„Bestimmt Hitler die Richtlinien unserer Politik?“

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 Analyse eines Textes von Gerd-Klaus Kaltenbrunner ((Die folgende Analyse verzichtet auf eine systematische oder gar vollständige Ausbreitung des umfangreichen empirischen Materials. Sie bezieht sich allerdings immer dann darauf, wenn es darum geht, die aufgestellten Behauptungen zu belegen. Eine erste Fassung dieser Analyse wurde 1987 für eine Buchveröffentlichung erstellt (Jäger (Hg.) 1988); sie wurde im Januar 1991 überarbeitet und aktualisiert.)) Eine Beispielanalyse von Siegfried Jäger

1. Vorbemerkung: Weshalb ich gerade den Text von Gerd-Klaus Kaltenbrunner analysiert habe!

Die rechtsextreme Presse der Bundesrepublik, rechtsextreme Propaganda, die Besonderheiten des rechtsextremen Journalismus, also der rechtsextreme Diskurs insgesamt, ist bisher kaum beachtet worden. ((In der „Kommentierten Bibliographie“ zur Sprache von Faschismus und Rechtsextremismus (Jäger 1990) konnten nur wenige Titel zu Sprache und Propaganda des heutigen Rechtsextremismus aufgeführt werden.)) Die wissenschaftliche Journalistik, eine Linguistik, die sich mit Presse befaßt, Text- und Diskursanalyse haben sich bisher zu diesem Bereich der bundesrepublikanischen Presselandschaft fast völlig ausgeschwiegen. Das ist um so bedauerlicher, als der Rechtsextremismus (nicht nur) in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahren politisch und publizistisch wieder deutlicher hervorgetreten ist. Doch erst nach den Wahlen in Bremen, Berlin, Hessen und zur Europawahl im Juni 1989 ist einer breiteren Öffentlichkeit bewußt geworden, daß es in der Bundesrepublik wieder einen relevanten Rechtsextremismus gibt. Seit mehreren Jahren war jedoch bereits zu beobachten, daß Bewegung in den rechten Rand dieser Gesellschaft gekommen ist. Rechtsextreme Theoriezirkel verstärkten ihre Publikationstätigkeit; sie modernisierten und intellektualisierten ihre ideologischen Konzepte, verbesserten ihre Publikationen technisch und durch Verbreiterung des Autorinnenstamms und die Art und Weise ihrer Publikumsansprache.

Anhand des Artikels von Gerd-Klaus Kaltenbrunner, einem der wichtigsten neurechten Ideologen in der Bundesrepublik der Gegenwart, läßt sich zeigen, daß neurechte Presse und Propaganda keineswegs ungeschickt und grobschlächtig, sondern durchaus intelligent, wirkungsvoll und subtil verfährt und offensichtlich von einigem Einfluß auf den Medien-Diskurs allgemein, auf den Diskurs der Elite und darüber hinaus auch auf den Interdiskurs ist.

Ich habe diesen Artikel für diese „Anleitung zur Analyse politischer Texte“ aber auch noch aus einem anderen, aktuellen Grund ausgewählt: Der Kaltenbrunnersche Artikel, der im Februar 1987 in MUT und fast zeitgleich in vielen anderen Publikationen erschienen ist, ist ein wichtiger Beitrag des rechtsextremen Diskurses zur Propagierung der „Wiederherstellung Deutschlands in den Grenzen von 1937“. Diese Forderung war die zentrale Parole aller rechtsextremen Parteien (neben „Ausländer raus!“) seit Jahrzehnten und auch in den Wahlkämpfen der letzten Jahre. Mit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten ist diese Forderung größtenteils erfüllt. Damit ist einerseits den Rechtsextremen eine wichtige Stoßrichtung ihres Kampfes zerstört worden. Insbesondere die Unionsparteien konnten sich die von der DDR-Linken erreichte Öffnung zunutze machen und damit auch Teile der ehemals rechtsextreme Parteien favorisierenden Wähler wieder an sich binden. Zum andern ist es aber interessant, dieses Diskursfragment unter dem Gesichtspunkt zu befragen, ob und in welchem Ausmaß es (im Rahmen des entsprechenden rechtsextremen Diskurses insgesamt) dazu beizutragen in der Lage gewesen sein könnte, die heute erreichte Art und Weise der Vereinigung Deutschlands zu forcieren.

2. Der sozialgeschichtliche Hintergrund für rechtsextreme Propaganda allgemein (= nichtsprachlicher Kontext 1)

Der Artikel von Kaltenbrunner ist 1987 in der rechtsextremen Zeitschrift MUT erschienen. Die folgenden kurzen Bemerkungen zur sozialgeschichtlichen Situation beziehen sich deshalb schwerpunkthaft auf die Jahre unmittelbar davor, wobei knappe Hinweise auf die weitere Entwicklung bis 1991 eingflochten sind, wodurch die Analyse den Blick auch auf die weitere Entwicklung lenken kann.

Eingebunden in die Notwendigkeiten kapitalistischer Realpolitik hatten die konservativen Kräfte nach der Übernahme der Regierung bereits in den frühen 80er Jahren ihre Integrationskraft nach rechts ein Stück weit eingebüßt. ((Ich muß mich hier mit einer groben Skizze begnügen, verweise aber auf Jäger/Jäger 1990, wo wir die sozioökonomische Situation der BRD und ihren Bezug zur Entwicklung der rechtsextremen „Ideologielandschaft“ genauer dargestellt haben.)) Insbesondere in den Feldern der Deutschland und Ostpolitik,der Asyl und Einwandererpolitik, aber auch der Familien und Frauenpolitik, der Wohnungs, Gesundheitspolitik und Sozialpolitik usw. konnte die Union die Wünsche ihrer rechten Klientel nicht mehr so recht befriedigen. Dazu kam, daß die versprochene Wende im „geistig-moralischen“ Bereich nach Ansicht rechter und rechtskonservativer Kritiker offensichtlich ausgeblieben war. So sprach der Sozialphilosoph Günter Rohrmoser 1985 in diesem Zusammenhang offen von einem „Debakel“ der Union und forderte zunehmend drängender die ausgebliebene Wende ein. Er klagte:

„Die Koalition in Bonn hat eine historische Chance verspielt. Sie hat ihr Versprechen einer geistigen Wende in der Bundesrepublik Deutschland nicht erfüllt, sie hat es nicht gekonnt, und sie hat es wohl auch nicht gewollt. Aber die geistige Wende, die nicht stattfand, hat Folgen. Die geistige Führung der Republik ist von den grünen und alternativen Bewegungen übernommen worden.“ (Rohrmoser 1985, S. 18)

Zugleich war zu beobachten, daß rechtsextreme Parteien und Gruppierungen zunehmend Erfolge auch bei Wahlen zu Landes und Kommunalparlamenten aufweisen konnten, daß rechtsextreme Gruppierungen wie die FAP, die Republikaner, die NPD und die DVU sich in der Öffentlichkeit immer deutlicher zu artikulieren begannen. Auf die Krisenerscheinungen dieser Gesellschaft reagierten sie mit Angeboten, die oft plausibel wirkten und offensichtlich viele Menschen in unserem Lande beeindruckten.

