Rezension von Dirk Dieluweit
Stephan Trüby: Rechte Räume.
Politische Essays und Gespräche (Bauwelt Fundamente 169)
Basel/ Berlin: Birkhäuser 2020
288 Seiten, 135 Abb., 29,95 Euro
ISBN: 978-3-0356-2240-9
Die Debatten um den Wiederaufbau der Frankfurter Altstadt oder der Potsdamer Garnisonskirche zeigen, wie Akteure der Neuen Rechten versuchen, ihr Weltbild über Architekturkritik und Städtebauprojekte zu verbreiten. Dies ist der Hintergrund, vor dem der an der TU-Stuttgart lehrende Architekturprofessor Stefan Trüby den Sammelband „Rechte Räume“ herausgegeben hat. In einer Reihe von Essays und einem Anhang mit Gesprächen untersucht Trüby, welche architekturpolitische Agenda Akteure der Neuen Rechten verfolgen und wie sich die Mitte der Gesellschaft dabei zur unfreiwilligen Helferin macht (vgl. S. 8).
Da Trüby die meisten von ihm besprochenen Entwicklungen als rechtsextrem bezeichnet, erläutert er zunächst seine Definition von Rechtsextremismus. „Unter Rechtsextremismus werden Bestrebungen verstanden, die sich gegen die im Grundgesetz konkretisierte fundamentale Gleichheit der Menschen richten, und die universelle Gleichheit der Menschenrechte ablehnen“ (10). Trüby lehnt es ab, Rechts- und Linksextremismus gleich zu setzen, da Rechtsextremisten die Demokratie generell ablehnen, wohingegen der politischen Linken die bestehende Ordnung nicht demokratisch genug ist. Hier grenzt sich Trüby explizit von der Extremismus-Doktrin ab.
Zur theoretischen Fundierung seiner Analysen schlägt Trüby vor, mit einem fünfstufigen Analysemodell die Berührungspunkte von Politik und Architektur zu klären. Die ersten zwei Schritte zielen darauf ab, die Rolle des Bauherrn und der von ihm beauftragen Architekten zu untersuchen. Im dritten Schritt möchte Trüby die Umstände der Bauentscheidung untersuchen, worauf im vierten Schritt die Nutzungs- und Umnutzungsgeschichte eines Gebäudes thematisiert werden soll. Im fünften und letzten Schritt soll schließlich analysiert werden, in welchem gesellschaftspolitischen Klima eine Bauentscheidung getroffen wurde. Diese Analyseschritte sind für Trüby wichtig, weil er davon ausgeht, dass es keine per se linke oder rechte Architektur gebe. Stattdessen fordert er, die Bedeutung eines Gebäudes mit der im Fünf-Stufenmodell vorgeschlagenen Methoden zu erschließen, um eine Links-rechts-Unterscheidung vornehmen zu können. Fukuyamas Auffassung (im Kontext seiner These vom „Ende der Geschichte“), dass die Links-Rechts-Unterscheidung obsolet sei, da der freie Markt Menschen und Institutionen zu moralischem Handeln zwingen würde und alternativlos sei, lehnt er ab, da sie einer Entpolitisierung gleichkäme (vgl. S. 46).
Da sich die Neue Rechte auf Ideen beruft, die bereits von Protagonisten der konservativen Revolution artikuliert wurden, erläutert Trüby im dritten Kapitel (57-90), welches Architekturverständnis Autoren wie Arthur Moeller van den Bruck oder Leopold Ziegler propagierten. Im vierten Kapitel (91-112) zeigt Trüby dann, wie diese Ideen von zeitgenössischen Publizisten wie Claus M. Wolfschlag aufgegriffen werden, der beim Wiederaufbau der Frankfurter Altstadt – von einer schwarzgrünen Koalition ab 2006 auf den Weg gebracht – eine nicht unerhebliche Rolle spielte.
In den Kapiteln fünf, sechs und sieben erläutert Trüby, mit welchen Methoden Akteure der Neuen Rechten versuchen, Metapolitik über Architekturkritik und Bauprojekte zu betreiben. So gibt das fünfte Kapitel (113-136) einen Überblick über völkische Siedlungsprojekte und zeigt, wie rechte Aktivisten Immobilien in ländlichen Regionen erwerben und dadurch das Dorfleben mitgestalten. Am Beispiel der Frankfurter Altstadt zeigt Trüby im sechsten Kapitel (137-150), dass Akteure der Neuen Rechten maßgeblich an deutschlandweit bekannten Rekonstruktionsprojekten beteiligt waren. Im siebten Kapitel (151-170) vollzieht Trüby nach, wie es der Neuen Rechten gelang, das „Deutsche Institut für Stadtbaukunst“ zu gründen und Einfluss in berufsständischen Organisationen wie dem Bund deutscher Architekten zu gewinnen.
