Rassismus und Antiziganismus am Beispiel Duisburg.
Ein Artikel von Alexandra Graevskaia, erschienen im DISS-Journal 25 (2013).
Seit der EU-Erweiterung 2007 sieht sich auch Duisburg mit erhöhter Migration aus Bulgarien und Rumänien konfrontiert. Dies bleibt von den Massenmedien nicht unkommentiert. Im Herbst 2012 wurden im Rahmen der sogenannten Asyldebatte auch Flüchtlinge aus Serbien und Mazedonien mit der Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien in Verbindung gebracht.
Im Rahmen einer Diskursanalyse habe ich 96 Artikel aus dem Online-Medienportal „DerWesten“, welches zur wichtigsten Zeitungsgruppe der Region gehört, untersucht. ((Die Artikel stammen aus dem Zeitraum April 2008 bis Dezember 2012. Die vollständige Analyse wird im Herbst 2013 in Kellershohn, Helmut / Paul, Jobst (Hg.): Der Kampf um Räume: Neoliberale und extrem rechte Konzepte von Hegemonie und Expansion, Münster: Unrast erscheinen. Der vorliegende Artikel ist eine stark gekürzte Fassung.)) Im Fokus der Analyse stand die Frage, ob und wenn ja, welche antiziganistischen Stereotype und Ressentiments transportiert werden, da die Zuwander_innen ((Diese und ähnliche Bezeichnungen werden nachfolgend oft für die Bezeichnung der in den letzten Jahren aus Südosteuropa nach Deutschland eingewanderten Menschen verwendet. Damit soll keine Homogenisierung erfolgen. Vielmehr wurde nach einem Begriff gesucht, der alle von der Mehrheitsgesellschaft als „Roma“, „Armutsflüchtlinge“, „Bulgaren“, „Rumänen“ usw. definierten Menschen beinhaltet.)) im öffentlichen Diskurs meist als (Sinti und) Roma wahrgenommen werden. In den folgenden Ausführungen werden die zentralen Befunde dieser Analyse vorgestellt.
Darstellung der Zuwander_innen
In der Berichterstattung erfolgt eine Ethnisierung und Homogenisierung der zugewanderten Menschen. Dies führt zum Abruf antiziganistischer Ressentiments, der – wie man an Wörtern wie „Klau-Kinder“ sieht – nicht zwingend mit der Bezeichnung „Sinti und Roma“ einhergehen muss. Auch dort, wo auf die Benutzung von „Zigeuner“ als abwertende Fremdbezeichnung verzichtet wird, kann der Ersatz durch „Sinti und Roma“ oder nur durch „Roma“ nicht weniger abwertend und stigmatisierend wirken (vgl. End 2013, 47). Dass viele der zugewanderten Menschen keine Roma und schon gar keine Sinti sind, wird von den Journalist_innen nur wenig beachtet.
Die Zuwander_innen werden jedoch nicht nur mit ethnisierenden Kategorien belegt, sondern auch als Armutsflüchtlinge bezeichnet, was mit einer Delegitimierung der Migrationsgründe einhergeht, da nach deutschem Recht nur politisch Verfolgte Asyl erhalten dürfen. Rassistische Diskriminierung in den Herkunftsländern wird nur in sehr wenigen Artikeln als Migrationsgrund genannt.
Auch die diskursive Verknüpfung der Zuwanderung mit ‚Problemen’ dient offenbar dazu, soziale Probleme zu ethnisieren. Beispiele dafür finden sich in der Bezeichnung eines von den Zuwander_innen bewohnten Hauses als „Problemimmobilie“ oder in dem in der Berichterstattung immer wieder verwendeten Begriff „Roma-Problem“ (u.a. 11.01.2012).
Reaktion der Stadt Duisburg
Während die Stadt 2008 auf die Verdrängung von Zuwanderern durch „eine Taktik der kleinen Nadelstiche“ (12.08.2008 b) setzte, grenzte sie sich von dieser Verdrängungspolitik, wie sie u. a. auch in Dortmund verfolgt wurde, ab dem Jahr 2011 offiziell ab und entwickelte nun ein Handlungskonzept zur Integration. Allerdings beklagt die Berichterstattung zugleich den Geldmangel, der der Umsetzung des Konzepts entgegen stehe.
Trotz des offiziellen Kurswechsels der Stadt hat sich das Vorgehen der Ordnungsbehörden aber nicht verändert. Man setzt weiterhin auf verstärkte Polizeipräsenz, obwohl es laut Statistik keinen Anstieg von Straftaten gibt. Gefordert wird auch, den Druck von Polizei und Ordnungsbehörden aufrecht zu erhalten (20.11.2012), obwohl beispielsweise bei einer Razzia in einem von den Zuwander_innen bewohnten Haus nichts gefunden wurde. Dies zeigt, wie fest das Ressentiment der Kriminalität verankert ist.
