Globalisierung und Jugendmarketing. Von Jobst Paul. Erschienen in DISS-Journal 14 (2005)
In einer Presseerklärung des Malteser-Hilfsdienstes charakterisierte dessen Präsident, Johannes Freiherr Heereman von Zuydtwyck, die Befindlichkeit der Teilnehmer des Weltjugendtages in Köln aus der nüchternen Sicht eines Fachmannes: „Die jugendlichen Pilger pflegen eine zivilisierte Eventkultur“. Das klang eher nach Ende, denn als Aufbruch. Als Chef der Ordensholding Deutsche Malteser gGmbH und verantwortlich für Kommunikation, Public Relations und Social Marketing ließ Heereman anklingen, dass die öffentliche Wahrnehmung des Treffens als ‚Event‘ nicht täuschte: Das „kraftvolle Zeugnis für den Glauben als Quelle echter Freude“, und wäre es auch nur das unbekannte Wesen, wurde bewusst mit den Strukturen der säkularen Massenevent– Kultur verwoben. Die fließenden Übergänge aber stellten es nicht nur den Teilnehmern, sondern auch der Öffentlichkeit frei, die allgemeine Begeisterung eher dem „Glauben“ oder dem „Festival“ zuzuschlagen.
Die Assoziation zwischen beiden schafft die ‚Weltkirche‘ zwar als mediale, aber doch nur als virtuelle Massenkultur. Johannes Paul II., auf den sie zugeschnitten war, konnte ihr durch seine Person Symbole von Inhalt und Konflikt, von Realität und irdischer Geschichte geben – solange es eben ging. Als die kirchliche Medienregie ihn selbst, in der Agonie, als Symbol inszenierte, zeigte die Konzeption allerdings ihre unerbittliche Seite. In der öffentlichen Metapher vom ‚Superstar‘ für den Auftritt des neuen Papstes, als Benedikt XVI., in Köln, die nicht auf kirchlichen Widerspruch getroffen ist, schwingt nun schon die Sinnfrage mit. Was sind längerfristige Perspektiven einer kirchlichen Strategie der ‚Assoziation‘ von religiöser und säkularer Massenkultur? Könnte die Umarmung der ‚Welt‘ diese noch einmal in die Re-Katholisierung und Re-Dogmatisierung zurückzwingen? Wahrscheinlicher ist, dass das Spiel im Wettlauf zwischen evangelikalen, katholischen und vielleicht anderen Eventkulturen zuvor entgleitet und in fanatisierte Eventkultur umschlägt. Kurz: Das Konzept ist unverantwortlich und kurzsichtig.
In Köln schrumpfte es zum Handel zwischen ‚Welt‘ und ‚Kirche‘ auf Gegenseitigkeit, in die Jagdgründe des jeweils anderen vorzudringen. Die Kirche bewegte sich in die ‚Star‘- und ‚Superstar‘-Segmente des Jugendmarkts, während das Jugendmarketing seine immense Produktpalette ins Umfeld religiösmoralischer ‚Sauberkeit‘ schleuste. Der neue Herausgeber des Jugend- Blattes BRAVO (Bauer-Verlag), Tom Junkersdorf, landete einen Coup, als er das übliche Pinup-XXL-Einleg- Plakat der Augustnummer 34 nicht mit Girlies und Groupies und Boy-Groups versah, sondern mit einem sorgfältig komponierten Papst-Pinup vor azurblauem Himmel mit Wölkchen: Fingerring und Kuzifix wurden mit Glanzsternchen versehen, die Frisur wurde in Façon gebracht, der Papst lächelt angestrengt – und hat irgendjemanden im Visier. „Erst widmet sich das Doktor-Sommer-Team Tinas Problem mit dem Analsex, ein paar Seiten weiter werden die Jugendlichen mit dem 80 x 55 cm großen Bild des Ponifex an ihren Glauben erinnert.“ (taz 18.1.2005)
Als Gründe gibt Junkersdorf in einer Presseerklärung an, Benedikt XVI. sei für viele Jugendlichen ein Star und sei ein deutscher Papst, zum ersten Mal nach 482 Jahren. Als dritten Aspekt nennt der Chefredakteur dann die Tatsache, dass BRAVO „als Europas größte Jugendzeitschrift“ den „Hunderttausenden, die nach Köln pilgern, das Megaposter zum Event“ mitgebe. Damit diese das Produkt BRAVO kennen lernen und sich über dessen Natur keinen Zweifeln hingeben müssen, ließ Junkersdorf das Megaposter erstmals beidseitig bedrucken: Das Kontrastprogramm bildet die Boy- Group US5, Gewinner der RTL IIShow Big in America, eine Versammlung von geölten 15-Jährigen, die am Strand posiert. Im Innern der BRAVO-Nummer lässt Junkersdorf schließlich eine Ansammlung weiterer ‚Stars‘ mit ultrakurzen Statements zum neuen Kollegen zu Wort kommen. Nur einer, Orlando Bloom, Darsteller in Monumental- Schinken, outet sich als religiös – kann aber mit dem neuen Papst nichts anfangen.
