„NO a Bolonia!“

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Wie Studenten in Spanien die Reform verhindern wollen. Von Alexander Wolf. Erschienen in DISS-Journal 18 (2009)

Jeden Morgen nach dem Aufstehen wird Luis daran erinnert, wofür er kämpft. Der Betonklotz, in dessen Innern er sein Zelt aufgeschlagen hat, ist die Fakultät für Journalistik der öffentlichen Universität Complutense, der größten Uni Madrids. Fast jeder Zentimeter in dem gewaltigen Gebäude strotzt vor revolutionären Sprüchen. „Gegen die Privatisierung der Universitäten!“ heißt es da in blutroten Lettern, oder „Bologna ist der Tod der freien Bildung“. In einem Seminarraum neben dem kleinen Protestcamp im Foyer der Fakultät widmen sich einige Studierende gerade den Grundlagen des europäischen Mediensystems. Als zwei Protestler mit Schlabberhosen eintreten, um noch einmal an den großen Streik in der nächsten Woche zu erinnern, sagt die Professorin: „Hört gut zu, das hier ist wichtig! Vielleicht nicht mehr für euch, aber für alle, die nach euch studieren gehen!“

Die Umstellung auf das Bachelor / Master-System ist in Spanien gerade in vollem Gange. Was auf EU-Ebene 1999 beschlossen wurde und bis 2010 umgesetzt sein soll, soll einen europäischen Hochschulraum schaffen. Das Studium soll international vergleichbar und die Absolventen sollen besser auf den Beruf vorbereitet werden. Nebenbei wird das Studium verschult und verdichtet – in sechs Semestern soll der Bachelor geschafft werden; der Master dauert in der Regel zwei Semester mehr.

In Spanien hat dieser ‚Bologna-Plan’ Wellen des Protestes, Demonstrationen und Besetzungen ausgelöst. In den letzten fünf Jahren wurden drei spanische Bildungsminister verschlissen. Die erste und zweite Generation, die nach dem totalitären Franco-Regime aufgewachsen ist, versteht unter Demokratie noch einen Ort der Mitbestimmung (und das nicht nur am Wahltag). Was in Deutschland in den 68ern passierte, zeigt sich derzeit zumindest ansatzweise in Spanien.

Glaubt man den Studenten, gefährdet der Bologna-Prozess die Unabhängigkeit der Bildung, die Freiheit der Forschung und die Gerechtigkeit des Systems. Bologna öffne die Tür für Einfluss der Wirtschaft, außerdem seien die Masterplätze zu rar und zu teuer. Die Art und Weise, wie die Neuerung zustande kam und wie sie umgesetzt werden soll, empört die Spanier. Eine ausreichende Rücksprache mit der Basis, mit Professoren, Mittelbau, Verwaltung und natürlich den Studierenden gab es nicht. Damit hätten viele der jetzt offenbar werdenden Ungereimtheiten von vorne herein im Vertrag von Bologna vermieden werden können. Stattdessen wurde auf höchster europäischer Ebene entschieden, was nunmehr für alle Mitgliedsstaaten zu gelten habe.

Klar ist: Nicht alles, was Bologna fordert, ist schlecht. Die Hochschule nach humboldtschem Ideal entspricht nicht mehr den Ansprüchen unserer Zeit. Wegen der Fülle der politischen und demographischen Ansprüche und „Sachzwänge“ und aufgrund der selbstverschuldeten, komplizierten Hierarchien wurden die Unis zu „überlebenstüchtigen Versagern“. Sie bedurften einer Reform.

Doch warum wehrten sich die Studierenden in Deutschland nicht wirklich nachhaltig, als der Bologna-Prozess begann? Erst vor kurzer Zeit ist der durchaus mit Idealismus und Energie geführte Kampf gegen die Studiengebühren zu Ende gegangen. Aber der Widerstand war nicht ausreichend – von oben wurden und werden Tatsachen geschaffen, die nachträglich nur schwer verändert werden können. Die Studiengebühren sind Realität und werden es wohl auch vorerst bleiben. Mitbestimmung, so der Eindruck vieler, ist nicht erwünscht; sie durch Demonstrationen, Streiks oder andere Aktionen einzufordern, führt zu nichts.

Diese Grundstimmung ist nicht nur in der Universität zu beobachten. Auch bezogen auf die Politik fällt in Deutschland immer wieder das Wort „Verdrossenheit“: Den Parteien fehlen Nachwuchspolitiker, die Wahlbeteiligung war bei Europawahl und Bundestagswahl erschreckend gering. Fast schon bezeichnend für die Protestkultur der deutschen Studenten ist, dass sich ihre Professoren nun an ihrer Stelle wehren: Eine Riege von mehr als zwanzig Hochschullehrern aus mehreren Unis von Dortmund bis Duisburg schlägt jetzt die Wiedereinführung des Diploms vor – parallel zum Bachelor – dort wo es sinnvoll ist.