Internationale Initiative gegen den Balkan-Krieg

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Stop der Bombardierungen, Selbstbestimmung. Dokumentation, erschienen in: DISS-Journal / kultuRRevolution: Im Auge des Tornados (Gemeinsames Sonderheft Mai 1999) (= DISS-Journal 4 (1999))

Wir akzeptieren nicht die falschen Alternativen:

Entweder die NATO-Intervention oder aber die reaktionäre Politik der serbischen Staatsmacht im Kosovo unterstützen?

Die Schläge der NATO haben den Rückzug der OSZE-Beobachter aus dem Kosovo erzwungen und so eine Offensive der paramilitärischen serbischen Kräfte zu Lande nicht verhindert, sondern erleichtert;

sie bestärken die schlimmste Form des ultranationalistischen serbischen Revanchismus gegen die Bevölkerung des Kosovo;

sie stärken die diktatorische Macht von Slobodan Milosevic, der die unabhängigen Medien gleichgeschaltet und um sich einen nationalen Konsens geschaffen hat, den es gerade aufzubrechen gilt, um den Weg für friedliche politische Verhandlungen über den Kosovo zu öffnen.

Entweder den von der Regierung der USA bzw. der EU erarbeiteten »Friedensplan« als einzig mögliche Verhandlungsbasis akzeptieren oder aber Serbien bombardieren?

Keinerlei dauerhafte Lösung für einen bedeutenden staatsinternen Konflikt kann von außen mit Gewalt aufgezwungen werden. Es stimmt einfach nicht, daß »alles versucht worden ist«, um eine Lösung und einen akzeptablen Rahmen für Verhandlungen zu finden. Man hat die Delegation des Kosovo gezwungen, einen Plan zu unterzeichnen, den sie zunächst abgelehnt hatte, indem man bei ihnen den Eindruck erweckte, die NATO würde sich zu Lande für sie schlagen. Das ist eine Lüge, die eine totale Illusion vorgaukelt: Keine der Regierungen, die die NATO-Schläge unterstützen, will den Krieg gegen Serbien mit dem Ziel der Unabhängigkeit des Kosovo führen. Die Luftschläge können vielleicht einen Teil des serbischen militärischen Dispositivs schwächen, werden aber nicht das Granatenfeuer, das vor Ort die albanischen Häuser zerstört, noch die paramilitärischen Kräfte schwächen, die die Kämpfer der UCK (Kosovo-Befreiungsarmee) erschießen.

Die NATO war nicht der einzige und vor allem nicht der beste Ansprechpartner für ein Abkommen. Man hätte die Bedingungen für eine multinationale Polizei (insbesondere aus Serben und Albanern bestehend) im Rahmen der OSZE schaffen können, um ein Übergangsabkommen auf den Weg zu bringen. Man hätte vor allen Dingen den Rahmen der Verhandlungen um die infolge des Konflikts gefährdeten Balkanstaaten erweitern können: Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Albanien. Man hätte gleichermaßen das Recht der Kosovoalbaner auf Selbstregierung ihrer Provinz wie das Recht der serbischen Minderheiten im Kosovo auf Schutz verteidigen können. Man hätte versuchen können, sowohl die Ansprüche wie die Ängste der betroffenen Völker durch Kooperationsbindungen und Verträge zwischen Nachbarstaaten zu berücksichtigen: mit Serbien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Albanien: Nichts von alledem ist versucht worden.

  • Wir akzeptieren nicht die Argumente, die die NATO-Intervention rechtfertigen sollen:
  • Es stimmt einfach nicht, daß die NATO-Schläge einen regionalen Flächenbrand, etwa in Mazedonien und Bosnien-Herzegowina, verhindern werden: Sie werden ihn im Gegenteil fördern. Sie werden Bosnien-Herzegowina schwächen und zweifellos die multinationalen Kräfte gefährden, die dort den wackligen Vertrag von Dayton überwachen sollen. Sie setzen bereits jetzt Mazedonien in Brand.
  • Es stimmt einfach nicht, daß die NATO die Bevölkerungen des Kosovo oder deren Rechte schützt.
  • Es stimmt einfach nicht, daß die Bomben auf Serbien den Weg zu einem demokratischen Regime dort öffnen.

Die Regierungen der EU und der USA haben vielleicht gehofft, daß diese Demonstration ihrer Stärke die Unterzeichnung ihres Plans durch Slobodan Milosevic erzwingen könnte. Haben sie damit ihre Naivität oder ihre Heuchelei unter Beweis gestellt? Jedenfalls führt diese Politik nicht bloß in eine politische Sackgasse, sondern zur Legitimation von NATO-Interventionen ohne jede internationale Kontrolle.

Deshalb fordern wir:

    • den sofortigen Stop der Bombardierungen;
    • die Einberufung einer Balkankonferenz, zu der sowohl die Staaten wie die nationalen Gruppen (communautés) innerhalb dieser Staaten Vertreter entsenden;
    • die Verteidigung des Selbstbestimmungsrechts der Völker mit der einzigen Einschränkung, daß dieses Recht sich nicht auf Kosten eines anderen Volkes bzw. durch ethnische Säuberung von Territorien verwirklicht;
    • eine Parlamentsdebatte (in Frankreich, der Übers.) über die Zukunft der Teilnahme Frankreichs bei der NATO.

Pierre Bourdieu, Pauline Boutron, Suzanne de Brunhoff, Noelle Burgi-Golub, Jean-Christophe Chaumeron, Thomas Coutrot, Daniel Bensaid, Daniel Durant, Robin Foot, Ana-Maria Galano, Philip Golub, Michel Husson, Paul Jacquin, Marcel-Francis Kahn, Bernard Langlois, Ariane Lantz, Pierre Lantz, Florence Lefresne, Cathérine Lévy, Jean-Philippe Milésy, Patrick Mony, Aline Pailler, Cathérine Samary, Rolande Trempé, Pierre Vidal-Naquet.

(Le Monde, 31.3.1999)

Unterzeichnerinnen in Deutschland:

Claudia Albert , Friedrich Balke, Hans Jörg Bay, Roland Berbig, Renate Bert, Karin Bruns, Gabriele Cleve, Klaus Commer, Andreas Disselnkötter, Bettina Domberg, Franz Fujara, Ute Gerhard, Manuela Günter, Federico Gonzalez, Wolfram Gvoddeck, Christof Hamann, Traute Hensch, Hans Peter Herrmann, Martina Herrmann, Peter Heuer, Krain Hirdina, Brigitta Huhnke, Margarete Jäger, Siegfried Jäger, Annette Keck, Frank Kraft, Jürgen Link, Ulla Link-Heer, Dorothee Meer, Ute Neumann-Sichhart, Annette Runte, Ina Ruth, Rolf Parr, Margit Schädler , Klaus J. Schmidt, Alfred Schobert, Hans Peter Schrader, Ernst Schulte-Holtey , Hartmut Stenzel, Matthias Thiele, Achim Trebeß, Manfred Uesseler, Inge Uesseler, Irene Vogel, Barbara Volhard, Ulrich Wahler, Frank Wichert, Katharina Woodruff