Ein Überblick von Jobst Paul. Erschienen in DISS-Journal 33 (2017)
Angst und Enthaltsamkeit ((Ich referiere hier die wichtigsten Aspekte der Rezension von Hannah Dudley Shotwell (University of North Carolina, Greensboro), einsehbar unter https://www.h-net.org/reviews/showrev.php?id=47113.))
Wie schlägt sich der US-evangelikale Sexual-, Familien- und Männlichkeitsdiskurs im Hollywood-Film nieder? Dieser Frage geht Casey Ryan Kelly in Abstinence Cinema anhand einiger filmischer Fallstudien zum Thema ‚Enthaltsamkeit vor der Ehe‘ nach. Kelly untersucht dazu die Film-Adaptionen von Twilight (2009 – 2012), die Streifen The 40-Year-Old Virgin (2005), The Possession (2012), Taken (2008) sowie eine Reihe satirischer Annäherungen ans Thema.
Sie alle vermarkten nicht nur ein publikumswirksames Thema, das in den USA seit etwa 2000 im Zusammenspiel der radikal-evangelikalen und der rechtsextremen Bewegung entfacht wurde. Die Filme stehen auch für verschiedene Varianten, der Forderung nach ‚Enthaltsamkeit vor der Ehe‘ einen progressiven Anstrich zu geben. Oder anders: Es handelt sich einerseits um propagandistische Antworten auf die Diskurse des Feminismus/LGBT und zugleich um Versuche, am liberalen Image dieser Diskurse zu partizipieren.
So deutet Twilight die restriktive Botschaft von ‚virginity‘ als feministische ‚choice‘ und ‚empowerment‘, während die männliche Seite in Gestalt eines Vampirs mit entsprechend abschreckender, raubtierhafter Sexualität ausgestattet wird. In The 40-Year-Old Virgin erscheint ‚abstinence‘ als Option der Umkehr und Läuterung in einer ‚Welt der Beliebigkeit‘. In The Possession wird ein – hier nicht vom Vampir, sondern – vom Dämon beherrschtes Mädchen erst geheilt, als ihre autoritative Beziehung zum Vater wieder hergestellt wird.
Und in Taken wird (ähnlich wie in Twilight) weibliche Reinheit wilder maskuliner Sexualität gegenübergestellt, hier aber ergänzt (wie in The Possession) durch die Vaterfigur des “great white protector”, der – wie im kolonialistischen Narrativ – als Retter auftritt. Es scheinen also wenige, untereinander variierte Versatzstücke zu sein, deren Repetition vor allem bei Jugendlichen für den Erfolg dieser Filme an der Kasse sorgt.
Kelly macht auf die wenig bekannte Tatsache aufmerksam, dass die evangelikale Bewegung dafür sorgte, dass im Adolescent Family Life Act (AFLA) von 1981 die Forderung nach ‚Enthaltsamkeit vor der Ehe‘ politischen Status erhielt. Seitdem hat die US-Regierung 1,5 Milliarden Dollar für abstinence-only education ausgegeben.
Casey Ryan Kelly
Abstinence Cinema
Virginity and the Rhetoric of Sexual Purity in Contemporary Film
New Brunswick: Rutgers University Press, 2016. 210 S.
Opportunismus und Radikalisierung (1848-1870) – Zum ideologischen Weg der deutschen Minderheit in Missouri ((Ich referiere hier die wichtigsten Aspekte der Rezension von Sarah Panter (Leibniz Institute of European History), einsehbar unter https://www.h-net.org/reviews/showrev.php?id=46925.))
In den letzten Jahren kam es zu einer Differenzierung der Rolle, die die deutsche Diaspora in den USA in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts spielte, insbesondere im Grenzstaat (zum Süden der USA) Missouri und seiner Metropole St. Louis. In ihrer Untersuchung Abolitionizing Missouri: German Immigrants and Racial Ideology in Nineteenth-Century America widerlegt Kristen L. Anderson die These, dass die deutschen Einwanderer alle idealistische Humanisten waren, die für die Abschaffung der Sklaverei kämpften. Die Autorin weist vielmehr nach, dass die Deutsch-Amerikaner in St. Louis in der Sklavenfrage opportunistisch taktierten und dass sich zwischen 1848 und 1870 eine Entwicklung in ihren Einstellungen zu Rasse, Gender, Klasse und Religion vollzog.
