Die Zweite Intifada in deutschen Printmedien

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Von Siegfried Jäger und Margarete Jäger

Erschienen unter dem Titel „Die Nahost-Berichterstattung zur Zweiten Intifada in deutschen Printmedien“ in: Siegfried Jäger / Franz Januschek 2004: Gefühlte Geschichte und Kämpfe um Identität, Münster, 147-168.

Unsere Untersuchungen der Medienberichterstattung zur Zweiten Intifada haben ein lebhaftes Medienecho hervorgerufen, ein primär negatives, erschrecktes, aufgeschrecktes, polterndes bis denunziatorisches. Es denunzierte nicht nur unsere Ergebnisse nahezu unisono, nicht nur die von uns angewandten Verfahren, sondern in einer Reihe von Fällen auch die an der Untersuchung beteiligten WissenschaftlerInnen und Institutionen. ((Das Projekt wurde geleitet von Margarete Jäger und Siegfried Jäger. Weitere Mitarbeiter waren Gabriele Cleve, Ina Ruth, Frank Wichert und Jan Zöller. Die Langfassung der Studien in inzwischen im Münsteraner LIT-Verlag erschienen (S. Jäger / M. Jäger 2003).)) Andreas Disselnkötter hat in der Zeitschrift Tribüne kritisch referiert, wie die Medien unsere Studie aufgenommen haben und auch Jobst Paul hat diese – wie er sagt – heftige Begegnung zwischen Diskursanalyse und Medien in der Nr. 44/2002 der Zeitschrift kultuRRevolution ausführlich gewürdigt.

Uns hat diese Kritik besonders gewundert, weil wir in erster Linie nur konstatiert haben, was in den Medien geschrieben stand. Fakt ist, dass Israel, Israelis, Ariel Scharon, aber auch die Palästinenser und Yassir Arafat durchweg sehr negativ dargestellt werden. Ob diese Kritik berechtigt ist oder nicht, war nicht unser Thema. Dass die Art und Weise der Darstellung antisemitische Vorurteile bedient oder bedienen kann, dürfte allerdings unbestreitbar sein; allerdings auch vielfach antiislamische bzw. rassistische. Wobei die Medien in ihren Besprechungen unserer Studie allerdings meist unterschlagen haben, dass wir auch dies aufgezeigt haben.

Wir werden im Folgenden versuchen, die wichtigsten Ergebnisse dieses Projekts zu skizzieren und zur Diskussion stellen.

Uns interessierte vor allem die Frage, wie und wodurch sich durch die Medien über einen längeren Zeitraum hinweg ein Wissen über Israel und den Nahost-Konflikt herstellt. ((Vgl. dazu und zum Verfahren der Diskursanalyse generell S. Jäger 2001a+b.)) Dieses Wissen wird nicht durch den einen oder anderen Artikel erzeugt, sondern dadurch, dass die Leserinnen und Leser immer wieder mit bestimmten Bildern und Zuschreibungen konfrontiert werden, so dass sich im Laufe der Zeit feste Vorstellungen und Bewertungen ergeben. Mit anderen Worten: Durch die Rekursivität einzelner flüchtiger Bilder und Zuschreibungen ergibt sich ein mehr oder minder festes Wissen, ein mehr oder minder deutlich konturiertes Bild von Israel und dem Nah-Ost-Konflikt.

Dieses Wissen bildet die Grundlage dafür, wie deutsche Leserinnen und Leser Israel, die Israelis und natürlich auch die Palästinenser zur Kenntnis nehmen. Dabei ist zu beachten, dass neues Wissen sich immer an altes Wissen ankoppelt, dieses bestärkt oder auch in Bewegung bringen kann, es also verändert.

Nun ging es bei unserem Projekt nicht um die Einschätzung wahrer oder falscher Berichterstattung über bestimmte Ereignisse. Wir sind uns darüber im Klaren, dass die Sicht auf gleiche Sachverhalte sehr stark von den jeweils eingenommenen Perspektiven bzw. Diskurspositionen geprägt ist. Es ging uns um die Beantwortung der Frage, mit welchen Vorstellungen und Deutungsmustern deutsche Printmedien die Ereignisse im Nahen Osten aufnehmen und auf ihr Bild von Israel, den Israelis und den Palästinensern beziehen.

Wiederbelebung von Ressentiments? Anlass und Fragestellungen

Die Zweite Intifada hatte und hat auch weiterhin in den deutschen Printmedien ein riesiges Echo. Dass deutsche Medien den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgen, hat seinen Grund vor allem auch in der jüngeren deutschen Geschichte: Trotz aller zu beobachtenden Schlussstrichbemühungen bestimmen Nationalsozialismus und Shoah das deutsch-israelische Verhältnis und die innerdeutsche historische Debatte auch heute noch. Dabei wissen wir aus verschiedenen Untersuchungen, dass antisemitische oder antizionistische Vorurteile in Deutschland nach wie vor – wenn auch zum Teil nur latent und öffentlich eher tabuisiert – vorhanden sind. ((Vgl. dazu die Untersuchungen z.B. von Bergmann / Erb 1991, Bergmann 1995 und jetzt auch zusammenfassend Haury 2002.)) Zu fragen war daher, ob und wie die aktuelle Medienberichterstattung über den Nahost-Konflikt diesem Umstand Rechnung trägt.

Die Untersuchung ging von den folgenden Fragestellungen aus:

  • Wie ist das Image der Konfliktparteien beschaffen? Mit welchen Zuschreibungen werden ihre Akteure versehen?
  • Enthält der Diskurs über die Zweite Intifada antisemitische Diskurselemente (Stereotype), die zur Wiederbelebung von Ressentiments gegenüber Israel und den Juden führen können?
  • Enthält der Diskurs über die Zweite Intifada anti-islamische Diskurselemente (Stereotype), die zur Stärkung von Vorurteilen gegenüber Moslems führen können?
  • Auf welche Weise schließt sich der Diskurs um die Zweite Intifada an andere deutsche Diskurse an?

Unser Verständnis der Begriffe Antisemitismus und Rassismus ((Vgl. dazu u.a. auch bereits S. Jäger / Januschek 1992.)) schließt sich eng an die bisherige Antisemitismus- und Rassismus-Forschung an. Dies gilt auch für neuere Konzepte wie die von Shulamit Volkov und Thomas Haury, die zu dem Ergebnis kommen, Antisemitismus sei eine Folge der absoluten Gegensätzlichkeit des Judentums zur Nation, in Deutschland eben zum Deutschtum (Volkov 2000, Haury 2002). Haury sieht zudem einen fundamentalen Unterschied zwischen Rassismus und Antisemitismus, den er einerseits an der Funktion des Antisemitismus für die Definition der Nation festmacht, andererseits aber an den Unterschieden in den stereotypen Zuschreibungen. So werde und könne nicht etwa Türken der Vorwurf gemacht werden, sie agierten verschwörungstheoretisch. Obwohl dies nicht im Mittelpunkt des Projektinteresses stehen konnte, kann anhand unserer Ergebnisse zum Intifada-Diskurs verdeutlicht werden, dass solche Differenzierungen möglicherweise angebracht sind.

