Das Entwürdigende in Worte fassen

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Zur kulturellen Dimension des Institutionellen Rassismus – am Beispiel des Unworts des Jahres 2011. Von Jobst Paul. Erschienen in DISS-Journal 23 (2012) 54-56 ((Kurzfassung des Beitrags mit gleichem Titel im Band Skandal und doch normal. Impulse für eine antirassistische Praxis, hg. v. Margarete Jäger u. Heiko Kauffmann (Edition DISS Bd. 31, im Erscheinen) ))

Wodurch werden sprachliche Aussagen entwürdigend? Der Fall des Unworts des Jahres 2011 Döner-Morde enthüllt, dass sich Medien und Behörden über Jahre um diese Frage nicht kümmerten. Aber auch, dass das Problem des Rassismus über Einzelwörter hinausgeht: Bestimmte Begriffe nicht mehr öffentlich zu benutzen, erhellt noch nicht deren kulturelle Basis. Ist aber dann die Proklamation eines Unworts des Jahres überhaupt sinnvoll? Und warum ist Döner-Morde zu Recht ein Unwort des Jahres?

Um die Antworten vorweg zu nehmen: Selbstverständlich kann man in einem konkreten kulturellen Kontext ein Unwort des Jahres bestimmen. Und zu Recht bezeichnete die Aktion Unwort des Jahres den Begriff Döner-Morde als rassistische Zuschreibung, die ein breites gesellschaftliches Umfeld des Einverständnisses voraussetzt und ganze Teile der Bevölkerung entwürdigend und verletzend traf.

Das erwähnte Einverständnis deutet auf das tief verinnerlichte Ausgrenzungskonstrukt ((Eine ausführliche empirische Detail-Analyse des Konstrukts, Erläuterungen zu ‚reziproken Zuschreibungen‘, zum inneren Zusammenhang aller Zuschreibungsformen, zur Funktion des ‚Gehorsams‘ u. a. m. vgl. Paul 2004.)) unserer Kultur, aus dem die herabsetzenden Zuschreibungen des Rassismus, von Sexismus, Autoritarismus, Sozialdarwinismus, Antisemitismus, Bodyismus – und was der zerstörerischen -ismen mehr sind – generiert werden. Anschaulich wird das Konstrukt durch die Zusammensetzung aller Zuschreibungen zu einer ‚Gestalt‘. Das Ergebnis ist eine allein auf Körperfunktionen, auf egoistische ‚Selbsterhaltung‘ reduzierte Schreckgestalt. ((Vgl. Dudley 1972; Husband 1980; Bartra 1997.)) Seit jeher, sei es in Philosophie, christlicher Religion oder ‚humanistischer‘ Bildung, hat sich das westliche Ego-Ideal in Abgrenzung von dieser ‚bösen‘ bzw. ‚tierischen‘ Negativ-Folie als ‚gut‘ inszeniert, nämlich als ‚Nur-Kopf‘ und als Inkarnation egoismus-freier Vernunft.

Auch wenn der Motivfundus dieses Konstrukts unerschöpflich scheint, ist er auf die Fress- (Gier-, Raub-), die Sex- (Fortpflanzungs-) ((Vgl. zum rassistischen Vermehrungsmotiv auch Thilo Sarrazin: „Die Araber und Türken haben einen zwei- bis dreimal höheren Anteil an Geburten, als es ihrem Bevölkerungsanteil entspricht …“; „Ständig werden Bräute nachgeliefert …“; „Ich muß niemanden anerkennen, der … ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert.“ Vgl. Sarrazin 2009.))und Fäkal- (Ausscheidungs-, Krankheits-, Erreger-) Metaphorik beschränkt. Hinzu kommt komplementär die Metaphorik der ‚Dummheit‘, die auf die Zuschreibung der ‚Triebfixiertheit‘ indirekt, nämlich übers Motiv der ‚Abwesenheit von Verstand‘ zu sprechen kommt. Nur im engen Rahmen dieser vier Motive werden Aussagen in großer Breite variiert und in Erzählungen ausgebreitet.

