Ältere Beitrage zum Thema Geschichte des DISS
2012 wurde das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) 25 Jahre alt
„Ihr seid der Ort der Utopie.“ (Karl Kopp, Pro Asyl)
Im Dezember 2012 feierte das DISS seinen 25 jährigen Geburtstag.
Im Rahmen einer Abendveranstaltung nahmen Prof. Dr. Ute Gerhard (Universität Dortmund) und Karl Kopp (Pro Asyl) das 25-jährige Bestehen des DISS zum Anlass, darüber zu sprechen, was das DISS mit Blick auf die Entwicklung kritischer Wissenschaft und kritischer zivilgesellschaftlicher Entwicklungen geleistet hat, bzw. noch leisten sollte.
Mit den Worten „Ihr seid der Ort der Utopie. Wir brauchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wie euch an unserer Seite“ gratulierte Karl Kopp, Europareferent der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl. In einem Rück- und einem Ausblick skizzierte er den außergewöhnlichen Zusammenhang zwischen der wissenschaftlichen Basis des DISS und seinem sozialpolitischen Selbstverständnis, auf den auch ein Verband wie Pro Asyl sich in seiner Arbeit stützen könne. Flüchtlinge und Einwanderer benötigten weiterhin diese wissenschaftliche Geistesgegenwart und Aufmerksamkeit.
Vortrag von Karl Kopp (Pro Asyl) 25 Jahre DISS (MP3 Audio-Datei)
Ute Gerhard hob die wissenschaftsstrategische Energie des DISS über die vergangenen Jahrzehnte, seine „Intervention in den Bereich der Wissenschaft“ hervor.
Insbesondere habe das DISS auf die „fein säuberliche Trennung von Wissenschaft und Politik“ durch die „Vernetzung der politökonomischen, der philosophischen, der sozialwissenschaftlichen, der sprachwissenschaftlichen und diskurstheoretischen Perspektive“ geantwortet.
Die DISS-Strategie der disziplinären Entgrenzung und Pluralisierung richte sich auch spezifisch gegen die „Verknappung der Subjekte“ im Zug der marktwirtschaftlichen Wettbewerbsorientierung der Kultur- und Sozialwissenschaften.
Während dort Wissensangebote in „quantifizierbare Lernziele und Kompetenzen“ transformiert werden und das Wissen zu „Produkt und Ware“ wird, kommen im DISS „alle möglichen Sprecherinnen und Sprecher“, studentische Projekte ebenso wie die Ergebnisse einer Dissertation zu Wort.
Dieser Grundzug der Partizipation macht das DISS für Ute Gerhard seit 25 Jahren zu dem Ausnahmeprojekt in der Wissenschaftslandschaft: Regelmäßig stoßen neue, vor allem auch junge Nachwuchswissenschaftler zur Arbeit im DISS hinzu, wobei die sonst so ausschlaggebenden „Qualifikationen“ ganz im Hintergrund stehen.
Ute Gerhard erinnerte in diesem Zusammenhang ganz besonders an den so früh verstorbenen Alfred Schobert, „der es verstand, seine Lektüren, Ideen und Beobachtungen in zündende Worte und damit zur weiteren Diskussionen ansteckende Worte zu fassen“.
Aus dieser offenen Anlage des DISS erklärt sich für Gerhard unter anderem auch der universitäre Erfolg der DISS-Veröffentlichungen, insbesondere im Bereich der Diskursanalyse. Es sei das größte und das schon jetzt bleibende Verdienst des DISS, den Fokus der Rassismusforschung auf die hegemonialen Medien, die hegemoniale Politik und den „normalen“ Alltag gerichtet zu haben.
Dass vor diesem Hintergrund die hegemoniale Forschungsförderung gelegentlich die „Rolle der Diskurspolizei“ spiele, und meine, es könne nicht erforscht werden, „was nicht existiert“, lasse einen „aufmerksam und auch besorgt sein, aber nicht nur um die Zukunft des DISS, sondern um die Zukunft einer menschlichen Gesellschaft.“
Vortrag von Prof. Dr. Ute Gerhard 25 Jahre DISS (MP3 Audio-Datei)
Broschüre anlässlich des 25. Jahrestages
Jens Zimmermann: Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung – 25 Jahre unabhängige und kritische Wissenschaft
Download als PDF-Datei: Broschuere-25-Jahre-DISS
Bericht über den 20. Geburtstag des DISS 2007
Am 19. Oktober 2007 feierte das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) seinen zwanzigsten Geburtstag. Neben GratulantInnen aus Politik und Wissenschaft kamen auch zahlreiche WegbegleiterInnen, ehemalige MitarbeiterInnen sowie FreundInnen des Instituts. Neben zahlreichen Grußadressen aus der internationalen Wissenschaftsgemeinschaft (z.B. aus Großbritannien, Israel, Spanien und Österreich) gab es auch anerkennende Worte von Kooperationspartnern für die Arbeit des DISS.