Das Material

Das Material-Korpus der Untersuchung umfasst die im Zeitraum vom 28.9.2000 bis zum 8.8.2001 in folgenden Printmedien (Tages- und Wochenzeitungen) erschienenen Artikel: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurter Rundschau, Der Spiegel, Süddeutsche Zeitung, Der Tagesspiegel, die tageszeitung, die Welt. Insgesamt wurden 2505 Artikel erfasst, von denen diejenigen einer Diskursanalyse unterzogen wurden, die sich auf folgende Ereignisse bezogen: der „Tempelberg-Besuch Ariel Scharons“ (28.9.00), „Der Tod des palästinensischen Jungen Mohammed al-Dura“ (30.9.00), die „Lynchmorde an zwei israelischen Soldaten in Ramallah“ (12.10.00) sowie das „Selbstmord-Attentat vor einer Diskothek in Tel Aviv“ (1.6.01). Diese vier Ereignisse wurden im Medien-Diskurs besonders ausführlich dargestellt – wir bezeichnen sie deshalb als diskursive Ereignisse. Insgesamt wurden 427 Artikel einer qualitativen Analyse unterzogen.

Überblick über die wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung

Bei einer Diskursanalyse die Analyse diskursiver Ereignisse in den Mittelpunkt zu stellen, hat den Vorteile, dass sich sowohl Bruchlinien und / oder Veränderungspunkte von Diskursverläufen herausarbeiten lassen, wobei dies gleichzeitig vor dem Hintergrund vorhandener dominanter Strukturen des Diskurses geschieht. Insofern lässt sich auch das Allgemeine des Diskurses herausstellen. Wir werden deshalb nun kurz die besondere Funktion der diskursiven Ereignisse für den weiteren Nahost-Diskurs herausarbeiten, um in einem weiteren Schritt den Nahost-Diskurs insgesamt zu charakterisieren.

Zunächst zur Funktion der untersuchten diskursiven Ereignisse für den Diskursverlauf „Zweite Intifada“ insgesamt

Das diskursive Ereignis „Tempelbergbesuch“ markiert den Beginn der sogenannten Zweiten Intifada. Es hat die Berichterstattung über die gesamte Zweite Intifada insofern nachhaltig geprägt, als es immer wieder und nahezu einhellig wenn auch nicht als Verursacher, so doch als Auslöser der Zweiten Intifada herausgestellt wurde. Insofern kann gesagt werden, dass im deutschen Printmediendiskurs Einhelligkeit darüber besteht, dass das erneute ‚Aufflammen’ der Auseinandersetzungen durchaus eine Vorgeschichte hat, die in dem seit Gründung von Israel immer wieder aufbrechenden Nahost-Konflikt zu sehen ist.

Doch als Auslöser neuer Kämpfe und Konflikte wird diesem Ereignis ein besonderer Stellenwert zugeschrieben: So werden in den deutschen Medien die Tempelbergunruhen immer wieder als unmittelbare Folge des Tempelbergbesuchs Ariel Scharons dargestellt. Die Möglichkeit, dass Arafat die Intifada absichtlich vom Zaun gebrochen habe, statt mit den Verhandlungen mit Israel fortzufahren, wird im gesamten deutschen Printmedien-Diskurs kaum angesprochen.

Nur durch zwei Argumente wird dies eingeschränkt: So wird ins Feld geführt, der Tempelbergbesuch sei nicht nur mit der damaligen Regierung von Ehud Barak, sondern auch mit Vertretern der Palästinensischen Autonomiebehörde abgesprochen gewesen (vgl. z.B. FAZ, 4.1.01). Außerdem wird in einigen wenigen Berichten und Kommentaren darauf hingewiesen, dass es palästinensische Jugendliche gewesen seien, von denen die Gewalt ausgegangen sei und dass sie „den ersten Stein geworfen“ hätten. Es gibt also durchaus die Deutung, dass der Tempelbergbesuch, so provozierend er gewesen sei, der palästinensischen Seite auch als willkommener Anlass dazu diente, die Zweite Intifada auszurufen, mit der Israel durch Terror macht- und druckvoll zu Konzessionen gebracht werden sollte (Tagesspiegel, 23.4.01). Dass dies Teil einer Strategie Arafats gewesen sein könnte, wird jedoch nicht angesprochen. Nach dem Tempelbergbesuch ist eine optimistische Einschätzung der Verhältnisse im Nahen Osten für die Print-Medien offenbar nicht mehr möglich. Der Diskurs „Nahost-Friedensprozess“ wird danach als absoluter Problemdiskurs fortgeführt.

Darüber hinaus konnte die Analyse über den Tempelbergbesuch eine weitere Akzentuierung des Nahost-Diskurses sichtbar machen. Indem in den Berichten die israelische Seite durchweg als Besatzungsmacht, als hochgerüstet und als gewalttätig charakterisiert wurde, als formierte Kraft, die jederzeit zu ‚Vergeltungsmaßnahmen’ bereit und in der Lage sei, wird die palästinensische Seite in der Zweiten Intifada als die eindeutig schwächere Seite positioniert.

Auch der Tod des Mohammed al-Dura wird diskursiv als eine weitere solche Folge aufgenommen. Die Analyse der Berichte über dieses Ereignis, die unisono davon ausgingen, dass der Tod des Jungen durch israelische Soldaten verursacht worden war, und seines weiteren diskursiven Einsatzes im Nahost-Diskurs, hat gezeigt, dass beide Konfliktparteien mit erheblich negativen Zuschreibungen versehen wurden. Dies geschah vor allem durch den Einsatz emotional aufgeladener Bildsequenzen sowie durch dramatisierende Kollektivsymbole. Hinsichtlich der diskursiven Effekte führte dies dazu, den Nahen Osten als ein „Pulverfass“ zu imaginieren, das im Begriff ist zu explodieren.

Der Tod des 12-jährigen Jungen richtete den diskursiven Blick außerdem auf die Rolle der Kinder innerhalb der Intifada. Die Beteiligung von Kindern und jungen Personen an den Kämpfen und ihre Beeinflussung durch die gewaltsamen Auseinandersetzungen produzierte im Diskurs vor allem Fassungslosigkeit und Ratlosigkeit. Beiden Seiten wird vorgeworfen, sie missbrauchten den Tod der Kinder für Propagandazwecke, wobei sich in dieser Hinsicht die Palästinenser – wie es heißt – als „wahre Meister“ erwiesen.

Die Möglichkeit einer solchen Instrumentalisierung der Medien war auch dem Umstand geschuldet, dass der Tod des 12-Jährigen durch ein Kamerateam gefilmt worden war. Dies wurde in den Medien auch besonders hervorgehoben. Und es begann eine Debatte um die Rolle der Medien in diesem Konflikt, die sich allerdings allein auf die vor Ort agierenden Medien bezog und deutsche Medien kaum berücksichtigte.

Auch die am 12.10.2000 folgenden Lynchmorde von Ramallah wurden in Fotos und Filmen festgehalten, was dazu beitrug, dass die Diskussion über die Funktion der Medien im Nahost-Konflikt, die durch den Tod von Mohammed al-Dura initiiert wurde, weitergeführt wurde. Zentral thematisierte und problematisierte die Berichterstattung über diese Morde jedoch vor allem die Eskalationslogik der Auseinandersetzungen. Die Lynchmorde an den israelischen Soldaten werden als Reaktion der „aufgebrachten palästinensischen Menge“ auf Scharons „Provokation“ und auf den Tod Mohammed al-Duras verstanden.

Ein weiterer Umstand verändert den Diskursverlauf Nahost: In Verbindung mit der diskursiven Verarbeitung der Lynchmorde wird auf eine drohende Rechtsentwicklung in Israel als innenpolitische Reaktion auf die Eskalation aufmerksam gemacht. Ein möglicher Autoritäts- und Machtverlust von Jassir Arafat wird seltener thematisiert und vor allem nicht mit entsprechenden negativen Szenarien ausgestattet. Dies verweist darauf, dass Israel eine aktivere Rolle für eine Friedenslösung zugewiesen wird. Angesichts all dieser Bewertungen wird zunehmend ein Eingreifen von dritter Seite gefordert.