Vor dem Kansas-Nebraska Act (1854) teilten die Deutschen in Missouri die Doppelstandards überall in den Staaten: Sie nahmen die Sklaverei hin, bis unter ihnen Bedenken aufkamen, dass die Sklaverei die Westexpansion behindern könnte. Schon mit diesen Bedenken machte man sich allerdings unbeliebt, obwohl nur eine Minderheit der Deutsch-Amerikaner, vor allem die Exilanten der 1848er Revolution rein humanitäre Positionen vertraten.
Während des Bürgerkriegs tendierte die deutsche Minderheit mehrheitlich zu den Republikanern (die damals die Sklaverei abschaffen wollten), um nicht ihre wirtschaftlichen und politischen Interessen im Grenzstaat Missouri zu gefährden. Nach der Emancipation Proclamation von 1863 brachen jedoch Flügelkämpfe auf, zwischen den Radikalen, die für die schrittweise Emanzipation der Versklavten plädierten, und den Konservativen, die sich der aufkommenden Rassenlehre anschlossen. Mit dem 15ten Verfassungszusatz von 1870, der die Gleichstellung der Schwarzen postulierte (und das mit der deutschen Reichsgründung zusammenfiel), kam es zur ideologischen, rassistischen Radikalisierung der Mehrheit der Deutschen in Missouri.
Die Untersuchung von Kristen L. Anderson stellt ausdrücklich eine regionale Fallstudie dar. Deshalb fehlt weitgehend die Kontextualisierung mit der Geschichte der Deutschen in den USA insgesamt, aber auch ein Abgleich mit der europäischen, bzw. deutschen Geschichte der Zeit.
Kristen Layne Anderson
Abolitionizing Missouri
German Immigrants and Racial Ideology in Nineteenth-Century America
Baton Rouge: Lousiana State University Press, 2016. 272 S.
Das zweite Trauma: Veteranen und der amerikanische Traum ((Ich referiere hier wichtige Aspekte der Rezension von Meghan Fitzpatrick (Royal Military College of Canada), einsehbar unter https://www.h-net.org/reviews/showrev.php?id=46619))
John M. Kinder unterstreicht in seiner Untersuchung Paying with Their Bodies: American War and the Problem of the Disabled Veteran, dass das Schicksal der im Krieg psychisch und physisch verletzten US-Veteranen im gesamten Spektrum der öffentlichen Meinung, aber auch – mit dem Vorzeichen ‚Patriotismus‘ – von jeweiliger Regierungsseite instrumentalisiert wurde und wird. So verwenden Veteranengruppen, aber auch die Anti-Kriegsbewegung Bildnisse behinderter Veteranen für ihre jeweiligen Argumentationsziele. ‚Der behinderte Veteran‘ kann so zum Objekt von Bewunderung, Angst, Spott und Gedenken werden. Damit wird aber auch Behinderung schlechthin zu einer variablen ‚Konstruktion‘ und öffnet sich daher auch jeder Form der Stereotypisierung.
Für die tatsächlich Betroffenen dient seit dem Ende des Ersten Weltkriegs die Veterans Administration (VA) als zuständige Bürokratie für verwundete US-Soldaten. Ihre Entwicklung war von zeitgenössischen Idealen der Männlichkeit, vom Versuch der Wiedereingliederung der Veteranen in den Arbeitsmarkt, aber auch von exzessiver Bürokratie geprägt.
Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat allerdings eine ambivalente Entwicklung eingesetzt, bei der die amerikanische Öffentlichkeit für ‚Verluste‘ immer weniger Verständnis entwickelte. Mit der folgerichtigen Abschaffung der Wehrpflicht und dem Aufbau einer Berufsarmee nahm die Öffentlichkeit weniger wahr, wie stark nun benachteiligte Minderheiten für den Kriegsdienst rekrutiert wurden, d.h. wie stark diese Rekrutierung rassistisch unterlegt war. Hinzu kommen Politiken und Technologien, die dafür sorgen, so wenig US-amerikanische Tote und Verletzte wie möglich zu riskieren. Tatsächlich ist es so trotz immer noch erheblicher ‚Verluste’ gelungen, den Glauben der amerikanischen Öffentlichkeit an militärische Mittel, aber auch an die ‘Heilbarkeit’ von Behinderung zu erhalten. Der Glaube hat mit der Professionalisierung der US-Streitkräfte sogar noch zugenommen, und mit der Tatsache, dass immer weniger Amerikaner aufgrund der Technologisierung der Kriegsführung direkt vor Ort involviert sind. Kurz: Was Kriege anrichten, gerät immer mehr aus dem Blickfeld. Daher erhofft sich Kinder die Entwicklung einer interdisziplinären ‚Veteranologie‘, die das Thema wieder ins öffentliche Bewusstsein rückt.
John M. Kinder
Paying with Their Bodies
American War and the Problem of the Disabled Veteran
Chicago: University Of Chicago Press, 2015. viii + 358 S.
Rechtspopulistische Drehbücher – Trump’s Vorläufer ((Ich referiere hier wichtige Aspekte der Rezension von Seth Offenbach (Bronx Community College, CUNY), einsehbar unter https://www.h-net.org/reviews/showrev.php?id=48861.))
Nicole Hemmer beschreibt in Messengers of the Right: Conservative Media and the Transformation of American Politics die Vorläufer der heutigen rechten US-Propaganda-Medien (z.B. Breitbart News). Sie spricht dabei, kulminierend in den Präsidentschaften von Richard Nixon (1969-1974) und Ronald Reagan (1981-1989), von einer ersten und zweiten Generation rechter Medienaktivisten, wobei die Präsidentschaft Donald Trump nun Ergebnis der dritten konservativen Medienoffensive wäre – möglicher Weise aber auch ihr neues Opfer.
Erster Schwerpunkt der Untersuchung sind die (republikanischen) Medien-Aktivisten William F. Buckley, Clarence Manion und Henry Regnery, die ihr Publikum mit eigenen ‘Wahrheiten’ und ‘Beweisen’ unterhielten: mit “a different network of authorities, a different conception of fact and accuracy, and a different way of evaluating truth-claims” (S. xiii). Schwerpunkt ihrer Offensiven wurden die Zeitschriften Human Events und National Review sowie die Radiosendung Manion Forum of Opinion.
Äußerer Anlass war die moderate Politik der republikanischen Präsidentschaft Dwight Eisenhower’s. Das taktische Mittel aber bestand darin, den eigenen Außenseiter-Status in eine Opferrolle umzumünzen, um auf diese Weise Geldgeber zu aktivieren. Tatsächlich antworteten die hegemonialen Medien mit Delegitimierungskampagnen, die zu entsprechenden Antworten von rechtsgerichteten Philanthropen führten. Diskursiv entscheidend wurde aber der ‚große‘ Empfang, den Dwight D. Eisenhower und sein Vizepräsident Richard Nixon dem sowjetischen ZK-Vorsitzenden Nikita Khrushchev (September 1959) bereiteten: Die amerikanische Rechte etablierte sich als mediale und als politische Kraft.
Besonders denkwürdig in Nicole Hemmers Darstellung sind vor allem zwei strukturelle Phänomene, die an die heutigen diskursiven, dialektischen Prozesse erinnern, die unter den Kürzeln Trump und Populismus eine neue Dynamik erfahren.
