Der Richtungsstreit innerhalb der AfD

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Am Beispiel der Bundestagsdebatte um befristete Beschäftigung
Von Eddy Scholz, erschienen in DISS-Journal 35 (2018)

Der innerparteiliche Richtungsstreit über die wirtschafts- und sozialpolitische Ausrichtung der AfD-Fraktion spiegelt sich in tagesaktuellen Debatten des Bundestages wieder. Am Beispiel verschiedener Beiträge der AfD-Fraktion zu befristeten Beschäftigungsverhältnissen lassen sich die Konfliktlinien zwischen wirtschaftsliberalen und sozialchauvinistischen Gruppen und Vertretern der Partei aufzeigen.

Die Debatte um befristete Beschäftigungsverhältnisse wurde ursprünglich von der Partei „Die Linke“ mit einem Antrag zum Verbot der sachgrundlosen Befristung am 21.02.2018 angestoßen. In ihrem Antrag forderte sie hauptsächlich die Abschaffung der Befristungsmöglichkeit von Arbeitsverträgen ohne Angabe von Sachgründen (vgl. Fraktion Die Linke 2018). Sebastian Münzenmaier von der AfD Fraktion lehnte in der anschließenden Bundestagsdebatte den Antrag aus verschiedenen Gründen ab. Allgemein sieht jedoch auch die AfD befristete Arbeitsverhältnisse kritisch und nur unter bestimmten Umständen vertretbar. Begründet wird dies vor allem mit pronatalistischen Argumenten: So würden befristete Arbeitsverhältnisse eine unsichere Familienplanung bedeuten und zu mehr Schwangerschaftsabbrüchen
führen. Wie alle anderen Parteien im Bundestag befürwortet sie ausdrücklich die Abschaffung von
sogenannten Kettenbefristungen (dauerhafte, wiederkehrende befristete Beschäftigungen) und die allgemeine Reduktion von atypischen Arbeitsverhältnissen. Am Ende seiner Rede stellt Münzenmaier
einen eigenen Gesetzesentwurf zur Änderung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes in Aussicht. Er erwähnt drei Vorschläge zur Verringerung dieser Beschäftigungsverhältnisse, die offensichtlich zu diesem Zeitpunkt in der AfD diskutiert wurden:

Erstens sollen alle Befristungen wie die sachgrundlose Befristung behandelt, d.h. auf eine bestimmte Maximaldauer begrenzt und somit Kettenbefristungen verhindert werden, die vor allem bei Befristungen mit Sachgrund auftreten. Der zweite Ansatz sieht höhere Sozialabgaben für die befristete Beschäftigung von Angestellten vor, um die Attraktivität dieses Arbeitsverhältnisses für Arbeitgeber zu verringern. Drittens wird die Möglichkeit zur Diskussion gestellt, dass (nach französischem Vorbild) Arbeitgeber zu Abfindungszahlungen an Arbeitnehmer bei Auslauf des befristeten Vertrages und keiner weiteren Anstellung verpflichtet werden. (Vgl. Deutscher Bundestag 2018a, 1147–1149)

Im dann vorgelegten Gesetzesentwurf vom 24.04.2018 wird deutlich, dass nur einer der drei Vorschläge die innerparteiliche Diskussion überstanden hat. Die Unterscheidung zwischen Befristung mit und ohne Sachgrund soll aufgelöst werden. Der Arbeitgeber muss nun keinen Befristungsgrund mehr angeben, befristete Anstellungen dürfen im gleichen Unternehmen nicht 24 Monate überschreiten und innerhalb dieses Zeitraums nicht mehr als dreimal verlängert werden. (Vgl. AfD-Fraktion 2018)

