Von Jürgen Link, erschienen in DISS-Journal / kultuRRevolution: Im Auge des Tornados (Gemeinsames Sonderheft Mai 1999) (= DISS-Journal 4 (1999))
Ich gestehe, daß ich lange gezweifelt habe, und dieses Geständnis fällt mir nicht leicht. Als er am Abend des 24. März damit begann, Belgrad mit Tornados zu bombardieren, waren die Kennzeichen eigentlich nicht zu übersehen: ausgerechnet Belgrad, keine Kriegserklärung, flagranter Bruch des Völkerrechts, sogar Eiserne Kreuze auf den Tornados. Trotzdem sperrte ich mich gegen die Gleichung: wie ich hiermit gestehe, aus purem Neid gegen die begnadete analytische Kraft unseres Kriegsführertrios Schröder-Fischer-Scharping.
Ich gestehe, daß ich die Fronten auf dem Balkan nicht durchschaute, daß ich die Lage dort für sehr kompliziert hielt: ich sympathisierte mit den Albanern und ihrer Partisanentradition, begriff aber nicht richtig ihre Bündnispolitik und die Hoffnung, die sie auf Tornadobomben setzten, dann erinnerte ich mich aber auch an die Partisanentradition der Serben, ich sah da äußerst widersprüchliche, vielleicht sogar wirklich tragische Verwicklungen zwischen verschiedenen Guerrillakämpfen und Antiguerrillakrieg (Massenvertreibungen zuerst nach der Pentagonregel aus Vietnam: „dem Fisch das Wasser nehmen“, dann den ganzen Süden des Kosovo in verbrannte und verminte Erde gegen seinen angekündigten Panzervorstoß verwandelnd). Ich kann wirklich nicht behaupten, daß ich durchblickte. Dabei hätte ich bloß der mathematisch sauberen Analyse des Trios folgen müssen, durch die alles sonnenklar wurde: Albaner gleich Juden, Kosovo gleich Auschwitz, Militler gleich x – und ich stellte mich immer noch dumm und kaute an meinem Stift, als ob ich diese einfache Gleichung nicht lösen könnte.
Als Militler nun die ungarische Grenze bombardierte, wurde es mir mulmig zumute: Würde das beneidete Trio gegen mich recht behalten? Und dann begann die demütigendste Zeit meines Lebens: Wie ich mit ansehen mußte, als Militler Österreich anschloß, mit seinen Leopardpanzerarmeen Italien überrannte, die Alpen überschritt, sich seine ungezählten Leoparde (mit den Eisernen Kreuzen) ins Rhonetal ergossen, Frankreich im Spaziergang eroberten, Militler selbst mit dem unübersehbar ausgestreckten Arm über die Champs-Élysées paradierte und durch den Arc de Triomphe fuhr. Was sollte ich sagen? Und nun, wo er auch den Rest des Balkans und Griechenland überrollt hat, seine Fallschirmjäger auf Kreta gelandet sind, seine Panzerspitzen vor El Alamein stehen und er bereits das bekannte Bündnis mit Rußland geschlossen hat, das er also als nächstes überfallen wird, um mit seinen Panzerarmeen in Richtung Moskau und Stalingrad zu rollen – jetzt bleibt mir nur ein ehrlicher und anständiger, wenn auch knallschamroter Ausweg: Ich leiste Abbitte bei unserem Trio. Es hat gegen mich recht behalten, seine analytische Kraft steht siegreich da, ich bereue meinen Neid und bekenne: folgen wir alle ohne weiteres Grübeln diesem Trio und seinen Analysen. Geben wir ihm bei Umfragen die verdienten besten Noten und stimmen wir seiner endsieggewohnten Kriegsführung ohne weiter zu fragen zu. Militler ist gleich Hitler, es war Starrköpfigkeit und das Ressentiment einer hoffnungslos unterlegenen Intelligenz meinerseits, die Korrektheit dieser Analyse nicht schon am Reim erkannt zu haben.
(18. April 1999)