Zu beobachten war, daß neben den eher populistischen Aktivitäten rechtsextremer Parteien, die insbesondere bei Wahlkämpfen mit einfachsten Erklärungsmustern auf Menschenfang ausgingen so zielten die Wahlkämpfe der NPD und der DVU sowie die der Republikaner in den letzten Jahren durchweg auf die in der Bevölkerung vorhandene Feindlichkeit gegenüber Einwanderinnen , neurechte und rechtskonservative Gruppen und Zirkel mit einigem Erfolg angetreten waren, den Kampf um die Köpfe zu gewinnen, eine rechte kulturelle Hegemonie zu erlangen, als Voraussetzung dazu, eines Tages auch die politische Macht zu gewinnen, wobei auch vor Gewalt und Bürgerkrieg nicht halt gemacht werden sollte. So schrieb etwa Pierre Vial in der neurechten Intellektuellen-Zeitschrift elemente, daß früher oder später der Zeitpunkt eintrete, „wo man die Feder gegen das Gewehr tauschen“ müsse. (elemente 2/87, S. ll)

Mit der „Wende“ in der ehemaligen DDR scheint dieser Trend zunächst einmal gestoppt zu sein, wobei keineswegs sicher ist, daß dies lange so bleiben wird. Inzwischen formieren sich neue rechtsextreme Sammlungsbewegungen, die darauf setzen, die sozialen Folgen der Vereinigung Deutschlands für sich ausschlachten zu können.

3. Die rechtsextreme Presse und Organisationslandschaft (= nichtsprachlicher Kontext 2)

Der Artikel Kaltenbrunners, so viel sei an dieser Stelle bereits gesagt, ist ein Fragment des rechtsextremen Diskurses, der insgesamt vorrangig darum bemüht war, die nationale Frage zu lösen, sprich: die Vereinigung Deutschlands voranzutreiben. Heute (1991) nach der Vereinigung gilt die nationale Frage zwar als teilweise gelöst, lamentiert wird jedoch weiterhin über die „Verluste der Ostgebiete“ und besonders über die angeblich „drohende Überfremdung“ („Asylantenflut“). Das Gewicht dieses gesamten Diskurses wird deutlicher sichtbar, wenn man einen Blick auf die rechtsextreme Presse und Organisationslandschaft wirft:

In der Bundesrepublik gibt es insgesamt weit über hundert rechtsextreme Organisationen mit rund 130 regelmäßig erscheinenden Periodika (ohne die in die hunderte gehenden revanchistischen und militaristischen und die rechtschristlichen Klein und Kleinstorgane). ((Die meisten dieser Zeitschriften, insbesondere die neueren Jahrgänge (und andere Materialien rechtsextremer Gruppierungen), sind im Archiv des Duisburger Instituts für Sprach und Sozialforschung (DISS) vorhanden.)) Sie erreichen Auflagen, die in einzelnen Fällen über 100 000 Exemplare liegen, sich größtenteils aber zwischen 5 000 und 40 000 bewegen. Insgesamt dürfte sich der rechtsextreme Ausstoß an Zeitungen und Zeitschriften zwischen 750 000 und einer Million Exemplaren bewegen, so daß mit einer Leserschaft von rund 3 Millionen gerechnet werden kann. Die propagandistische Ansprache der rechtsextremen Presse ist für die BRD sozial flächendeckend und erreicht, vermittelt über die eigenen Leser und die Medien große Teile der Bevölkerung bzw. den Interdiskurs. Das läßt sich auch daran ablesen, daß selbst viele ehemalige Wähler der SPD zu den Republikanern überliefen.

Die Organisations und Presselandschaft des rechtsextremen Randes ist bei aller Vielfalt durch Konkurrenz einerseits, aber andererseits durch dichte Kooperation gekennzeichnet. (Vgl. Dietzsch 1988.)

Bis zur „Wende“ in der ehemaligen DDR profitierten die „Republikaner“ am stärksten von den skizzierten gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen. Ihr Einfluß schwand jedoch, begleitet von den üblichen Querelen und Schuldzuweisungen, als sich der Blick der Deutschen ganz auf die Ereignisse in der DDR zu richten begann.

Zwischen der direkt rechtsextremen Landschaft und rechtskonservativen Bemühungen liegt ein breites Übergangsfeld, bestehen personelle und organisatorische Überschneidungen. (Vgl. Kühnl 1986, S. 105)

Im Verlauf der letzten Jahrzehnte hatte sich bei den rechtsextremen Organisationen und Redaktionen eine Arbeitsteiligkeit entwickelt, durch die alle sozialen Gruppierungen der Bevölkerung der BRD angesprochen werden konnten. Die Propaganda selbst bemühte und bemüht sich weiter, wenn man von der einiger Splittergruppen einmal absieht, ihre Verwurzelung im Nationalsozialismus durch ein neues Vokabular und neue Themen zu überspielen: „Entsorgung“ bzw. „Entkriminalisierung“ oder auch „Enthitlerisierung“ der deutschen Geschichte. ((Hier wird im übrigen unmittelbar greifbar, daß auch der sog. Historikerstreit, bei dem es rechtsextremen Publizisten und rechtsextremen Wissenschaftlern um die Rehabilitierung Deutschlands ging, inhaltlich (und teilweise auch organisatorisch) den rechtsextremen Diskurs und seinen Einfluß auf den Interdiskurs stärkte.)) Sie nimmt bis heute weiterhin Ideen rechtskonservativer und nationalistisch gesinnter Politiker und Wissenschaftler aus der Zeit vor dem Nationalsozialismus auf und distanziert sich von den Verbrechen des sog. Dritten Reichs bzw. versucht diese zu verharmlosen („Auschwitzlüge“, Relativierung durch Verweis auf die Greueltaten anderer Nationen in Geschichte und Gegenwart). Schützenhilfe erhält die so entwickelte neurechte Ideologie durch Philosophen und Ideologen insbesondere der französischen Neuen Rechten, allen voran Alain de Benoist, Preisträger der Academie Francaise, der denn auch die neue Stoßrichtung des Kampfes um die Kulturelle Hegemonie mit der Bemerkung charakterisierte: „Die alte Rechte ist tot. Sie hat es wohl verdient.“

Die Versuche, das geistige Klima der Bundesrepublik nach rechts zu verschieben, sind auch als Antwort auf die Intellektuellen und Studentenbewegung der 60er und 70er Jahre zu verstehen. Rechtskonservative Buchreihen wie die von Gerd-Klaus Kaltenbrunner betreute „Herderbücherei-Initiative“ mit inzwischen rund 70 Titeln, das von Thule-Seminar-Leiter Pierre Krebs 1981 herausgegebene Werk „Das unvergängliche Erbe“, die Arbeiten des Bochumer Historikers Bernard Willms zur „Deutschen Nation“ usw. usw. sind dafür nur die spektakuläreren Beispiele.