Die Differenz zwischen dem Redebeitrag von Münzenmaier am 22.02.2018 und dem Gesetzesentwurf vom 24.04.2018 ist ein deutliches Beispiel für die Konflikte zwischen dem sozialchauvinistischen Flügel und den wirtschaftsliberalen Vertretern innerhalb der AfD. In der innerparteilichen Diskussion geht es im Kern um die Frage, in welchem Ausmaß der Staat regulierend in die Wirtschafts- und Sozialpolitik eingreifen soll. Dies zeigt sich anhand der nicht berücksichtigten Vorschläge von Münzenmaier, die stärker staatsinterventionistische Ansätze erkennen ließen. Im Fall der befristeten Beschäftigungen sollte durch die Erhöhung der Kosten für Unternehmen mithilfe von Sozialabgaben und Abfindungen die Attraktivität dieses Arbeitsverhältnisses für die Unternehmen verringert werden. Diese Vorschläge standen gegen eine neo- oder ordoliberale Ausrichtung der Wirtschaftspolitik, da sie dem Staat mehr als nur eine reine Ordnungsfunktion zusprechen und direkt den Marktpreis für Arbeitskräfte beeinflussen würden. Diese Eingriffe hätten die Produktionskosten jener Unternehmen erhöht, die Arbeitskräfte befristet einstellen, was auch die von den Wirtschaftsliberalen immer wieder geforderte internationale ‚Wettbewerbsfähigkeit‘ schwächen würde.

Letztendlich wurden die Vorschläge von Münzenmaier jedoch in der innerparteilichen Diskussion verworfen und der weniger interventionistische Ansatz als Parteiposition festgelegt. Die Abschaffung der Sachgrundprüfung und die Begrenzung der Dauer von befristeten Arbeitsverhältnissen auf 24 Monate zielen vor allem auf die Vermeidung von Kettenbefristungen, weniger auf die allgemeine Reduzierung von befristeten Arbeitsverhältnissen. Dieser Vorschlag erfüllt eher eine Ordnungsfunktion, indem er allein ‚extreme‘ Verwerfungen des Arbeitsmarktes (Kettenbefristungen) zu korrigieren versucht. Direkte staatliche Eingriffe in Arbeitsangebot und Nachfrage finden geringfügiger statt, und es sollen nur jene Unternehmen am Markt eingeschränkt werden, die auch für die Kettenbefristungen verantwortlich sind. Dies wird deutlich, wenn Norbert Kleinwächter, ein Hauptautor des Gesetzesentwurfs, zwischen ‚guten‘ und ‚schlechten‘ Arbeitgebern in Bezug auf die Behandlung von Arbeitnehmern unterscheidet, wobei die ‚Schlechten‘ das Ziel der staatlichen Intervention sein sollen. (Vgl. Kleinwächter 2018)

Die Konfliktlinie

An den unterschiedlichen Auffassungen zur Rolle des Staates zeigt sich demnach die Konfliktlinie innerhalb der AfD um ihre Ausrichtung in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Die sozialchauvinistischen Kräfte versuchen durch einen Ausbau der Interventionsmöglichkeiten des Staates die Befristung von Arbeitsverhältnissen einzudämmen, wie die Vorschläge aus der Rede von Münzenmaier gezeigt haben. Sie wollen den Staat ‚stärken‘ und seine Kompetenzen im Bereich der Arbeitnehmerrechte erweitern. Jedoch hat die Ausweitung des Kompetenzbereichs des Staates – das ist ein zentraler Punkt – gleichzeitig die Funktion, den Zugang zu sozialen Rechten und Leistungen für Migranten und vor allem Geflüchtete stärker zu begrenzen. Immer wieder wird bei den Vertretern dieses Flügels betont, dass der Sozialstaat mithilfe eines interventionistischen Staates gegen die angeblich zerstörerische Zuwanderung verteidigt werden müsse. Diese Verknüpfung lässt sich bei wichtigen Vertretern dieses Flügels beobachten, z.B. in Aussagen des Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland (vgl. Deutscher Bundestag 2018c, 2999) oder Jürgen Pohl, Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales und Gründer von ALARM (Alternative Arbeitnehmervertretung Mitteldeutschland) (vgl. Pohl 2018). Gegen die sozialchauvinistische Position stehen in der Partei die wirtschaftsliberalen Kräfte, die häufig Argumente aus dem rechtslibertären Strang nutzen. Sie kritisieren in der extremen Variante grundsätzlich staatliche Interventionen und befürworten einen Abbau des staatlichen Kompetenzbereichs.

