Eine profunde Auseinandersetzung mit dem Rechtsruck in Deutschland

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Eine Rezension von Michael Lausberg. Erschienen in DISS-Journal 33 (2017)

Der vorliegende Sammelband basiert auf der Ringvorlesung „Lügner, Fremde, Konspirateure –Feindbilder der extremen Rechten, Feindbilder der Mitte“ im Wintersemester 2015/2016 der Universität Kassel.

Bis vor einigen Jahren waren extrem rechte Ideologeme lediglich auf der Einstellungsebene weit verbreitet, spiegeln sich jetzt aber auch auf der Handlungsebene wider. (9) Dies lässt sich an den Teilnehmerzahlen bei den Demonstrationen von Pegida, den Wahlerfolgen der AfD und an den hohen Anschlagszahlen gegen die Unterkünfte von Geflüchteten ablesen. Gesellschaftliche Komplexität und Vielfalt werden dabei zugunsten einer Sehnsucht nach Sicherung und Wiederherstellung einer in Gefahr geratenen „völkischen Identität“ abgewehrt.

Das Ziel des Sammelbandes besteht darin, die sozialen und psychologischen Mechanismen herauszuarbeiten, die dazu führen, dass Rassismus und andere Elemente extrem rechter Ideologie für weite Bevölkerungskreise attraktiv werden und ermöglichen, dass sie gesellschaftlich wirkmächtig und hegemoniefähig werden.

Im ersten Teil werden verschiedene theoretische Perspektiven auf die Problemstellung aus sozialpsychologischer, psychoanalytischer und sprachpragmatischer Perspektive eröffnet.

Im zweiten Teil des Buches geht es um die Ebene gesellschaftlicher Diskurse und medialer Bilder. Verschiedene Autor_innen beschäftigen sich mit dem deutschen Einwanderungsdiskurs seit 1945, der Diskussion um die „Silvester-Ereignisse“ in Köln 2015 und die damit verbundene rassistische Externalisierung sexualisierter Gewalt, rechter Geschlechterpolitik, und der Verwendung der Begriffe „Gutmenschen“ und „Lügenpresse“.

Im dritten Teil des Bandes wird analysiert, welche Möglichkeiten Bildungsarbeit gegen rechte Ideologien und Strategien besitzt. Floris Biskamp regt an, dass politische Bildungsarbeit sich nicht einseitig auf rechte Täter_innen konzentrieren sollte, sondern die Aufgabe hätte, die Abwehrkräfte der nicht rechtsaffinen Mehrheit zu stärken und die Opfergruppen zu empowern. Eva Georg, Vertreterin einer antirassistischen Bildungsarbeit, kritisiert, dass das Problem des Rassismus auf einen extrem rechten Rand reduziert wird, während alltagsrassistische Praktiken und Privilegien der weißen Mehrheit ausgeblendet bleiben. Christopher Vogel setzt sich mit der Frage auseinander, in welchen alltäglichen oder professionellen Kontexten die Einzelnen mit Argumenten gegen rechte Ideologie angehen können.

Im abschließenden Teil wird auf der Basis der Ergebnisse der vorherigen Beiträge die Perspektive auf die Frage politischer Gegenstrategien erweitert. Die Grundthese lautet: „Die Grundlage hierfür muss insbesondere der Bildungssektor schaffen, der möglichst allen Menschen ein vertieftes Verständnis moderner Gesellschaften, ihrer Widersprüche, Ambivalenzen und Zumutungen ermöglichen sollte, anstatt erst punktuell zu intervenieren, wenn sich rechtsextreme Szenen oder gar ‚national befreite Zonen‘ verfestigen.“ (10)