In kurzen Statements gingen Prof. Dr. Michael Brocke (Düsseldorf), Prof. Dr. Franz Januschek (Oldenburg), Prof. Dr. Clemens Knobloch (Siegen), Prof. Dr. Jürgen Link (Dortmund) und Heike Wulfert (Wissenschaftsforum Ruhr) unter anderem auf ihre Zusammenarbeit mit dem DISS ein. Dabei stellten alle das Bestreben der Duisburger Wissenschaftlerinnen heraus, auf der Grundlage eines interdisziplinär-orientierten Wissenschaftsverständnisses mit fundierten Analysen kritisch in gesellschaftliche Entwicklungen einzugreifen.
Es wurde herausgestellt, dass das DISS seit seiner Gründung 1987 eine Plattform für Wissenschaftlerinnen aus den Geistes- und Sozialwissenschaften bildet, die sich der diskursanalytischen Aufarbeitung gesellschaftspolitisch relevanter Themen widmen. Auf der Grundlage dieser Arbeiten werden gleichzeitig die Konzepte von Diskurstheorie und -analyse kontinuierlich weiterentwickelt. In den letzten Jahren gilt dies zusätzlich für die Konzeptionierung historischer Diskursanalysen. Die zahlreichen Untersuchungen des medio-politischen Diskurses waren und sind immer so angelegt, dass sie sich auch als kritische Intervention verstehen, mit der herrschende Politiken in Frage gestellt werden.
Vorträge am 19. Oktober 2007
– Siegfried Jäger: Arbeit und Zukunftsperspektiven des DISS als unabhängiges Forschungsinstitut Einige Bemerkungen zur Feier des 20-jährigen Bestehens des DISS am 19.10.07
– Prof. Dr. Jürgen Link (Dortmund): Diskurswerkstatt Dortmund / Bochum und zeitschrift für angewandte diskurstheorie kultuRRevolution. Audiomitschnitt 16 Minuten, WMA, 4 MB. Einige Sätze aus Jürgen Links Vortrag (die vollständige Fassung können Sie hier als Audiomitschnitt hören)
„Die Übereinstimmung liegt darin darin, dass wir nicht der kulturellen Hegemonie angehören, von ihr abhängig sind, sie unterstützen oder auch sozusagen stillschweigend voraussetzen als Rahmen, den man nicht überschreiten darf. In dem Maße sind wir also, glaube ich, beide, bei allen Unterschieden im Konkreten, autonom, unabhängig. Gerade jetzt wird es immer wichtiger, dass es solche von der kulturellen Hegemonie unabhängigen Instanzen, Initiativen und sogar Institutionen wie das DISS gibt.“
„An den Hochschulen wüten die Reformen.“
„An die Stelle einer wissenschaftlichen Ausbildung mit dem alten Prinzip der Einheit von Forschung und Lehre wird uns jetzt sowas angeboten wie Fast-Food, Fast-Knowledge, Fast-Market-Knowledge.“
„Wir sind ja immer ein bisschen radikaler gewesen als Humboldt, wir sind noch ein bisschen weiter gegangen als ‚Einheit von Forschung und Lehre‘. Wir haben sowas eigentlich machen wollen wie ‚Einheit von Forschung und Praxis‘, inklusive politische Praxis. Und das haben wir eben nicht getan, wie manche uns kritisieren, weil wir immer die rote Fahne unbedingt schwenken wollen und aufpflanzen wollen, auch wo sie nicht hingehört, sondern aus wissenschaftlichen Gründen. Das muss man sich klar machen. Denn es ist nicht die Frage, ob wir zu kritisch sind, oder ob wir zu politisch sind, und ob wir Politik mit Wissenschaft vermengen, sondern umgekehrt ist es so, dass diejenigen, die meinen, sie könnten die Politik raushalten aus der Wissenschaft, ein großes Erkenntnishindernis aufrichten.“
„Diese Erstsemester, die jetzt zahlen müssen und die kommen und meinen, sie kriegen da jetzt Wissenschaft geboten, die nicht an Exzellenz-Unis sind, sondern an den jetzt übriggebliebenen normalen Unis, die werden ja in Kürze fürchterlich desillusioniert werden, die werden ja fürchterliche Enttäuschungen erleben. Die werden sehen, dass ihre Seminare überfüllt sind, dass sie keine Lehrkräfte haben und dass ihnen diese Fast-Food-Wissenschaft da geboten wird, wo sie im Grunde nichts dabei lernen werden.“
