Die Wahlnachlese der Rechten

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Von Stefan Jacoby, erschienen in DISS-Journal 3 (1999)

Fassungslos steht man vor dem Debakel“, „Vernichtende Niederlage“, „Schockierend“, – so lauteten erste Reaktionen aus der rechten Szene nach der Bundestagswahl. Und das obwohl sich der Stimmenanteil der Rechtsparteien mit zusammen 4,5 Prozent im Vergleich zur letzen Bundestagswahl verdoppelte.

Die Erwartungen waren hoch gesteckt nach dem überraschenden Ergebnis der DVU in Sachsen-Anhalt, wo sie im April 1998 aus dem Stand heraus 12,8 Prozent einfuhr. REP’s, DVU, ja sogar NPD, BFB und „Pro DM“ sahen sich bereits so gut wie sicher auf der Gewinnerseite – wenn schon nicht im Bundestag, dann doch wenigstens in den Landtagen.

Die REP’s führten ihren Landtagswahlkampf in Bayern unter der Parole „Wir halten, was die CSU verspricht“. Man gab sich siegessicher: „Unveröffentlichte Umfragen […] sehen uns bereits bei sieben Prozent!“.

Die DVU hielt sich bei der Bayernwahl auffällig zurück und empfahl die Stimmabgabe für die CSU. In Bezug auf die Bundestagswahl verkündete Heinrich Gerlach, man rechne sicher mit 5 Prozent im Westen und 15 bis 20 Prozent im Osten. Die herbeigesehnte Wunschkonstellation: eine Große Koalition mit der DVU als einziger Oppositionspartei.

Selbst die NPD wußte mit angeblichen Umfragen aufzuwarten, die sie in „Mitteldeutschland“ bei 4 Prozent taxiert haben sollen.

Nach der Wahl will man vom Geschwätz von gestern nichts mehr wissen. Bei den REP’s versuchten die Funktionäre Dagenbach und Schonath in einer ersten Stellungnahme zunächst einmal ‚business as usual‘: man sei mit dem REP-Ergebnis „zufrieden“, schon bei der kommenden Landtagswahl in Hessen rechne man mit „mindestens 8 Prozent“. Später mußte REP-Chef Schlierer dann aber doch zugeben: „Wir haben unser Wahlziel nicht erreicht“. Aber er tröstet sich damit: „Wir bleiben mit Abstand die führende Kraft im rechten Spektrum“. Ob diese Orientierung nach dem Prinzip ‚Augen zu und durch‘ Bestand hat, wird sich noch zeigen. Innerparteilich formiert sich wieder einmal eine Fraktion, die eine noch weitere öffnung nach rechts und eine Aufhebung der formalen Abgrenzungsbeschlüsse fordert. Zum Anführer dieser Fraktion hat sich der baden-württembergische Landesvorsitzende Käs aufgeschwungen.

Die Wahlanalyse der DVU besagt, daß sich ihre potentiellen Wähler vor allem gegen Kohl entschieden haben und deshalb der SPD ihre Stimme gaben. Interessanterweise wird mit keinem Wort erwähnt, daß für die DVU-Stammklientel eine rotgrüne Regierung mit dem Ausbruch des Kommunismus gleichzusetzen ist und zu einem beträchtlichen Teil (analog zur Wahlempfehlung der Parteiführung in Bayern) die CDU/CSU als kleineres übel gewählt haben dürfte. Auch in diesem Lager deuten sich Querelen an. Bündnispartner Schönhuber (z.Zt. parteilos) verlautete, daß die Ursachen der DVU-Niederlage auch in München zu suchen seien. Dies kommt einer Majestätsbeleidigung gleich.

Dasselbe Lamento wie schon seit vielen Jahren ist aus den Reihen der „Deutschen Liga für Volk und Heimat“ und der ihr nahestehenden Zeitschrift „Nation und Europa“ zu hören. Durch die fehlende „Einheit der Rechten“ sei der fast sicher geglaubte Sieg verscherzt worden. Wie eine solche Einheit herzustellen sei – außer durch sozialdarwinistische Auslese -, können die in der Rechten selbst als Spalter verschrieenen Strategen nicht angeben. Ihnen bleibt ein Trost: „eines funktioniert glücklicherweise: das rechte Verlagswesen, die rechte Publizistik“.

