Christliche Männlichkeit und jüdische Erfahrung

  • Lesedauer:3 min Lesezeit

Von Jobst Paul, erschienen in DISS-Journal 35 (2018) ((Ich stütze mich auf die Rezension von Jennifer Caplan (Towson University) [https://www.h-net.org/reviews/showrev. php?id=50827][accessed 28.05.2018] ))

Wie hängen jüdische Identität, Männlichkeit und Amerika zusammen? Sarah Imhoff legt in ihrer mehrdimensionalen und daher komplexen Untersuchung Masculinity and the Making of American Judaism die knappe Periode zwischen 1900 und 1924 zugrunde.

Ausgangspunkt Imhoffs ist die von der christlichen Mehrheitsgesellschaft in den USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts gesetzte, rassistisch unterlegte Rollenvorstellung des (weißen, christlichen) ‚Mannes‘ als eines einsamen, selbstbeherrschten, in die Wildnis ausschweifenden Wolfs. In welcher Weise haben jüdische Männer, denen zugeschrieben wurde, dieser Rollenerwartung grundsätzlich nicht entsprechen zu können, auf sie reagiert?

Im Hauptteil ihrer Arbeit antwortet Imhoff auf diese Frage mit einer Fülle von Fallstudien, die gerade angesichts unterschiedlichster jüdischer Entwürfe von Männlichkeit die Widersprüchlichkeit des Männlichkeitskonzepts des weißen christlichen Amerika enthüllen. Zunächst erweist sich die stereotype Erwartung als gegenstandslos, nach der dem starken, muskulösen, patriotischen Christen, wie ihn die YMCA-Bewegung des 19. Jahrhunderts propagierte, der Intellektualismus jüdischer Männer gegenüber gestanden sei. Stattdessen stellt Imhoff vielfältige jüdische Programme vor, in deren Zentrum männliches Krafttraining und Gesundheitsvorsorge standen und keineswegs Buchgelehrsamkeit.

Aber einflussreiche jüdische Lehrer, wie der aus Fürth in die USA emigrierte Kohler, konnten den Spieß auch umdrehen: Wenn Vernunft (und Universalismus) männliche Eigenschaften waren, dann konnten Juden das Judentum als rationale und damit männliche Religion verstehen. Das Christentum mit seinem Schwerpunkt auf Affekt und Gefühl wäre dann eine eher weibliche, unberechenbare Religion. Im Hintergrund solcher Thesen müssen nicht zuletzt die antisemitischen Erfahrungen vieler jüdischer Einwanderer, vor allem von jüdisch-russischen Flüchtlingen gesehen werden, die den Pogromen in Russland entkommen waren und von den Führern des sogenannten Galveston Movement an New York vorbei in weniger riskante Siedlungsgebiete geschleust wurden.

Zugleich konnten jüdische Männer anderen Stereotypen kaum entkommen. So sorgten spektakuläre Verbrechen jüdischer Täter, wie die des Nathan Freudenthal Leopold Jr., des Richard Albert Loeb und des Leo Frank dafür, dass antisemitische Zuschreibungen wie jüdische ‚Degeneration‘, Schwäche, Abweichung neue Nahrung erhielten.

Indem Imhoff den Leser durch eine Vielzahl von kontrastiven Aspekten führt, kann sie abschließend den eigentlichen Punkt ihrer Arbeit hervorheben und das Resümee ziehen, dass die jüdische Erfahrung mit dem Konzept der christlich-weißen Männlichkeit nicht wirklich etwas anfangen konnte, sich ihm gegenüber – als Quelle von anti-jüdischen Stereotypen und daher als Quelle von Gefahr – aber stets verhalten musste, wie auch immer.

Sarah Imhoff. Masculinity and the Making of American Judaism. Bloomington: Indiana University Press, 2017. vii + 300 pp. $38.00 (paper)