Das vierte diskursive Ereignis zum „Selbstmord-Attentat in Tel Aviv“ koppelt sich daran zurück. Denn zentral ist hier die europäische und ganz besonders eine deutsche Vermittlungspotenz im Nahen Osten. Die bereits im Diskurs virulente, immer wieder hervorgehobene Einforderung diplomatischer Initiativen wird hier weitergeführt und präzisiert. Die Vermittlungsbemühungen des deutschen Außenministers Fischer, der während des Anschlags in Israel weilte, werden einhellig positiv herausgestellt.

Insgesamt kann festgestellt werden, dass der Intifada-Diskurs sich als Eskalationsdiskurs konstituiert, in dem jedes der vier diskursiven Ereignisse eine weitere Zunahme der Eskalation markiert, wobei das erste dieser Ereignisse einen deutlichen Einschnitt im davor schwelenden Konfliktdiskurs darstellt.

Negative Aufladungen: Zuschreibungen im Nahost-Diskurs zur Zweiten Intifada

In allen der vier untersuchten diskursiven Ereignisse finden sich durchgängig Zuschreibungen, die ein Bild Israels und der Israelis sowie der Palästinenser zeichnen, das äußerst negativ ist. Dabei treten neben in deutschen Diskursen verbreitet üblichen Negativcharakterisierungen auch solche auf, die für die Konfliktparteien im Nahen Osten spezifisch sind, also ohne Zweifel antisemitisch oder antiislamisch.

Negative Zuschreibungen zu Israel

Israel wird als ein Staatsgebilde mit verschiedenen Institutionen und demographischen Untergliederungen wahrgenommen. Auch die politische Führung des Landes wird vorwiegend – mit der Ausnahme der Symbolfigur Ariel Scharon – neutral dargestellt, auch wenn gelegentliche Negativdarstellungen nicht fehlen.

Es überwiegt eine Konzentration auf die Darstellung der militärischen und politischen Überlegenheit der israelischen Seite. Diese wird nicht nur durch Bilder und eine überwiegend martialische Sprachgebung evoziert, sondern auch dadurch, dass die Motive dieser Politik als „Demütigung“ der palästinensischen Bevölkerung interpretiert werden.

Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass in der Phase der militärischen Operation „Schutzwall“ durch die israelische Armee im Frühjahr 2002 die antisemitischen Töne im deutschen Mediendiskurs deutlich hörbarer geworden sind.

Eine negative Charakterisierung wird auch dadurch vorgenommen, dass die militärischen Aktionen Israels vornehmlich als Aktionen von Maschinen geschildert werden: „israelische Kampfhubschrauber beschossen … mit Raketen, … israelische Panzer fuhren auf, … Hubschrauber nahmen … unter Beschuss, … israelische Schnellboote patrouillierten, … Israel … riegelt ab“ (FR, 13.10.). „Israel holt zum Gegenschlag aus: Kampfhubschrauber nehmen … Ramallah unter Beschuss, … Panzer rollen an; Gefeuert wird auf, … (es werden) gezielt Symbole der Autonomie-Regierung attackiert…“ (FR, 13.10.). „Israel setzt Luftangriffe fort,… Kampfhubschrauber … griffen an“ (FR, 14.10.).

So wird insgesamt der Eindruck eines absolut ungleichen – und damit unfairen – Kampfes hergestellt, und es verfestigt sich das Bild: Panzer gegen Steine.

Als eine besonders negativ dargestellte Personengruppe müssen die israelischen Siedler gelten.

Die prominenteste Negativgestalt jedoch ist Ariel Scharon, der vielfach mit abwertenden Begriffen belegt wird. Scharon wird z.B. als „personifizierte Katastrophe“ und als „Haudegen“ (FR) bezeichnet. Er sei ein „skrupelloser und zu allem fähiger Dunkelmann“ und „Scharfmacher“ (Spiegel) – um nur einige Beispiele zu nennen.

Negative Zuschreibungen zu den Palästinensern

Die palästinensische Seite erfährt ebenfalls starke negative Wertungen. Sie wird häufig als „amorphe“ und „hysterisierte Masse“, als aufständisch, emotional und rückständig charakterisiert, als atavistisch, etwa dann, wenn Väter von zu Tode gekommenen Kindern diese als Helden und Märtyrer feiern, die sich aber nunmehr im Paradies befänden (vgl. z.B. Spiegel v. 6.8.01 oder Welt v. 6.6.01).

Vor allem die Organisationen der Hamas und des Dschihad werden als bedrohliche terroristische Vereinigungen angesehen, die Arafat nicht wirklich unter Kontrolle habe.

Daneben gibt es eine Fülle negativer Darstellungen Arafats. Zu betonen ist allerdings, dass Arafat bei weitem nicht die gleiche negative Charakterisierung erfährt wie Scharon.

„Sie schießen, um zu töten“. Antisemitische Diskurselemente und Anspielungen

Mehrfach taucht der „hässliche Israeli“ auf (FR, Spiegel, 9.10.). Dabei handelt es sich nicht nur um eine antisemitische Zuschreibung. Hier wird gleichzeitig der „hässliche Deutsche“ aufgerufen, dessen Gesicht im Faschismus zu Tage trat. Insofern wird hier die deutsche Vergangenheit angesprochen und diese, indem die Opfer der Shoah mit den Tätern assoziiert werden, entsorgt. Auch der vorgenommene Vergleich von Scharon mit Hitler hat diese Funktion (taz).

Daneben tauchen kulturalistisch grundierte Attribuierungen in Form von Anspielungen auf, die sich auf antisemitische Stereotypen beziehen lassen, wie z.B. Juden seien rücksichtslos und radikal, besonders brutal, unversöhnlich, fundamentalistisch, heuchlerisch, überheblich, machthungrig und verschwörerisch.

Vor allem die Vertreter der israelischen Armee gelten als rücksichtslos und radikal:

Die Art der Kampfführung von Seiten der israelischen Armee wird als besonders brutal hervorgehoben. Israelische Soldaten werden als überaus „hart“, als „erbarmungslos zurückschießende Soldaten“ dargestellt (FR). Den Soldaten wird unterstellt: „Sie schießen, um zu töten“ (Spiegel).

Als brutal und rücksichtslos wird auch Ariel Scharon gezeichnet, wenn in fast allen Zeitungen von ihm die Rede als „Bulldozer“ ist (u.a. taz).

In die Nähe von Fundamentalisten gerückt werden jüdische Siedler, wenn sie pauschalisierend als „nationalreligiös“ bezeichnet werden (FAZ).

Durch den Verweis auf einen Buchttitel von Henryk M. Broder „Die Irren von Zion“ in der Welt (4.10.), mit dem israelisches Handeln beschrieben wird, werden antisemitische Lesweisen möglich: Zum einen werden Juden als verrückte Zionisten konnotiert, ohne dass dies ausdrücklich selbst formuliert würde. Zum anderen kann diese Wendung auf die „Protokolle der Weisen von Zion“ anspielen und damit auf die Konstruktion, Juden arbeiteten an einer Weltverschwörung.