So wird auch gut verständlich, weshalb Sprecherinnen nur geringfügige Signale zu setzen brauchen und trotzdem gut verstanden werden. Da die Metaphorik des Konstrukts aber oft in Handlungszusammenhänge verwoben wird, ist es zuweilen schwierig (aber nicht unmöglich), in Texten den genauen Ort der Ausgrenzungsbotschaft anzugeben. Im Fall von Döner-Morde gibt es dieses Problem freilich nicht.

„Döner-Morde“

Es genügen die gekoppelten Signale ‚Türken‘, ‚Essen’ (Döner) sowie ‚Gewalt’ (Mord), um die Ausgrenzungserzählung aufzurufen – als Fressen und als Kampf um die Beute. Mit der Zuschreibung der Taten an ein ‚Milieu’ erkannte man zugleich den Opfern und ihren Angehörigen einen moralischen Status ab und verwehrte ihnen Solidarität und Empathie: Der Verweis auf eine ‚Arena‘ außerhalb des Zivilisierten, etwa ‚im Orient‘ ((Darauf verweist auch Stefan Kuzmany (Spiegel 16.11.2011). Er diagnostiziert eine ‚beruhigende Wirkung’ für die deutsche Mehrheitsgesellschaft, das Morden in ein ‚Milieu’ abschieben zu können. Ähnlich auch Andrea Dernbach (Tagesspiegel 19.11.2011) und Heribert Prantl (Süddeutsche Zeitung 17.1.2012).)) reicherte die rassistische Herabsetzung exotistisch an.

Zugleich verdichtete sich die Zielrichtung in der aktuellen Bezeichnung Döner-Morde nicht nur zur ‚fachlich begründeten’ Ermittlungsthese der Polizei, die von der Presse schließlich verdoppelt wurde, sondern zur korporativen ‚Meinung’ dieser Institutionen. Insofern stand der Begriff für institutionellen Rassismus, wobei die Selbstverständlichkeit, mit der der Begriff öffentlich verwendet wurde ((Vgl. die Presseerklärung v. 11.11.2011 des Generalbundesanwalts http://www.generalbundesanwalt.de/de/showpress.php?newsid=417 (Abruf 7.6.2012).)) davon zeugt, dass man von einer ‚normalen‘ Sicht und vom breiten Einverständnis der Öffentlichkeit ausging. ((Einzelne Kommentatoren warnten jedoch auch nach der Enttarnung davor, „Verfassungsschützern oder Polizisten ein böses Etikett anzuheften“ (Andrea Dernbach, Tagesspiegel 19.11.2011) oder jedem, „der das Unwort verwendet“, gleich Rassismus zu unterstellen. (Anonym, Lausitzer Rundschau 17.1.2012).)) Tatsächlich bestätigte der Würzburger Kriminaldirektor Wolfgang Geier vor dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages, ihm sei ein anderer Name als „SoKo Bosporus“ (von 2005 bis 2008) nicht in den Sinn gekommen (Bewarder, Welt-online, 26.4.2012).

Die These vom „Imbissgericht“

Es war daher ein engagierter Akt der Jury der Aktion Unwort des Jahres den Begriff zum Unwort des Jahres 2011 zu erklären. Die These allerdings, die Opfer seien deshalb diskriminiert worden, weil und „indem sie aufgrund ihrer Herkunft auf ein Imbissgericht reduziert werden“, lenkte die Öffentlichkeit von den verantwortlichen Institutionen weg auf Perverses, das in der Regel mit Einzelnen assoziiert wird.

