Von Dr. Margarete Jäger. Vortrag, gehalten am 16.9.99 an der Universität Georg-August-Universität Göttingen beim Kolloquium „Wissenstransfer zwischen Experten und Laien. Umrisse einer Transferwissenschaft“.
Untersuchungen zum Einwanderungsdiskurs in Deutschland haben sich immer wieder mit einer Argumentationsfigur auseinanderzusetzen, die ich im folgenden als Ethnisierung von Sexismus[1] bezeichne. Sie zeigt eine Diskursverschränkung an, die ganz besondere Wirkungen entfaltet. Kaum jemanden ist wohl die Auffassung noch nicht begegnet, daß türkische oder moslemische Männer besonders sexistisch seien, daß sie Frauen in besonderer Weise unterdrückten. Dieses Argument dient dann häufig als Begründung dafür, daß ein Zusammenleben mit Türken oder Moslems für ‚uns’ nur schwer oder gar nicht möglich ist. Sehr häufig wird dieser ethnisierte Sexismus auch mit dem Islam in Verbindung gebracht, wenn etwa angenommen wird, der Koran schreibe Männern die Herrschaft über Frauen geradezu vor.
Ein Vergleich mit anderen Vorurteilen, die ansonsten gegenüber Einwanderern vorgebracht werden, zeigt, daß sich dieses Argument in einem wesentlichen Aspekt von ihnen abhebt: Im Unterschied zu anderen Vorurteilen arbeitet dieser Vorwurf mit einer positiv besetzten Norm: der Gleichbehandlung der Geschlechter. Während andere Ablehnungsgründe in der Regel so ausgelegt werden können, daß sie mit Eigennutz, Neid, mangelnder Toleranz und anderen negativen Gefühlen verbunden seien, trifft dies bei der Ethnisierung von Sexismus nicht zu.[2] Das macht dieses Vorurteil so wirkungsvoll, das macht es gleichzeitig aber auch so problematisch. Denn diejenigen, denen es sowohl um die Rechte von Frauen wie auch um die von EinwanderInnen geht, geraten dadurch leicht in eine argumentative Zwickmühle, die darin besteht, daß Frauenforderungen und demokratische Rechte von Einwanderinnen gegeneinander ausgespielt werden. Andererseits darf nicht übersehen werden, daß durch diese Argumentationsweise vorhandene demokratische Inhalte und Normen aktiviert werden.
Insofern stellt sich die Frage, ob wir es bei einer Ethnisierung von Sexismus mit einer Diskursverschränkung zu tun haben, die es möglich macht, antirassistische Elemente in den Einwanderungsdiskurs hineinzutragen. Doch: Auf welche Weise könnten sich diese positiven Werte nutzen lassen? Wie könnte dies geschehen?
Diese Fragen lassen sich dann beantworten, wenn die Effekte, die Diskurswirkungen, die von einer Ethnisierung von Sexismus ausgehen, genauer beschrieben und analysiert werden. Eine solche Analyse habe ich vorgenommen, deren methodisches Vorgehen sowie deren wichtigste Ergebnisse ich hier darstellen will. Ich wollte aufdecken, auf welche Weise die am Diskurs beteiligten Personen mit einer solchen Verschränkung von Frauen- und Einwanderungsdiskurs umgehen und wie sie welche Diskurseffekte (re-)produzieren.[3]
Die Analyse von Diskursverstrickungen und -verschränkungen
Klärung des diskurstheoretischen Analyseansatz und Verortung des Untersuchungsgegenstandes im diskursiven Gewimmel
Am Anfang jeder Diskursanalyse steht die Frage nach den theoretischen und methodischen Vorüberlegungen, die in die Analyse einfließen. Sie müssen aufgedeckt bzw. für die jeweilige Fragestellung modifiziert werden. Dazu gehören die diskurstheoretischen Voraussetzungen ebenso wie die Diskussion bzw. Klärung für die Untersuchung zentraler wissenschaftlicher Begriffe – wieetwa den des Rassismus.
Mein Verständnis dessen, was unter einem Diskurs zu verstehen ist, orientiert sich vor allem an den Vorarbeiten von Jürgen Link und Siegfried Jäger. Ich fasse als Diskurs eine gesellschaftliche Redeweise, die institutionalisiert ist, gewissen (durchaus veränderbaren) Regeln unterliegt und die deshalb auch Machtwirkungen besitzt, weil und sofern sie das Handeln von Menschen bestimmt (vgl. Link 1982b, 1983). Eine solche Fassung von Diskurs schließt an den Diskursbegriff von Michel Foucault an, der den Diskurs auch als die sprachliche Seite einer „diskursiven Praxis“ auffaßt (Link/Link-Heer 1990, 90).
Siegfried Jäger hat bei seiner Diskursdefinition ein Bild aus der Natur bemüht, dem ich mich gerne anschließe. Er vergleicht den Diskurs mit einem Fluß von Rede und Texten („Wissen“) durch die Zeit (vgl. Jäger 1999, 132). Damit spricht er gleichzeitig die historische Dimension von Diskursen an, die von der Vergangenheit durch die Gegenwart in die Zukunft ‚fließen’.
Diskurs, so verstanden, meint also immer Form und Inhalt von Äußerungen; seine Analyse beantwortet, grob gesagt, die Frage danach, was zu einem bestimmten Zeitpunkt von wem wie sagbar war bzw. sagbar ist. Das bedeutet, daß immer auch die Frage danach gestellt ist, was nicht sagbar war bzw. ist.
Im Mittelpunkt der Analyse steht der Diskursstrang über Einwanderung (und Flucht), der auf der Ebene des Alltags betrachtet wird. Innerhalb dieses Diskursstranges interessiert hier besonders die Art und Weise, wie über das Geschlechterverhältnis von Einwanderinnen und Flüchtlingen gesprochen/gedacht wird. In diesem Ausschnitt berührt sich also der Einwanderungsdiskurs mit einem Teil des Frauendiskurses.[4]
Diesen (bekannten) Strukturmerkmalen habe ich ein weiteres hingefügt, mit dessen Hilfe die subjektiven und kollektiven Verstrickungen der Einzelnen in den Diskurs herausgearbeitet werden können: die Diskursposition der am Diskurs Beteiligten.