„Schlächter“ Scharon: Christlicher Antijudaismus

Daneben taucht eine Fülle von Zuschreibungen auf, die in Verbindung zu jahrhundertealten christlich tradierten Vorurteilen stehen, die durch die Zeiten hindurch immer wieder aktualisiert wurden. Es finden sich Anspielungen auf Menschenopfer, die Juden brächten, und auf eine angeblich besondere Blutrünstigkeit von Juden: So ist vom „Schlächter Scharon“ die Rede (FAZ), an seinen Händen klebe Blut (FAZ und auch Welt); dazu gehört auch die Phrase „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ (Spiegel).

Blutrunst und Blutdurst wird nahegelegt bzw. angespielt, wenn vom „Schlachthaus der Religionen“, vom „blutigen Donnerstag“ (Spiegel), vom „Durst nach Blut und Tränen“, von „Blut an den Händen“ (Tagesspiegel) die Rede ist oder davon, dass in einem „See aus Blut gebadet“ werde (Tagesspiegel).

Diese wenigen Beispiele sollen andeuten, dass die Berichterstattung über Israel eine Reihe antisemitischer bzw. antijudaistischer Diskurselemente enthält bzw. dementsprechend dekodiert werden kann. Dies bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass diese Berichterstattung durchgängig antisemitisch sei. Es werden jedoch deutliche „Duftmarken“ gesetzt, die von denjenigen Leserinnen in Deutschland, die über antisemitische ‚Wissenselemente’ verfügen, entsprechend decodiert werden oder doch decodiert werden können.

Insofern lässt sich sagen, dass in das Bild von Israel und den Israelis antisemitische Vorurteile eingehen. Zu bedenken ist zusätzlich, dass auch einfache, auf den ersten Blick nur negative Zuschreibungen zu Juden, die sich keinen direkten antisemitischen Stereotypen zuordnen lassen, trotzdem einen antisemitischen Nebensinn enthalten können, weil und wenn der Begriff Jude als solcher bei nicht-jüdischen Deutschen bereits Befangenheiten auslöst, wie dies z.B. der israelische Botschafter Schimon Stein in einem Interview in der FR vom 9.3.2002 berichtete: „Schon das Wort ‚Jude’ ist für Deutsche schwierig. Es ruft Erinnerungen hervor. Deshalb vermeidet man bis heute das Wort. Das haben mir auch Mitglieder der jüdischen Gemeinden bestätigt: Die Deutschen sind beim Gebrauch des Wortes ‚Jude’ ganz und gar unfrei. Das spricht für eine Befangenheit.“ ((Das Wort kann – linguistisch gesprochen – je nach Verwendung und Verwender antisemitisch konnotiert sein. Es wird dann nicht rein sachlich dekodiert, sondern emotional aufgeladen.)) Dass diese Befangenheit nicht für alle deutschen Nicht-Juden gilt, sollte allerdings ebenfalls gesehen werden.

Doch bereits die Bezeichnung Israel und Israelis ist nicht unproblematisch. Thomas Haury beobachtet als ein neues Phänomen „das internationale Auftreten einer spezifischen Form der Israelfeindschaft, die realiter nur das antisemitische Ressentiment kaschiert und transponiert.“ „Über die Kritik israelischer Kriegsführung und Politik gegenüber den Palästinensern“, so schreibt er, „kann der >Staat der Opfer< zum >Täterstaat< und damit der >Jude<, das Sinnbild des unschuldigen Opfers, als >Israeli< zum Täter erklärt werden. Via Israel die Juden selbst als Völkermörder zu demaskieren ist die erfolgversprechendste Strategie der antisemitischen Verkehrung der Opfer zu Tätern zur Relativierung von Auschwitz und der neuerlichen Legitimation des Antisemitismus.“ (Haury 2002, S. 126)

Falsch wäre es jedoch trotzdem sicherlich, jegliche Kritik an Israel und den Israelis als antisemitisch zu denunzieren. (Wie eine solche gerechtfertigte Kritik an Israel und Israelis auszusehen hätte, war jedoch nicht Gegenstand unserer Untersuchung.)

Unkalkulierbar und gefährlich: Antiislamische Zuschreibungen

Die Nahost-Berichterstattung zur Zweiten Intifada in den deutschen Printmedien enthält – wie gesagt – auch viele Negativcharakterisierungen, wenn von Palästinensern die Rede ist, und zudem antiislamische Zuschreibungen. ((Für eine ausführliche Darstellung dieser Zuschreibungen verweisen wir auf den Projektbericht.)) In diesen Fällen werden kulturelle Zuschreibungen wie die der Gewalttätigkeit in Zusammenhang mit dem Islam gebracht, der dann als Grund für die Gewalttaten interpretiert werden kann: Gläubige Palästinenser bewarfen die israelische Polizei mit Steinen, so heißt es etwa in der FAZ vom 30.9.2000; Arafat habe den Konflikt in einen Glaubenskrieg verwandelt (FR); „angeführt wird der neue Aufstand von islamistischen Eiferern, die bewusst Öl in das Feuer gießen…“ (Die Welt, 10.10.)

Weitere Beispiele für Zuschreibungen, mit denen Unberechenbarkeit, Gewaltbereitschaft, Grausamkeit und Brutalität transportiert werden, sind etwa: „die „Menge traktierte…Leichen“, „mordlüsterne Menge“, „johlende“ Zurufe, „wütender Mob“ (FR, 13.10.), „amorphe Masse“ (SZ, 13.10.), „entfesselte“ Demonstranten, „anstürmender Mob“ (alle: Tagesspiegel) „brutalisierte Menge“ (Welt).

Derartige Darstellungen rücken alle Palästinenser in die Nähe von fanatischen, hysterischen und unzurechnungsfähigen Menschen. Sie erscheinen als unkalkulierbar und damit als gefährlich. Dass diese Gefahr einen religiösen Hintergrund habe, wird deutlich herausgehoben. Die Hamas sei „radikalislamisch“ (FAZ, 14.10.). Auch Bezeichnungen wie „Märtyrer“ (FR, 22.11.) stellen den Bezug zum Islam her.

Auch werden Stolz und Ehre als Eigenschaften, die häufig dem Islam bzw. Moslems zugeschrieben werden, angesprochen, wenn z.B. die Familie eines Attentäters als „stolz auf die Tat ihres Sohnes“ beschrieben wird (FAZ 5.6.01). Derlei Zuschreibungen finden sich durchgängig und müssen als fester Bestandteil des Diskurses gelesen werden. Freiwillige für Attentate werden als „fromme Muslime“ und „fanatische Nationalisten“ bezeichnet (Spiegel, 6.8.2001). Es wird vom „Terrorexport der islamistischen Gruppierungen“ gesprochen, womit auch die Gefahr beschworen wird, dass sich der Terror auf andere Regionen ausdehnen könne. (taz, 5.6.01) Eine für westliche bzw. europäische Rezipientinnen abwegige Vorstellung wird ebenfalls häufig mit dem Islam assoziiert, wenn als Motivation der Selbstmordattentäter auf das Märtyrertum hingewiesen wird: „der Märtyrer fällt im heiligen Krieg und geht ins Paradies ein“ (Welt, 6.6.01).

Bei all diesen Zuschreibungen bieten sich Anschlusspunkte dafür, die Gewalt als direkt vom Islam hervorgebracht zu interpretieren. Durch die im Mediendiskurs immer wieder auftauchende Verknüpfung von Islam und Gewalt oder Islam und Fanatismus kann in Deutschland auch an Diskurse wie z.B. über Ausländerkriminalität angeknüpft und es können Vorurteile und Rassismus bedient werden.