Daneben drangen und dringen rechtsextreme Ideologeine zunehmend in die Alltagsmedien ein und beginnen Teil der bundesrepublikanischen Normalität zu werden. Irenäus Eibl-Eibesfeld, ultrarechtskonservativer Verhaltensforscher und Schüler von Konrad Lorenz, einem wichtigen Kronzeugen rechtsextremer Argumentation und selbst ehemals Nationalsozialist, darf neuerdings seine sozialdarwinistischen und rassistischen Ergüsse im Fernsehen vor einem Millionenpublikum zum besten geben; Kanzler Kohl wirbt für Willms „Handbuch zur deutschen Nation“ und liest nicht nur interessiert die rechtsextreme Zeitschrift MUT, sondern bezieht sich sogar als Leserbriefschreiber auf dieses Organ, in dem Nationalrevolutionäre wie Bernhard C. Wintzek und Wolfgang Strauß das Sagen haben bzw. hatten. ((Strauß ist inzwischen aus der Redaktion dieser Zeitschrift ausgeschieden, vermutlich weil er den „neuen Kurs“ von MUT nicht mittragen kann oder will. (Vgl. zu MUT und seiner Autorenschaft etc. ausführlich auch Jäger (Hg.) 1988, S. 167 ff, bes. S. 191 f.) ))

Dieser Trend, der seit längerem zu beobachten war und dann auch in Wahlerfolgen rechtsextremer Parteien mündete, wurde in der Bundesrepublik noch lange Zeit nicht zur Kenntnis genommen. Der Blick richtete sich allein auf die spektakuläreren rechtsextremen Aktivitäten; rechtsextreme und rechtsterroristische Anschläge waren und sind Material kurzfristigen sensationslüsternen Presseinteresses. Insgesamt versuchten Politiker aller Couleur den heutigen Rechtsextremismus zu verharmlosen und glaubten, ihn unter Kontrolle zu bekommen, wenn sie nur ihre eigene Politik besser unter die Menschen brächten, und/oder sie überließen seine Bewältigung den „öffentlichen Ordnungskräften“. Nach der Berliner „Wende“ hat sich diese Haltung, die durch die Wahlergebnisse rechter Parteien etwas ins Wanken geraten war, im übrigen wieder verstärkt. Offiziell wird der Rechtsextremismus bereits wieder totgesagt. Zu fragen wäre natürlich, wo das millionenstarke rechtsextreme Wählerpotential hingeflossen ist.

Unter dieser Decke gedeiht die Verbreitung rechtsextremer Ideologie (weiterhin) nahezu ungestört. Die genauere sprachwissenschaftliche Analyse rechtsextremer Texte erweist, daß die rechtsextreme und rechtskonservative Ansprache nicht nur in ihrer Vielfalt und nicht nur dadurch daß sie sozial breit und flächendeckend aufgefächert ist, durchaus Wirkung entfalten kann, sich durchaus geschickter sprachlicherrhetorischer Mittel bedient und die Wissenshorizonte ihrer Klientel zu erreichen und zu verändern bemüht und in der Lage ist. Die Zeitschrift MUT stellt dafür ein interessantes Beispiel dar.

4. Die Zeitschrift MUT (= sprachlicher Kontext)

Seit 1965 erscheint die Zeitschrift MUT, die eine sehr wechselhafte Geschichte hinter sich hat. Seit ihrem Erscheinen wird sie von Bernhard C. Wintzek herausgegeben und auch dieser hat eine sehr wechselhafte Geschichte hinter sich.

„Der 1943 in Schlesien geborene Bernhard C. Wintzek ist ein guter Bekannter des österreichischen Rechtsextremisten Konrad Windisch, der die Österreich-Redaktion von MUT betreute (bis. 1984, S.J.) und mit Wintzek 1967 ein Buch mit dem Titel ‚Protest‘ veröffentlicht hat. Er arbeitete bei der ‚Aktion Widerstand‘ („Brandt an die Wand!“) mit und pflegte gute Kontakte zum BHJ (Bund Heimattreuer Jugend), der Zeitschrift Nation Europa, den JN (Junge Nationaldemokraten) und zur NPD, für die er bei den Bundestagswahlen 1972 kandidierte. Zusammen mit A. Manke vom Arbeitskreis Volkstreuer Verbände (AW), Peter Dehoust von Nation Europa (u.a., S.J.) bereitete er 1972 den 1. Nationaleuropäischen Jugendkongress in Planegg vor.“ (Werth 1986/87, S. 42)

Nach Werth ist Wintzek ein „rechtsradikaler Aktivist“, der die rechtsradikale Jugendzeitschrift MUT herausgibt. (ebd. S.39, vgl. auch Opitz 1984, bes. S. 238-350)) Heute ist (die vor einigen Jahren auch schon einmal indizierte) MUT keine Jugendzeitschrift mehr. Wer das professionell gemachte 64-Seiten-Blatt in die Hand bekommt, das seit einiger Zeit eine Auflage von ca. 40000 Exemplaren aufweist, fühlt sich auf den ersten Blick eher an Readers Digest erinnert: Die DIN A 5 Hefte sind reich bebildert, der durchgängige 46-Farben-Druck zeichnet sich seit 1984 durch hohe Qualität aus. Die gesamte graphische Gestaltung ist hervorragend; das Layout, das Glanzpapier, die sorgfältige redaktionelle Betreuung usw. lassen das Blatt wie eine gut gemachte Familienzeitschrift erscheinen, die wichtige Themen aus allen Bereichen von Wissenschaft und Kultur aufgreift, die von hochkarätigen Wissenschaftlern, Politikern und Journalisten abgehandelt werden. Thematische Schwerpunkte bilden Politik, Kultur, Internationalismus, Geschichte und Pädagogik, Psychologie, Anthropologie, Philosophie, Religion, Biologie, Rechtssoziologie, Sprachwissenschaft und Sprachkritik.

Neben dem Herausgeber Bernhard C. Wintzek werden ständige Mitarbeiter im Impressum aufgeführt, wobei festzustellen ist, daß hier immer wieder neue Namen auftauchen und alte verschwinden. Dabei ist ein Trend zu immer „seriöseren“ Namen zu beobachten. Dieser Trend hat sich in den letzten Jahren weiter verstärkt. Vor einiger Zeit tauchte selbst das SPD-MdB Herrmann Rappe, Vorsitzender der Industriegewerkschaft Chemie, mit einem Artikel in MUT auf.

Die „Entsorgung“ der Geschichte und der Kampf gegen die beiden Supermächte, wobei der Nachdruck auf den Kampf gegen die Sowjetunion gelegt wurde: das waren und sind die beiden mehr oder minder heimlichen und niemals auch nur irgendwie kontrovers diskutierten Grundthemen von MUT. Sie werden fast in jedem Artikel aufs neue angeschlagen. ((Nur in MUT 4/87 gibt es eine gewisse Ausnahme, ein Interview mit Anatolij Frenkin, sowjetischer Korrespondent der Zeitschrift „Literaturnaja Gazete“. Frenkin kritisierte, daß in der Bundesrepublik Nazismus und feindseliger, militanter Antisowjetismus nicht verboten seien. Der Abdruck dieses Interviews wird in Heft 5/87 von einem Prof. Dr. Ewald Hubik dann auch in einem Leserbrief heftig kritisiert. In einer neueren Ausgabe von MUT läßt aber Frenkin selbst einen deutlichen Rechtsruck erkennen, wozu er sich durch die Auflösungserscheinungen in der UDSSR wohl ermutigt fühlt.)) Sie haben für diese Zeitschrift eine alte Tradition, die sich auch am politischen Werdegang ihrer wichtigsten Autoren festmachen läßt: Neben Chef redakteur Wintzek auch an Wolfgang Strauß und Gerd-Klaus Kaltenbrunner, die der Kernmannschaft von MUT angehören bzw. angehörten. ((Wolfgang Strauß taucht seit einiger Zeit nicht mehr als Mitglied der Redaktion auf und scheint seit einigen Ausgaben auch als freier Mitarbeiter aus der Zeitschrift verbannt zu sein. Dies mag mit dem neuen Kurs der Redaktion zusammenhängen, die zunehmend um ein seriöses Image bemüht ist. Zu W. Strauß vgl. MUT 9/86 und kritisch Opitz 1984, S. 181 passim.))