Unter einer Diskursposition verstehe ich den gedanklichen Ort, von dem aus eine Beteiligung am Diskurs und seine Bewertung für den Einzelnen und die Einzelne bzw. für Gruppen und Institutionen erfolgt. Die Diskursposition ist Resultat der Verarbeitung der besonderen diskursiven Verstrickungen, die sich aus den bisher durchlebten und aktuellen Lebenslagen der Diskursbeteiligten speisen. Sie ist somit das Resultat der Verstricktheiten in diverse Diskurse.
Von einer systematischen Berücksichtigung der Diskursposition lassen sich die subjektiven und kollektiven Verstrickungen in den jeweiligen Diskurs kenntlich machen. Auf diese Weise werden die am Diskurs Beteiligten als gestaltender Faktor systematisch bei der Analyse berücksichtigt. Dies ermöglicht, ihre vorhandenen Verstrickungen genauer zu reflektieren, um sie gegebenenfalls auflösen zu können.
<h3>Schritte der Analyse</h3>
Die Analyse wurde in fünf Schritten vorgenommen, die aufeinander aufbauen und die Diskursverschränkung immer stärker verdichten.
1. Zunächst geht es um die Entfaltung und Vergegenwärtigung des diskursiven Kontexts der Diskursverschränkung.
Das bedeutet, die Diskursstränge, aus denen sich die Verschränkung herstellt, wurden historisch und aktuell skizziert. Als Ergebnis konnte festgehalten werden, daß, daß die Kritik ansexistischen Verhaltensweisen von Einwanderern in den beiden Diskurssträngen – Einwanderung und Flucht sowie Frauen – unterschiedlich akzentuiert wird. Innerhalb des Einwanderungsdiskurses ist sie von jeher von zentraler, innerhalb des Frauendiskurses dagegen eher von untergeordneter Bedeutung. Diese unterschiedliche Gewichtung wies darauf hin, daß die weitere Analyse einer Ethnisierung von Sexismus aus dem Kontext des Einwanderungsdiskurses zu erfolgen hat.
2. Die empirische Grundlage der Analyse bilden 15 Interviews mit Bürgerinnen und Bürgern deutscher bzw. christlicher Herkunft.
Um den Alltagsdikurs möglichst vollständig zu erfassen, wurden bei der Auswahl der Interviewteilnehmerinnen möglichst alle wichtigen Diskurspositionen berücksichtigt. Dazu bediente ich mich hilfsweise soziologischer Kategorien, deren Kombination gleichzeitig hypothetische Diskurspositionen markieren. Im einzelnen sind für die Untersuchung folgende Merkmale von Interesse: Nationalität, Geschlecht, Lebensalter sowie soziale Lage (im weitestens Sinne: Beruf, Ausbildung etc.) Es wurden ausschließlich deutsche Männer und Frauen interviewt.
Die Interviews wurden in einem zweiten Analyseschritt zunächst zusammenfassend analysiert und damit die konkrete, aktuelle Ausgestaltung des Einwanderungsdiskurses auf der Ebene des Alltags beschrieben.
3. Diese Analyse bildete die Grundlage für den dritten Analyseschritt: die synoptische Analyse der Diskursfragmente. Bei dieser Analyse standen vor allem die unterschiedlichen Verstrickungen in den Einwanderungsdiskurs und die unterschiedlichen Ethnisierungsweisen von Sexismus im Mittelpunkt.
So konnte deutlich werden, daß die Diskursposition auf zweifache Weise wirksam wird: Sie prägt erstens die Wahrnehmung der Interviewten. Es findet sich zum Beispiel bei Angehörigen unterer sozialer Schichten mehr Verständnis für die Motive von Flüchtlingen, aus Elend und Not herauszukommen. Umgekehrt hat die (westdeutsche) Frauenbewegung mit ihren Normen offenbar diejenigen Personen stärker erreicht, die sich in einer eher privilegierteren Lebenslage befinden. Zumindest werden Verhaltensweisen von Personen, die nicht mit diesen Ansprüchen konform gehen, schärfer wahrgenommen. Zweitens werden Elemente der Diskursposition im Diskurs selbst zur Geltung gebracht, um soziales Verhalten zu erklären. Zum Beispiel wird rassistisches Verhalten des öfteren mit mangelnder Schulbildung erklärt.
Daß Frauen bei einer Ethnisierung sexistischer Haltungen den Sexismus heftiger kritisieren als Männer, wundert nicht. Ihr Geschlecht weist ihnen hier eine andere Diskursposition zu, die bereits dadurch zum Ausdruck kommt, in dem sie ihre eigene – potentielle oder faktische – Betroffenheit artikulieren. Dies kommt bei Männern nicht vor. Dennoch macht sich ihre ‚männliche’ Diskursposition ebenfalls geltend: Vor allem die Selbstverständlichkeit, mit der sie ihre männliche Perspektive zur allgemeinen Norm machen, ist hier auffallend.
Das bedeutet nicht, daß Frauen diesen ‚männlichen Blick’ nicht auch praktizieren; auch sie sind in patriarchale und sexistische Diskurse verstrickt, allerdings machen sich bei ihnen häufiger Brüche bemerkbar.
Die synpotische Analyse zeigte weiter, daß die Zuschreibungen von Sexismus zu Einwanderer einen unterschiedlichen Grad an Festigkeit aufweisen können. Zwei unterschiedliche Ausprägungen lassen sich finden:
Bei einer ‚statischen’ Ethnisierung von Sexismus wird das Geschlechterverhältnis zu einem Merkmal von Rassenkonstruktion. Sexismus wird z.B. als eine natürliche Eigenschaft von Moslems definiert. Diese Form von Ethnisierung von Sexismus verweist auf einen ihr zugrundeliegenden Rassismus[5], und sie muß als eine Ausdrucksform von Rassismus begriffen werden.
