Fußballkultur und Rassismus. Von Jens Zimmermann. Erschienen in DISS-Journal 19 (2010)
Der 19-jährige Stürmer von Inter Mailand Mario Balotelli ist das größte Talent, das der italienische Fußball in den letzten Jahrzehnten hervorgebracht hat. Doch wenn er den Platz betritt, dann dauert es meist nicht lang, bis rassistische Gesänge und Rufe durch das Stadion hallen – auch von den eigenen Fans. Balotelli ist der Sohn ghanaischer Einwanderer und besitzt mittlerweile die italienische Staatsbürgerschaft. Was die Fans von Juventus Turin davon halten, konnte man beim Gastspiel der Interisti lautstark hören: „Es gibt keine schwarzen Italiener.“ In Italien ist man, was rassistische Fan-Ausfälle angeht, einiges gewohnt. Und auch auf dem Platz liegt die Hemmschwelle nicht gerade hoch. So entbot der Stürmer Paolo di Canio von Lazio Rom nach Toren regelmäßig den faschistischen Gruß und zeigte dabei seine „Dux“-Tätowierung – und auch der ehemalige italienische Nationaltorhüter Christian Abbiati plauderte in der Gazzetta dello Sport offen über seine Bewunderung für die faschistische Ideologie.
Solche offenen Bekenntnisse zu Rassismus und Faschismus kennt man hierzulande von Bundesligastars und Nationalspielern nicht. Hier bricht das Ressentiment eher abseits der Kameras aus. Zum Beispiel als die Spieler des jüdischen Fußballvereins TUS Makkabi Berlin bei einem Auswärtsspiel gegen den VSR Altglienicke antisemitisch beschimpft wurden. Erst im Frühjahr 2010 musste eine Begegnung der Bezirksklasse zwischen SV Mügeln/ Ablaß und Roter Stern Leipzig wegen homophober und antisemitischer Hassgesänge abgebrochen werden.
„Jude“ gilt auch in diversen Fanszenen längst als Schimpfwort. So entrollten die Fans von Energie Cottbus beim Spiel gegen Dynamo Dresden ein Plakat mit der Aufschrift „Juden“, wobei als mittiges D das Wappen von Dynamo eingesetzt wurde. Vor allem finanzkräftige Vereine wie Bayern München oder Vereine aus Städten mit einer ehemals großen jüdischen Gemeinde, wie Eintracht Frankfurt, werden als „Judenclub“ bezeichnet.
Beispielhaft sind auch die rassistischen Ausfälle nach dem Foul von Kevin-Prince Boateng an Nationalmannschaftskapitän Michael Ballack. Von der Bild-Zeitung bis hin zu den Internetportalen Facebook und Youtube formierten sich Gruppen, in denen Boateng rassistisch diffamiert wurde und ihm eine bewusste Schwächung „unserer Nationalmannschaft“ vorgeworfen wurde. Diese Hetze folgte einer bestimmten Dramaturgie: Ghetto-Kid mit Migrationshintergrund aus dem Wedding versus Anführer der deutschen Nationalmannschaft und Fußball-„Arbeiter“.
Diese Seite des Fußballs wird beim medialen Spektakel der diesjährigen Weltmeisterschaft nicht präsent sein – Weltmeisterschaften gelten als transkulturelles Ereignis. Dass Sport, allen voran Fußball, auch ein zentrales Feld regressiver Identitätspolitik sein kann, haben die vergangene WM und ihr „Partypatriotismus“ gezeigt. Gerade im Fußball hat sich in den letzten Jahren durch zunehmend transnationale Wettbewerbsund Wirtschaftsstrukturen ein komplexes Gefüge von Abwehrreaktionen entwickelt und auch der Fan als gesellschaftliches Individuum ist solchen Transformationen ausgesetzt. Das diffuse Gefühl subjektiver Desintegration sowie der versagte Wunsch nach Identifikation mit „seinem“ Verein ist potenzielle Ressource für eine Mobilisierung (extrem) rechter Einstellungsmuster. Statt legitimer Kritik an Sport- oder Vereinspolitik und deren ökonomischen Voraussetzung wird zunehmend auf eine für völkischen Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus offene Rhetorik zurückgegriffen.
Dass der professionalisierte Fußball eine geeignete Arena für solche Versuche bietet hat jüngst die extrem rechte Monatszeitung Deutsche Stimme in ihrer März-Ausgabe bewiesen. In dem Artikel Die Geschäfte des Herrn Z. von Lutz Dessau wird der israelische Spielervermittler Pinhas Zahavi in antisemitischer Manier als „Strippenzieher“ auf dem globalen Transfermarkt beschrieben. Zahavi ist aus Dessaus Sicht der Nutznießer aus der Globalisierung des Sports, vor allem aus dem Bosmann-Urteil ((Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes aus dem Jahr 1995, nach der unter anderem die Beschränkung für ausländische Spieler in den Mannschaften aufgehoben wurde.)), das „Überfremdung Tür und Tor“ öffnete. Der Artikel verbindet klassische antijüdische Stereotypen des „Kapitalisten“, „Zersetzers“ und „Verschwörers“ mit einer antisemitischen Deutung gegenwärtiger Prozesse des Profisports.
Sport im Allgemeinen und Fußball im Besonderen sind nicht a-politisch, sondern eingebettet in gesellschaftliche Strukturen und Dynamiken. Sportkulturen liefern affektuell stark aufgeladene Identitätskonstruktionen mit hoher Bindungskraft zwischen Verein und Fan. Darüber hinaus verknüpfen diese interdiskursiv konstruierten Applikationsvorlagen (nicht nur symbolisch) die Diskursebenen der Politik, Gesellschaft und des Sports. Sport- und Vereinskulturen können dementsprechend Foren diskursiver Ausgrenzung aber auch der Integration neuer Identitäten sein und so auch Ideengeber für eine plurale Gesellschaft werden.