An den Beispielen des Biosphären-Projektes, des Trump-Towers und der parametrischen Architektur begründet Trüby im achten Kapitel (171-190), warum der Neoliberalismus dazu beiträgt, ein reaktionäres Architekturverständnis zu fördern. Nach Trüby sollen der Trump-Tower und das Biosphärenprojekt im neoliberalen Kapitalismus Gefühle der Steuerbarkeit und Beständigkeit vermitteln. Dagegen begreift die Patrik Schumacher (Zaha Hadid Architects) propagierte Parametrismus-Architektur als ein KI-basiertes, sich selbst regulierendes System. Die (behauptete) Autonomie des Architektur-Systems darf folglich nicht durch staatliche Eingriffe gestört werden.
Mit dem neunten Kapitel (191-224) wirft Trüby einen Blick auf „rechte Räume in den USA“. Er kritisiert Horkheimer und Adorno (Dialektik der Aufklärung) dahingehend, dass sie wenig zur historischen Erklärung des amerikanischen Rechtsextremismus beigetragen hätten. Dieser müsse wesentlich vor dem Hintergrund der Geschichte der Sklaverei und des Massenmordes an der indigenen Bevölkerung verstanden werden (vgl. S. 194). So ließen sich das liberale Waffenrecht der USA und die Segregation der indigenen und afroamerikanischen Bevölkerung nur aus der Entstehungsgeschichte der USA heraus verstehen. Rechtsradikale Bewegungen, die Donald Trumps Wahlsieg ermöglichten, sind für Trüby Protestbewegungen, die die weiße Vorherrschaft gegen Ansprüche der indigenen und afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegungen durchsetzen wollen. Auch die staatsfeindliche Haltung der amerikanischen Rechten ist für Trüby nur zu begreifen, wenn man versteht, dass sich die extreme Rechte der USA auf die Tradition einer ‚weißen‘ Siedlergesellschaft beruft.
Wie Trüby im zehnten Kapitel zeigt (225-246), beruft sich die architektonische Moderne nicht auf antike Vorbilder, sondern stützt sich auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse (vgl. S. 228). Dies führte dazu, dass die repräsentativen Bauten der Feudalzeit durch funktionalistisch gestaltete Gebäude ersetzt wurden. Am Beispiel des Bauhaus-Schülers Fritz Ertl, der die bauliche Gestaltung von Auschwitz-Birkenau plante, legt Trüby dar, dass der deutsche Faschismus nicht antimodern war, sondern eine reaktionäre Version der Moderne darstellte (vgl. S. 234). Dem instrumentellen Funktionalismus glauben manche Architekten wie Léon Krier, der im weitesten Sinne der Neuen Rechten zuzuordnen ist, dadurch zu entgehen, dass sie sich rückwärtsgewandten, antiaufklärerischen Ideen zuwenden, wenn sie wie historisierende Modellstädte entwerfen, so das von Krier für Prinz Charles erbaute Poundbury in Dorset. Dem möchte Trüby mit einer Version der Moderne begegnen, die sich auf keinen idealisierenden Ursprung rückbezieht, sondern die Perspektiven nicht-westlicher Kulturkreise mit einbezieht.
Mit Trübys fünfgliedrigem Modell kann detailliert beschrieben werden, wie sich Politik und Architektur überschneiden. Dadurch macht Trüby deutlich, dass sich Architektur und Politik nicht voneinander trennen lassen. Dies entkräftet die Argumente von Akteuren der Neuen Rechten, die behaupten, sich für unpolitische Bauprojekte zu engagieren. Darüber hinaus widerlegt Trübys Modell die Thesen Patrik Schumachers und anderer Vertreter des Parametrismus, die Architektur als selbstreferentielles System begreifen. Über Architekturkritik versucht die Neuen Rechten ihr Weltbild zu verbreiten, ohne den Argwohn der breiten Öffentlichkeit zu wecken. Die Kapitel, in denen Trüby beschreibt, wie sich Aktivisten der Neuen Rechten für Rekonstruktionsprojekte engagieren oder in Siedlungsprojekten mitwirken, gibt Bürgern und Politikern die Möglichkeit, die Ziele zu erkennen, die einige Protagonisten, die an solchen Vorhaben mitwirken, erreichen möchten.
Dirk Dieluweit ist Soziologe und schreibt u.a. über neurechtes Architekturverständnis.
Diese Rezension stammt aus dem DISS-Journal#44 aus dem November 2022. Die vollständige Ausgabe als PDF finden Sie hier.