So äußert zum Beispiel Florian[6] auf die Frage, ob er „gravierende“ Unterschiede zwischen moslemischen und christlichen Partnerschaften sähe, wie folgt:
„Ich warn nich davor, ich sag nur einfach, die Mentalität von den Leuten ist zu verschieden. … Ich sag jetzt mal, die deutsche Frau, die is ja, die is so aufgewachsen, die ist so erzogen worden, daß sie gleichberechtigt is. … Und wenn jetzt en Araber käm, der so aufgewachsen is, der sich auch gar nich vorstellen kann, daß es irgendwat anderes gibt in der Beziehung Mann Frau, wie soll dat gutgehen? … * Weil er wird immer auf seine Erziehung pochen, auf das Recht, was er hatte, und die deutsche Frau wird sich das nie- mals gefallen lassen, also die wenigsten würden sich so wat gefallen lassen. *“ (5/724-736)[7]
Florian nimmt hier zwar keine biologische Naturalisierung in dem Sinne vor, daß er unterstellt, moslemische Männer seien von Natur aus dominant. Vielmehr betrachtet er die moslemische Erziehung als so prägend, daß eine Veränderung des Einzelnen ihm danach nicht mehr möglich erscheint. Auf diese Weise konstruiert er Sexismus zu einem Charakteristikum des moslemischen Mannes. Die Erziehung kann in diesem Sinne als eine zweite Natur angesehen werden. Entscheidend ist dabei, daß die Vorherrschaft des Mannes als ein Bestandteil islamischer Religion unterstellt wird. Florian argumentiert hier also kulturrassistisch.
Eine ‚dynamische’ Ethnisierung ist demgegenüber dann gegeben, wenn die Zuschreibungen eines patriarchalen Verhältnisses zwischen Männern und Frauen bei Moslems und/oder Türken mit einer Veränderungs- und Entwicklungsmöglichkeit verbunden, mitunter diese Entwicklung sogar als zwangsläufig prophezeit wird. Eine Naturalisierung des Geschlechterverhältnisses findet hier nicht statt, so daß diese ‚dynamische’ Ethnisierung als Ausdruck einer eher ethnozentristischen Auffassung angesehen werden kann.[8]
Eine Textpassage aus dem Interview mit Karin soll diese Variante verdeutlichen, wenn sie auf die gleiche Frage, die zuvor Florian gestellt wurde, antwortet:
„da is natürlich, die führen natürlich ’ne andere Ehe als hier die christlichen Leutchen. Mhm. * Ich mein, ich müßte auch mal, eh, den Koran lesen, hab ich mir auch mal vorgenommen, und da- her nehmen die ja auch ihre kulturellen Werte, ne? … Was der * Mohamed denen alles erzählt hat. Da weiß ich zu wenig, aber ich glaube, daß da die Frau wirklich nich so gut wegkommt, wie hier in unserer christlichen Ehe. … Daß die gewisse, ehm, Rechte und Freiheiten auch haben, diese mohamedanischen Frauen. Aber daß die doch nich so * viel Freiheit haben wie wir hier, ich mein, hatten wir Frauen ja auch noch nich mal vor zwanzig Jahren, als ich verheiratet war, hab ich ja auch noch wenig Rechte gehabt, wenn ich daran denke?! Oh, dann könnt‘ ich aber erzählen!“ (10/1086-1103)
Auch Karin bemüht hier die „kulturellen Werte“, die moslemische Personen in ihrem Verhalten beinflußten. Auch sie unterstellt, daß die Frauen innerhalb dieser Werte in ihrer Freiheit beschnitten sind. Doch sie spricht auch die Veränderungsmöglichkeiten an, indem sie Vergleiche zu ihrer eigenen früheren Situation zieht. Die Zeitachse „vor zwanzig Jahren“ prophezeit den Fortschritt einer Anpassung islamischer Werte an ‚unsere’ Normen. Im Unterschied zur ‚statischen’ Ethnisierung von Sexismus wird also hier eine Entwicklungsmöglichkeit eingeräumt. Dabei besteht die ethnozentristische Komponente darin, daß diese Entwicklung nur als eine denkbar ist, die sich zu ‚unserer’ Kultur hinbewegt.
4. Die unterschiedlichen Ethnisierungsweisen gaben gemeinsam mit der markanten Diskurspositionen (Mann/Frau) die Kriterien für die Auswahl von Textpassagen ab, die einer Feinanalyse unterzogen wurden.
Es handelte sich dabei um Diskursfragmente, in denen die Verschränkung der beiden Diskurse von „Einwanderung“ und „Frauen“ im Mittelpunkt steht. Anhand dieser Passagen wurden die diskursiven Effekte analysiert, die durch eine Ethnisierung von Sexismus im Einwanderungsdiskurs und Frauendiskurs entfaltet werden. Gleichzeitig konnte so beschrieben werden, auf welche Weise diese Effekte im (Alltags-)Diskurs produziert und reproduziert werden.
Für die Analyse von Diskursverschränkungen ist dabei der Anspielungsaspekt von Sprache von besonderem Interesse. Gerade Diskursverschränkungen lassen sich damit besonders gut erfassen, denn mit Anspielungen lassen sich Verbindungen zu weiteren Diskurssträngen herstellen, die im Gespräch dann aufgenommen oder verworfen werden können. Auf diese Weise läßt sich die Produktionsseite von Diskursen nachzeichnen. Daneben war die Betrachtung der Kollektivsymbolik gerade wegen deren interdiskursiver Funktion von zentraler Bedeutung. (Vgl. u.a. Link 1982a sowie Link/Link-Heer 1994.) Gleiches gilt für die Analyse der Präsuppositionen, der Pronominalstrukturen sowie der Akteure.
Die folgenden Leitfragen bildeten dennoch auch das Analyse-Gerüst der (vier) Feinanalyen.
Welche Diskursstränge werden in der jeweiligen Sequenz direkt angesprochen, welche angespielt? Welche Diskursstränge werden – im Hinblick auf die vorherige Sequenz – weiter aufgenommen? Welche werden nicht weiter verfolgt?
Auf welche Weise werden die Diskursstränge in der Sequenz angesprochen oder angespielt (durch Pronomina, Präpositionen, Kollektivsymbole, Anspielungen, Präsuppositionen, Phraseologismen, Aktiv-Passivkonstruktionen, Interjektionen)? Gibt es sprachliche Auffälligkeiten, Verunsicherungen etc.?
Was kann als Konsens, was muß als Dissens für den weiteren Gesprächsverlauf zwischen den Beteiligten festgehalten werden? Welche diskursiven Effekte werden hierdurch erzielt?
