Deutsche Kontroversen um die kulturelle Moderne 1880-1945. Eine Rezension von Siegfried Jäger. Erschienen in DISS-Journal 10 (2002).
Das Buch stellt eine historische Diskursanalyse des Verhältnisses von Bildungsbürgertum und kultureller Moderne dar, das sich in der Weise entwickelte, daß zunehmend Unverständnis für die modernen Künste entstand und das Bildungsbürgertum damit darauf reagierte, einen radikalen Kunstnationalismus zu verteidigen, an den die Nationalsozialisten bruchlos anschließen konnten. Nachdem die liberale Vorstellung von der Autonomie der Künste über Bord geworfen war, konnten die Nazis sich als Retter ‚deutscher Kunst‘ aufspielen, sie verdammten die Moderne als dekadent und entartet und besetzten die Massenkultur mit ihren politischen Vorstellungen. Das Resultat war eine „reaktionäre Moderne“, eine brisante Mischung, die das Zitat von Thomas Mann trefflich wie folgt beschreiben kann: „Das eben war das Charakteristische und Bedrohliche, die Mischung von robuster Zeitgemäßheit, leistungsfähiger Fortgeschrittenheit und Vergangenheitstraum, der hochtechnisierte Romantizismus.“
Die Analyse Bollenbecks trägt nicht nur Erhebliches zum Verständnis der Genese des Nationalsozialismus bei, es stellt auch ein schönes Beispiel für die Kraft der Diskursanalyse dar (wobei ein klein wenig verwundert, daß Bollenbeck den Begriff „Diskurs“ meidet und statt dessen von „Argumentationsweise“ spricht). Auf den Folgeband, der sich mit der Zeit nach dem Nationalsozialismus befaßt, darf man gespannt sein.
Georg Bollenbeck
Tradition, Avantgarde, Reaktion.
Deutsche Kontroversen um die kulturelle Moderne 1880-1945,
1999 Frankfurt/M.: Fischer
ISBN 3-10-00-4803-2
463 Seiten, 34,77 €