„Diese Generation wird betrogen, das müssen wir doch sehen. Und an diese Generation müssen wir versuchen heranzukommen. Und das DISS hat das schon in hohem Maße geschafft, finde ich, und ist da wirklich in dem Sinne, würde ich sagen, vorbildlich. Und alle entsprechenden Initiativen, wir von der kultuRRevolution auf jeden Fall auch, wir müssen auch diesen Weg gehen. Wir müssen diesen vielen enttäuschten jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zeigen, dass die Diskursanalyse, ob sie sich nun immer „kritisch“ nennt oder ob sie es nur ist, genau das ist, was ihnen vorenthalten wird von diesen sogenannten Reformen. Und dass sie Wissenschaft über diese Möglichkeit noch kriegen können. Sei es auch durch Lektüre der Texte oder der Zeitschriften, aber natürlich sehr stark und am besten durch solche Projekte, wie Ihr das immer gemacht habt.“
– Prof. Dr. Franz Januschek (Oldenburg): Universität Oldenburg und Zeitschrift Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie (OBST). Audiomitschnitt 14 Minuten, WMA, 3,5 MB. Einige Sätze aus Franz Januscheks Vortrag (die vollständige Fassung können Sie hier als Audiomitschnitt hören)
„Ich möchte zunächst einmal sagen, was ich an der Konzeption des DISS als richtungweisend empfinde.
Zum einen die Verbindung von Sprach- und Sozialforschung, das ist für mich als Sprachwissenschaftler ein wissenschaftliches Anliegen. In der Sprachwissenschaft ist es eigentlich seit Jahrzehnten bekannt, dass man den Gegenstand Sprache nicht unabhängig von der Gesellschaft, in der sie funktioniert, konstituieren kann. Insofern ist die Konstitution des Gegenstandes Sprache als etwas Gesellschaftliches, als etwas Prozessierendes aus wissenschaftlicher Sicht notwendig. Und dafür scheint mir der Begriff Diskurs angemessen. Und insofern bin ich ein vehementer Vertreter der Konzeption Sprach- und Sozialforschung.
Zum anderen finde ich richtungweisend, dass hier engagierte Wissenschaft betrieben wird. Und zwar durchaus im moralisch engagierten Sinne. Wir sind halt Leute, die sozusagen das Predigeramt in dieser Gesellschaft innehaben, das heißt, wir sind dazu aufgerufen, unsere Umgebung auch darauf hinzuweisen, was schief läuft und was nicht in Ordnung ist. Insofern sind wir engagierte Wissenschaftler/innen. Das wird leider an der Universität immer zu kurz betrieben, das heißt, es wird abgetrennt. Also man kann erst Wissenschaft betreiben und dann anschließend muss man gucken, was man daraus für Konsequenzen ziehen sollte. Diese Abtrennung halte ich für fatal, und deswegen finde ich dieses Konzept der engagierten Wissenschaft auch richtig. Wir als Forscher/innen sind immer schon Beteiligte des Prozesses, den wir selber erforschen.
Als drittes finde ich richtungweisend die Frontstellung gegenüber den universitären Intrigenklüngeln, die ich als solche erlebt habe und die mich damals vor 20 Jahren bewogen haben, mich nie auf eine Professur zu bewerben. Es ist mittlerweile nicht mehr an allen Universitäten so, dass es nur ein schrecklicher Klüngel ist, aber an vielen ist es so. Ich glaube, dass das damit zusammenhängt, dass die Universitäten zu große Institutionen sind und dass die Wissenschaftler/innen keine gute Sozialisation erlebt haben. Deswegen finde ich wichtig, dass man kleine Institutionen bildet und dass man freie Institutionen bildet, die auch frei finanziert werden. Mit Schwierigkeiten. Für mich ist das DISS ein leuchtendes Beispiel, weil es eben auch über so lange Zeit erfolgreich gewesen ist.