Israelis und Palästinenser als Kritiker an Israel in deutschen Medien

Mehrfach erfolgt eine Kritik an Israel und seiner Politik durch israelische und palästinensische Kritikerinnen. Eine Kritik von Palästinensern an der palästinensischen Politik ist dagegen nicht oder äußerst selten aufzufinden. Diese Diskurstaktik deutscher Zeitungen mag sich daraus erklären, dass sie aus den bekannten historischen Gründen davor zurückschrecken, Israel unmittelbar kritisch anzugehen. Solche Rücksichten gegenüber den Palästinensern bestehen im deutschen Diskurs nicht.

Besonders deutlich findet sich diese Taktik, sich hinter scheinbar unangreifbaren Kritikern zurückzuziehen, in der FAZ, in der vor allem zu Beginn der Intifada israelische, jüdische und arabische Autoren zu Wort kamen. Edward Said, der als „Arafats Mann in New York“ vorgestellt wird, kann in seinem Beitrag die israelische Politik polemisch und mit antisemitischen Duftmarken versehen kritisieren. Im Beitrag des deutschen Historikers Dan Diner ist ein Foto montiert, auf dem – wie die Unterschrift ausweist – Edward Said im Südlibanon „Steine auf israelische Grenzposten“ wirft. (FAZ, 12.10.) Amos Oz, israelischer Autor und bekanntes Mitglied der Friedensbewegung, war in der Zeitung bereits vorher zu Wort gekommen und hat dort seine Position vertreten. Durch eine solche Anordnung der Beiträge wird vor allem die israelische Seite mit Kritik bedacht.

Israel als westlicher Stachel im Orient

Kollektivsymbolisch betrachtet wird Israel als ein Staatengebilde begriffen, das mit einem negativen Subjektstatus versehen ist. Das hochgerüstete Militär wird als Eskalationsfaktor betrachtet, der allerdings lenk- oder steuerbarer zu sein scheint, als die unkontrolliert agierenden palästinensischen „Massen“.

Im Unterschied zu den Städten in den palästinensischen Autonomiegebieten wird z.B. die Stadt Tel Aviv als eine „Spaßmetropole“ mit einem „Inselstatus“ (SZ, 5.6.01) beschrieben, die fernab von Krisengebieten einen besondern Status genieße. Die hier lebenden Menschen führten scheinbar ein ‚zivilisiertes’ und ‚normales’ Leben. Westliche Beobachter, so wird zitiert, staunen: „Das hier kann nicht der Nahe Osten sein. […] Das hier muss Rimini sein oder Miami Beach“ (Tagesspiegel, 3.6.01).

So wird Israel als westlicher Stachel im Orient inszeniert. Westlicher Kultur wird palästinensische Rückständigkeit gegenübergestellt.

Die religiös-kulturelle Dimension

Ein weiteres strukturelles Element des Nahost-Diskurses ist die Herauskehrung der religiösen Dimension des Konflikts. Dabei findet eine Fokussierung auf den Gegensatz zwischen Islam und Judentum statt. Christen spielen zumindest in der Berichterstattung aktueller Ereignisse im Untersuchungszeitraum keine Rolle. So heißt es etwa: „Hebron, das heilige Pulverfaß. Weil sie voll ist von historischen Gebäuden und Heiligtümern beider Konfessionen, wird die Hass-Stadt von Muslimen und Juden gleichermaßen als heilige Stätte verehrt. Die Heiligkeit bindet eine Menge Hysteriepotenzial.“ (Spiegel, 16.10.2000)

Eng verbunden mit solchen Zuschreibungen ist die Betonung unterschiedlicher „Mentalitäten“ beider Bevölkerungen. Diese werden häufig als miteinander unvereinbar dargestellt – obwohl Gemeinsamkeiten existierten und man auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen sei. So liest man etwa: „Juden und Palästinenser sind halsstarrige Völker, die viel Anerkennung brauchten, sie leiden beide unter einem Flüchtlings- und Opferkomplex, von dem sie sich nicht befreien können“ (FR, 22.11.). Oder es heißt, Israelis und Palästinenser seien miteinander verflochten wie „Haarsträhnen in einem Zopf“ (FR, 22.11.) ((Darauf hinzuweisen ist, dass solche Aussagen, wie die oben zitierten, von israelischen Autoren stammen.)).

Paternalistische Überheblichkeiten

Solche Unverträglichkeiten führen nach Auffassung der Zeitungen zu einer durchgängigen Instabilität der gesamten Region, die kollektivsymbolisch als „Pulverfass“ oder „Krisenherd“ verortet wird. Der Effekt ist, dass der Eindruck hergestellt wird, vom Nahen Osten gingen unkalkulierbare Risiken und Gefahren aus. Es gingen latent oder akut vom Nahen Osten Bedrohungen hervor, die eine Normalität verunmöglichen.

Im Unterschied zur Berichterstattung über andere ‚Krisenherde’ in der Welt – beispielsweise Jugoslawien oder Afghanistan – werden aber keine militärischen Interventionen von außen gefordert; vielmehr werden durchgängig und wiederholt Friedensverhandlungen und verstärkte diplomatische Bemühungen vorgeschlagen. Hinzugefügt werden muss allerdings, dass vor dem Hintergrund der rassistischen oder ethnozentristischen Perspektive auf den Konflikt, die im Printmediendiskurs aufzufinden ist, solche diplomatischen Bemühungen quasi kontaminiert sind, weil sich aus der Position einer vermeintlichen Rationalität der jeweiligen Analyse paternalistische Überheblichkeiten ergeben können. ((Im Unterschied zu rassistischen Einstellungen gehen ethnozentristische Positionen davon aus, dass die als anders konstruierten Gruppen ihre ihnen unterstellten negativen Verhaltensweisen und Eigenschaften verändern und ablegen können. Maßstab für diese Veränderung ist dabei jedoch allein, dass sie sich in Richtung der Normen- und Wertevorstellungen der eigenen Gruppe verändern.))

Kritik an beiden Seiten heißt nicht Ausgewogenheit

Im gesamten Diskurs wird deutliche Kritik an beiden Konfliktparteien laut. Diese Kritik erfolgt jedoch mit unterschiedlichen Mitteln, was, wie die Analyse zeigen konnte, zu negativen Effekten führt. So werden den Gräueltaten der einen Seite Gräueltaten der anderen Seite gegenübergestellt, womit beide Parteien als unzivilisiert und tendenziell barbarisch gedeutet werden. Dies geschieht vielfach durch die Präsentation von Fotos, aber auch in den Texten selbst, wenn etwa der Erschießung des 12-jährigen Mohammed al-Dura – wie es immer wieder heißt – durch israelische Soldaten die Erschießung eines 10 Monate alten israelischen Kleinkindes durch palästinensische Scharfschützen gegenübergestellt wird: „Shalhevet Pas hieß das Mädchen, Opfer religiösen und politischen Wahns. Das Kind starb, noch bevor sich sein Leben richtig entfalten konnte“ (vgl. Welt, 28.3.01). Auch dort, wo in der Berichterstattung das Bemühen um Fairness deutlich erkennbar ist, hat die Analyse zeigen können, dass der deutsche Blick dieses Bemühen konterkariert. Es gelingt nicht wirklich, sich in die Situation beider Kontrahenten hineinzuversetzen und z.B. die Hintergründe oder gar Genese des Konflikts differenziert zu analysieren und damit begreifbar zu machen.

