Ein Nachruf auf Alfred Schobert. Von Siegfried Jäger. Erschienen in DISS-Journal 15 (2007)
Anfang November erschien ein fulminanter Aufsatz von Alfred Schobert, mit dem Titel: „Eine Stimme von anderswo. ‚Das Messianische‘ und die Politik im Werk Jacques Derridas der 90er Jahre“. ((In Margarete Jäger und Jürgen Link (Hg.): Macht – Religion – Politik. Zur Renaissance religiöser Praktiken und Mentalitäten, Münster (Unrast) 2006, S. 61-96. Der Sammelband enthält die Vorträge des DISS-Colloquiums 2005.)) Alfred Schobert hat das Buch, das diesen erweiterten Vortragstext enthält, zwar noch in die Hände bekommen. Er ist am 18. November im Alter von 43 Jahren gestorben.
Doch wir hören noch seine Stimme, ihren rheinischen Klang, wie ein Kollege aus Erlangen meinte; und wir werden diesen Klang noch lange hören, besonders aber, was er in diesem Klang mitzuteilen hatte.
Unbekannt bekannt
„Alfred war einer der luzidesten Intellektuellen der Bundesrepublik, aber auch einer der Unbekanntesten“, so äußerte sich Moshe Zuckermann, der Freund und Gesprächspartner von der Universität Tel Aviv. Und damit hatte er Recht und Unrecht zugleich. Unrecht insofern, als Alfred als politischer Kopf und engagierter Anti-Faschist in den Initiativen gegen Rechts in ganz Deutschland und darüber hinaus durch seine Vorträge und Artikel bekannt und angesehen war. Recht aber insofern, als er, der Schüler von Jacques Derrida, sich vom deutschen akademischen Wissenschaftsbetrieb bewußt fernhielt. Das hatte Gründe: Dieser „Betrieb“, den er als Projektmitarbeiter in der Rheinisch-Westfälischen Hochschule für Technik in Aachen (RWTH Aachen) aus nächster Nähe kennengelernt hatte, ärgerte ihn maßlos, weil er – teilweise am eigenen Leib erfahrend – die Scharlatanerie und den Opportunismus vieler Professoren und akademischer Esel, ihre Dumpfheit und Kurzsichtigkeit, die Wissens- und Kritikfeindlichkeit der heutigen Universität insgesamt zutiefst mißbilligte und spöttisch anprangerte. Er hat trotz des umfangreichen Wer kes, das er hinterlässt, wohl in keiner einzigen akademischen Institution irgendetwas veröffentlicht, mit der Ausnahme einzelner Periodika des linken Spektrums wie des „Arguments“, der „Graswurzelrevolution“, der „kultuRRevolution“ oder auch der Schriftenreihen und der „Archivnotizen“ des DISS. ((Das DISS plant zurzeit die Herausgabe der wichtigsten Schriften Alfred Schoberts in einem Sammelband. Anmerkung von 2009: Alfred Schobert (2009): Analysen und Essays. Extreme Rechte – Geschichtspolitik – Poststrukturalismus. Herausgegeben von Martin Dietzsch, Siegfried Jäger, Moshe Zuckermann. (= edition DISS Band 21) Münster: Unrast))
Scharfer, manches Mal schonungsloser Kritiker und liebevoller Freund
Dieses Werk umfasst neben neun Büchern, an denen er sich als Autor und/oder Herausgeber beteiligte, weit über 30 fundierte wissenschaftliche Abhandlungen in Zeitschriften und Sammelbänden und eine Fülle von Übersetzungen wissenschaftlicher Artikel besonders aus dem Französischen und Englischen, sowie eine Fülle von Buchbesprechungen und Rezensionen sowie Artikeln in Zeitschriften und Zeitungen. Zu seinen Hauptarbeitsgebieten zählten Parteien, Organisationen und Pubilizistik der extremen Rechten; Antisemitismus und Antizionismus; Geschichtspolitik und „Normalisierung“; rechtsextreme Musik-Subkulturen und die Globalisierungskritik von rechts. ((Die Bibliographie ist nachzulesen unter https://www.diss-duisburg.de))
Alfred war gefragter Interviewpartner und Autor in Radio, Fernsehen und politischen Magazinen und Wochenzeitungen (so in der Allgemeinen jüdischen Wochenzeitung, im Freitag, der Jungle World, Konkret, Neues Deutschland, Der Rechte Rand u.a.). Er beteiligte sich an internationalen wissenschaftlichen, politischen und künstlerischen Projekten (so seit Beginn der 90er Jahre empirisch arbeitend oder auch beratend an den meisten Projekten des DISS, am Jahresprojekt 2001 der Kokerei Zollverein „Arbeit Essen Angst“, an den Jahresprojekten 2002 und 2003 „Campus“ und „Die offene Stadt“ der Kokerei Zollverein sowie an der Vorbereitung der internationalen Kulturausstellung „Manifesta“ auf Zypern.)