Welche soziale Gruppe der vorgestellte Adressat von MUT ist, läßt sich den Selbstdarstellungen der Zeitschrift entnehmen. Da heißt es z.B. in einer Heft 5/87 beigefügten Werbung: „Es geht um die Jugend. Es geht um die Zukunft! Gerade dieses MUT-Heft gehört in jede Familie. MUT eine in ‚Wort und Bild kulinarisch aufbereitete Kulturzeitschrift‘, so der Rheinische Merkur.“

MUT hat ihre alte Position aber lediglich kaschiert. Nach wie vor ist die Grundlage das, was Bernhard C. Wintzek als Mitverfasser 1972 im Abschnitt „Nationalismus Biopolitik“ des „Nationaleuropäischen Manifests“ besonders betonte:

„Die Menschen sind nicht gleich. Jeder Zwang zu unnatürlicher ‚Gleichheit‘ ist unmenschlich und freiheitsfeindlich. Unsere Humanität heißt Achtung der Eigenart jedes Menschen, jedes Volkes, jeder Rasse.“ (Zit. nach H. Meyer 1985)

MUT ist insgesamt zur „gemeinsamen Plattform rechter und neofaschistischer Publizisten“ geworden (ebd.), darum bemüht, ihre nationalrevolutionäre Ideologie weit in eine bildungsbürgerliche und konservative Leserschaft hineinzutragen. ((Mit dem Eintritt von Gerd-Klaus Kaltenbrunner in den Kreis der ständigen Mitarbeiter im Jahr 1984 hat MUT den offenen nationalrevolutionären Kurs aufgegeben, um bessere Einwirkungsmöglichkeiten auf konservative Teile der Bevölkerung zu erhalten. Diese Strategie ist heute verstärkt zu beobachten. Inzwischen schreiben auch rechtskonservative Politiker wie Rupert Scholz, Ursula Lehr, Gertrud Höhler, Helmut Kohl (zustimmender Leserbrief) u.a. in MUT))

5. Gerd-Klaus Kaltenbrunner eine der wichtigsten Persönlichkeiten bei MUT (= Nichtsprachlicher Kontext 3)

„Gerd-Klaus Kaltenbrunner >einer der profiliertesten Köpfe des zeitgenössischen deutschen Konservatismus, Schriftsteller, Herausgeber und Privatgelehrter im Badischen< (Rheinischer Merkur) und Träger des Konrad-Adenauer-Preises für Literatur >in dankbarer Würdigung und Anerkennung seines weitgespannten essayistischen Werkes< ist Herausgeber der inzwischen mit 75 Bänden vorliegenden Herder-Bücherei INITIATIVE, deren 320 Autoren das weitverbreitete Vorurteil widerlegen, der Geist stehe nur links. Gerd-Klaus Kaltenbrunner schreibt seit 1984 regelmäßig für MUT. Auch sein im MUT-Verlag erschienenes Werk „Wege der Weltbewahrung“ ist zu einem Erfolgsbuch dieses faszinierenden Autors geworden.“

So heißt es in MUT 5/87, S. 54. Bei Mathias Werth (frontal 26 (1986/87, S. 42) liest sich diese Biographie dagegen so:

„Der 1939 geborene Österreicher Gerd-Klaus Kaltenbrunner spielt eine Schlüsselrolle bei der Herausbildung neokonservativer Theorie-Konzepte, die in vielen Punkten der neurechten Ideologie sehr nahekommen.“

Häufig vertritt Kaltenbrunner in MUT mit „schwülstigen Essays“ (so der Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Gerhard Köpf) zu Literatur und Kunst die Sparte „Dichter und Denker“. Nicht selten zieht er jedoch andere Saiten auf:

„Es gibt einen gewissen Pessimismus und Nihilismus, der nichts als der Luxus vergrämter unerzogener Kinder ist, denen viel zu viel mühelos geboten wird Ich fürchte …, daß die weitverbreitete deutsche Unfähigkeit, un verkrampft, gelassen und heiter JA zu sagen, mit dem verspäteten und ste rilen Bestreben zusammenhängt, die Hitlervergangenheit im falschen Moment >bewältigen< zu wollen. Im Grunde handelt es sich dabei um ein völlig irrationales, ja magisches Verhalten, das man aufgeklärten modernen Menschen kaum zutrauen würde.“ ((Insgesamt vertritt Kaltenbrunner ein sehr pessimistisches Menschenbild. Der Mensch, so schreibt er, „ist vor allem ein problematisches, riskantes und gefährliches Wesen, entartungsbereit, verhetzbar und nur zum Teil rational.“ (Ratlos vor dem Feinde 1980, S. 21) ))

Auf diese Weise versucht Kaltenbrunner dem konservativen Leser den letzten Rest eines schlechten Gewissens wegen seiner Nation Geschichte auszutreiben. ((Das ist eines der Steckenpferde, die Kaltenbrunner schon seit langem reitet. Vgl. dazu auch seine „Zehn Gebote für Konservative. Auch für solche, die es werden wollen“, Deutsche Zeitung/Christ und Welt vom 15.9.1972.)) Die andauernde Wirkung Kaltenbrunners läßt sich weiterhin daran ermessen, daß er erst im Oktober 1990 einen Preis des Liechtensteiner PEN-Clubs „für sein herausragendes Werk, zumal für sein fünfbändiges Europa-Opus und für die 75bändige Taschenbuchausgabe Herder-Initiative“ erhalten hat. ((Aus der Begründung der Preisverleihung, nach Auskunft von Gerhard Köpf, der wegen dieser Verleihung aus dem Liechtensteiner PEN ausgetreten ist.))

6. Der Artikel „Bestimmt Hitler die Richtlinien unserer Politik?“

In dem folgenden Text baut Kaltenbrunner diese Position systematisch aus:

Kaltenbrunner1

 

Kaltenbrunner2Dieser Artikel erschien im Februar-Heft von MUT im Jahr 1987, und er hat eine sehr interessante Geschichte: Es handelt sich um den wörtlichen Wiederabdruck eines Gastkommentars, der im Oktober 1986 bereits in dem Boulevard-Blättchen „Bunte“ erschienen war. ((Vgl. »blick nach rechts« 4.Jg. Nr. 6 v. 16.3.1987.)) Vor und nach dem Abdruck in MUT erschien derselbe Artikel an mehreren anderen Stellen, so z.B. gekürzt und mit anderer Überschrift in Schönhubers rechtsextremem „Republikaner“ (1/87) und mit anderen Kürzungen und wiederum  anderem Titel in der militant neonazistischen und antisemitischen Jugendzeitschrift „Sieg“ (Österreich) (11/86). ((Vgl. auch weitere Abdrucke bzw. ausführliche Zitierungen in »Deutsche Monatshefte« 5/87, S. 35 ff., im »DeutschlandMagazin« 3/87, in »Aula« 6/87, »Mensch und Maß« 4/87.))

