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Auch antisemitische Diskurse brechen nicht einfach ab

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Das Image von Juden in aktuellen Diskursen der gesellschaftlichen Mitte und seine Genese. Eine Rezension von Siegfried Jäger, erschienen in DISS-Journal 22 (2011).

Susannah Heschel, Eli-Beck-Professorin am Dartmouth College in England, hat in ihrer Untersuchung zur Verstricktheit der christlichen Kirchen in den Nationalsozialismus auf profunde Weise nachgewiesen, dass besonders (wenn auch nicht nur) evangelische Theologen und Pfarrer während der Nazizeit überaus erfolgreich bemüht waren, die traditionelle christliche Judenfeindschaft in den Antisemitismus und die völkische Ideologie der Nazis zu integrieren.

Darüber hinaus weist sie – eher nebenbei – darauf hin, dass auch nach 1945 die Nachwirkungen dieses Bemühens in West- und in Ostdeutschland weiterhin deutlich zu spüren waren. Die akribischen Recherchen dieser hoch angesehenen Wissenschaftlerin führen zu dem erstaunlichen und meines Wissens bisher kaum zur Kenntnis genommen Ergebnis, dass die (pro-nationalsozialistische) deutsch-christliche Bewegung während des Nationalsozialismus an die 600 000 Mitglieder hatte, zu denen neben Tausenden von Kirchgängern auch viele Pastoren, Bischöfe und insbesondere auch Theologie-Professoren gehörten.

Die religiöse Absicherung und Verankerung des Nationalsozialismus stützte sich zwar auch auf die germanische Mythologie, auf esoterische Phantasien wie Pantheismus und Panpsychismus; die judenfeindliche bis antisemitische Kirche aber war wohl deren stärkste Kraft, die erheblichen Einfluss auf das alltägliche Denken der gesamten „Volksgemeinschaft“ ausüben konnte. Natürlich gab es auch hybride Mischformen solcher religiöser Mythologeme, wie etwa die, dass Kinder germanifizierend mit Rheinwasser getauft wurden und dass sie später in ihren christlich getönten Abend- und Morgengebeten Gott auch um die Segnung und den Schutz „unseres Führers Adolf Hitler“ bitten mussten. Dominant war jedoch das christliche Element in der religiös-politischen Erziehung, bei der Hitler zum „arischen Jesus“ avancierte, der zum Heilsbringer für die ganze Welt hochstilisiert wurde.

Die letztendliche Grundlage für die Theologie des „deutschen Christentums“ wurde von Theologie-Professoren insbesondere des 1939 in Eisenach gegründeten „Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ gelegt, das sich insbesondere der Bildung von Theologen und Pfarrern für Deutschland widmete und durch Tagungen, Seminare und eine Fülle an Publikationen für die Verbreitung faschistischer Glaubensinhalte in die Gemeinden hinein verantwortlich zeichnete. Der führende Kopf des Instituts war Walter Grundmann, Theologie-Professor seines Zeichens und überzeugter Nationalsozialist, der auch nach 1945 weiter in der Kirche tätig sein konnte, weiter als Professor lehren und forschen durfte und sich wie auch andere faschistische Theologen aus dem Umfeld des Instituts keinerlei Entnazifizierung stellen mussten.

Die Verbreitung antisemitischen „Wissens“ in und in Folge der Zeit des Nationalsozialismus hatte und hat weitreichende Folgen für dessen Fortexistenz bis in die heutige Zeit. Das verbreitete Wissen ist außerordentlich stabil und lässt sich auch heute noch in den Medien und in den Alltagsdiskursen beobachten, auch wenn dies vehement bestritten und geleugnet wird. Darauf verweisen nicht nur die heftigen Reaktionen einer Vielzahl christlicher und säkularer Medien auf die Studie des DISS zur Berichterstattung zur Zweiten Intifada ((Vgl. Siegfried Jäger/Margarete Jäger: Medienbild Israel. Zwischen Solidarität und Antisemitismus, Münster: Lit-Verlag 2003. Babara Fried hat sich mit den Pressereaktionen auf diese Studie auseinandergesetzt. Vgl. Barbara Fried: Presse-Reaktionen auf die Studie des DISS „Medienbild Israel. Zwischen Solidarität und Antisemitismus“, in: Siegfried Jäger / Franz Januschek (Hg.): Gefühlte Geschichte und Kämpfe um Identität, 169-184.)) , sondern auch die Äußerungen zu Israel und den Juden in alltäglichen Diskursen. Dass sie in Publikationen von extrem Rechten und in vielen (nicht nur rechts-)christlichen Publikationen weiterhin massenhaft zu finden sind, dürfte daher auch nicht verwundern. ((Das in dieser Ausgabe von Martin Dietzsch und Regina Wamper skizzierte Forschungsvorhaben des DISS und des Steinheim Instituts für deutsch-jüdische Geschichte verfolgt das Ziel, diesen Tatbestand genauer aufzuarbeiten.))

Susannah Heschel hat mit ihrer wichtigen Untersuchung mit großer empirischer Sorgfalt und Verlässlichkeit dazu beigetragen, dieses Phänomen erklären zu können: Wie auch andere (historische) Diskurse bricht der antisemitische Diskurs nicht einfach ab, verschwindet nicht einfach, sondern existiert weiter fort, wenn auch oft in modifizierter Form, die jedoch meist nur darin besteht, das alte Wissen vorsichtig zu verpacken, z.B. in eine Form eines Philosemitismus und in Feiern eines kulturellen Erbes, die meist nur den Zweck verfolgen, sich und Deutschland zu entlasten, und die oftmals nichts anderes darstellen als pure Heuchelei.

Susannah Heschel
The Aryan Jesus. Christian Theologians and the Bible in Nazy Germany
2008, Princeton and Oxford: Princeton University Press (Paperback 2010)
ISBN 978-0691-1231-2
339 S., 24,85 Euro