Vom Diskurs zum Dispositiv

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Einführung in die Dispositivanalyse. Eine Rezension von Jens Zimmermann. Erschienen in DISS-Journal 18 (2009)

Es gibt in den gegenwärtigen Gesellschafts- und Sozialwissenschaften nur selten Publikationen, die „theoretisches Neuland“ betreten. Das 2008 erschienene Buch „Vom Diskurs zum Dispositiv“ tut dies. Das mag verwundern, gehören doch die Vokabeln Diskurs und Dispositiv mittlerweile fest zum Jargon des Feuilletons und des hegemonialen Kulturbetriebs. Andrea Bührmann und Werner Schneider präsentieren eine Einführung in die Dispositivanalyse, die durch ihre wissenschaftstheoretische und methodische Kompetenz überzeugt und einen umfassenden Überblick über die bisherige Forschung gibt, die sich an den Foucault’schen Dispositiv-Begriff anlehnt.

In den ersten beiden Kapiteln (1. Diskursforschung und Dispositivkonzept, 2. Das Dispositivkonzept als Forschungsperspektive) rekapitulieren die Autoren bisherige Ansätze, um den Dispositiv-Begriff für eine empirische Forschung fruchtbar zu machen und befragen anschließend zentrale diskurstheoretische Konzepte wie ‚Diskurs’, ‚Wissen’ und ‚Macht’ auf ihren Platz innerhalb eines empirisch umsetzbaren Dispositivkonzeptes. In einer ersten theoretischen Bestimmung fassen Bührmann und Schneider die Dispositivanalyse als einen Forschungsstil, in dessen Fokus die „Bestimmung des je über Wissen vermittelten Verhältnisses von Diskurs, Macht und gesellschaftlichen Sein“ steht. (32) Der Begriff des Forschungsstil macht deutlich, dass es sich bei dieser Konzeption nicht um eine fixe Kanonisierung von Methoden und deren Umsetzung im Forschungsprozess handelt, sondern eher um eine Rahmung mit Hilfe spezifischer Leitfragen. Die analytischen Leitfragen der Dispositivanalyse konstituieren vier Felder: Praktiken (96-99), Subjektivationen/Subjektivierungen (100ff.), Objektivationen (103f.) und sozialer Wandel (105ff.). Diese Fragen sind für Bührmann/ Schneider zugleich die Gütekritierien einer „’gelungenen’ Dispositivanalyse“ (84), da sie das interpretative Gerüst für eine konkrete empirische Umsetzung stellen. Als methodologische Basis für diese Überlegung steht die „re-konstruktive Analytik“, die den Fokus verschiebt „von der Analyse diskursiver Praxisformen und ihrer potenziellen (Macht-)Wirkung hin zur systematischen Analytik auch ihrer praktisch-materialen Entstehungsbedingungen und Folgewirkungen – und zwar sowohl für das beforschte Alltagssubjekt als auch für das forschende Forscher-Subjekt.“ (89) Im 4. Kapitel zeigen Bührmann / Schneider an den Beispielen des Geschlechterdispositivs und des Sterbe-/Todesdispositivs, wie die theoretischen und methodologischen Überlegungen in der Forschungspraxis umgesetzt werden können. Dabei zeigt sich, dass beide das Postulat der relativen, methodischen Offenheit für ihre Dispositivforschung ernst nehmen. Der von ihnen eingenommene „dispositivanalytische Blick“ (132 u. 146) auf das spezifische Forschungsfeld erfordert von dem/der Forscherin thematische und theoretische Informiertheit, um z. B. analysetragende Leitdifferenzen wie „diskursiv“ und „nicht-diskursiv“ identifizierbar zu machen und in das Forschungsdesiderat zu integrieren. Hier wird noch einmal deutlich, dass beide sich um die Grundlegung einer Dispositivforschung bemühen, die eine „Rahmung“ für heterogene aber theoretisch integrierbare Konzepte darstellt. Dies wird auch beim Ausblick im Schlusskapitel deutlich. Als dringlichste Fragen werden die Prüfung neuer Theorieanschlüsse sowie eine stärker machttheoretische „Verhältnisbestimmung zwischen Diskurs bzw. diskursiven Praktiken und nicht-diskursiven Praktiken.“ (155)

Andrea Bührmann und Werner Schneider leisten mehr als eine „Einführung in die Dispositivanalyse“ Hervorzuheben ist vor allem ihre Bestrebung, die heterogenen und bisher diffus nebeneinander stehenden theoretischen und empirischen Bemühungen zu einer Dispositivforschung zu verbinden.

Andrea D. Bührmann / Werner Schneider
Vom Diskurs zum Dispositiv
Eine Einführung in die Dispositivanalyse
2008 Bielefeld: Transcript
ISBN 978-3-89942-818-6
80 S., 15,80 €