Die Gleichförmigkeit, mit der diese These vor und nach der Proklamation des Unwortes auch in den Medien vorgetragen wurde, ist gleichwohl erstaunlich, angesichts der sinnlosen oder makabren Lesarten, die sie nahe legt. So lässt sie die sinnlose Deutung zu (z. B. Dernbach, Tagesspiegel 19.11.2011), mit dem Begriff Döner-Morde seien tatsächliche Döner oder Döner-Imbisse gemeint gewesen, oder die abwegige Deutung, z. B. der Generalbundesanwalt, die polizeilichen Sonderkommissionen und führende deutsche Journalisten hätten die Toten rassistisch beschimpft („Du Döner“). Hermann Unterstöger verurteilte (in der Süddeutschen Zeitung 22.1.2012) schließlich mit Recht als letzte Logik der Imbiss-These kannibalistische Assoziationen in der Presse.

Die Zuspitzung ins Absurde sollte aber offenbar nicht nur die gesellschaftspolitische Dimension der rassistischen Zuschreibung ins ‚Pathologische‘ entsorgen. Einige Autoren versuchten damit wohl auch, sich durch die dramatische Distanzierung nun ‚auf der guten Seite‘, d.h. als besonders „gesinnungsstark“ (Süddeutsche Zeitung 22.1.2012) zu inszenieren. Hinzu kommt, dass die Medien, während sie so ihren Ruf retteten, noch einmal die Opfer und ihre Angehörigen missachteten, über die sie nun auch noch als ‚Döner‘ sprachen.

Die Unfähigkeit zu trauern

Vermutlich wird daher der Fall der Döner-Morde nicht nur als kriminalistisches Versagen, sondern als Beispiel für soziale Fühllosigkeit gegenüber den Opfern rassistischer Stigmatisierung im Gedächtnis bleiben. Dafür spricht bereits die Antwort des Würzburger Ermittlers Wolfgang Geier, auf die Frage von Parlamentariern in Berlin, ob er Fehler gemacht habe: „Ich gehe natürlich davon aus, dass ich das gemacht habe, was richtig ist, weil, wenn ich das Gefühl gehabt hätte, es wäre nicht richtig, dann hätte ich es anders gemacht.“ (zitiert nach Leyendecker, Süddeutsche Zeitung, 5.5.2012).

Eine Spitze an Selbstgerechtigkeit lieferte allerdings der Hessische Rundfunk nur wenige Tage vor der Berliner Gedenkveranstaltung für die Opfer der rechtsterroristischen Mordserie: Das Fernsehen des Senders weigerte sich, eine geplante Neuausstrahlung einer ‚Büttenrede‘ abzusetzen, in der unter dem Titel Döner-TV alle nur erdenklichen Stereotypen gegen Türken abgeschossen wurden. (vgl. Carstens, FAZ, 23.2.2012) Von der durchgehenden Fress-Metaphorik über das Motiv der Dummheit, von einer ausgedehnten Sex- und Fortpflanzungsmetaphorik bis hin zur Fäkalabteilung (mit angeschlossener Krankheits- und Erregermetaphorik) und dem ‚außerzivilisatorischen‘ Kampf aller gegen alle („auf Basar bescheißt jeder jeden“) zog die Rede nacheinander alle – hier: rassistischen – Register des Ausgrenzungskonstrukts.

Trotz heftiger Proteste, etwa der Ausländerbeiräte und von PRO ASYL, beschied der Intendant des Senders, Dr. Helmut Reitze, dass „nach der festen Überzeugung der Redaktion, des Fernsehdirek tors und Intendanten (…) die Büttenrede ‚Döner TV‘ nicht rassistisch“ gewesen sei. ((http://www.kab-giessen.de/index.php?option=com_content&view=article&id=192:doener-tv-antwort-hr-intendanz&catid=1:aktuelle-nachrichten  )) Der Pressesprecher des HR, Tobias Häuser, erläuterte, umgekehrt hätten sich viele Zuschauer über die Kritik empört, sozusagen als Eingriff in die Narrenfreiheit. ((Mitteilung vom 24.2.2012.)) Eine Absetzung hätte wie Zensur ausgesehen und Rechtspopulisten einen „Märtyrer“ geliefert, ja, sie hätte das Ende der Fernseh-Fastnacht bedeutet.