Was ich am DISS bewundere? Die enorme und wirkungsvolle Buchproduktion zum Beispiel. Also ich finde das ganz erstaunlich, was an einem so kleinen Institut an wissenschaftlicher Buchproduktion im Laufe dieser Jahre hergestellt worden ist. Das hätte ich nie für möglich gehalten. Es ist unglaublich viel, und es ist ja auch viel gutes dabei – nicht alles, würde ich sagen, aber es ist sehr viel gutes dabei.
Was ich auch bewundere, ist dass Ihr geschafft habt, einen Diskussionszusammenhang herzustellen, der die Fächer und Disziplinen übergreift und eben nicht nur die Fächer und Disziplinen. Also was man für Leute bei DISS-Colloquien trifft, das sind ja Menschen, die man – das sage ich jetzt mal für meinen Fall – als Sprachwissenschaftler nie treffen würde. Und es sind eben nicht nur Leute aus anderen Disziplinen, sondern auch Leute aus der Praxis, also Journalisten zum Beispiel. Dass diese Leute zusammengebracht werden, finde ich unglaublich wichtig und das bewundere ich, dass Ihr das geschafft habt.
Was ich auch bewundere: das Archiv, das Ihr entwickelt habt. Es gibt ja nichts Vergleichbares im Bereich Rechtsextremismus in der Bundesrepublik.“
– Prof. Dr. Clemens Knobloch (Siegen): Clemens Knobloch berichtete über die Praxis der kritischen Diskursanalyse im universitären Unterricht. Audiomitschnitt 10 Minuten, WMA, 2,5 MB.
– Prof. Dr. Michael Brocke (Düsseldorf): Salomon Ludwig Steinheim-Institut und Universtität Düsseldorf. Audiomitschnitt 12 Minuten, WMA, 3 MB. Einige Sätze aus Michael Brockes Vortrag (die vollständige Fassung können Sie hier als Audiomitschnitt hören)
„Als ich die Einladung erhielt, war ganz unwillkürlich meine erste Reaktion: Wie? Erst 20? – Aber dann wurde mir bewusst, dass mit diesem ‚erst 20‘ gemeint war mein Eindruck von meiner ersten Duisburger Zeit von diesem bei Euch verkörperten und bei Euch noch existenten Duisburger geradlinigen, direkten, freien Engagement. Also dieses, was eingangs als autonom und frei bezeichnet wurde, also dieses herzliche, warme, idealistische Engagement. Ich denke auch an die vielen Studierenden auf dem Zweiten Bildungsweg. Also das war eine Atmosphäre jener end-70er, anfang-80er Jahre, die in gewisser Weise eben hier weiterlebt. Ich habe das in den Berliner Jahren durchaus ab und an vermisst. Dieses war ein bestimmter Geist, auch Esprit und Mentalität, die es eigentlich hier so – ich sage das jetzt mal nicht nur auf Duisburg bezogen, also im Ruhrgebiet insgesamt – zu finden ist und mit der ich immer wieder auch glücklich bin. Also darf ich zuerst einmal meinem Bedauern Ausdruck geben, dass wir nicht eher kooperiert haben miteinander.
Und um so glücklicher bin ich jetzt, dass es in so kurzer Zeit von etwa zwei Jahren zu solchen zwei ermutigenden und großen, bedeutenden, für uns existenziell, finanziell und auch ideell bedeutenden Projekten gekommen ist, wozu sich hoffentlich bald noch ein drittes hinzugesellen wird. Ich kann jetzt noch nicht viel über die Erfolge sagen. Ich finde es ausgezeichnet, was sich bisher abgespielt hat. Ich sehe nur den Einfluss, den das DISS auf das Salomon Ludwig Steinheim Institut für deutsch-jüdische Geschichte ausübt. Also wir werden eindeutig politischer. Das muss man sagen. Ich kann jetzt nicht sagen, welchen Einfluss wir auf das DISS haben, aber ich könnte vielleicht sagen, es wird religions-politischer. Ich bin persönlich mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Steinheim Institutes wirklich glücklich darüber, dass wir vom DISS eine Menge lernen und vor allen Dingen auch, dass das DISS eingegangen ist auf unser spezifisches Arbeitsinteresse.“
– Heike Wulfert, Wissenschaftsforum Ruhr: Heike Wulfert informierte über die Arbeit des Wissenschaftsforums Ruhr. Audiomitschnitt 10 Minuten, WMA, 2,5 MB
Kurzstatements zu laufenden und geplanten Projekten des DISS
Regina Wamper: Ein geplantes Projekt zum aktuellen christlichen Antisemitismus
Jobst Paul: Zwei Projekte zur jüdischen Publizistik des 19. Jahrhunderts