Methodologische und methodische Überlegungen zu einer Erweiterung der Werkzeugkiste. Von Sebastian Friedrich und Margarete Jäger. Erschienen in DISS-Journal 21 (2011)
Welchen Stellenwert hat die Analyse von nicht-sprachlichen Bildern und Symbolen im Rahmen Kritischer Diskursanalyse (KDA)? Angesichts der Fülle von Bildlichkeiten, die in allen Diskursen zur Anwendung kommen, ist ihre systematische Einbeziehung in die Analyse dringend erforderlich. Bei unseren bisherigen Analysen des mediopolitischen und des Alltagsdiskurses wurde dieser Gesichtspunkt vor allem durch die Anwendung der Kollektivsymboltheorie geleistet. Trotzdem steht die Frage, ob die diskursive Wirkung von Bildern und Symbolen damit ausreichend erfasst wird, zumal Kollektivsymbole zwar immer auch bildlich darstellbar sind, aber auch als sprachliche Bilder Wirkung entfalten.
Auch verweist uns der Begriff des „Sagbarkeitsfeldes“, das durch Kritische Diskursanalyse (KDA) erschlossen werden soll, auf eine gewisse Schieflage. Um also zu vermeiden, dass Bilder nicht lediglich als „Anhängsel“ einer primär auf sprachliche Texte ausgerichteten Diskursanalyse fungieren, wollen wir im Folgenden weitere bildwissenschaftliche Ansätze danach befragen, inwieweit sie bei Diskurs- und Dispositivanalysen berücksichtigt werden sollten. ((Dass die Gefahr besteht, dass sich Bilder in der Analyse sozusagen ‚unter der Hand’ als zweitrangig durchsetzen, zeigt ein kritischer Blick in eine unserer eigenen Untersuchungen. In der Analyse der Print-Medien zum NATO-Krieg in Jugoslawien heißt es in der Studie, die sich speziell mit den dort eingesetzten Bildern beschäftigt, dass „Bilder ein wichtiger Bestandteil des Diskurses sind“ (33, FN 7). Dennoch wird im gleichen Text davon gesprochen, dass die „Analyse der Bilder und der in ihnen enthaltenen Kollektivsymbolik (…) Aufschluss darüber geben [kann], auf welche Weise Bilder die Effekte der diskursiv-sprachlichen Ebene verstärken“ (32, Herv. i. O.). Bilder werden hier als Bestandteil begriffen, der nur die sprachliche Ebene des Diskurses verstärkt.))
Auf einer methodologischen Ebene geht es deshalb um die Frage, um was es sich bei Bildern eigentlich handelt. Sind sie lediglich Vergegenständlichungen von diskursivem Wissen oder sind sie als solche – analog der Sprache – Wissen? Oder trifft beides zu? Auf einer methodischen Ebene lässt sich dann Ausschau nach nützlichen Analyseinstrumenten halten, die in die Werkzeugkiste der KDA gepackt werden könnten. Hierzu sollen die folgenden Ausführungen Anregungen geben.
Zum Verhältnis von Bild und Diskurs
Der so genannte pictorial turn, mit dem die Bildwissenschaften ihren Aufschwung nahmen, setzte spätestens Anfang der 1990er Jahre ein. Zu dieser Zeit überschlugen sich geradezu die Stimmen derer, die meinten, das Bild habe im Medien- und Informationszeitalter eine völlig neue Dimension erhalten. Es war vom „Ende der Gutenberg-Galaxis“ (Bolz 1993) und von der „Image-Revolution“ (Robin 1992) die Rede. Besonders haben sich aber die „turns“ eingeprägt, die den so genannten „linguistic turn“ der 1970er Jahre ablösen wollten. Böhm (1994) spricht von einem notwendigen „iconic turn“ und Mitchell (1992) vom „pictorial turn“. ((Mitchell knüpft an die Ikonologie des Kunsthistorikers Erwin Panofskys an, der das Denken in Bildern und über Bilder zu rehabilitieren will. Dieses Interpretationsschema bezieht sich auf Kunstwerke und ist in drei Untersuchungsphasen aufgeteilt: präikonografische Analyse, ikonografische Analyse und ikonologische Interpretation.)) Pictorial turn und iconic turn heben unterschiedliche Gesichtspunkte der Bilder hervor. Der „pictorial“ turn betont vor allem den Beitrag der Bilder „zur kulturellen Konstruktion im täglichen Leben, in den Medien, in Repräsentationen und in den visuellen Künsten“ (Mitchell 2003, 38). Der „iconic“ turn betrachtet die Produktion von Wissen durch Bilder: „Es sind nicht Texte, sondern Bilder, die die Wende zum 21. Jahrhundert markieren und sich in unsere Köpfe eingebrannt haben.“ (Burda 2004, 11) Natürlich haben solche bildwissenschaftlichen Überlegungen Auswirkungen auch auf die Diskursforschung.
