von Martin Dietzsch, 2007

Die Gefahr von Rechts wird oft unterschätzt. Mit der NPD im Landtag von Sachsen seien die demokratischen Parteien aus dem Irrglauben gerissen worden, dass es sich bei den Rechtsextremen um „tätowierte Glatzen“ handelt. „Die kommen aus der Mitte der Gesellschaft und sind bisweilen hoch intelligent.“ so äußerte sich unlängst der Alterspräsident des sächsischen Landtages, Cornelius Weiss. [Lausitzer Rundschau 16.6.05]

Das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) hat es sich zur Aufgabe gemacht, die kritische Auseinandersetzung mit der Ideologie und der Praxis der extremen Rechten zu fördern.
 

Die Anfänge des DISS-Archivs

Die Anfänge des DISS-Archivs liegen nun schon fast 20 Jahre zurück. Mitte der 80er Jahre formierten sich DVU und „Republikaner“ als neue Wahlparteien der extremen Rechten, die Neonazis organisierten sich trotz Verbots der ANS/NA unbehelligt in ihren Kameradschaften und in der FAP, und allenthalben war die Rede von einer angeblich neuen ideologischen Strömung, die sich selbst als „Neue Rechte“ bezeichnete. In dieser Zeit beschlossen einige spätere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des DISS, dem Thema unabhängig von den zyklisch aufbrandenden Medien-Konjunkturen langfristig nachzugehen.
 

Gegen das Prinzip akademische stille Post

Das Studium der sogenannten Rechtsextremismus-Literatur aus dem akademischen Bereich war für uns zuvor äußerst unbefriedigend verlaufen. Einmal ganz abgesehen von abenteuerlichen ideologischen Verdrehungen, wie sie zwangsläufig entstehen, wenn man die Totalitarismustheorie zur Grundlage einer Untersuchung macht, fiel uns vor allem eines auf. Die allermeisten Autoren kannten offenbar den Gegenstand, über den sie schrieben, nur vom Hörensagen. Es handelte sich um Sekundärliteratur, die immer nur Sekundärliteratur recycelte und bestenfalls noch einige aktuelle Presseveröffentlichungen des Mainstreams zur Kenntnis nahm. Was dabei herauskommt, könnte man als das Prinzip akademische stille Post bezeichnen. Sehr schön nachverfolgen läßt sich das anhand von veralteten Angaben und Ungenauigkeiten, die immer wieder voneinander abgeschrieben werden und an falsch geschriebenen Eigennamen. Wird tatsächlich einmal vorgeblich aus einer Originalquelle zitiert, handelt es sich wundersamerweise immer um die selben Zitatfragmente. Uns war von Anfang an klar: Dieser Literaturgattung wollten wir keine weiteren Werke hinzufügen.
 

Primärquellen – frei zugänglich, aber nirgendwo verfügbar

Wir benötigten also eine empirische Basis. Bei den Publikationen der extremen Rechten handelt es sich zwar im Prinzip um frei zugängliche Quellen. Man erhält sie am Kiosk oder im Abonnement, im Buchhandel oder per Versand. Aber was nutzt die freie Zugänglichkeit, wenn fast niemand außerhalb der einschlägigen Szene das sammelt und archiviert? In den Universitätsbibliotheken findet man zwar auch hier und da interessante Bestände, die sind aber weit über das ganze Land verstreut und sehr lückenhaft und veraltet. Etwas ergiebiger ist da schon die Deutsche Bibliothek in Frankfurt, an die alle Verlage eigentlich Pflichtexemplare abliefern müssen. Aber gerade viele der uns interessierenden Verlage sparen sich das, und die Deutsche Bibliothek hat offenbar nicht die personellen Kapazitäten, die ihr zustehenden Exemplare systematisch einzufordern. Außerdem: wer kann und will schon ständig zur Recherche nach Frankfurt reisen?
 