Dagegen hatte die NPD tatsächlich Grund zum Feiern. Diese Partei entwickelte sich in den letzten Jahren zum Sammelbecken gewaltorientierter Neonazis und NS-Epigonen. Sie hat heute eine ähnliche Funktion wie früher in kleinerem Rahmen die inzwischen verbotete FAP: Schutzschild für den „legalen Flügel“ der NS-Bewegung. Ihr kommt es weniger auf Erfolge bei Wahlen an, sondern auf den „Kampf um die Straße“ und die Herausbildung von NS-Kadern. Die politische Partei hat dabei vor allem die Funktion der juristischen Absicherung und staatlich finanzierten Propaganda. Aus ihrem Charakter machte die NPD auch in diesem Wahlkampf keinen Hehl. Durch provozierende öffentliche Auftritte des Ex-Rechtsterroristen Roeder als NPD Kandidat und martialische Aufmärsche mußte jedem Wähler klar sein, worauf er sich da einläßt. Dennoch stimmten über 126.000 Bundesbürger für die härteste denkbare Variante. Als großer Erfolg wird von der NPD vor allem gewertet, daß sie in Mecklenburg-Vorpommern mit 1,1 Prozent erstmals wieder in die staatliche Parteienfinanzierung gelangte.

Der Teil der militanten Neonazi-Szene, der noch nicht von der NPD aufgesogen wurde, reagierte überwiegend mit Panik. Das neonazistische Thule-Netz, bzw. die kargen Reste, die noch davon übrig sind, ließ im Internet verlautbaren, man gehe jetzt in den Untergrund und bereite sich auf den mit dieser Regierung unvermeidlich unmittelbar bevorstehenden Bürgerkrieg vor.

Eine andere Fraktion, die Mitstreiter des ehemaligen FAP-Funktionärs Andre Goertz, macht sich in Anlehnung an die Nürnberger Rassegesetze und an Pläne des Ex-Linken Reinhold Oberlercher schon einmal Gedanken über die Einführung eines Ariernachweises nach der bevorstehenden ‚Machtergreifung‘:

„Das neue überfremdungsrecht ist aber auch ein Beispiel dafür, wie leicht es ist, Gesetze zu ändern und neues Recht zu setzen. Mit der gleichen Leichtfertigkeit werden wir in einigen Jahren nach Zusammenbruch des BRD-Systems die Gesetze wieder ändern. Ein BRD-Paß wird nichts mehr wert sein. Voraussetzung für die Erteilung eines reichsdeutschen Passes wird später der Nachweis einer deutschen Abstammung sein.“

Sehr viel gelassener dürfte der Teil der intellektuellen „Neuen“ Rechten in die Zukunft sehen, der eine Querfrontstrategie praktiziert. Die Neuorientierung der CDU verspricht eine öffnung nach rechts. Als neues Betätigungsfeld bietet sich zudem die Nationalisierung der PDS an. Angesichts der Anfälligkeit vieler PDS-Wähler und eines Teils der Funktionäre ist dies leider ein vielversprechendes Arbeitsfeld. Die Auftritte von Nationalrevolutionären im „Neuen Deutschland“ in jüngster Zeit lassen Böses für die Zukunft ahnen.

Auch wenn im rechten Spektrum insgesamt derzeit Heulen und Zähneklappern vorherrschen. Allzugroße Sorgen in Bezug auf die neue Regierung braucht sich die Rechte bei realistischer Einschätzung nicht zu machen. Die ‚Gefahr‘, daß sie den rassistischen Mehrheitskonsens in der Bevölkerung ernsthaft zurückdrängt, anstatt ihm hinterherzurennen, erscheint wenig wahrscheinlich.