6.1. Auftritt G.-K. K

Meist verfährt MUT so, daß zu Beginn eines jeden Artikels der Autor mit Foto und Kurzlebenslauf vorgestellt wird. Selten ist jedoch zu beobachten, daß das Ich des Verfassers derart in den Vordergrund gerückt wird, wie dies bei Kaltenbrunner generell, nicht nur bei diesem Artikel, gemacht wird. Das fängt bereits mit der Einleitung an, und das zieht sich bis zum Schluß des Artikels durch. In den 34 Sätzen des Textes taucht 41 mal der Autor auf: als ich, mir, mich oder auch als man sein Ich verallgemeinernd und so den Leser vereinnahmend (10 mal) oder als mit Sie von einem fiktiven Dialogpartner angeredete Person. Ganz selten treten andere Figuren auf (außer Zitier und historische „Autoritäten“). So ist der Autor fast im mer gegenwärtig und drängt auf den Leser ein. Selbst in seinen Dichter portraits etc. bringt sich Kaltenbrunner, wo es nur eben geht, ins Spiel. Er empfindet sich offensichtlich selbst als wichtige historische Größe, als eine Autorität, die im allgemeinen oberlehrerhaft darum bemüht ist, dem Leser tiefste Weisheiten zu vermitteln. Dieses Bedürfnis, sich ständig in Erinnerung zu bringen, geht so weit, an die Zeitschrift, bei der er doch selbst ständiger Mitarbeiter ist, namentlich gekennzeichnete Leserbriefe zu schreiben (s. MUT 5/87).

Auf tritt also Gerd-Klaus Kaltenbrunner und inszeniert seine Botschaft der „Enthitlerisierung“ der bundesdeutschen Politik und Geschichte in Gestalt eines rhetorischen Feuerwerks, das seinesgleichen suchen dürfte. Da dies das auffälligste Charakteristikum dieses Textes ist und auch der Grund für seine Verbreitung sein dürfte , sollen zunächst Aufbau und Argumentationsweise des Artikels genauer betrachtet werden.

6.2. Gliederung und Argumentationsaufbau des Textes (= Makrostruktur, (sprachliche) Handlungen, Zwischenziele)

Ausgangsfrage (Thema): Bestimmt Hitler die Richtlinien unserer Politik? (Überschrift)

1. Einleitung: Wie würde ich mich angesichts der „Lage der Nation“, in der immer noch Hitler die Richt.inien der Politik bestimmt, verhalten? (Z. 1-10)

2. Zwölffache Beantwortung dieser Frage und Beweisführung. (Z. 11-126)

2.1.  Beantwortung der Frage nach dem Verhalten angesichts der Lage der Nation, die dadurch charakterisiert sei, „daß jede noch so vernünftige politische Fragestellung oder Maßnahme … nur daraufhin eingeschätzt wird, ob sie mit Hitler in Zusammenhang gebracht werden könne“: Hitler ist es, der die Richtlinien unserer Politik bestimmt (Zentrale Hypothese!) (Z. 11-63)

2.2. Begründung der in 2.1. gegebenen Antworten und Beweis der aufgestellten Behauptung. (Z. 63-126)

3. Zusammenfassende Beantwortung der Frage nach der Lage der Nation: Hitler bestimmt die Richtlinien der Politik! (Z. 127-136)

4. Darlegung der Absurdität dieser Tatsache. (Z. 137-155)

5. Schluß: Folgerungen: (Z. 156-166)

  • Beantwortung der in der Einleitung gestellten Frage unter Bezug auf 2.1.: Ich würde darauf bestehen, daß die Richtlinien der Politik nicht mehr von Hitler bestimmt werden (Verhalten).
  • Beantwortung der ÜberschriftFrage und Konsequenz der der unter 3. gemachten Tatsachenfeststellung: Eine tiefgreifende „Enthitlerisierung“ ist überfällig (verallgemeinernde politische Forderung).
  • Bezug auf 2.2.: Die Situation ist nicht normal, wenn einer politisch vernünftig argumentiert und allein deshalb in den Geruch kommt, ein Neo-Nazi zu sein (Bekräftigung der politischen Forderung durch Rückverweis auf die Situationsanalyse).

Hier wird bereits das Bemühen deutlich, eine (scheinbar) wasserdichte und allseits abgesicherte Argumentationskette zu entwickeln, deren Hermetik erst aufzubrechen ist, wenn man sich die einzelnen Argumente und die dabei verwendeten Mittel genauer ansieht:

6.2.1. Die Realität des Irrealen: Antworten auf selbstgestellte Fragen

Der erste rhetorische Trick Kaltenbrunners ist der, daß er sich in der Einleitung als objektiver Betrachter der bundesrepublikanischen Situation („Lage der Nation“) darstellt: Er sei ja kein deutscher Staatsbürger! Kaltenbrunner ist in der Tat Österreicher, der aber fast sein ganzes erwachsenes Leben in der Bundesrepublik Deutschland verbracht hat (seit 1962).

In dieser Einleitung verwendet Kaltenbrunner jedoch noch einen zweiten Trick: Er will sich zur Lage der Nation äußern. Dieser Passus, in der ohnehin fett gesetzten Einleitung, ist die einzige Stelle, die in diesem Text zusätzlich durch Sperrdruck und doppelte Anführungsstriche besonders hervorgehoben ist. Damit wird verdeutlicht, daß dies das eigentliche Thema Kaltenbrunners ist. Kaltenbrunner posiert damit als „Autorität“, die wie ein Staatsführer berufen ist, einen Bericht zur Lage der Nation abzugeben.

In den im GliederungsAbschnitt 2.1. folgenden 12 Antworten auf die gestellten beiden Fragen hält Kaltenbrunner den Gestus der Objektivität durch Betonung der Distanz aufrecht. Dazu dient ihm hier nun das Mittel konjunktivischer Aussage (Irrealis: wäre, würde), das er geradezu stereotyp in allen Antworten verwendet. Doch schauen wir uns die Antworten in 2.1. im einzelnen einmal an:

1. „Ich würde mich nicht schuldig fühlen, weil ich ein Deutscher bin.(Z. 11 f.)

Hier wird sehr klischeehaft die sicher sehr schwierige Frage einer Kollektivschuld der Deutschen angesprochen und beantwortet. Dabei geht ohne weiteres die Unterstellung ein, daß ernsthaft behauptet würde, die Kollektivschuld der Deutschen sei die persönliche Schuld jedes einzelnen. Das Problem der Verantwortung, die uns Deutschen aus unserer Geschichte erwächst, das Problem, daß alle Deutschen Teil haben am soziokulturellen Erbe, zu dem auch das sog. Dritte Reich, seine Ideologie und seine Erziehungsprinzipien gehören und die von Generation zu Generation weiterwirken, kommt so erst gar nicht in den Blick. Hier entpuppt sich der „Denker“ bereits als Demagoge, der auch nicht davor zurückschreckt, billige sprachliche Tricks zu verwenden, um den Leser dazu zu veranlassen, sich mit der gegebenen Antwort zu identifizieren. Der im irrealen Bedingungssatz zu erwartende Nebensatz: „… wenn ich ein Deutscher wäre“ wird klammheimlich in „weil ich ein Deutscher bin“ umgebogen. Die irreale Aussage, die hier erforderlich wäre, wenn hier eine Aussage des Österreichers Kaltenbrunner gemeint wäre, könnte den Leser gar zu leicht dazu veranlassen, sich kontemplativdistanziert zurückzulehnen. Kaltenbrunner aber möchte den deutschen Leser dazu bringen, sich mit der Aussage zu identifizieren.