Seit Anfang der 90er Jahre arbeitete Alfred als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS), in dem er seine wissenschaftliche und politische Heimat gefunden hatte. Dort war er nicht nur engagierter Mitarbeiter und immer auch scharfer und manches Mal auch schonungsloser Kritiker, sondern zugleich auch immer ein liebevoller Freund. Einen Tag in der Woche arbeitete er im umfänglichen Archiv des DISS, wobei der sich in den letzten Jahren besonders dem Aufbau des frankophonen Bereichs des Archivs widmete, als Voraussetzung der Durchführung eines internationalen Projektes zum Bild der Juden in rechtschristlichen Publikationen. Hier war er Motor und Spiritus Rector des Projekt-Designs. Zugleich arbeitete er im Beirat des DISS, in dem er immer wieder für wichtige Impulse und Weichenstellungen sorgte, sowie als Mitherausgeber der editionDISS im Münsteraner Unrast-Verlag. Sein besonderes Interesse galt dem „AK Rechts“, in dem es ihm fortlaufend um die Kartierung und akribische Recherche rechtsextremer und rechtskonservativer internationaler Entwicklungen und Netzwerke ging.
Ein wichtiger Schwerpunkt seiner Arbeit war die Beobachtung der Organisationen und Publikationen der extremen Rechten in Frankreich und deren Einfluss auf die deutsche rechte Szene, z.B. über den französischen Schriftsteller und Pseudo- Philosophen Alain de Benoist, der ständiger Mitarbeiter der extremen rechten Zeitung Junge Freiheit ist, an deren fortlaufender Kritik sich Alfred ständig beteiligte. ((Vgl. z.B. seine Artikel in Helmut Kellershohn (Hg.): Das Plagiat. Der völkische Nationalismus der Jungen Freiheit, Duisburg 1994, S. 269-296 und in Martin Dietzsch, Siegfried Jäger, Helmut Kellershohn, Alfred Schobert: Nation statt Demokratie. Sein und Design der Jungen Freiheit, 2. Aufl. Münster (Unrast) 2004, S. 95- 155. Unmittelbar zu de Benoist vgl. Alfred Schobert: Wurzeln finden, Reich erneuern, „Ami go home!“ – Die Europa-Vorstellung Alain de Benoists, in: Alfred Schobert/ Siegfried Jäger (Hg.): Mythos Identität. Fiktion mit Folgen, Münster (Unrast) 2004, S. 31-60.))
Linker Privatgelehrter
Neben diesen Aktivitäten und sogar in erster Linie war Alfred Privatgelehrter – vielleicht sogar Privatgelehrter alten Stils, leider ohne die pekuniäre Absicherung, die dieser Typ in der Regel genießen konnte. Seine Armut interessierte ihn nur, wenn er keinen Cent mehr in der Tasche hatte. So möchte ich es als geradezu tragisch bezeichnen, dass er endlich eine Stelle auf einige Jahre hin im DISS in Aussicht hatte, als er geradezu aus heiterem Himmel verstarb.