Solche Negativzuschreibungen sind nicht unbedingt rassistisch oder antisemitisch; sie markieren zunächst einmal nur Kritik, Kritik an beiden Seiten. Zu übersehen ist jedoch nicht, wie Thomas Haury konstatiert, „dass eindeutig antisemitische Personen oder Gruppen eine überproportionale und prinzipielle Israelfeindschaft zeigen“ (Haury 2002, S. 126). Entsprechendes dürfte aber auch für die Kritik an den Palästinensern gelten: Allgemein rassistische Personen kritisieren überproportional orientalische Personen und Länder generell.

Kollektivsymbolik

Die Berichterstattung zur Zweiten Intifada ist mit reichhaltiger Kollektivsymbolik versehen, durch die das Geschehen häufig dramatisiert wird oder auch Personen nicht nur negativ charakterisiert, sondern zum Teil auch dämonisiert und mit Tieren gleichgesetzt werden. ((Zur Kollektivsymbolik vgl. Link 1982 passim.))

Kollektivsymbole können bekanntlich, ähnlich wie andere Zuschreibungen, der Charakterisierung von Personen, Personengruppen, Situationen und Ereignissen dienen. Oft werden sie sowohl in ihrer direkten wie in ihrer indirekten Bedeutung gelesen. Dies gilt insbesondere für die sogenannten Pragmasymbole ((Unter Pragmasymbolen verstehen wir Kollektivsymbole, die sowohl als Zuschreibung zu einem konkreten Gegenstand wie auch symbolisch gelesen werden (können). So kann Panzer das militärische Gerät meinen wie auch symbolisch Übermacht signalisieren: Panzer gegen Steine.)) und für religiöse Zuschreibungen, die meist auch eine symbolische Komponente besitzen (s.o.).

Wellen der Gewalt: Natur-Symbolik

Vor allem Natursymbole rücken das Geschehen in den Bereich des menschlich nicht zu bewältigten Konflikts und des Selbstlaufs. Hier dominieren in der Berichterstattung Bezeichnungen wie Welle der Gewalt, Welle des Terrors, Welle des Hasses, Flächenbrand, Feuersbrunst, Lauffeuer. Auch ist die Rede vom Wiederaufflammen der Gewalt. Krieg flackert auf und ein Funke könne zum Ausbruch der Gewalt führen (Welt) Der Konflikt wird auch als ein Beben charakterisiert; die Hoffnung auf Frieden verbrenne.

Vor allem Ariel Scharon wird als Falke, als Löwe auf dem Sprung und als Pyromane tituliert, Symbole, mit denen ihm Menschlichkeit und Vernunft abgesprochen werden.

Kettenreaktionen eines Pulverfasses: Technik-Symbolik

Auch durch Techniksymbole werden die Geschehnisse als eigendynamisch und kaum kontrollierbar unterstrichen: es dominiert hier das Symbol des Druckes, insbesondere auch das der Spirale der Gewalt und des Terrors. Ventile sollten geöffnet werden. Auch ist von einer Kettenreaktion blinder oder kalkulierter Gewaltsamkeit die Rede. Im Nahen Osten herrsche Hochspannung, man befinde sich dort auf einem Pulverfaß, das jederzeit explodieren könne. Scharon wird vielfach als Bulldozer bezeichnet.

Durst nach Blut und Tränen: Körper-Symbolik

Mit dem Einsatz von Körpersymbolen wird das verletzbare Selbst, das Fehlen von Vernunft, die Gefährdung des Lebens etc. herausgestellt. So ist z.B. vom Herz der heiligen Stadt (Jerusalem) die Rede und von den Herzen, die in Brand gesetzt werden. Der Konflikt wird mit Irrsinn in Verbindung gebracht, womit allen Beteiligten Vernunft abgesprochen wird. Die Al-Aksa-Moschee wird als „unser Leben“ bezeichnet. Es ist die Rede vom tiefen Tal der Angst und der Tränen oder vom Friedensprozeß, der im Blut ertrinke. Es gäbe „immer noch einen riesigen Durst nach Blut und Tränen“ (Spiegel). Die Blutsymbolik ist insgesamt stark verbreitet, womit die Auseinandersetzung zwischen Israel und den Palästinensern als besonders brutal und atavistisch gekennzeichnet wird.

Die palästinensische Bevölkerung wird als ein schwer atmendes, schwer berechenbares Ungeheuer und als „verlängerter Arm des Volkszorns“ bezeichnet. Es ist von einer „krebsgeschwürartigen Ausweitung der israelischen Siedlungen im Westjordanland die Rede. Man wolle die „Nerven der Gegenseite“ (Welt) zerrütten.

Aus dem Gleichgewicht: Symbole der Normalisierung

Selten finden sich Bilder des Ausgleichs und der Normalisierung. Sie treten am ehesten dann auf, wenn der Nahe Osten als eine Region von Denormalität und Instabilität gezeichnet wird und Wege aus dieser Situation beschworen werden: So heißt es z.B., dass wieder eine Position des Gleichgewichts eingenommen werden müsse, dass ein Weg zurück zur Normalität eingeschlagen werden müsse, der von meßbaren Maßnahmen begleitet sein sollte. In diesen Komplex gehören auch Symbole wie Pause, Ruhe, Fixierung, Stillstand, etc.

Prozeß in Flammen: Dramatisierende Symbolketten

In der Regel tauchen diese Kollektivsymbole in einer Kette von Bildbrüchen (Katachresen) auf. Sie mäandern gleichsam durch die Texte, so dass hochgradig kollektivsymbolisch aufgeladene Szenarien entstehen. Das folgende Beispiel zeigt eine besonders dichte Verkettung solcher Symbole aus unterschiedlichen Bildspendebereichen und kann demonstrieren, wie ihr Einsatz ein dramatisches Szenario entstehen lässt.

Bereits in der Überschrift eines Artikels aus der SZ vom 2.10.2000 ist von „Pyromanen“ die Rede, die Politik machen. In der Unterschrift heißt es: „In Nahost wird ein Flächenbrand gelegt, und die Verantwortlichen gießen Öl ins Feuer“. Der Artikel selbst beginnt folgendermaßen:

Rauchschwaden ziehen übers gelobte Land, der Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern scheint in Flammen aufzugehen. Vom Jerusalemer Tempelberg aus haben sich die Unruhen wie von schnellen Winden befeuert über die palästinensischen Autonomiegebiete ausgebreitet. Ein Flächenbrand droht, und das hat viele Ursachen: Der Boden, also die Basis für den Frieden, ist allzu trocken und das Unterholz verdörrt. Doch das Feuer ist nicht von selbst entflammt, das ist kein Unfall und keine Naturkatastrophe. Dieses Feuer ist entfacht worden von zwei Seiten. Das dadurch ausgelöste Chaos entspringt also verantwortungslosem Kalkül.

Auf beiden Seiten finden sich die politischen Pyromanen, die von der Gewalt zu profitieren glauben. Als oberster Brandstifter Israels hat sich in diesem Fall der Likud-Führer Ariel Scharon profiliert bei seinem Besuch auf dem Tempelberg mit den islamischen Heiligtümern am Donnerstag. Eine unerhörte Provokation war das und somit die Initialzündung. Doch ans Löschen dachte auch auf der Gegenseite zunächst keiner. Vielmehr schleppten die Palästinenser eilfertig die Ölkanister herbei. Tagelang kein Wort von ihrem Präsidenten Jassir Arafat zur Eindämmung der Gewalt.“ (Hervorhebung v. Vf.)

Auch wenn in dem Text selbst bestritten wird, dass es sich um eine Naturkatastrophe handele, so verweist die Kollektivsymbolik dennoch darauf, dass der Konflikt ähnlich schwer unter Kontrolle zu bringen ist. Hier verketten sich Symbole der Natur, der Technik, der Mathematik und der Ökonomie.