Ein Scheinkompromiss

In der innerparteilichen Debatte um befristete Beschäftigungsverhältnisse hat sich auf den ersten Blick ein Kompromiss zwischen den oben genannten Polen durchgesetzt. Im Vergleich zur Rede von Münzenmaier findet sich zwar ein weniger staatsinterventionistischer Ansatz im Gesetzesentwurf wieder, jedoch versucht die AfD in ihrer Außendarstellung eine arbeitnehmernahe Perspektive einzunehmen. Öffentlich sieht sie befristete Beschäftigungsverhältnisse kritisch und bezeichnet sie als „Horrorvorstellung für Beschäftigte“ (Deutscher Bundestag 2018b, 2810) und als “sozial extrem prekäres Verhältnis“ (Kleinwächter 2018). Auch in der Rede zum Gesetzentwurf wird vor allem die Arbeitnehmerperspektive in den Vordergrund gestellt. Im Gesetzesentwurf selbst wurde jedoch Abstand von direkten Belastungen/Strafen für Arbeitgeber genommen, gleichzeitig die Unterscheidung zwischen Beschäftigungen mit und ohne Sachgrund abgeschafft sowie die Maximaldauer von befristeten Beschäftigungen auf 24 Monate begrenzt. Dies soll vor allem Kettenbefristungen verhindern, verringert jedoch durch die Abschaffung der Angabe von Sachgründen auch die Hürde für Arbeitgeber, Personen befristet einzustellen. Dieses Ergebnis wird deshalb augenscheinlich beiden Perspektiven in der Partei gerecht. Der sozialchauvinistische Flügel kann angeben, die ‚extremen‘ Fälle ((Redner der AfD nutzen oft das Beispiel einer Zustellerin bei der Deutschen Post, die in 17 Jahren 88 befristete Verträge erhalten hatte.)) von Kettenbefristungen verhindern zu wollen, und sich somit als ‚soziale‘ und ‚arbeitnehmernahe‘ Alternative für die ‚kleinen Leute‘ darstellen.

Im Blick auf die Praxis zeigt sich jedoch, dass der Gesetzesentwurf an der gegenwärtigen Situation der befristeten Beschäftigungsverhältnisse nicht viel ändern wird und daher eher als ‚Scheinkompromiss‘ zugunsten des wirtschaftsliberalen Flügels bezeichnet werden kann. Erstens müssen Unternehmen nun keine Sachgründe mehr für eine Befristung angeben und können somit auch nicht von Arbeitnehmern auf unbefristete Weiterbeschäftigung verklagt werden. Damit sollen Sicherheiten für Unternehmen geschaffen und gleichzeitig der Aufwand der staatlichen Bürokratie durch den Wegfall der Sachgrundprüfung verringert werden. Zweitens finden sich im Gesetzesentwurf zahlreiche Ausnahmen für „längere Befristungen ohne Grund“, wenn z.B. die Befristung vorrangig der „Qualifikation“ dient oder im Unternehmen weniger als zehn Mitarbeiter angestellt sind. (Vgl. AfD-Fraktion 2018, 3) Diese Ausnahmen ermöglichen es weiterhin in bestimmten Fällen sogenannte Kettenbefristungen durchzuführen, womit de facto durch den Gesetzesvorschlag an der Situation vieler Arbeitnehmer wenig verändert wird.