Keine Gerechtigkeit ohne Verantwortlichkeit jenseits jeder lebendigen Gegenwart
Alfreds Analysen und Kritiken galten als messerscharf, seine Stimme als durchdringend, wenn auch nie als laut; durchdringend deshalb, weil er etwas zu sagen hatte. Er schonte auch linke Autoren und Aktivisten nicht, wenn er ihren Aussagen und Texten undifferenziertes Schwarz-Weiß-Denken nachweisen musste und zieh sie durchaus einmal eines „binären Reduktionismus“.
Wie sein Lehrer Derrida, als dessen bester Kenner Alfred in Deutschland galt, und bei dem er in Paris studiert hatte, erkannte Alfred die „Gespenster“, „Marx Gespenster“, bei denen es nicht um irgendwelche Gespenster aus irgendwelchen Schauergeschichten geht, sondern um Gespenster im Sinne von „gewissen anderen, die nicht gegenwärtig sind, nicht gegenwärtig lebend, weder für uns noch in uns, noch außer uns.“ (Derrida) Er tue dies, so fährt Alfred nach diesem Zitat in dem erwähnten Artikel über die „Stimmen von anderswo“ fort, „im Namen der Gerechtigkeit“ – da gehe es um Gerechtigkeit zwischen den Generationen, Gerechtigkeit gegenüber den Vergangenen, Gerechtigkeit gegenüber den noch Kommenden. Und er zitiert Derrida weiter:
„Keine Gerechtigkeit scheint möglich oder denkbar ohne das Prinzip einiger Verantwortlichkeit jenseits jeder lebendigen Gegenwart, in dem, was die lebendige Gegenwart zerteilt, vor den Gespenstern jener, die noch nicht geboren oder schon gestorben sind, seien sie nun Opfer oder nicht von Kriegen, von politischer oder anderer Gewalt, von nationalistischer, rassistischer, kolonialistischer, sexistischer oder sonstiger Vernichtung, von Unterdrückungsmaßnahmen des imperialistischen Kapitalismus oder irgendeiner Form von Totalitarismus“. ((Vgl. zu dieser Passage Alfred Schobert: „Eine Stimme von anderswo“ (s. Anm. 1.) S. 69.))
Solche Verantwortlichkeit jenseits jeder lebendigen Gegenwart hat Alfreds Denken und Trachten immer bestimmt. Den zehn „Wunden“ der aus den Fugen geratenden „neuen Weltordnung“ (von der Bush der Ältere spricht), diesen zehn Wunden, die Derrida aufzählt, galt Alfreds ständige Aufmerksamkeit. Diesen wandte sich seine messerscharfe Kritik immer wieder zu. Seine Hoffnung, seine diese Hoffnung kritisch begründenen Analysen, seine Bemühungen, diese Hoffnung wachzuhalten oder auch wachzurütteln, bestimmten seine Arbeit, ja sein ganzes Leben.
Wie gerne ich diese Stimme noch hören würde …
Nach Derridas Tod und am Ende dieses Artikels mit dem Titel „Eine Stimme von anderswo“ schrieb Alfred „wie gerne ich diese Stimme (die Stimme Derridas) in der weiteren Auseinandersetzung für eine andere Globalisierung noch hören würde“. Das wäre auch mein Wunsch! Wie gut, dass wir diese Stimme(n) zumindest noch nachlesen können und in einer ganzen Reihe von Beispielen, auch nachhören, im rheinischen Klang oder im algerisch gefärbten Französisch, und dass wir weiterarbeiten können am Projekt einer „neuen Internationale“, die Derrida als ein „Band der Verwandtschaft, des Leidens und der Hoffnung, ein noch diskretes, fast geheimes Band, wie um 1848“ begreift – mit ihren Stimmen im Ohr.