2. „Deutschsein wäre für mich kein belastender Umstand.“ (Z. 12 f.)

Die Bedingung „Wenn ich ein Deutscher wäre“ wird hier wie in der gesamten Antwortreihe (mit einer Ausnahme) überhaupt nicht mehr expliziert, sondern verbleibt in der Tiefenstruktur. Auch hierdurch wird die durch Nennung der Bedingung beim Leser wohl befürchtete Distanzierung durch den Irrealis geschickt vermieden. Die Identifizierung des Lesers mit dem angebotenen „Ich“ wird auf diese Weise fast unvermeidbar. Die Formulierung „belastender Umstand“ ist zudem außergewöhnlich unpräzise. Als belastet galten nach dem Ende des Faschismus in Deutschland besonders die aktiven Nazis. Im Wort „Umstand“ verschwinden die konkreten Gründe der Belastung; die unmenschlichsten Verbrechen, die die „Belasteten“ ja begangen hatten.

3. „ich würde mich nicht jederzeit durch den Hinweis auf Hitler moralisch erpressen lassen.“ (Z. 13-15)

Hier geht die Unterstellung ein, daß solche Erpressung(!) jederzeit, bei jeder politischen Äußerung (durch wen?) auch tatsächlich stattfindet. Es wird davon abgelenkt, daß es ja schließlich auf den Inhalt der Äußerung ankommt, so als gäbe es keinerlei politische Positionen, die berechtigter weise in der Tradition des deutschen Faschismus gesehen werden müssen!

4. „Ich wäre genauso normal wie die Franzosen, Italiener, Russen und Mongolen, die ja auch nicht die Verbrechen Neros und Mussolinis, Robespierres und Napoleons, Iwans des Schrecklichen und Stalins, Attilas und Dschingis Khans durch kollektive Selbstzerknirschung zu sühnen versuchen.“ (Z. 13-22)

Hier wird das Reizwort „normal“ (= nicht verrückt, nicht krank) verwendet, um von jeder Verantwortung abzulenken. Gegen den einen Hitler unserer deutschen Vergangenheit werden gleich acht historische „Verbrecher“ ins Feld geführt, aus jeder genannten Nation gleich zwei. Damit wird die Person Hitlers erstens relativiert; zweitens soll jede verantwortliche Beschäftigung von Deutschen mit der „nationalsozialistischen Vergangenheit“ lächerlich gemacht werden: durch die Ironisierung der Kollektivschuld als „kollektive Selbstzerknirschung“.

5. „Nur ein eingefleischter alter Nazi kann an der Institution der Sippen und Völkerhaft festhalten, also an der generationenlangen Verantwortlichkeit einer Familie oder einer Nation für von kriminellen Vorfahren begangenen Untaten.“ (Z. 22-28)

Dieser Satz weicht von der hier sonst gebräuchlichen Struktur ein wenig ab. Der Form nach handelt es sich um einen einfachen Aussagesatz, in haltlich aber ebenfalls um einen Bedingungssatz: „Jemand, der weiterhin von der Kollektivschuld spricht, verhielte sich wie ein ein „eingefleischter Nazi“, der an nazistischen Vorstellungen wie Sippenhaft etc. festhält. Hier wird das beliebte Spiel getrieben, den Spieß herumzudrehen und diejenigen als Nazis zu brandmarken, die das Dritte Reich immer noch kritisieren. Durch die Identifizierung von „Kollektivschuld“ mit Sippen und Völkerhaftung versucht Kaltenbrunner den Vorwurf der Kollektivschuld selbst als faschistisch zu denunzieren. Der Bezug auf Familie und (kriminelle) Vorfahren trägt sein übriges dazu bei, den Leser zur nationalen Kollektivschuld auf Distanz zu bringen. Die sprachliche Verkürzung der hier gemeinten Sippenhaftung (= Verantwortlichkeit einer Sippe für eine Tat, die von einem ihrer Mitglieder begangen wurde) auf „Sippenhaft“ (Haft für jemanden, der der Sippenhaftung unterworfen wird) ist ein weiterer kleiner sprachlicher Trick: die rechtsstaatlich verbotene Bestrafung oder Benachteiligung von Angehörigen politischer Gegner wird durch das Wort „Haft“ als bereits vollzogen unterstellt. Zur Verdeutlichung dessen, was er meint, erfindet Kaltenbrunner dann auch noch als Analogiebildung das Wort „Völkerhaft“, das in keinem Lexikon zu finden ist. Suggeriert werden soll: Der Vorwurf der Kollektivschuld ist verbrecherisch; er bezweckt die Inhafthaltung des deutschen Volkes.

6. „Ich würde mich in erster Linie als Deutscher fühlen und dann erst als Christ, Sozial oder Freidemokrat oder als Grüner.“ (Z 29-31)

Hier wird der Volksgemeinschaftsgedanke angesprochen. Für „mich“ gibt es keine Parteien noch Klassen, sondern nur das deutsche Volk …

7. „Es wäre für mich selbstverständlich, daß Nationalbewußtsein einen höheren Rang hat als etwa die Sympathie für den Sozialismus, die Marktwirtschaft oder gar einen unserer Verbündeten (sei dieser nun östlich oder westlich gelegen).“ (Z. 32-37)

Das ist nun schon der Originalton nationalrevolutionärer Ideologie. Die Menschen der zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Artikels noch existierenden beiden deutschen Staaten werden auf ihr „In-erster-Linie-Deutsch-Sein“ angesprochen. Amerikaner und Sowjetrussen sind die äußeren Gegner. Zugleich wird mit der Ineinssetzung von US-Amerikanern und Sowjets im Passus „unsere Verbündeten“ unterschwellig die Einheit der Nation beschworen.

8. „Ich würde die Teilung, Zerstückelung und Amputation Deutschlands für ein großes Unglück und Unrecht halten.“ (Z. 38-40)

Das ganze Deutschland soll es sein! Eben! „Teilung“ spricht die Teilung in DDR und BRD an, „Zerstückelung“ Berlin, „Amputation“ die „verlorenen“ Gebiete im Osten und das Sudetenland. Dabei ist auch auf die Steigerung zu achten: Schlimm ist die Teilung, schlimmer noch ist die Zerstückelung und grausam die Amputation. Verschwiegen wird, daß dieser Zustand selbstverschuldetes Resultat des von Deutschland angezettelten 2. Weltkrieges ist. Das als Unglück zu verharmlosen ( wie hätte denn das Glück ausgesehen?) oder gar als Unrecht zu bezeichnen, was ein völkerrechtliches Unding ist bzw. war, ist eine schlichte Verschleierung der Tatsachen. ((Auf die inzwischen erfolgte Vereinigung und den Beitrag des rechtsextremen Diskurses zu ihrer spezifischen Form werde ich an späterer Stelle eingehen.))

9. „Selbstverständlich würde ich mich für die Wiederherstellung Deutschlands mehr engagieren als, zum Beispiel, für die Unabhängigkeit Namibias, eine schwarze Mehrheitsherrschaft in Südafrika, die Demokratisierung Chiles oder die sandinistische Parteiherrschaft Nicaraguas.“ (Z. 40-47)

Auch das Wort „Wiederherstellung“ (und eben nicht: Wiedervereinigung) spricht das ganze (geteilte, zerstückelte, amputierte) Deutschland an. Demgegenüber wird das Engagement für andere Länder und deren politische Situation lächerlich gemacht.