Was wäre alternativ sagbar gewesen? Was wäre nicht sagbar gewesen, weshalb nicht?
Auf der Grundlage der Ergebnisse dieser Feinanalysen wurden sodann die Interviewpassagen der restlichen Interviews betrachtet, in denen es um das Geschlechterverhältnis bei Türken/Moslems und Deutschen/Christen ging. Damit konnten Abweichungen, Ergänzungen und Modifikationen kenntlich gemacht werden und die Diskurseffekte weiter differenziert werden.
1. Die diskursiven Wirkungen, die innerhalb des vierten Analyseschritts herausgearbeitet wurden, werden nun in den weiteren diskursiven Kontext eingebettet, um zu einer Gesamteinschätzung zu gelangen.
Schließlich geht „Reise“ der Analyse wieder zurück: Die erarbeiteten Ergebnisse werden vor den diskursiven Kontexten entfaltet und können auf diesem Hintergrund präzise eingeschätzt werden. Vor diesem Hintergrund kann dann auch thematisiert werden, ob und wie sich nicht gewünschte diskursive Effekte vermeiden oder neutralisieren lassen.
<h2>Einige Ergebnisse der Analyse</h2>
<h3>Diskursive Effekte</h3>
Die Analysen haben gezeigt, daß durch eine Ethnisierung sexistischer Verhaltensweisen im Einwanderungsdiskurs vor allem seine rassistischen und ethnozentristischen Elemente gestärkt werden. Der den Einwanderern unterstellte Sexismus wirkt als Stütze negativer Bewertungen dieser Personen. Insofern muß eine Ethnisierung von Sexismus nicht nur als eine Äußerungsform rassistischer und/oder ethnozentristischer Konstruktionen begriffen werden, sondern darüber hinaus wurde deutlich, daß der humanitäre Gehalt, der in eine Kritik von Sexismus eingeht, im Alltagsdiskurs nicht die Kraft entfalten kann, die rassistischen und/oder ethnozentristischen Konstruktionen des Einwanderungsdiskurses aufzubrechen oder auch nur in Frage zu stellen.
Auch in bezug auf die diskursiven Effekte, die von einer Ethnisierung von Sexismus im Frauendiskurs ausgelöst werden, kann nichts Positives festgehalten werden. Hier liegen jedoch unterschiedliche, teilweise widersprüchliche Wirkungen vor.
So kann die negative Beurteilung des ethnisierten Sexismus durch die Verwicklung mit diesem Sexismus eingeschränkt, wenn auch nicht aufgehoben werden. Dies zeigte sich in den Interviews z.B. dann, wenn über das Buch „Nicht ohne meine Tochter“ gesprochen wurde. Ein Interviewpartner meint z.B., Betty Mahmoody sei nicht „glaubwürdig“ (4/510), weil sie bereits eine gescheiterte Ehe hinter sich habe.[9] Sie habe ihren Mann ‚sitzen lassen’, und aufgrund richterlicher Entscheidung habe sie kein Sorgerecht für die Kinder aus dieser Ehe.
Obwohl er zuvor den Sexismus moslemischer Männer mehrfach ethnisiert hat, lehnt der Interviewte die „Einladung“ dazu ab, Betty Mahmoody als Kronzeugin für seine Auffassung einzusetzen. Stattdessen wertet er ihre Aussagen ab und zwar mit Werturteilen, die er dem sexistischen Frauendiskurs entnimmt: Eine Mutter verläßt ihre Kinder nicht, eine Frau verläßt ihren Mann nicht. Bekommt die Frau im Falle einer Scheidung kein Sorgerecht für die Kinder, dann trägt sie offenbar die Hauptschuld am ehelichen Zerwürfnis. All diese Annahmen und Bewertungen sind aber deshalb sexistisch, weil sie im Umkehrschluß für Männer nicht gelten.
Doch eine Ethnisierung von Sexismus kann auch gegenteilige Effekte haben und Rassismus nicht abschwächen, sondern verstärken. Nachdem z.B. in einem Interview mit einer weiblichen Person diese die Beziehung ihrer Freundin mit einem Türken geschildert und dabei herausgestellt hat, in der Türke ihre Freundin ständig bevormunde, führt sie diesen Umstand darauf zurück, daß das Mann moslemisch erzogen sei. Dies veranlaßt mich als Interviewerin zu der Frage, weshalb ihre Freundin denn die Beziehung nicht beende. Damit bringe ich die Gleichstellungsnorm des Frauendiskurses ins Gespräch. Daraufhin schwächt die Interviewte ihre Bemerkungen ab, in dem sie betont, daß die Einschränkungen, die ihre Freundin erführe, so wichtig denn auch wieder nicht seien. Sie nimmt also die Anspielung auf und weist die Normen dieses Diskurses nicht zurück. Um jedoch ihre vorherige Behauptung aufrechterhalten zu können, die Verhaltensweise des Türken habe etwas mit seiner kulturellen Herkunft zu tun, betont sie diese Unterschiede nochmal, in dem sie darauf hinweist, solcherlei Unterschiede seien noch in anderen Lebensbereichen zu finden.
„Ja, ach, e-et is auch nich so gravierend, aber man kann sich einfach, eh, unsere Lebensweise kann man nich damit vergleichen.“ (8/106-108)
Die in Auseinandersetzung mit dem herrschenden Sexismus entwickelten antisexistischen Normen verstärken hier eher rassistische Konstruktionen (vom Islam und vom moslemischen Mann), anstatt sie aufzuheben.
Insgesamt muß aber gesagt werden, daß eine gleichzeitige Thematisierung von Elementen des Frauen- und des Einwanderungsdiskurses nicht nur letzteren rassistisch verstärkt, sondern hinsichtlich der Effekte, die auf den Frauendiskurs ausgehen, sexistische Wirkungen, wenn nicht herstellt, so doch konserviert.
Auf welche Weise wird Sexismus ethnisiert?
Allerdings vollzieht sich die Ethnisierung von Sexismus im Alltagsdiskurs auf unterschiedliche Weise.