So antworteten (erstens) die Mainstream-Medien, indem sie die Verästelungen des rechten Netzwerks im konservativen Lager nachwiesen und so Spannungen und Zerreißproben im rechten Lager provozierten. Die exekutive Politik dagegen antwortete (1963, dann unter J.F. Kennedy) mit einer sogenannten Fairness Doctrine, die Journalisten auf “multiple perspectives” verpflichten wollte, worauf ein Teil der Medien sich von den rechtsextremen Medienmachern trennte.
Zweitens wurden die rechtskonservativen Machtübernahmen durch Richard Nixon und Ronald Reagan zum Anlass tiefer Enttäuschungen im rechten Lager und zu radikalen Abspaltungen, die ihrerseits zu Sammelpunkten weiterer Generationen rechter medial-politischer Akteure wurden. Ein Mangel der Untersuchung ist allerdings die fehlende Tiefenanalyse des christlichen Fundamentalismus.
Nicole Hemmer
Messengers of the Right
Conservative Media and the Transformation of American Politics
Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 2016. 336 S.
Nationalistische Dynamik von außen – Die ‚Auslandsdeutschen‘ und der deutsche Imperialismus (1871-1918) ((Ich referiere hier die wichtigsten Aspekte der Rezension von Robert Kelz (University of Memphis, Department of Foreign Languages and Literatures), einsehbar unter https://www.h-net.org/reviews/showrev.php?id=49242. Inzwischen erschien eine weitere Rezension unter https://www.h-net.org/reviews/showrev.php?id=46697))
Mit der Umdeutung des Begriffs des Auswanderers in den Auslandsdeutschen schufen Blätter wie die Die Gartenlaube (1853-1900) und Globus (1862-1910) Ende des 19. Jahrhunderts einen neuen Erzählraum und Absatzmarkt. Sie reagierten damit aber nur auf die Entstehung einer weltweiten deutschen Diaspora, die sich als äußerer Arm des deutschen Nationalismus verstand.
Stefan Manz betont in Constructing a German Diaspora: The „Greater German Empire“, dass die erstaunlich intensive Vernetzung dieser Diaspora entlang eines deutsch-nationalistischen Codes (Deutschtum) keineswegs ‚aus dem Reich‘ dekretiert oder organisiert war, sondern einer Eigendynamik folgte, die den Begriff Heimat nun auf die Überseegebiete ausdehnte. Diese Dynamik trieb freilich wiederum die nationalistische Formierung ‚im Reich‘ in Gestalt einer sogenannten ‚deutschen Weltpolitik‘ in gewisser Weise vor sich her. Manz führt die Intensität der Vernetzung und der Ideologisierung der Diaspora darauf zurück, dass sich ihre Träger aufgrund der eher geringeren Rolle des deutschen Kolonialismus eine Art migrantischer Identität zulegten.
Manz beschreibt innerdeutsche organisatorische Stützpunkte der Diaspora wie die Deutsche Kolonialgesellschaft, den Alldeutschen Verband oder die Rheinische Mission, insbesondere aber die Flottenvereine. Denn Kriegsschiffe repräsentierten die Verbindung zwischen dem innerdeutschen Nationalismus und dem der Diaspora. Berlin bildete für die dezentralen weltweiten Aktivitäten dieser Diaspora allerdings nur einen symbolischen Bezugspunkt. Viel einflussreicher waren ein globales Netzwerk von Clubs, mit Sektionen in allen Erdteilen, eine Kultur der gemeinsamen nationalen Rituale, ein völkisch orientiertes System der Auslandsschulen, die das Deutsche hochhielten, und – als die bedeutsamste intellektuelle Klammer der Auslandsdeutschen – der Protestantismus.
Das zunehmend deutsch-nationalistische Selbstverständnis der deutschen Diaspora-Gemeinschaften sorgte freilich auch dafür, dass sie sich isolierten und in ihren jeweiligen ‚Habitats‘ im Zusammenhang von Weltkriegen und deutschem Faschismus u.a. zu Zielscheiben des Hasses und der Feindseligkeit wurden.
Stefan Manz
Constructing a German Diaspora
The “Greater German Empire”, 1871-1918
Oxford : Routledge Taylor & Francis Group, 2013. 360 S.