magazin Finanzen) festgesetzt wissen. Gesetzt den Fall, dieser Prozentsatz wäre auch Maßstab für die Höhe der Staatsausgaben, wäre man ungefähr auf dem Niveau des Kaiserreiches.

9 Krall will überhaupt die Einkommenssteuer abschaffen!

10 „Bei einer Geburtenrate von 1,5 Kindern schrumpft ein Volk um ca. 30% pro Generation.“ (39)

11 Was die Rentenfrage anbetrifft, arbeitet die AfD die Beschlusslage vom Kalkarer Sozialparteitag in ihr Wahlprogramm ein, jedoch mit zwei Ausnahmen: 1. Selbstständige (mit deren unterschiedlichen Einkunftsarten) zahlen nicht in die GRV ein; 2. die staatliche Anlage von Spardepots pro Kind mit deutscher Staatsangehörigkeit in Höhe von 100 Euro pro Monat entfällt. Neu dagegen sind Ausgleichszahlungen („pauschalierte Einmalzahlungen“) für besonders benachteiligte Ostrentner und die Anhebung des Steuerfreibetrags bei der Rentenbesteuerung.

12 Als Grund für den Niveauverlust wird (neben der üblichen Kritik an „Gleichmacherei“) die Kompetenzorientierung angegeben, die „Bildung und das Streben nach Erkenntnis“ (54) in den Hintergrund dränge. In diesem Zusammenhang wird das Wirken von Lobbygruppen moniert.

13 Die Inklusion wird abgelehnt („ideologisch motiviert“) und auf die ‚segensreiche‘ Arbeit der Förder- und Sonderschulen verwiesen. Der „Forderung der Vereinten Nationen“ (54) nach Teilhabe behinderter Schüler_innen am Billdungsystem sei damit Genüge geleistet.

14 Der Begriff „Sozialstaat“ taucht nur an dieser Stelle des Programms auf!

15 Ein euphemistischer Begriff für „Kapitalismus“.

16 Interessanterweise wird die Globalisierung im gesamten Programm nicht erwähnt.

17 Vgl. Jörn Retterath: Der Volksbegriff in der Zäsur des Jahres 1918/19. Pluralistisches und holistisches Denken im katholischen, liberalen und sozialdemokratischen Milieu, in: Heidrun Kämper/Peter Haslinger/Thomas Raithel (Hg.): Demokratiegeschichte als Zäsurgeschichte. Diskurse der frühen Weimarer Republik, Berlin 2014, 97-122, hier S. 98.

18 Erwähnenswert ist noch die Forderung nach einer „‘Remigrationsagenda‘“ für „abgelehnte() und ausreisepflichtige() Asylbewerber“ (35). Der Kampfbegriff „Remigration“ wurde von der Identitären Bewegung geprägt und bereits im Europawahlprogramm von der AfD übernommen.

19 Der Kompromisstext stammte von Alexander Gauland, Björn Höcke, Christoph Berndt, Roman Reusch und Andreas Lichert. Moldenhauer betont (s. Fn. 1), dass lediglich „einige Reizbegriffe und -sätze“ herausgenommen worden seien.

20 Moldenhauer ist Mitglied des AfD-Landesvorstands in Sachsen-Anhalt und Kreisvorsitzender der AfD-Magdeburg.

21 Vorbild für diese Argumentation ist James Buchanan: „Direkte Demokratie führt zu einer Reduzierung der Gesetzgebung zugunsten von Sonderinteressen, die zunehmend zum Kennzeichen moderner indirekter Demokratie wird.“ (Zit. nach Biebricher 2021, 158; vgl. Fn. 1))

22 Ausgenommen von solchen Gesetzesinitiativen sollen die Materien sein, die in Art. 79 Abs. 3GG angesprochen werden.

23 Die Schweiz kennt weder ein Staatsoberhaupt noch einen Regierungschef.

24 In diesem Punkt (Spenden) ist die AfD bekanntlich ja besonders ‚vorbildlich‘ (s. die Skandale um Meuthen, Weidel, Reil).

25 Das Verbot von Unternehmensbeteiligungen, vor allem an Medienunternehmen, richtet sich speziell gegen die SPD.

26 Die Formulierung, das Mandat dürfe „nicht unter bezahlten Nebentätigkeiten leiden“, ist allerdings ‚windelweich‘ und dürfte auch AfD-Abgeordneten gefallen.

 

Dieser Artikel entstand im Rahmen eines vom Ministerium für Kultur & Wissenschaft NRW geförderten und in das Netzwerk CoRE-NRW eingebundenen Projekts zur Neuen Rechten.

 

Dieser Artikel stammt aus dem DISS-Journal 41 vom Juni 2021. Die vollständige Ausgabe als PDF finden Sie hier.