Die Kopplung selektiver Erfahrungen mit Informationen aus den Medien ist dabei besonders auffällig. Dabei können die Verweise auf die Medien als Zitate des gegenwärtigen Interdiskurses gelesen werden. Durch die Verkopplung von bekannten Diskurselementen mit eigenen Erfahrungen wird die Ethnisierung von Sexismus im Alltagsdiskurs sehr häufig als Problem aufgeworfen. Um jedoch ihre ausgrenzenden Wirkungen erzielen zu können, ist mehr notwendig.
Interessant ist darüber hinaus, daß auch das Wissen, daß diese Erfahrungen selektiv sind, an dieser grundsätzlichen Konstruktion nichts ändert. Im Interview mit Magdalene wird dies offenbar. Magdalene arbeitet als Lehrerin an einem Gymnasium. Mit ihren Schülerinnen hat sie sich über die Stellung der Frau im Islam auseinandergesetzt, nachdem sie von einer Türkeireise zurückgekehrt ist:
„Ja, also haben einerseits auch auf Städte verwiesen, dat stimmt auch, in Istanbul hab ich durchaus ’ne Frau in ’nem normalen Rock, eh, inner Bank arbeitend gesehen, aber ich weiß nich, ich hab die dermaßen angestarrt, weil … das sowas Ungewöhnliches war, … Also ich dachte wirklich erst, ich hätte mich vertan beim Gucken, ne? … Eh, und verweisen halt so auf den Einfluß innerhalb der Familie. … Aber dat is et dann halt auch, ne? Dat mögen zwar wichtige Entscheidungen sein, aber man sieht se wirklich nich draußen, ne?“ (12/217-229)
Hier wird bereits deutlich, daß sich solche selektiven Wahrnehmungen mit schlichter Aufklärung darüber nicht aufbrechen lassen, daß es sich bei diesen Wahrnehmungen um interessierte Wahrnehmungen und Gewichtungen handelt.
Ein zweites Charakteristikum ist, daß die Ethnisierung von Sexismus durch die gemeinsame Arbeit der am Diskurs Beteiligten hergestellt wird. Dies kann auf unterschiedliche Weise geschehen: Z.B. dadurch, daß die Ethnisierung von Sexismus lediglich angespielt wird und diese Anspielung nicht zurückgewiesen wird. Dies war z.B. im Gespräch mit Daniel der Fall.
Nachdem wir zuvor über Betty Mahmoody gesprochen haben und das Problem von männlicher Gewalt in Beziehungen erörtert haben, hatte Daniel zu verstehen gegeben, daß er, wenn er erführe, daß ein Freund oder Bekannter dessen Freundin mißhandele, die Beziehung zu dem entsprechenden Mann abbrechen würde. Selbstkritisch fügte er hinzu, daß er damit allerdings Schwierigkeiten hätte. Dies veranlaßt mich zu der Frage:
„Mhm. Und, ehm, wär das für Sie (räuspert sich) schwieriger, sich, eh, zum Beispiel den Kontakt abzub- brechen, ehm, wenn das en deutscher Mann is oder bei ’nem türkischen Mann?
* Ja, mein Bekanntenkreis, oder unser Bekanntenkreis, der besteht ja im Prinzip nur aus Deutschen.“ (3/366-359)
Die Frage lenkt den Blick auf mögliche Gewalt, die von einem türkischen Mann ausgeht. Daß eine solche Ausweitung des Problems von mir als Wagnis angesehen wird, verdeutlichen Räuspern, Interjektionen sowie Anklänge von Stottern. Nach einer Pause stellt Daniel fest, sein Bekanntenkreis bestehe vorwiegend aus Deutschen. Der von mir angespielte Zusammenhang wird von ihm nicht aufgenommen. Stattdessen bezieht er sich auf konkrete Fakten des Alltags.
Dennoch bedeutet die Tatsache, daß Daniel sich nicht explizit gegen die im Diskurs schwelende und von mir angespielte Ethnisierung sexistischer Verhaltensweisen ausspricht, daß diese in unser Gespräch hineinwirken kann und so von uns akzeptiert wird. Dieser ausgrenzende Effekt ist also das Produkt unserer gemeinsamen Arbeit. Ohne die Anspielungen, die auch zuvor bereits mit meinen Fragen und Einlassungen verbunden waren, wäre dies nicht möglich gewesen. Das Gleiche gilt für Daniels Beteiligung. Sie ist darin zu sehen, daß er diese Anspielungen – im Unterschied zu anderen – nicht zurückweist, weil er sie nicht zurückweisen will. Und dies ist keinesfalls der Gesprächssituation zuzuschreiben. Denn an anderen Stellen des Gesprächs, z.B. als es um die Frage von Gewalt in Beziehungen ging, hat er sehr wohl deutlich gemacht, daß er eine Anspielung, deren Richtung er nicht billigt, zurückzuweisen weiß.
Im Gespräch mit Ewald werden sowohl der ethnisierte Sexismus wie auch darüber hinausgehende sexistischen Äußerungen von mir nicht zurückgewiesen und können deshalb Wirkung entfalten. Nachdem er zuvor darauf hingewiesen hat, daß Frauen bei ‚uns’ mehr Freiheiten genießen als dies bei Moslems üblich sei, äußert er sich zu den Grenzen der Freiheit deutscher bzw. christlicher Frauen:
„Wenn … beide Partner arbeiten, zum Beispiel dann, eh, ja, ich hab auch viel Kolleginnen, … eh, ja, d-die stehen auf dem Standpunkt: Wenn ich arbeite, muß … der Mann genau das Gleiche im Haushalt machen … wie ich. … die Frauen, die Kolleginnen. (seufzt) Nee, ich bin natürlich auch nich dafür, daß der, der Mann nach Hause kommt, sich dahin setzt, und die Frau macht jetzt die ganze Arbeit. Dat wär Quatsch, wenn beide arbeiten, ne? … Aber so gewisse Sachen muß doch der Frau vorbehalten bleiben, wie Wäsche und weiß ich wat, ne?
Mhm.
Daß der Mann denn och noch mitmacht,
(lacht etwas)
dat find ich, dat find ich – gut, wenn der mal en Besen inne Hand nimmt oder en Spüllappen oder, oder Geschirr spült oder auch schon mal unten den Flur putzt oder wat, dat is doch ganz okay, ne? Aber daß, daß die, daß die sagen: Oh, der muß genau datselbe machen! Dann kriegen die von mir immer son bißchen-
Was sagen Sie dann immer? (lacht)
Ja: Kommt doch gar nich in Frage! Und so. Würd ich ja nich machen! Ja, ihre Frau arbeitet auch nich, ne?