Vorwürfe und Zuschreibungen
Ähnlich häufig wie der Verwurf der Kriminalität an die Zuwander_innen ist die Zuschreibung, sie würden ihr Wohnumfeld verdrecken. Wenn es dafür keine entsprechenden Bilder gibt, behilft man sich mit einigen Sperrmüll-Fotos aus dem Bild-Archiv, um die betreffenden Artikel zu illustrieren. So wird Müll zum Symbol für die Zuwanderung stilisiert.
Müll und Verwahrlosung sind auch die Hauptaspekte bei der fast durchgehend negativen Darstellung der von den Zuwander_innen genutzten Stadtteile, wobei die Duisburger Stadtteile Hochfeld und Bergheim im Mittelpunkt stehen. Hochfeld wird dabei mit der Bezeichnung „Brennpunkt“ (05.09.2011) belegt, einer für den Einwanderungsdiskurs typischen Vokabel (vgl. Yildiz 2009).
Neben Verdreckung und Kriminalität zählen Schwarzarbeit und Prostitution zu den häufigsten Vorwürfen, wobei auch auf die Ausbeutung der Zuwander_innen durch andere eingegangen wird. Auf dem ersten Blick wird daher das antiziganistische Ressentiment der Faulheit und Arbeitsscheu nicht unmittelbar reproduziert. Dennoch ist das Ressentiment unterschwellig durch die Zuschreibung von „unehrlicher Arbeit“, also über die Verknüpfung mit Kriminalität, Schwarzarbeit und Prostitution, vorhanden. Nicht zuletzt erfolgt auch über eine Bezeichnung wie „Arbeitsstrich“, also aufgrund der Assoziation mit Prostitution (05.09.2011), eine gesellschaftliche Delegitimierung der Zuwander_innen zugeschriebenen Praktiken.
Sexuelle und geschlechtliche Amoralität gilt als eine jener antiziganistischen Zuschreibungen, die sich aus den Moralvorstellungen der bürgerlichen Gesellschaft speisen (vgl. End 2011, 19) und die durch – meist gegen Frauen gerichtete – Prostitutionsvorwürfe bedient werden. Relativ wenige Artikel zeigen ein anderes Frauenbild. An manchen Stellen werden deutsche Gesetze kritisiert, die „den Zuzug von Armuts-Prostitution begünstigen“ (14.10.2011). Dass die Gesetzgebung die Menschen zu Scheinselbstständigkeit und Kriminalität zwingt, wird selten in der Berichterstattung reflektiert.
Was die Kindererziehung betrifft, kristallisieren sich drei, teilweise widersprüchliche Aussagen heraus:
1. die Kinder seien verwahrlost und von den Eltern vernachlässigt;
2. die Eltern seien willens, aus ihren Kindern etwas zu machen, sie wollten ihnen eine bessere Zukunft ermöglichen und ihre Kinder daher zur Schule schicken;
3. Eltern würden ihre Kinder für Kriminalität missbrauchen/ausbeuten; Gerüchte über Kinderprostitution und Berichte über sog. „Klau-Kinder“ werden kolportiert.
Dabei fällt auf, dass die negativen Aussagen fast ausnahmslos auf Polizei und Ordnungsamt zurückzuführen sind, während die positive Darstellung auf Interviews mit Sozialarbeiter_innen zurückgeht. Dieses Muster zeigt sich auch bei anderen Themen.
Im Bezug auf Krankheiten und Gesundheitsvorsorge wird berichtet, dass nur die wenigsten Zuwander_innen über eine Krankenversicherung verfügten und Menschen bereits „an offener Tuberkulose gestorben“ (05.09.2011) seien. Letzteres impliziert, dass dies in der Regel „mitten in Duisburg“ (05.09.2011), also inmitten der deutschen Wohnbevölkerung nicht passieren könne. Hier werden Assoziationen zur Vormoderne bzw. zu so genannten Entwicklungsländern erweckt.
Auch die Warnung vor der Übertragung von Krankheiten durch Zuwander_innen gehört zu den antiziganistischen Zuschreibungen (vgl. Jocham 2011), findet sich allerdings auch generell im Migrationsdiskurs wieder, wenn man sich z.B. die Praxis der Gesundheitsuntersuchungen betrachtet, denen die ab dem 1950er Jahren angeworbenen Arbeitsmigrant_innen unterworfen wurden (vgl. Mattes 2005, 73).