Fazit

Es zeigt sich, dass die Position der AfD in Bezug auf die Rolle des Staates innerparteilich umkämpft ist. Im Gesetzesentwurf zu befristeten Arbeitsverhältnissen hat sich zwar inhaltlich der interventionskritische wirtschaftsliberale Flügel durchgesetzt, im Gegensatz zur rechtslibertären Argumentation wird hier jedoch nicht angenommen, dass der (Arbeits-) Markt die bestmögliche Allokation schafft, sondern in bestimmten Fallen korrigiert werden muss. Der sozialchauvinistische Flügel muss sich in dieser Frage mit weniger staatsinterventionistischen Elementen zufriedengeben, dominiert allerdings die öffentliche Debatte um den Gesetzesentwurf. So wird behauptet, dass Marktverwerfungen, wie z.B. die Kettenbefristungen, korrigiert und damit Arbeitnehmerrechte gestärkt wurden. Letztendlich wird jedoch deutlich, dass im Gesetzesentwurf die staatlichen Interventionsmöglichkeiten in den (Arbeits-) Markt nicht ausgebaut, sondern bestenfalls auf niedrigem Niveau beibehalten wurden. Der Ansatz des Gesetzesentwurfs in Bezug auf die Rolle des Staates deckt sich am ehesten mit dem wirtschafts- und sozialpolitischen Konzept von Markus Frohnmaier, dem Sprecher der wirtschaftsliberalen Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel. Er versucht, nach dem Vorbild der FPO, ebenfalls durch die Kombination von marktwirtschaftlichen Elementen mit geringfügigen staatlichen Eingriffen die beiden Positionen innerhalb der Partei zu vereinen. (Vgl. Frohnmaier 2017) Inwieweit sich diese Position als Parteiposition in anderen wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen durchsetzen wird, ist jedoch fraglich. Vor allem die verworfenen Vorschläge aus dem Redebeitrag von Münzenmaier zeigen, dass Gruppen in der Partei, insbesondere um den Abgeordneten Jürgen Pohl, einem stärker marktregulierenden Staat nicht abgeneigt sind. In nächster Zeit wird vor allem die Entwicklung eines gemeinsamen Rentenkonzeptes die Konfliktlinien zwischen den beiden Gruppen wieder auftreten lassen.

Quellen

AfD-Fraktion (2018): Drucksache 19/1841. Entwurf eines Gesetzes zur Anderung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes. Hg. v. Deutscher Bundestag. Berlin. Online unter http://dipbt.bundestag.de/doc/ btd/19/018/1901841.pdf, zuletzt aktualisiert am 24.04.2018.
Deutscher Bundestag (2018a): Stenographischer Bericht. 14. Sitzung. Berlin. Online unter http://dipbt.bundestag.de/ doc/btp/19/19014.pdf.
Deutscher Bundestag (2018b): Stenographischer Bericht. 29. Sitzung. Berlin. Online unter http://dipbt.bundestag.de/ doc/btp/19/19029.pdf.
Deutscher Bundestag (2018c): Stenographischer Bericht. 32. Sitzung. Berlin. Online unter http://dipbt.bundestag.de/ doc/btp/19/19032.pdf.
Fraktion Die Linke (2018): Drucksache 19/831. Sachgrundlose Befristung verbieten. Hg. v. Deutscher Bundestag. Berlin. Online unter http://dipbt.bundestag.de/ doc/btd/19/008/1900831.pdf.
Frohnmaier, Markus (2017): Wohlstand für den Staatsbürger. Die AfD als volkskapitalistische Partei rechts der Mitte. Online unter http://www.markusfrohnmaier. de/2017/12/13/wohlstand-fuer-den-staatsbuerger/.
Kleinwächter, Norbert (2018): Interview zum Änderungsantrag des Teilzeit- und Befristungsgesetzes. Online unter https://www.youtube.com/watch?v=tH0_ o0qpNtE.
Pohl, Jürgen (2018): Die AfD die Neue Volkspartei in Deutschland – Rede zum 1.Mai in Eisenach. Online unter https://www. youtube.com/watch?v=LS7Hpch5WM4.