Rassismus und Antisemitismus: Anschlüsse der Nahost-Berichterstattung bzw. des Nahost-Diskurses an antisemitisch und rassistisch aufgeladene deutsche Diskurse

Bei der Reflexion der Ergebnisse der Analyse der diskursiven Ereignisse des Nahost-Konflikts ist selbstverständlich zentral zu beachten, dass deren diskursive Effekte in den deutschen Diskurszusammenhang hineinwirken und sich mit hier virulenten Themen und Positionen koppeln. Zentraler Angelpunkt ist die Auswirkung des Diskurses auf deutsche Leserinnen mit ihren jeweiligen Diskurspositionen und diskursiven Verstricktheiten.

So ist z.B. festzustellen, dass die Charakterisierungen und Zuschreibungen, mit denen die palästinensische Seite versehen wird, an rassistische und/oder ethnozentristische Vorurteile anknüpfen, die im aktuellen deutschen Einwanderungsdiskurs aufzufinden sind. Auch dort bestehen große Vorbehalte gegenüber Muslimen allgemein bzw. gegenüber Personen und Gruppen, die in Aussehen, Sitten und Gebräuchen auf Deutsche „fremd“ und „nicht normal“ wirken. Auch ihnen wird allenthalben die Fähigkeit, Konflikte westlich = rational zu lösen, abgesprochen. ((Vgl. dazu z.B. die diversen Untersuchungen des DIS zum Diskurs Einwanderung, Flucht und Asyl.))

Doch es ist nicht allein der Komplex von Einwanderung und Flucht, der durch den Printmedien-Diskurs Nahost tangiert wird. Auch die Diskussion um die Potenzen und Schwierigkeiten einer bestehenden multikulturellen- oder Einwanderungsgesellschaft wird hierdurch enorm negativ berührt. Die Berichterstattung über den Nahen Osten gibt Kritikerinnen solcher Gesellschaften Nahrung. Vor dem Hintergrund des Nahost-Diskurses, wie er sich in der aktuellen Ereignisberichterstattung auffindet, können die Thesen von Samuel Huntington vom „clash of civilisations“ fröhliche Urständ feiern. (Vgl. Huntington 1996)

Die Ereignisse in Israel, so wie sie im Mediendiskurs gedeutet und bewertet werden, reproduzieren einen in Deutschland vorhandenen Antisemitismus und verfestigen ihn. ((Vgl. dazu auch Jäger 1996, Bergmann / Erb 1991, Bergmann 1995, Rensmann 2000, Haury 2002 u.a.)) Dabei sticht das Bemühen hervor, dass die Presse in der Regel versucht, ihre Kritik an Israel nicht als eine Kritik an Juden zu formulieren. Gleichwohl muss davon ausgegangen werden, dass ein Teil der Leserinnen die Kritik auch als eine Kritik an jüdischer Politik und Jüdischsein generell rezipiert.

Doch ist eine Verfestigung antisemitischer Vorurteile auch deshalb zu befürchten, weil sich antisemitischen Lesweisen, die innerhalb der Berichterstattung über den Nahen Osten auftauchen, mit gleichartigen Elementen aus anderen Diskursen verkoppeln (können). Antisemitische Vorurteile sind z.B. in der Debatte um das Holocaust-Mahnmal in Berlin wie auch bei der über die Zwangarbeiterentschädigung oder bei der Berichterstattung über die Integration jüdischer Zuwanderer aus Osteuropa vorzufinden, um nur einige anrainende Diskursstränge zu nennen. Auch Martin Walsers Rede bei der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels im Jahre 1998 und ebenso Norman Finkelsteins Buch über die „Holocaust-Industrie“ bedienen antisemitische Vorbehalte. Hinzuweisen ist auch noch einmal auf Jürgen Möllemanns Versuch, Vorbehalte gegen Israelis im Wahlkampf zu instrumentalisieren. In all diesen Debatten wird insbesondere die Vorstellung von Juden als unversöhnlich und nachtragend produziert. ((Vgl. zur Walser-Bubis-Debatte Dietzsch / Jäger / Schobert 1999 und zur Rezeption Finkelsteins Schobert / Dietzsch 2001, sowie Schobert 2001. Vgl. auch den Beitrag von Brüggemann 2004.))

Des weiteren schließt der Diskurs über den Nahost-Konflikt auch an Diskurse an, bei denen es um die Formierung eines neuen deutschen Selbstbewusstseins geht. Die spätestens seit den Interventionen von Außenminister Fischer im Juni 2001 einsetzende Betonung einer deutschen Rolle innerhalb internationaler Vermittlungsversuche unterstützt die Stimmen, die nach der Vereinigung Deutschland als einen „normalen“ Staat sehen und die dies damit verbinden wollen, dass die deutsche Vergangenheit nunmehr abgeschlossen sei. ((Die Diskussion um ein neues deutsches Selbstverständnis wird selbstverständlich nicht nur in Verbindung mit Nahost angeregt. Auch die seit 1990 laufenden Anregungen und Anstrengungen, dass Deutschland auch wieder militärisch intervenieren soll, machen diese Positionen im Diskurs stark. Schimon Stein sagt zu dieser Schlussstrichmentalität: „Wer von Schlussstrich redet, geht befangen mit Geschichte um, hat vielleicht Angst davor, mit dem Thema konfrontiert zu werden. Auch wer einen Schlussstrich fordert, ist von Normalität noch weit entfernt.“ (FR 9.3.02) )) Die Diskussion im Frühjahr 2002 um die Entsendung von UN-Soldaten in den Nahen Osten unter einer möglichen Beteiligung deutscher Soldaten, die von Bundeskanzler Schröder angestoßen wurde, zeigt einmal mehr, wie dicht diese beiden Diskursstränge beieinander liegen.

Zugleich konnte über den Untersuchungszeitraum hinaus bis in den April des Jahres 2002 anhand kursorischer Analysen und durch die Betrachtung einzelner Artikel prominenter Personen gezeigt werden, dass sich die negative Darstellung Israels (aber auch die der Palästinenser) nach den Terroranschlägen in New York und Washington weiter zuspitzte, wobei in die Kritik an Israel vielfach auch antisemitische Stereotype eingeflossen sind. ((Für Aufsehen sorgten insbesondere ein Interview mit Günter Grass im Spiegel vom 10.10.2001 (Spiegel  on-line „Amerikanische Politik muss Gegenstand der Kritik bleiben“. Bzw. „Amerikakritik ist ein Freundschaftsdienst“), ein Artikel von Christoph Dieckmann in Die Zeit  Nr. 46 vom 14. November 2001 und ein Kommentar von Rudolf Augstein im Spiegel  Nr. 51 vom 17.12.2001. Ein Kommentar des Chefredakteurs der WAZ Uwe Knüpfer vom 4.4.2002 spielte auf Brunnenvergiftung und Weltverschwörung an.)) Das allgemeine Bild, das die Medienberichterstattung Israel und den Israelis derzeit zuweist, kann daher insgesamt als überaus düster bezeichnet werden.

Resumé

Insgesamt ist zu sagen, dass sich im deutschen Printmedien-Diskurs zum Nahost-Konflikt sowohl hinsichtlich des in ihm produzierten Israel-Bildes (und des Bildes der Palästinenser) wie auch hinsichtlich der Effekte, die davon auf die demokratische Entwicklung in Deutschland ausgehen (Verstärkung von rassistischen und antisemitischen Tendenzen), unübersehbare Schwächen zeigen. Das heißt nicht, dass die gesamte Israel-Berichterstattung als negativ einzuschätzen ist. Zu bedenken ist zudem, dass es sich bei der Studie um die Analyse eines ‚Konfliktdiskurses’ handelt.