Bilder als Elemente von Dispositiven
In dem von Sabine Maasen, Torsten Mayerhauser und Cornelia Renggli herausgegebenen Band „Bilder als Diskurse. Bilddiskurse“ werden Bilder als Elemente von Dispositiven betrachtet. Es sollen die „komplexen, sich wechselseitig bedingenden, miteinander interagierenden Verhältnisse zwischen Sichtbarem und Sagbarem ins analytische Visier“ genommen werden. (Massen / Mayerhauser / Renggli 2006, 8 ) Anknüpfend an Foucault wird nach den Prozeduren gefragt, mit denen der Diskurs „kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird.“ (Foucault 1991, 11)
So wie textliche Aussagen durch die „Verknappung“ regiert werden, so verhält es sich auch mit bildlichen Aussagen. Insofern geht eine Analyse von sprachlichen und ikonografischen Bildlichkeiten der Frage nach, „wovon sich wer auf welche Weise zu welchem Zeitpunkt an welchem Ort (k)ein Bild machen kann.“ (Maasen / Mayerhauser / Renggli 2006, 8 )
Michel Foucault hat sich in einigen Texten zum Zusammenhang von Bildern und Worten geäußert – allerdings sind diese Äußerungen nur auf die Kunst bezogen. ((In einer Rezension des Buches „Studien zur Ikonologie“ schreibt er resümierend: „Der Diskurs ist also nicht die gemeinsame Interpretationsgrundlage aller Erscheinungen einer Kultur. Eine Form erscheinen zu lassen, ist keine indirekte (subtilere oder auch naivere) Art, etwas zu sagen. Nicht alles, was die Menschen tun, ist letztlich ein entschlüsselbares Rauschen. Diskurse und Figur haben jeweils ihre eigenen Seinsweise; aber sie unterhalten komplexe, verschachtelte Beziehungen. Ihr wechselseitiges Funktionieren gilt es zu beschreiben.“ (Foucault 2001, 796) )) Dennoch erkennen Maasen, Mayerhauser und Renggli bei Foucault ein „kontinuierliches Interesse an den komplexen Sicht- und Sagbarkeitsverhältnissen“.(13) „Die Konzepte des Raums, des Lichts und des Betrachters, die Foucault als Analyseraster aus Manets Werken destilliert, besitzen unmittelbare Relevanz für seine großen empirischen Studien der modernen Disziplinarregimes.“ (13) Und in der Tat gilt dies insbesondere für sein Paradigma des Panoptikums, das durch eine spezifische architektonische Anordnung künstliche Überwachungsräume schafft (die Gefängniszelle), die durch entsprechende Lichtverteilungen (ständige Beleuchtung der Zelle) ein problemloses Betrachten des Gefangenen ermöglicht. Das Panoptikum kann insofern als eine „Sehmaschine“ (Foucault 1995, 266) begriffen werden, mit der Machtwirkungen automatisiert und Machtpraktiken entindividualisiert werden.