Die beiden wichtigsten Strategien bestehen darin, einerseits rechte Propaganda als solche zu bezeichnen und argumentativ zurückzuweisen und sich andererseits die Themen der öffentlichen und politischen Debatte nicht von rechten Akteur_innen aufzwingen zu lassen. Stattdessen sollten Themen wie Wohnungsbaupolitik, Arbeitsmarktpolitik, Steuer- und Bildungspolitik in den Vordergrund gerückt werden. Dann würde deutlich, dass die AfD und andere rechte Gruppen zu diesen Fragen nichts beizutragen haben und ihre Attraktivität dürfte nachlassen. (216)

Die hier gut herausgearbeiteten Thesen der politischen und pädagogischen Strategien gegen den Rechtsruck bedürfen allerdings aus meiner Sicht einiger Ergänzungen. Seit Ende der 1980er Jahre exstieren im britischen Raum gewinnbringende Ansätze einer antiracist education (Troyna 1987), die durch Epstein und Gillborn (Quehl 2000) weiterentwickelt wurden und die auf die gesellschaftspolitischen Verhältnisse in der BRD übertragen werden sollten. Diese Ansätze blieben bisher jedoch Randerscheinungen in der politischen Bildungsarbeit. Weiterhin ist die Befähigung im Umgang mit kulturellen Differenzen im pädagogischen Alltag zu betonen (Prengel 1995, Holzbrecher 1997, Auernheimer 2001), die bislang auch ein Nischendasein fristet. Multiperspektivische Bildung in der Schule (Reich/Holzbrecher/Roth 2000, Gillborn 2000), vor allem angewandt im interreligiösen Unterricht, ist bislang keine weit verbreitete Alternative in der Bildungspolitik.

Die diskutierten Gegenstrategien beschränken sich dabei auf die Bereiche der Bildung und der Politik. Ökonomische Ansätze wie die Abkehr vom Neoliberalismus, wo ein Kampf aller gegen alle herrscht und Solidarität nicht zählt, und das Versagen des Sozialstaates fehlen hier komplett. Dass es Überschneidungen zwischen der neoliberalen und der extrem rechten Ideologie in Form des Sozialdarwinismus gibt, wird ebenfalls nicht näher thematisiert.

Insgesamt gesehen bietet das Buch aber eine Auseinandersetzung mit dem Rechtsruck in der Bundesrepublik der letzten Jahre auf hohem Niveau. Klar gegliedert, argumentativ und mit viel Hintergrundwissen ausgestattet, ist die Anschaffung dieses Sammelbandes zu empfehlen.

Björn Milbradt, Floris Biskamp, Yvonne Albrecht, Lukas Kiepe (Hg.)
Ruck nach rechts?
Rechtspopulismus, Rechtsextremismus und die Frage nach Gegenstrategien
Opladen/Berlin/Toronto: Verlag Barbara Budrich 2017
220 Seiten, 24,90 Euro.

 

Zusätzliche Literatur

Auernheimer, G. (Hg.) 2001: Interkulturalität im Arbeitsfeld Schule. Empirische Untersuchungen über Lehrer und Schüler. Interkulturelle Studien 8. Opladen.

Gillborn, D. 2000: Rassismus, Identität und Moderne: Pluralismus, moralischer Antirassismus und modellierbare Ethnizität. In: Quehl, T. (Hg.), Schule ist keine Insel. Britische Perspektiven antirassistischer Pädagogik. Münster, 72-96.

Holzbrecher, A. 1997: Wahrnehmung des Anderen. Zur Didaktik interkulturellen Lernens. Opladen.
Prengel, A. 1995: Pädagogik der Vielfalt. Verschiedenheit und Gleichberechtigung in Interkultureller, Feministischer und Integrativer Pädagogik, 2. Auflage, Opladen.

Reich, H. H./Holzbrecher, A./Roth, H.-J. (Hg.) 2000: Fachdidaktik interkulturell. Ein Handbuch. Opladen.

Troyna, B. 1987: Beyond Multiculturalism: towards the enactment of anti-racist education in policy, provision and pedagogy. In: Oxford Review of Education, Vol 13, No.3, S. 307ff.

Dr. Michael Lausberg ist Mitarbeiter des DISS.