Eine Rezension von Niels Brockmeyer. Erschienen in DISS-Journal 28 (2014)
In seiner Untersuchung wendet sich Niels Spilker den drastischen Veränderungen des Bildungsbereiches der letzten Jahre zu und attestiert diesem berechtigterweise eine zunehmende Kolonialisierung durch ein ökonomisches bzw. neoliberales Denken. Insofern versteht der Autor seine Arbeit auch als eine Zeitdiagnose.
Zentral für Spilkers Untersuchung, mit der er sich von anderen zeitdiagnostischen Untersuchungen zu Veränderungen des Bildungssystems ((Hier sind unter anderem eher populärwissenschaftliche Bücher zu nennen wie beispielsweise: Konrad Paul Liessmann 2006: Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft und Konrad Paul Liessmann 2014: Geisterstunde. Die Praxis der Unbildung. Eine Streitschrift. (Beide erschienen im Wiener Paul Zsolnay Verlag).)) abgrenzt, ist die machttheoretische Perspektive, die die Grundlage für seine empirische Untersuchung darstellt. Hinsichtlich der machttheoretischen Fundierung der Arbeit orientiert sich Spilker dabei an Foucaults Abhandlung zum Begriff der Gouvernementalität und stellt dieses Denken in Bezug zu Poulantzas und Gramscis machttheoretischen Ansätzen. Diese theoretische Grundlage soll letztlich zur empirischen Untersuchung des Dispositivs des lebenslangen Lernens beitragen, welches aus Spilkers Sicht in der heutigen Bildungslandschaft auszumachen sei. In diesem Rahmen vertritt er die These, dass sich dieses Dispositiv auszeichnet aus „der Konstituierung und Regierbarmachung von Staatskörpern, der Bevölkerung und ihrer Problemzonen, des eigenverantwortlichen Subjekts sowie der unternehmerischen und flexiblen Bildungseinrichtung“ (146). Diese These legt er anhand seines empirischen Materials dar, das aus bildungspolitische Programmschriften sowie Experteninterviews mit Volkshochschulvertreter_innen besteht.
Mit der Dispositivanalyse betritt Spilker ein relatives Neuland, das bisher kaum ausgelotet wurde. Daher verwundert es vielleicht auch nicht, dass beim Lesen der Eindruck entsteht, dass Spilker das Dispositiv des lebenslangen Lernens von der begrifflichen Verwendungsweise nicht stringent benutzt. So entsteht zuweilen der Eindruck, dass Niels Spilker den Begriff des Dispositivs an einigen Stellen beispielsweise mit dem bourdieuschen Begriff des sozialen Feldes gleichsetzt. Dies führt zuweilen zu Verwirrung und ist für das Verständnis nicht immer förderlich.
Gleichwohl gelingt es Niels Spilker mithilfe des machttheoretischen Blicks, sich den Veränderungsprozessen im Bildungssystem zu nähern. Die Zusammenschau alleine würde wenig neue Erkenntnisse bringen, aber es zeigt sich, dass die Theoretiker, auf die sich der Autor bezieht, geeignete Grundlagen dazu mitgeben, um das von ihm aufgezeigte Phänomen darzustellen. Die Stärke liegt dabei in der besonderen Akzentuierung bestimmter Merkmale, die für das Verständnis des Phänomens des lebenslangen Lernens als gewinnbringend anzusehen sind.
In diesem Kontext ist insbesondere Spilkers Bezug auf Gramscis Verständnis der „passiven Revolution“ hervorzuheben: Ein Konzept, welches den momentanen Prozess im Bildungsbereich treffsicher auf den Punkt bringt und die Intentionen von Bildungsapologeten wie die der Bertelsmann Stiftung entlarvt. Diese streben, überspitzt formuliert, eine Veränderung des Bildungsbereichs zur eigenen Machterhaltung an. Darüber hinaus wird die Fruchtbarkeit deutlich, welche eine gramscianische Perspektive zur Untersuchung dieser Entwicklungen im Bildungsbereich birgt.
Für welche Zielgruppe ist nun Spilkers Untersuchung geeignet? Wer lediglich an einer rein zeitdiagnostischen Untersuchung interessiert ist, kann auch auf andere Bücher zurückgreifen. Wer jedoch daran interessiert ist, mit einer machttheoretischen Perspektive das Phänomen der Bildungstransformation zu betrachten, der/dem kann dieses Buch empfohlen werden.
Niels Spilker
Lebenslanges Lernen als Dispositiv
Bildung, Macht und Staat in der neoliberalen Gesellschaft
2013 Münster: Westfälisches Dampfboot
310 Seiten, 34,90 €
Niels Brockmeyer studiert Soziologie in Frankfurt.