Maasen, Mayerhauser und Renggli heben vor allem zwei kulturwissenschaftliche Forschungsrichtungen hervor, die sich für eine Einbeziehung von Bildern in Gesellschaftsanalysen stark machen und sich dabei an Foucault anschließen: die surveillance studies (angelehnt an „surveilleir et punir“) und die visual culture studies. Während die surveillance studies vor allem die Bedeutung der Ausbreitung neuer medientechnologischer, digitaler Überwachungsmöglichkeiten z.B. durch Videokameras fokussiert und damit um die Kontrolleffekte und repressiven Momente, die durch Bilder produziert werden, geht es bei den visual culture studies umfassender um die visuellen Erfahrungen im Alltag und in den Medien, also um die Allgegenwart von Bildern, die über TV, Internet oder anderen Medien präsent sind. Es geht darum zu erforschen, welches Wissen durch die Bilder produziert und reproduziert wird. ((So begreift Tom Holert zum Beispiel Sichtbarkeit als Produkt diskursiver, institutioneller, kultureller und historischer Vorbedingungen, kurz: „Sichtbarkeit ist stets ‚produziert’, nie umstandslos gegeben.“ (Holert 2000, 20) Kritik an Bildern lasse sich nur dann üben, wenn man sie auf „ihre Beteiligungen an Praktiken der Willens- und Wissensbildung untersucht.“ (Holert 2000, 18) )) Beide Perspektiven gehen aber davon aus, dass „Bilder (…) Realität nicht einfach ab(bilden), sondern [sich] beteiligen […] an der Konstruktion von gesellschaftlicher Realität; Bilder tauchen in bestimmten Macht-Wissens-Konstellationen (Dispositiven) auf, verteilen im intermedialen Zusammenspiel mit Texten oder architektonischen Formationen Sichtbarkeiten, erzeugen politische Relevanzen und ermöglichen die Verortung entsprechender Subjektpositionen.“ (19) Torsten Mayerhauser will den von ihm wahrgenommenen Umstand, dass „von Ausnahmen abgesehen – diskursanalytische oder diskurstheoretische Studien ein bildanalytisches bzw. bildtheoretisches Defizit“ haben durch den systematischen Einbezug normalismustheoretischer Überlegungen beheben (Mayerhauser 2006, 75). Er bezieht sich dabei auf die Normalismustheorie von Jürgen Link, weil diese „wurzelnd in ihrer sprachwissenschaftlichen Tradition, im Gegensatz zum Gouvernementalitätsansatz explizit Bilder – sowohl sprachlicher als auch visuell-technischer Provenienz – in ihre Analyse mit ein[beziehe].“ (76) ((Vgl. zum Normalismus Link 20063. Trotz dieses „Gegensatzes“ kann die Gouvernementalitätstheorie aber mit einbezogen werden, da sie auf den gleichen theoretischen Grundlagen fußt.)) so verweise etwa Jürgen Links Konzept des „inneren Bildschirms“ auf ein Wechselspiel zwischen sprachlichen und bildlichen Visualisierungen, „zwischen ‚inneren’ und ‚äußeren’ Bildern“. (76) Mayerhauser plädiert somit für eine Gleichstellung von Bildern und Texten innerhalb der Analyse und will „Bilder innerhalb polytechnologischer Dispositive (…) verorten, um genau jene Macht-Wissens-Schnittstellen zu markieren, die zur visualisierten und visualisierenden Konstitution moderner individueller und kollektiver Subjekte beitragen.“ (76.) Denn im Dispositiv werde das diskursive Wissen als ein Macht-Wissens-Komplex gefasst. Verstanden als Netz diskursiver und nicht-diskursiver Elemente entstehen hier „Strategien von Kräfteverhältnissen“ (Foucault 2003, 395), die bestimmte Wissensformen durchsetzen und andere ablehnen. Bilder funktionieren in diesem Zusammenhang als „Kommunikationsbeschleuniger“. Mit Bildern könne an „innere Bilderwelten individueller Subjekte (angeschlossen werden), die sich wiederum selbst aus den historisch, kulturell und massenmedial bereitgestellten Bilderquellen speisen.“ (83) Bilder seien Oberflächen innerhalb von Feldern bzw. Ordnungen des Sichtbaren. Analog der Feststellung, dass nicht alles zu jeder Zeit und an jedem Ort sagbar ist, lässt sich mit Blick auf die Bilder fragen, unter welchen Bedingungen kann etwas zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort durch Bilder sichtbar gemacht werden.
Unter Einbezug der Gouvernementalitätstheorie komme Bildern die Funktion zu, „bestimmte Handlungs- d.h. Normalisierungsbedarfe sichtbar- und damit wahrnehmbar zu machen, um entsprechende Sozial- und Selbsttechnologien an die (selbst-)führende Hand zu geben.“ (85)
Dabei vermitteln die Massenmedien den einzelnen Subjekten Orientierungsmöglichkeiten und lenken sie dorthin, wo „die ‚Führung der Führungen’ arrangiert wird.“ (88) Auf diese Weise kann das Selbstführungspotential der Subjekte aktiviert werden, der ‚innere Bildschirm’ kann mit dem abgeglichen werden, was als normal gilt.
Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass Bilder und Texte immer nur „Wahrnehmung-Möglichkeiten“ (91) erzeugen. Sie machen etwas sichtbar und lassen anderes unsichtbar werden.
Mit seinen Überlegungen liefert Torsten Mayerhauser somit einen diskurstheoretischen Rahmen, innerhalb dessen Bilder und Texte als gleichberechtigte Analysekategorien aufgefasst werden müssen, um ihre diskursiven Effekte und Machtwirkungen zu erfassen. Offen bleiben jedoch Überlegungen, wie dies über die Berücksichtigung der Kollektivsymboltheorie hinaus methodisch umgesetzt werden kann.
Bilder und Sprache als Zeichensysteme
Ein Blick auf die Analyseversuche von Stefan Meier kann hier möglicherweise zu weiteren Erkenntnissen führen. Allerdings fußen diese auf einen theoretischen Zugang, der sich der Diskurslinguistik anschließt. (Meier 2008) Konkret überträgt er den Frame-Ansatz von Busse (Busse 2008) auf die visuelle Kommunikation, integriert die Überlegungen von Kress und van Leeuwen (1996) und erhofft sich dadurch eine adäquate Berücksichtigung mehrfach kodierter Kommunikate (Sprache – Bild – Text).
Meier betrachtet diskursive Praxis als eine multimodale Praxis, „die im Zusammenspiel unterschiedlicher Zeichensysteme oder -modalitäten realisiert wird.“ (Meier 2011) Dabei liefert Meier weniger methodologische Überlegungen als methodische Anregungen. ((Weitere Anregungen für eine Operationalisierung von Bildanalysen im Rahmen den KDA lassen sich teilweise auch bei Bohnsack 2009 finden. Allerdings beziehen sich seine methodischen Vorschläge für Bild- und Videointerpretationen nicht auf Diskursanalysen.)) Meier schlägt für die Analyse von Bildern folgende drei Schritte vor (Meier 2009): Zunächst sollen über die dargestellten Gegenstände, Sachverhalte und soziale Konzepte die semiotischen Funktionen ermittelt werden (Bildoberfläche). In einem zweiten Analyseschritt geht es darum, die interaktive Bedeutung der Bilder zu ermitteln. Dabei sollen die Beziehungen zwischen den Betrachterinnen und den Bildinhalten herausgearbeitet werden. Diese kann durch die Betrachtung der Bildperspektive ermittelt werden. Auf der dritten Ebene werden schließlich die einzelnen Bildelemente in ihrer Komposition analysiert. Zusammengenommen soll auf diese Weise die diskursive Ebene und damit die Diskurszugehörigkeit der Bilder erfasst werden.
Schlussfolgerungen für die KDA
Der Einbezug solcher Analyseschritte in Untersuchungen auf der Grundlage der KDA könnte bedeuten, dass über die Ermittlung von Aussagen in Gestalt von (sprachlicher und nicht-sprachlicher) Kollektivsymbole hinaus die eigenständigen Wirkungen von Bildern und Bildanordnungen erfasst werden. Während die Analyse der Kollektivsymbolik die inhaltliche Seite des Diskurses aufnimmt, lassen sich dadurch die Effekte und Vermittlungsmechanismen systematisch erfassen. Innerhalb des Instrumentariums der KDA (und seiner ‚Werkzeugkiste’) könnten Bildanalysen eine Ergänzung der Feinanalysen bilden, wie sie für sprachliche Texte angefertigt werden. Wie bei Feinanalysen geht es bei der Analyse von Bildern jedoch auch darum, diese ins Verhältnis zu den Aussagen des untersuchten Diskurses (oder Diskursausschnitts) zu setzen, um zu einer Gesamtinterpretation zu gelangen.
Literaturverzeichnis
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Maasen, Sabine / Mayerhauser, Torsten / Renggli, Cornelia (Hg.) 2006: Bilder als Diskurse – Bilddiskurse. Göttingen: Velbrück Wissenschaft
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Meier, Stefan 2011: Multimodalität im Diskurs. Konzept und Methode einer multimodalen Diskursanalyse, in: Reiner Keller / Andreas Hirseland / Werner Schneider /Willy Viehöver: Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse. Band 1: Theorien und Methoden, 3. erweiterte Auflage (i.E.)
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