(lacht) Ah so, mhm“. (4/327-355)
Ewald verpackt seine sexistischen Zuschreibungen zu Frauen in die Schilderung von nicht so ganz ernstzunehmenden Gesprächen mit Kolleginnen am Arbeitsplatz. In diesen Gesprächen frozzelt er offenbar gegen aus seiner Sicht überzogene Ansprüche von Frauen. Durch diese Inszenierung hält er sich sowohl in der geschilderten Situation wie auch für unser Gespräch die Möglichkeit offen, einzuräumen, daß er dies alles ja nicht so gemeint habe.
Seine zuvor geäußerte Kritik am Verhalten moslemischer Männer reduziert sich in dieser Passage darauf, daß moslemische Frauen die gesamte Hausarbeit zu verrichten hätten. Das sei nicht gut, denn der Mann solle im Haushalt durchaus mithelfen. Geradezu witzig ist dabei Ewalds Formulierung, daß bestimmte Dinge den Frauen „vorbehalten bleiben“ (4/342) müßten. Im Resultat reproduziert Ewald hier einen sexistisch strukturierten Diskurs, den er allerdings durch die ironische Verstehensmöglichkeit abzumildern versucht. Daß ihm dies gelingt, darauf verweist mein Lachen.
Ohne die gemeinsame (aktive) Diskursarbeit können die rassistischen Wirkungen im Alltagsdiskurs nicht produziert werden. Dies ist deshalb bedeutsam, weil eine Analyse zeigen kann, daß es durchaus Wege gibt, wie die rassistischen Fallstricke umgangen werden könnten. So wäre die Ironie von Ewald z.B. durch eine ironische Kritik meinerseits zu durchbrechen gewesen. Eine Entgegnung wie etwa die: „Na, das ist aber auch ganz schön traditionell, was Sie hier so von sich geben!“ hätte signalisiert, daß ich mit seiner Auffassung nicht konform gehe. Ohne ein solches Signal jedoch können die sexistischen Ausführungen als Konsens verstanden werden.
Eine dritte Weise, wie eine Ethnisierung sexistischer Haltungen rassistische Wirkung entfalten kann, ist häufig dann auszumachen, wenn die moslemische/türkische Familie oder die islamische Kultur als der Ort ausgemacht wird, an dem Frauen unterdrückt werden. Diese Zuschreibungen können dann die Funktion von Euphemismen einnehmen. Dadurch werden nicht nur die Personen, um die es geht, unsichtbar gemacht. Gleichzeitig führen sie dazu, die rassistischen Konstruktionen quasi zu objektivieren. Dadurch kann das einzelne Individuum von Verantwortung freigesprochen werden.
Im Gespräch mit Hanna übernimmt ‚die Kultur’ des Orients diesen Part. Die Angehörigen dieser ‚Kultur’ werden zu Marionetten, die das, was an Entwicklungspotential in dieser ‚Kultur’ steckt, lediglich nachvollziehen; sie hängen gleichsam an den Stricken dieser ‚Kultur’.
„Schaun se mal, das ist so: Ehm, sie, sie, sie gehen ja eine Entwicklung durch. … Zum Beispiel, wie damals das große römische Reich. Die sind dann im Endeffekt untergegangen, … Und dann ist es wieder neu losgegangen. Und jedes, jedes Volk macht seine Entwicklung durch. … Und diese Völker, die, die Iraner und das alles da unten, die sind jetzt, meiner Meinung nach, auf dem Stand, wie wir im Mittelalter waren. …Und die müssen ihre Entwicklung selber durchmachen. Da können Sie nich helfen. Da können sie nich sagen, sie müssen jetzt dat- den Schleier abmachen und die Frauen müssen. … Wenn die, wenn die, die, die, die ihre Kulturen behalten wollen und auf diesem Stand bleiben wollen, dann muß man die lassen. … Es geht ja ei’ntlich jetzt, eigentlich nur darum, ob man ihnen in ihrer finanziellen Not … helfen sollte. Nich, indem sie hier alle emigrie- hier reinkommen und sich hier schön bewirten lassen, sondern indem sie in ihrem eigenen Land weiterkommen … Und sie können, Sie haben das gesehen, der Schah ist gescheitert, das hat mein Mann von Anfang an gesagt, der hat es zu schnell, der hat es gut gemeint, aber es geht nich. Sie-, jedes Land, jede Kultur braucht ihre Entwicklung. Und das entwickelt sich langsam. Schrittchen für Schrittchen. Wir waren im Mittelalter genauso. Da durften wir au‘ nix. Die Frauen durften nix, die Kinder durften nix, die Männer saßen immer nur da, die hat-, wir hatten dieselbe Entwicklungsstufe, die die jetzt haben im Mittelalter.“ (7/1223-1260)
Weitere rassistische Effekte im Einwanderungsdiskurs, die in Verbindung mit der Ethnisierung von Sexismus reproduziert werden
Über diese rassistischen Effekte hinaus werden in Gesprächen, in denen eine Ethnisierung von Sexismus stattfindet, weitere produziert, mit denen die rassistische Struktur des Einwanderungsdiskurses verstärkt wird. Dabei handelt es sich um solche Elemente, die auch unabhängig von dieser speziellen Diskursverschränkung virulent sind.
Die auffälligsten Merkmale sind die Gleichsetzung von Türken und Moslems sowie die selbstverständliche Homogenisierung von Deutschen einerseits und Ausländern andererseits. Vor allem durch den Einsatz von Pronomina und Adverbien (des Ortes) werden solche Ausschließungseffekte produziert. Die Rede ist von „wir“ im Unterschied und Gegensatz zu „die“; von „uns“ im Unterschied und Gegensatz zu „denen“.
Doch auch weitere Vorurteile des Einwanderungsdiskurses werden in Verbindung mit einer Ethnisierung von Sexismus aufgegriffen, die hier im einzelnen nicht aufgenommen werden können. Jedoch weist die Fülle der rassistischen Unterstellungen und Konstruktionen darauf hin, wie dicht der Einwanderungsdiskurs mit rassistischen Positionen ausstaffiert ist.