Damit reproduzierte die Spitze des Senders in Sachen Rassismus noch einmal die Haltung, die andere Institutionen zuvor zu einem Begriff wie Döner-Morde verleitet hatte.

***

Der Fall Döner-TV wie der Fall Döner-Morde beleuchten gewiss nur fragmentarisch die Ebenen und Formen des Institutionellen Rassismus in Deutschland. Dabei zeigt der Blick auf die institutionelle Ebene wohl noch nicht einmal die ganze Wahrheit. Folgt man den Kategorien Johan Galtungs (Galtung 1998), so ist Institutioneller Rassismus eine Form struktureller Gewalt, die „auf Körper und Geist“ der Opfer (18) einwirkt.

Hinter struktureller Gewalt nimmt Galtung freilich eine kulturelle Gewalt an, eine Codierung (ebd., 13), die er u.a. als ‚manichäische‘ oder ‚aristotelische‘ Di­chotomie‘ (ebd., 44/45) oder als ‚Dualismus‘ (ebd., 353) bezeichnet und die „in Religion und Ideologie, in Sprache und Kunst, Wissenschaft und Recht, Medien und Erziehung“ wirkt. Ihre Funktion ist einfach genug: „Sie soll direkte und strukturelle Gewalt legitimieren.“ (ebd., 18) Im Ausgrenzungskonstrukt wird eine solche Codierung fassbar und dekonstruierbar, die in unserer Kultur die Kettenreaktion „von kultureller via struktureller zu direkter Gewalt“ (ebd., 19) maßgeblich in Gang setzt.[1]

Literatur

Aktion Unwort des Jahres 2012: Pressemitteilung. Unwort des Jahres 2011: Döner-Morde. Begründung. (http://www.unwortdesjahres.net/fileadmin/unwort/download/pressemitteilung_unwort2011.pdf,Stand: 30.4.2012)

Anonym 2012: Das Unwort „Döner-Mord“ – Effekthascherei geht oft vor Nachdenklichkeit, Lausitzer Rundschau, 17.1.2012.

Bartra, Roger 1997: The artificial savage: modern myths of the wild man. Ann Arbor, Mich.

Bewarder, Manuel 2012: Klagen über Verfassungsschutz bei NSU-Mordserie, Die Welt-Online, 26.4.2012.

Carstens, Peter 2012: Gedenkveranstaltung in Berlin. Merkel: Sie stehen nicht länger allein mit Ihrer Trauer, FAZ, 23.2.2012.

Dernbach, Andrea 2011: Durch Sprache wurden Opfer symbolisch ausgebürgert, Tagespiegel, 19.11.2011.

Dudley, Edward (ed.) 1972: The wild man within: an image in western thought from the Renaissance to Romanticism, Pittsburgh.

Galtung, Johan 1998: Friede mit friedlichen Mitteln. Friede und Konflikt, Entwicklung und Kultur, Opladen.

Husband, Timothy 1980: The Wild Man: Medieval Myth and Symbolism. Cloisters, New York, NY.

Kuzmany, Stefan 2011: Ausgrenzung durch Sprache. Deutsche und Döner, Spiegel Online, 16.11.2011

Leyendecker, Hans et al 2012: Neben der Spur. Anatomie eines Staatsversagens: Warum es der Polizei nie gelang, die rechten Terroristen zu finden, Süddeutsche Zeitung, 5.5.2012

Paul, Jobst 2004: Das Tier-Konstrukt – und die Geburt des Rassismus, Münster

Prantl, Heribert: Sprache: Unwort, Untat, Ungeist, Süddeutsche Zeitung, 17.1.2012

Sarrazin, Thilo 2009: Interview in Lettre International, Berlinheft vom 30. September 2009

Unterstöger, Hermann 2012: „Döner-Morde“ – Unwort des Jahres 2011. Spaß fällt weg, Süddeutsche Zeitung, 22.1.2012