Die ‚Katholifizierung‘ von BRAVO selbst macht zumindest vorläufig geringe Fortschritte – der Weltjugendtag war für das Blatt nur das „Event der Woche“. Doch hat die Chefredaktion den potenziellen Zugang zu hunderttausenden, bisher unerreichbaren Jugendlichen erhalten, während im Gegenzug der Papst den potenziellen Weg in deren Wohnlandschaften antritt. Ein Zeitzeuge fragte im Internet: „Dürfen – nach dem Kruzifixverbot – Bravo-Poster von Benedikt in deutsche Klassenzimmer gehängt werden?“
Auf eine Kooperation größeren Ausmaßes, die Jugend und Religion mit der Kategorie Nation verknüpfte, kann BILD zurückblicken. Der – recht überschaubare – Verband junger Verleger und Produzenten e.V., der für die Potenziale des Jugendmarketing wirbt, lobte die Kooperation zwischen BILD und der Weltjugendtag gGmbH: „ „Bild“ hat gezeigt, wie man eines der größten Jugendevents für erfolgreiches Marketing nutzt: allein 500.000 Kult-Sticker brachte die Boulevardzeitung unters Volk.“
Wie dies und anderes zuging, beschrieb die BILD-Presseabteilung selbst:
„Wir sind Papst“ titelte BILD am 20. April 2005 anläßlich der Wahl von Kardinal Ratzinger zum neuen Papst. Die Schlagzeile war sofort Kult. BILD, offizieller Medienpartner des Weltjugendtages 2005, verteilt deshalb in Köln 500 000 Anstecker mit dieser Schlagzeile und dem berühmten Bild von Papst Benedikt XVI., das ihn auf dem Balkon des Vatikans unmittelbar nach der Wahl zeigt. Die Aktion wird gemeinsam mit dem Weltjugendtag realisiert, dessen offizielles Logo auch auf der Plakette zu sehen ist. Die Verteilung startet am 16. August 2005 an den Infopoints und Registrierstellen der Veranstaltung sowie durch zahlreiche Promotion-Teams in der gesamten Stadt. Außerdem erhält in Köln jeder BILD-Käufer am Kiosk zur Zeitung den Sticker.
„Eine ganz tolle Aktion. Einen Anstecker habe ich schon zu Hause, den zweiten werde ich gleich verschenken“, findet der Kölner Kardinal Meisner. BILD-Chefredakteur Kai Diekmann: „Die Schlagzeile ‚Wir sind Papst‘ drückt das Gefühl der Freude aus, das zahllose Menschen in unserem Land empfanden, als nach fast 500 Jahren wieder ein Deutscher zum Oberhaupt der katholischen Kirche gewählt wurde. Daß diese Freudenbotschaft solchen Anklang gefunden hat und auf dem Weltjugendtag überall präsent ist, macht uns stolz.“ Um das Treffen der jungen Christen zu unterstützen, belegen BILD und der Weltjugendtag gemeinsam 150 Großflächen in Köln mit Willkommensplakaten. Darüber hinaus schaltet BILD eine flächendeckende City-Light-Plakatkampagne in der Stadt unter dem Slogan „D’r Papst kütt.“ Außerdem können die Teilnehmer auf 150 000 freifrankierten Postkarten mit der „Wir sind Papst“-Titelseite, die BILD gemeinsam mit der Deutschen Post kostenlos verteilt, Grüße nach Hause schicken.“
Eher beiläufig gerät hier ein Segment des Jugendmarketing in den Blick, das beim Kölner Mega-Event sichtbar war, ohne wirklich gesehen zu werden. Wie für andere Dienstleistungen, etwa für Kommunikation, Verkehr und Catering, hat die Weltjugendtag gGmbH auch für den Merchandising-Bereich eigene Exklusiv-Verträge abgeschlossen. Für die Versorgung mit Kerzen bekam die Engels Kerzen GmbH, Kempen, den exklusiven Zuschlag. Für die Welt der Sticker, T-Shirts u. a. m. zeichnete die henze team GmbH mit Sitz in Fellbach und einer Niederlassung u. a. in Düsseldorf verantwortlich.
Das Unternehmen sieht sich als ‚Nr. 1 im Werbeartikel-Fullservice‘ und versorgt Firmen wie die Heidelberger Druckmaschinen AG, MAN und AEG mit firmenspezifischen Merchandising-Selections. Seine führende Stellung verdankt henze team GmbH nach eigenen Angaben vor allem der Suche nach preisgünstigen Herstellern überall auf der Welt. Für das Sortiment des Merchandising-Shop des Weltjugendtreffens wählte das henze team u. a. ein Schlüsselband (Lanyard) mit der Produkt-Beschreibung: „Tragendes Bekenntnis und multifunktionales Accessoire mit hohem Gebrauchsnutzen, mit Karabinerhaken und Plastikverschluss, Sicherheitverschluss im Nacken, einzeln verpackt im Polybeutel“. Weltmarktführer in der Herstellung von Schlüsselbändern nach Kundenwünschen ist offenbar die Volksrepublik China. Mit dem „tragenden Bekenntnis“ zu Haustürschlüssel oder Kruzifix hat das henze team nicht nur – vor BILD – den Punkt getroffen, sondern lässt kirchliche Strategien vor Globalisierung und Jugendmarketing still in die Knie sinken.