Antirassistische Effekte
Umso wichtiger ist es, daß auch die antirassistischen Wirkungen zur Kenntnis genommen werden. Der antirassistische Diskurs macht sich zum Beispiel dadurch geltend, daß Aussagen gelegentlich relativiert werden, indem Verallgemeinerungen und Pauschalisierungen explizit abgelehnt wurden. So sollte z.B. im negativen Kontext nicht mehr von „den Ausländern“ gesprochen werden, sondern von „den Türken“.
Daß antirassistische Momente des Mediendiskurses in den Alltagsdiskurs einfließen, wird vor allem an den Aussagen über das Buch von Betty Mahmoody deutlich, das von den Beteiligten in seiner Tendenz antirassistisch verarbeitet wurde. Die Gründe der Ablehnung oder Entwertung von Betty Mahmoody waren dabei durchaus unterschiedlich. Sie reichten von dem Vorwurf, das Buch sei oberflächlich und diene nur der Geschäftemacherei, bis zu dem, Betty Mahmoody sei deshalb unglaubwürdig, weil sie bereits in den USA ihre Familie verlassen habe. Doch verweisen die Ablehnungen insgesamt darauf, daß der Mediendiskurs durch die Problematisierung des Buches von Betty Mahmoody die rassistischen Momente herausgearbeitet hat – möglicherweise unter Zuhilfenahme sexistischer Vorbehalte. Außerdem verdeutlicht dies erneut, daß und wie die Macht des (Medien-)Diskurses sich im Alltag zur Geltung bringt.
Schlußfolgerungen
Bereits die genauere Kontextmarkierung der Ethnisierung von Sexismus läßt Schlußfolgerungen für die politisch negativen Folgen zu, die daraus resultieren und die im Sinne demokratischer Entwicklung zurückgedrängt werden sollten. Ist die Ethnisierung von Sexismus genuiner Teil des Einwanderungsdiskurses, dann bedeutet dies auch, daß sie vor allem in diesem Kontext aufgelöst werden sollte; der ‚diskursive’ Hebel sollte nicht im Frauendiskurs angesetzt werden. D.h. es sollten solche Berichte und Reportagen kritisiert werden, die eine Ethnisierung von Sexismus im Einwanderungsdiskurs betreiben. Denn besonders in diesem Zusammenhang entfaltet diese Ethnisierung ihre rassistischen Effekte.
Für den Alltagsdiskurs ist eine solche ‚Entmischung’ sicherlich nicht immer herzustellen, weil hier die Beteiligten relativ spontan miteinander umgehen und sie sich hier weniger als auf anderen Diskursebenen auf eine rationale Konsistenz ihrer Argumente verpflichten lassen. Schwierig heißt aber eben nicht, daß es unmöglich ist.
So läßt sich z.B. durch konkretes konkretes Nachfragen im Gespräch die Einmaligkeit der geschilderten Erfahrungen vergegenwärtigen. Auf diese Weise können vorgenommene falsche Verallgemeinerungen sichtbar gemacht und aufgelöst werden. Außerdem bietet die Konstellation der Diskursverschränkung immer auch die Möglichkeit, die Perspektive bzw. den Schwerpunkt der Betrachtung zu wechseln. Auf diese Weise werden Erfahrungen in einen anderen Kontext gestellt und quasi mit einer anderen Brille wahrgenommen. Im konkreten Fall kann dies dadurch gelingen, daß der unterstellte Sexismus von Einwanderern nicht aus der Perspektive ‚Eingeborener’, sondern aus der Perspektive von Frauen (oder von Männern) thematisiert wird. Auch auf diese Weise können Bornierungen und falsche Verallgemeinerungen sichtbar gemacht werden.
Die Notwendigkeit solcher alternativen Diskursstrategien ergibt sich auch aus der umfassenderen Rolle, die rassistisch und ethnozentristisch geprägte Diskurse im gesellschaftlichen Gesamtdiskurs insgesamt spielen.
Durch eine Ethnisierung von Sexismus wird nicht nur eine demokratische Norm zur Ausgrenzung bestimmter Bevölkerungsteile funktionalisiert. Zusätzliche Brisanz gewinnt sie dadurch, daß sie gleichzeitig die regressiven Tendenzen der Einwanderungs- und Asylpolitik insgesamt unterstützt. Im Rahmen einer Politik, die insgesamt eine ‚Festung Europa’ zu installieren beabsichtigt, leistet eine Ethnisierung von Sexismus einen konkreten Beitrag, indem sie für die Verteidigung dieser ‚Festung Europa’ ein Feindbild bereitstellt, daß die Notwendigkeit der Errichtung von Mauern gegen das Eindringen von ‚Fremden’ legitimiert. Dieses Feindbild focussiert sich derzeit auf den Islam; darüber hinaus werden alle ‚Kulturen’, die nicht westlich sind, als mit ‚unserer’ unverträglich charakterisiert.
Es ist deshalb auch diese Funktion im diskursiven Gewimmel, die es dringend erforderlich macht, dagegen anzugehen und nicht dieses Vorurteil substanziell zurückzudrängen.