10. „Die Wiederherstellung Deutschlands wäre für mich nicht nur ein nationales Ziel, sondern auch Gebot europäischer Vernunft und völkerrechtlicher Moral“ (Z. 47-51)

Die „Wiederherstellung“ Deutschlands wird durch Subjektstellung gegen die sonst vorherrschende Subjektstellung von „Ich“ ganz besonders betont. Der spezifisch neurechte Europagedanke wird angesprochen (europäische Vernunft = Wiedervereinigung als Ziel der Europapolitik mit dem Ergebnis eines dominierenden deutschen Staates) und die Menschenrechte (völkerrechtliche Moral).

11. „Wäre ich ein Deutscher, dann würde ich nicht länger hinnehmen, daß Hitler mehr als vierzig Jahre nach seinem Untergang noch immer die Richtlinien bundesdeutscher Politik bestimmte.“ (Z 52-56)

Hier liegt der einzige vollausgeführte irreale Bedingungssatz dieser Argumentationskette vor. Dadurch wird noch einmal das Problem des Deutschseins emphatisch in den Mittelpunkt gestellt und die Schlußfolgerung unterstrichen: Hitler bestimmt immer noch die Richtlinien der Politik. Gleichzeitig wird die Befreiung vom Faschismus mit Hitlers Untergang umschrieben, die selbstverschuldete Katastrophe des Faschismus und der Mord an Millionen Menschen verharmlost.

12. „Ich würde mich schämen und darüber empören, daß jede noch so vernünftige politische Fragestellung oder Maßnahme komme sie nun von rechts, links oder aus der „Mitte“ nur daraufhin eingeschätzt wird, ob sie mit Hitler in Zusammenhang gebracht werden könne.“ (Z. 56-63)

Diese letzte der in dieser Argumentationsreihe gegebenen Antworten auf die Frage, wie Kaltenbrunner sich verhalten würde angesichts der Lage der Nation, stellt auch ihren Höhepunkt dar: Scham einerseits ist angesagt, aber nicht nur Scham, sondern Empörung, Kampf, Aufstand: Hier wird zugleich das nächste Szenario vorbereitet: die dialogisch inszenierte Zerschmetterung derjenigen, die seiner Schlußfolgerung widersprechen.

Bis hierher liegt bereits ein geschickt dargebotenes Repertoire an Antworten auf die Frage vor, wer denn in der Bundesrepublik die Richtlinien der Politik bestimme. ((Mit dieser Form eines FrageAntwortKatalogs liegt übrigens ein eigenständiges Merkmal dieses Artikels vor, das in methodologischen Vorüberlegungen nicht zu antizipieren ist. An diesem Beispiel (wie an einigen anderen in diesem Text) zeigt sich, wie sehr bei der Analyse die Aufmerksamkeit auf die formalen Besonderheiten des Textes zu richten ist. Vgl. auch die folgende „dialogische Struktur“.)) Es ist eben nicht der Kanzler, dessen Aufgabe dies wäre, sondern immer noch Hitler. Die Argumentationssammlung ist raffiniert durch Parallelisierungen und gezielte Variation vorgetragen. Die „Ansprache“ ist eindringlich und emotional vorgetragen. Der Text hat einen ersten Höhepunkt erreicht: die zentrale Hypothese ist untermauert, die Beweisführung kann angetreten werden.

6.2.2. Dialogische Beweisführung

In sieben fast völlig gleich gebauten Dialogen zwischen dem Autor, der sich geschickt hinter dem Allgemein-Pronomen „Man“ verbirgt und den Leser gleichzeitig damit umarmt, und einem fiktiven, nie „beim Namen genannten“ Leser entwickelt Kaltenbrunner seine zentralen Beweisthesen. Es genügt hier, wenn ich mich auf eine genaue formale Analyse einer die ser Szenen konzentriere, da alle nach dem gleichen Muster gebaut sind:

„man kritisiert den Westen und riskiert den Vorwurf: ‚Wollen Sie zurück zu Hitlers unseligem Antiamerikanismus?'“ (Z. 63-66) Der als vernünftig und richtig apostrophierten vorangestellten Aussage wird die „unsinnige“ des politischen Gegners gegenübergestellt. Die These erfolgt in Form einer klaren und direkten Aussage, die AntiThese erfolgt in der Frageform direkter Rede. Der „vernünftigen“ Kritik („Man kritisiert“) steht der „unsinnige“ Vorwurf gegenüber.

Dem „vernünftigen“ Sprecher (man: ich Kaltenbrunner wir alle, auch der im „man“ vereinnahmte Leser steht der „unvernünftige“ Widerpart gegenüber. Diese Positionen werden exakt durch die Art der Rede einleitungen und sonstige Charakterisierung der Rede markiert:

Der Sprecher:

  1. kritisiert
  2. lehnt ab
  3. äußert Vorbehalte
  4. wehrt sich
  5. spricht
  6. wagt zu loben
  7. erinnert an Tatsachen

Der politische Gegner:

  1. wirft vor
  2. schwätzt (man bekommt zu hören)
  3. verdächtigt
  4. erteilt eine Abfuhr
  5. stellt zur Rede
  6. belehrt
  7. setzt einem das ‚Argument‘ vor

Der Verfasser/Sprecher und zugleich der vereinnahmte Leser wird als ruhig dargestellt, als kritisch, tapfer, mutig und sachlich; der antwortende politische Gegner als dumm, oberlehrerhaft, aggressiv, hinterhältig, als Schwätzer und als jemand, der unberechtigte Vorwürfe erhebt.

Mit Hilfe dieser bekannten Freund-Feind-Technik wird der politische Gegner ganz nebenbei entwertet: seine Gegenargumente sind allemal Unsinn. Das zeigt auch ein Überblick über Argumente und Gegenargumente:

Richtiges Argument

  1. Kritik am Westen
  2. Kritik am Kommunismus
  3. Kritik an Israel und dem Einfluß der Juden auf die amerikanische Außenpolitik
  4. Kritik an Pornographie etc.
  5. Kritik an entarteter Literatur und kultureller Dekadenz
  6. Lob von Tugenden wie Fleiß
  7. Wir brauchen militärische Selbstbehauptung etc.

Unsinniges Argument

  1. Hitlers unseliger Antiamerikanismus
  2. Hitlers Kreuzzug gegen den Osten fortsetzen
  3. Antisemitismus
  4. Zensur, Drill, Mutterschaftskreuze wie bei Hitler
  5. Hitlers Phrasen
  6. Die SS forderte und förderte solche vordemokratischen Attitüden
  7. Sie haben nichts aus der Geschichte des Hitler-Reiches gelernt

Läßt man die negative Charakterisierung des politischen Gegners beiseite und schält man den rationalen Kern seiner Gegenargumente heraus, erweist sich seine Position keineswegs als so unsinnig, wie Kaltenbrunner sie hinstellt. Sieht man von der generellen Anbindung an Hitler ab, so erscheinen die meisten als durchaus stichhaltig und heute noch gültig: Was hat denn die amerikanische Außenpolitik mit dem rassistischen Hinweis auf die Juden zu tun? Und: Gibt es keine Parallelen zwischen dem Antikommunismus von MUT und Strauß und Kaltenbrunner und Hitlers Kampf gegen die Sowjetunion? Und was ist mit dem Gerede von „entarteter“ Kunst? Und was heißt überhaupt „entartet“? Auch hier scheint ein biologistischer Bodensatz durch. Rationaler Betrachtung halten die Argumente Kaltenbrunner alle nicht stand. Doch geschickt dargeboten, dürften sie das möglicherweise noch schwankende konservative Gemüt des typischen MUT-Lesers schon überzeugen und sich ein Stückchen weiter nach rechts entwickeln lassen.