So konnte insbesondere die Analyse der Zuschreibungen zu Israel und den Israelis zeigen, dass diese mit starken Negativcharakterisierungen bedacht werden, insbesondere wenn es um das ungleiche Kräfteverhältnis zwischen der als martialisch charakterisierten israelischen Armee auf der einen und den als hoffnungslos unterlegen dargestellten Palästinensern auf der anderen Seite geht (Panzer gegen Steinewerfer). Letztere werden zwar ebenfalls durchweg kritisch gesehen, erscheinen aber doch eindeutig in der Rolle der Opfer.

Daneben findet sich eine Fülle von negativen Charakterisierungen der Israelis oder des Staates Israel, durch die der Konflikt personalisiert und verallgemeinert wird. Es werden abwertende Zuschreibungen vorgenommen, durch die den Personen ihr Subjektstatus aberkannt wird, indem sie mit Maschinen („Bulldozer“) oder Tieren („gurrender Falke“, „Bulle“) verglichen werden. Auch Fahnenbegriffe wie z.B. „Kriegstreiber“ und „Haudegen“, „Scharfmacher“, „personifizierte Katastrophe“ und „Fanatiker“ heizen den Diskurs auf und dämonisieren die dargestellten Personen oder Gruppen. Schließlich führt auch eine Inszenierung von Glaubensvorstellungen, die von deutsch-christlicher Normalität abweichen und als exotisch und/oder fundamentalistisch gelten, zu Vorurteilen.

Negative Zuschreibungen zu Palästinensern, die als für diese Gruppe spezifisch anzusehen sind („islamistische Eiferer“, „Märtyrer“), sind demgegenüber bedeutend seltener anzutreffen. Daneben ist aber zu beobachten, dass es eine Fülle von Negativzuschreibungen gibt, die nicht als direkt antipalästinensisch oder antiislamisch zu bezeichnen sind, die aber dem in Deutschland verbreiteten Zuschreibungsfeld „Rassismus“ angehören („hysterisierte Masse“, Rückständigkeit).

Darüber hinaus enthalten die Zuschreibungen gegenüber Israel und den Israelis auch pejorative Anspielungen auf alttestamentarische Ereignisse oder Sentenzen und andere antijudaistische Stereotypen (wie etwa Kindermord, Auge um Auge, alttestamentarische Rache etc.), die dazu führen, dass antisemitische Diskurselemente im deutschen Diskurs aktiviert werden. Das geschieht bereits dann durch Begriffe wie Jude und jüdisch, insbesondere wenn diese in negativen Kontexten auftreten, etwa in Verbindung mit ‚Hardliner’, ‚Pyromane’, ‚Brandstifter’, die dazu führen, dass die an sich neutrale Bezeichnung Jude negativ aufgeladen wird.

Zu berücksichtigen ist, dass solche antisemitischen Diskurselemente immer auch die deutsche Vergangenheit aufrufen. Dies geschieht häufig in Gestalt von Projektionen, durch die Begrifflichkeiten aus der nationalsozialistischen Geschichte auf die Juden und Israel übertragen werden („selektive Kollektivstrafe“, „der hässliche Israeli“, der Vergleich von Scharon mit Hitler). Hierdurch wird gleichzeitig eine Relativierung der deutschen Vergangenheit vorgenommen.

Die in der Berichterstattung eingenommenen Perspektiven sind häufig paternalistisch. Die Dargestellten werden aus einer vermeintlich unangreifbaren Position von Fortschrittlichkeit, bei der man sich auf erreichte demokratische Errungenschaften beruft, abgewertet. Dabei werden Israel (und die palästinensischen Autonomiegebiete) vornehmlich aus dem Blickwinkel von Mord und Totschlag wahrgenommen. Dass es sich bei Israel um eine in weiten Teilen laizistische Gesellschaft handelt, wird kaum beachtet und kann deshalb in das durch den Diskurs vermittelte Israel-Bild nicht Eingang finden.

Deutlich wurde weiter, dass sich Journalistinnen häufig hinter Zitaten in direkter oder indirekter Rede oder/und auf Interviews zurückziehen und damit Kritik oder Sympathie stellvertretend zum Ausdruck bringen lassen (Israelis kritisieren Israelis). Negative Symbole und Zuschreibungen, die in solchen Texten vorkommen, zeitigen aber die gleichen Effekte wie Texte von Mitgliedern der Redaktionen. Diese Vorgehensweise ist vor allen Dingen dann zu beobachten, wenn die israelische Konfliktseite kritisiert wird.

Auch die zu beobachtenden Versuche, einseitige und vorurteilsbeladene und/oder -erzeugende Berichterstattung dadurch zu vermeiden, dass den Gräueltaten der einen Seite diejenigen der anderen entgegengestellt werden, haben negative Effekte, da sie beide Seiten diskreditieren. Insgesamt ist zu sagen, dass die eigene Perspektive auf den Diskurs von journalistischer Seite nur unzureichend reflektiert wird. Das führt zu Einseitigkeiten und Parteinahmen, die als solche nicht kenntlich gemacht werden.

Die verwendete Kollektivsymbolik trägt nicht zuletzt mit zu einer Dramatisierung und Sensationalisierung der Berichterstattung über die Zweite Intifada bei. Damit wird der gesamte Nahe Osten als quasi naturwüchsiger ‚Brandherd’ inszeniert. Sowohl Israelis wie auch Palästinenser werden durch diese Symbolik in gleicher Weise als unvernünftig und gefährlich dargestellt. Dabei rückt sie gesellschaftliche Konflikte in die Nähe von Naturereignissen oder technischen Prozessen. Diese Gleichsetzung findet ihren beredtesten Ausdruck in dem Symbol von der „Spirale der Gewalt“.

Insbesondere die Tatsache, dass die produzierten Texte mit ihren negativen Zuschreibungen immer Anschluss an deutsche historische und aktuelle Diskurse finden oder doch finden können, ist zu berücksichtigen. Insofern sind solche Texte oftmals dazu geeignet, in deutschen Diskursen vorhandene antisemitische und rassistische Vorurteile zu reproduzieren oder auch erst herzustellen.

Rassismus und Antisemitismus, wie Thomas Haury vorschlägt, begrifflich deutlich zu unterscheiden, was also hieße, die von uns verwendete Bezeichnung „rassistischer Antisemitismus“ zu vermeiden, halten wir für überflüssig. Beiderlei Wissensformen zeichnen sich dadurch aus, dass im Diskurs von deutscher Normalität abweichende Personen oder Gruppen als Rassen konstruiert und negativ bewertet werden. Dies geschieht mit Stereotypen, die entweder schlicht negativ sind oder aber für die so konstruierten Gruppen spezifisch sind. Was ihre Funktion betrifft, dienen beide der Abgrenzung angeblich deutscher Identität von fremder Identität, wenn auch möglicherweise in unterschiedlicher Stärke.

Abschließend möchten wir jedoch anmerken, dass große Unterschiede bestehen können zwischen dem, was gesagt wird, und dem, was verstanden wird. Das macht die Analyse solch sensibler Themen, wie der Intifada-Diskurs eines darstellt, so schwierig. Dies verweist aber zugleich darauf, dass die mediale Bearbeitung solcher Themen besonderer Sorgfaltspflicht zu unterliegen hat. Diese ist in den von uns analysierten Diskursen keineswegs durchgehend zu beobachten gewesen.

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