Literatur
Jäger, Margret 1996a: Fatale Effekte. Die Kritik am Patriarchat im Einwanderungsdiskurs, Duisburg
Jäger, Margret 1996b: Fatale Effekte. Die Kritik am Patriarchat im Einwanderungsdiskurs. Materialband, Duisburg
Jäger, Siegfried 1993/1999: Kritische Diskursanalyse. Eine Einführung, Duisburg
Jäger, Siegfried 1992: BrandSätze. Rassismus im Alltag, 1. und 2. Aufl. Duisburg 1992, 3. Auflage, 1993, 4. Aufl. 1996
Kalpaka, Annita / Nora Räthzel 1990: Wirkungsweisen von Rassismus und Ethnozentrismus, in: dieselben: Die Schwierigkeit, nicht rassistisch zu sein, 2., völlig überarbeitete Auflage, Leer, 12-80
Link, Jürgen 1982a: Kollektivsymbolik und Mediendiskurse, kultuRRevolution 1 (1982), 6-21
Link, Jürgen 1982b: Zum Gebrauch des Diskurs-Begriffs in kultuRRevolution, kultuRRevolution 1 (1982), 71
Link, Jürgen 1983: Was ist und was bringt Diskurstaktik, kultuRRevolution 2 (1983), 60-66
Link, Jürgen/Ursula Link-Heer 1990: Diskurs/Interdiskurs und Literaturanalyse, Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik (LiLi) 77 (1990), 88-99
Link, Jürgen/Link-Heer, Ursula 1994: Kollektivsymbolik und Orientierungswissen. Das Beispiel des „Technisch-Medizinischen Vehikel-Körpers“, Der Deutschunterricht (1994), Heft 4, S. 44-55
Mahmoody, Betty 1991: Nicht ohne meine Tochter (unter Mitarbeit von William Hoffer), 39. Auflage, Bonn
Miles, Robert 1991: Rassismus. Einführung in die Geschichte und Theorie eines Begriffs, Hamburg
[1] Der hier verwendete Sexismus-Begriff schließt sich an das Konzept der Bedeutungskonstruktion durch diskursive Zuweisungen an. Darunter verstehe ich einen Prozeß, bei dem bestimmten Objekten und/oder Merkmalen eine besondere Bedeutung zugewiesen wird, indem diese mit zusätzlichen Eigenschaften aufgeladen werden (vgl. Miles 1991). Eine solche Bedeutungskonstruktion liegt dem Sexismus zugrunde, der Frauen aufgrund körperlicher Eigenheiten andere Eigenschaften und Fähigkeiten zuschreibt. Diese Fähigkeiten orientieren sich vor allem an den Bereichen, in denen es um die Erziehung und Betreuung von Kindern geht. Wie auch immer diese Zuschreibungen im einzelnen aussehen, sie werden dadurch sexistisch, daß diese sozialen Eigenschaften von Frauen als deren natürliche und unveränderbare Eigenschaften angesehen werden. Und es sind diese Verhaltensweisen und Eigenschaften, die Frauen dann den Zutritt zu bestimmten gesellschaftlichen Sektoren versperren oder schwer machen.
[2] Ähnliches liegt übrigens auch vor, wenn Türken deshalb abgelehnt werden, weil in ihrem Herkunftsland die Todesstrafe gelte – ein Einwand, der gegenüber Amerikanern kaum vorgebracht wird. Auch wenn den Juden vorgehalten wird, sie würden die Menschenrechte der Palästinenser verletzen, wird eine solche positive Norm angelegt. Auch diese Vorbehalte werden im Einwanderungsdiskurs durchaus artikuliert. (vgl. Jäger 1992, 249f.)
[3] Vgl. dazu ausführlich M. Jäger 1996a. Dabei habe ich gleichzeitig den Versuch unternommen, unseren in Duisburg seit einigen Jahren entwickelten diskurstheoretischen Ansatz und sein methodisches Instrumentarium weiterzuentwickeln, damit dies auf weitere Diskurse angewendet werden kann. Denn Tatsache ist, daß Diskursverschränkungen in der Realität häufig vorliegen, um nicht zu sagen, die Regel sind. Das bisher entwickelte Instrumentarium von Diskursanalyse hatte jedoch diesen Tatbestand bislang noch nicht systematisch berücksichtigt.
[4] Zu den Analysekategorien Diskursstrang und -ebene vgl. Jäger 1993 sowie Jäger 1999.
[5] Unter Rassismus verstehe ich eine ,Einstellung‘ im Sinne von ,Für-Wahr-Halten‘ bzw. ,Wissen‘, bei der Personen, die anders aussehen und/oder andere Lebensgevvohnheiten pflegen als die Mehrheit der Bevölkerung, als homogene Gruppe, als ,Rasse‘ angesehen und negativ beurteilt werden, wobei diese Beurteilung im Einklang damit steht, was in der Gesellschaft hegemonial über diese Menschen gedacht wird.
[6] Der Name der Interviewten ist anonymisiert.
[7] Die im weiteren zitierten Interviewpassagen sollen wie folgt gelesen werden: die Rede der Interviewten erscheint in normaler, die Rede der Interviewenden in kursiver Schrift. Gemeinsames Sprechen wird durch Fett-Schrift markiert. Emphasen werden durch Unterstreichungen hervorgehoben. Auslassungen und Verschleifungen innerhalb einzelner Wörter werden durch ein Auslassungszeichen (‘) angezeigt. Pausen sind durch Sternchen ausgewiesen, wobei ein Sternchen eine Redeunterbrechung von 3-4 Sekunden bedeutet. Ein Gedankenstrich vor einem Sprecherwechsel zeigt an, daß hier eine Unterbrechnung vorliegt, die durch den Gesprächspartner initiiert wurde. Dagegen markiert ein Schrägstrich (/) eine „Selbstunterbrechnung“. Nicht-sprachliche Momente, wie Husten, Lachen etc. werden in Klammern vermerkt. Drei Punkte weisen daraufhin, daß an dieser Stelle Auslassungen vorgenommen wurden. Die Ziffern vor dem Schrägstrich geben die Nummer des Interviews an; die Ziffern hinterm Schrägstrich beziehen sich auf die Zeilennummern (vgl.M. Jäger 1996b)
[8] Ethnozentrismus ist insofern von Rassismus zu unterscheiden, als die vorgenommenen kulturellen Zuschreibungen und Konstruktionen nicht naturalisiert werden. Eurozentrismus geht also prinzipiell davon aus, daß die bestimmten Personengruppen zugeschriebenen Eigenschaften wandelbar bzw. auflösbar sind. Diese Annahme geht in alle Anpassungs- und Integrationsforderungen ein, wobei der Maßstab immer bei „unserer“ Kultur liegt, weshalb auch vom Eurozentrismus gesprochen wird. (Vgl. Kalpaka/Räthzel 1990.)
[9] In fast allen Interviews ist das Buch und Film von Betty Mahmoody: „Nicht ohne meine Tochter“ angesprochen worden. Aufgrund der zur Zeit der Interviews ausführlichen Berichterstattung in den Medien über dieses Buch konnte sein Inhalt als weitgehend bekannt vorausgesetzt werden. (Mahmoody 1991)