In der Berichterstattung kristallisieren sich Vorwürfe von vermeintlicher Primitivität und Andersartigkeit heraus, die mit Zuschreibungen einer „vormodernen“ Lebensweise unterlegt werden. Die Zuschreibung von Primitivität und Nomadentum entstammen tradierten Erzählungen und sind jahrhundertealte antiziganistische Ressentiments, die immer wieder (re)produziert werden – so auch 2008 in Duisburg-Bruckhausen, als die Stadt die Zuwander_innen noch zu verdrängen suchte.
Fast durchgehend wird über die Zuwander_innen gesprochen. Sie selbst kommen so gut wie nie zu Wort. Außerdem werden sie, bis auf wenige Ausnahmen, als eine homogene Gruppe konstruiert. So sucht die autochtone Bevölkerung offenbar nach „Clanchefs“ und impliziert damit, die Zuwander_innen könnten durch eine einzelne Person repräsentiert werden. Im Zuge dieser Entpersonifizierung erscheint die Gruppe der Zuwander_innen als eine anonyme Masse.
Ein weiterer Aspekt innerhalb der Berichterstattung ist die These, der türkische Teil der Bevölkerung würde die Neuzuwander_innen ausbeuten und so behandeln, wie sie früher selbst von Deutschen behandelt wurde. Freilich wird nicht mit jeder Erwähnung von Alt- und Neu-Migrant_innen dieser negative Eindruck transportiert.
Negative Assoziationen werden hingegen mit den verwendeten Kollektivsysmbolen hervorgerufen. Man bedient sich u.a. der für den Einwanderungsdiskurs typischen Flut-Symbolik und zieht z.B. Vergleiche mit Raubtieren („schwärmen aus, um Beute zu machen“). Mit der Formulierung, die Stadt habe gehofft, „dass die Karawane vorüberzieht“ (28.02.2011), entsteht eine Assoziation mit dem antiziganistischen Bild von Nomadentum.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass antiziganistische Stereotype und Ressentiments in den untersuchten Artikeln überwiegen – übrigens auch in jenen mit einer wohlwollenden Absicht. Dies unterstreicht die Verfestigung dieser Stereotype in der Gesellschaft und erfordert eine weitreichende Sensibilisierung, vor allem von Journalist_innen, die zur Reproduktion solcher Ressentiments massiv beitragen.
Literatur:
End, Markus 2011: Bilder und Sinnstrukturen des Antiziganismus, in: Politik und Zeitgeschichte 22-23 (2011), S. 15-20.
End, Markus 2013: Antiziganismus: Zur Verteidigung eines wissenschaftlichen Begriffs in kritischer Absicht, in: Bartels, Alexandra / von Borcke, Tobias / End, Markus / Friedrich, Anna (Hg.) 2013: Antiziganistische Zustände 2: Kritische Positionen gegen gewaltvolle Verhältnisse, Münster: Unrast, 39-72.
Jocham, Anna Lucia 2011: Antiziganistische Stigmatisierung. Diskreditierende Zuschreibungen und alltägliche Diskriminierungen, http://www.zag-berlin.de/antirassismus/archiv/59antizigan-stigma.html (Abruf 15.04.2013).
Mattes, Monika 2005: „Gastarbeiterinnen“ in der Bundesrepublik: Anwerbepolitik, Migration und Geschlecht in den 50er bis 70er Jahren, Frankfurt/Main: Campus Verlag.
Yildiz, Erol 2009: Vom hegemonialen zu einem diversitätsbewussten Blick auf die Einwanderungsgesellschaft, http://www.migration-boell.de/web/diversity/48_2212.asp (Abruf: 15.04.2013).
P.S. Zum Thema Antiziganismus in Duisburg sind auf der Website des DISS mehrere Online-Broschüren kostenlos abrufbar:
AK Antiziganismus im DISS (HG.): Stimmungsmache. Extreme Rechte und antiziganistische Stimmungsmache. Analyse und Gefahreneinschätzung am Beispiel Duisburg. Veröffentlicht als kostenlose Online-Broschüre im März 2015.
Martin Dietzsch, Bente Giesselmann und Iris Tonks: Spurensuche zur Verfolgungsgeschichte der Sinti und Roma in Duisburg. Eine Handreichung für die politische Bildung. Veröffentlicht als kostenlose Online-Broschüre im Juni 2014.
Bente Gießelmann: Differenzproduktion und Rassismus. Diskursive Muster und narrative Strategien in Alltagsdiskursen um Zuwanderung am Beispiel Duisburg-Hochfeld. Bachelorarbeit, veröffentlicht im August 2013.