Erkundung des Terrains

Es lief also darauf hinaus: Wir benötigen ein eigenes Archiv. Zur Erkundung des Terrains durchstöberten wir die Anzeigenrubriken und empfehlenden Rezensionen in den Publikationen der extremen Rechten, die uns damals schon vorlagen, nach Anschriften von Zeitschriften und forderten Probeexemplare an. Mit dem Posteingang verfuhren wir genauso, sodass sich uns im Schneeballsystem allmählich ein großer Teil der gesamten damaligen Publikationslandschaft erschloss. Wir waren selbst überrascht, wie umfangreich unser Untersuchungsgegenstand tatsächlich war. Bei aller Vielgestaltigkeit der Szene waren bei Autoren, Themen und Inhalten erstaunliche Überschneidungen zu konstatieren, und gerade bei einigen der zentralen Organe wie „Nation Europa“, „Deutschland in Geschichte und Gegenwart“ und „Deutsche Nationalzeitung“ gibt es eine Kontinuität von Anfang der 50er Jahre bis in die Gegenwart.
 

Völkischer Nationalismus

Die amtliche Einschätzung lautete in den 80er Jahren noch völlig gleichförmig in allen Verfassungsschutzberichten: Der Rechtsextremismus sei ungefährlich, weil seine Organisationen zerstritten seien und weil es keine gemeinsame ideologische Basis gebe. Diese Beschwichtigungsformel konnten wir schon sehr früh falsifizieren. Die Organisationen kommen und gehen, sind zutiefst verfeindet und schließen kurz darauf feierlich einen ehernen Pakt. Die Publizistik erkannten wir als Element der Kontinuität und als z.T. lagerübergreifend, und einen ideologischen Grundkonsens konnten wir sehr wohl feststellen: den völkischen Nationalismus.
 

Projekt Rechtsdruck

Aus diesen Vorarbeiten entstand dann das Projekt zur Untersuchung der rechten Presselandschaft, dessen Ergebnisse 1988 im Bonner Verlag J.H.W. Dietz unter dem Titel „Rechtsdruck – Die Presse der Neuen Rechten“ erschien. Im selben Jahr waren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Arbeitskreises „Rechtsdruck“ an der Gründung des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS) beteiligt. Damit war auch für das Archiv eine institutionelle Basis geschaffen, die Voraussetzung für eine längerfristige Arbeit ist.
 

Bestand nach 20 Jahren

Dieses Archiv wuchs im Laufe der Jahre zu beachtlicher Größe heran und musste bereits mehrmals wegen Platzmangels die Räumlichkeiten wechseln. Ganz besonders erfreulich ist, dass wir immer wieder mit mehr oder weniger umfangreichen Sachspenden bedacht wurden. Darunter waren eine umfangreiche Bibliothek mit Sekundärliteratur und zwei Buch- und Zeitschriftennachlässe. Wir sind immer an der Übernahme solcher Bestände interessiert. Bitte setzen Sie sich mit uns in Verbindung, falls Sie etwas für uns haben.
 

Sachspende des Frankfurter Instituts für Sozialforschung

Durch eine umfangreiche Sachspende des renommierten Frankfurter Instituts für Sozialforschung konnte das DISS-Archiv Anfang 2005 seine Bestände erheblich erweitern. Sie decken nun auch die 60er und 70er Jahre ab. Der jetzt verfügbare Bestand ist in der Wissenschaftslandschaft der Bundesrepublik einmalig. Das Zeitschriftenarchiv umfasst derzeit insgesamt knapp 1000 Titel und etwa 70 Regalmeter. Darüber hinaus verfügen wir über eine Bibliothek mit Primär- und Sekundärquellen (Bücher und Broschüren) vor- und nach 1945 und über ein umfangreiches elektronisches Archiv mit gespeicherten Dokumenten aus dem Internet. Das DISS nutzt dieses Archiv nicht nur als Grundlage seiner eigenen Forschung, sondern stellt es – im Rahmen seiner Möglichkeiten und nach Absprache – auch externen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus dem In- und Ausland zur Forschung zur Verfügung. Zu diesem Zweck finden Sie einen umfangreichen Auszug aus der Bestandsliste des Archives auf unserer Homepage im Internet. Das Archiv kann auch für journalistische Recherchen genutzt werden. Die Details entnehmen Sie bitte den Nutzungsbedingungen.