Und daran arbeitet Kaltenbrunner mit großem Eifer: Nicht ohne didaktisches Geschick bietet er dem Leser im nächsten Abschnitt „weitere Beispiele“ (Z. 100), die er aber nicht, wie zuvor, im einzelnen aufbereitet. Er liefert nur Stichwörter, die der Leser dann selbst aufnehmen und gedanklich ausarbeiten soll. Dies sind z.B.:

„Arbeitsdienst“
„Gemeinwohl geht vor Eigennutz“
„Ehre“ (nationale)
„Lavieren (der Regierung) angesichts der Asylantenflut“
„Leichtfertigkeit gegenüber dem Problem des Zivilschutzes“
„schizophrene Debatten über ‚Verfassungsfeinde‘ im Staatsdienst“.

Hier wird nur ein wenig Hilfestellung in der Ausarbeitung der Argumente gegeben und die Richtung der Beantwortung vorstrukturiert: Überzeugt Euch selbst! „Nichts klappt!“, setzt man sich über diese Themen mit dem politischen Gegner auseinander. Man kann die Fragen nicht einmal „mit einem Minimum an Rationalität“ erörtern, „weil sofort alle Furien diffamierender Verdächtigung losgelassen werden wegen Hitler!“ (Z. 110-112) Nach diesem Ausbruch gespielter Verzweiflung hakt Kaltenbrunner aber sofort nach und liefert eine Batterie weiterer „Stichwörter“:

Man rede nur von

„nationalem Interesse“
„Erbgesundheit

„Recht und Ordnung“
„Herr im eigenen Haus“,

dann werde man sein blaues Wunder erleben. Und er ironisiert bewußt übertreibend, wobei der die oben eingeübte Technik der dialogischen Darstellung ansatzweise wieder aufnimmt, damit der Leser auch nur ja in Erinnerung behalte, wie er mit den Argumenten des Gegners zu verfahren habe: „Vielleicht wird demnächst auch die Befürwortung von Arbeiter Urlaubsreisen zu ‚Hitlers-Kraft durch Freude …“ (Z. 117f.) usw.

Nachdem Kaltenbrunner den Leser so vorbereitet hat, ihn einbeziehend und zu „eigenständigem“ Argumentieren anleitend, hält er ihn wohl für reif, die Frage zu beantworten: „Wie lange noch Hitler, der, als er 1933 zur Macht kam, erheblich jünger war als Helmut Kohl zu Beginn seiner Kanzlerschaft?“ (Z. 123-126)

Das kann hier nur noch als rhetorische Frage gemeint sein, die sich selbstredend und von selbst beantwortet. Hitler, das ist doch schon so lange her; bald würde er seinen hundertsten Geburtstag feiern (s.u.).

Geschickt ist auch die Parallele von Reichskanzler Hitler zu Bundeskanzler Kohl: Dadurch wird darauf hingewiesen, daß Kohl eben nicht die Richtlinien der Politik bestimmt, wie es einem Kanzler der Bundesrepublik zustünde. Kohl wird Schwäche attestiert und der Ruf nach dem starken Mann ins Argument geschmuggelt.

Doch damit gibt sich Kaltenbrunner immer noch nicht zufrieden: Er hat noch weitere Argumente aufzubieten. Nachdem er seine rhetorisch gestellte Frage zunächst noch einmal selbst beantwortet hat (s. Teil 3), eben damit, daß es Hitler ist, der die Richtlinien der Politik bestimmt, schießt er im 4. Abschnitt eine weitere Batterie von Argumenten ab: Mit ihnen will er zeigen, wie grotesk doch die Situation ist, daß dem immer noch so sei:

  • Jede Partei hat jede andere schon einmal bezichtigt, nazistisch zu sein. (Z. 137-144)
  • Die Absetzung eines Fernsehfilms wird gar mit der Bücherverbrennung verglichen. (Z. 144-146)
  • Das kritische Wort eines Ministers gegen einen politisierenden Literaten wird mit Hitlers Intellektuellenfeindlichkeit verglichen. (Z. 146-149)
  • Wird ein „illegal eingereister Ausländer“ abgeschoben, wird dies mit den Verbrechen von Auschwitz verglichen. (Z. 149-151)

Und als Kontrapunkt dazu:

  • |Heinrich Böll darf die Fahndungsmaßnahmen gegen die RAF aber mit der Judenverfolgung vergleichen (Z. 151-155)

Ja, ist das denn nicht grotesk?!

Kaltenbrunner will belegen, daß die Situation der Bundesregierung, in der Hitler die „Richtlinien der Politik“ bestimmt, absolut grotesk ist. Das richtet sich keineswegs gegen Hitler, sondern dagegen, daß sich die Bonner Politik und der Leser? mit Argumenten, die mit Hitler operieren, zu sehr einschüchtern lasse. Hitler soll zwar auch nicht direkt rehabilitiert werden; er soll als Schatten der Vergangenheit‘ wie bei den rechten Historikern beseitigt werden, damit endlich wieder richtige, d.h. rechte Politik gemacht werden kann. Kaltenbrunner wollte dazu beitragen, die Barrikade gegen Rechts, die im Bewußtsein vieler Konservativer (hier: MUT-Leser) noch besteht, zu schleifen.

Auch an der Gestaltung der Antworten läßt sich das propagandistische Bemühen Kaltenbrunners sehr gut ablesen: Er formuliert sie so, daß der durch Argumente vorbereitete Leser sie nach Maßgabe der Stufe der bereits fortgeschrittenen Überzeugung mitvollziehen kann. War die Antwort Ende des zweiten Abschnitts noch in Frageform gefaßt, greift er im dritten Teil schon zur Tatsachenaussage, schwächt diese aber noch durch ein „scheint“ und ein „offenbar“ ab. Im Finale (Teil 5) folgt dann ohne Wenn und Aber das Fazit: „Eine tiefgreifende ‚Enthitlerisierung‘ der Bundesrepublik ist überfällig.“ (Z. 160-162) Der Verweis auf Hitler stört, die Geschichte Deutschlands muß „entkriminalisiert“ werden, damit das rechte Denken freie Bahn bekommt. Das ist der spezielle Beitrag Kaltenbrunners zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten.

6.2.3. Zu Sprache und Stil Kaltenbrunners

Die sprachliche und stilistische Gestaltung des Artikels flankiert das bereits aufgewiesene Bemühen um Eindringlichkeit, Überzeugungskraft und Emphase der Rede in beeindruckender Weise. ((Die 34 Sätze des Textes sind mit >schweren< Substantiven vollgestopft (7 pro Satz). Auf schmückendes Beiwerk ist dagegen weitgehend verzichtet: Das Verhältnis von Adjektiven zu Hauptwörtern beträgt 1:3,2. Ähnlich steht es mit den Verben (1:3) und Adverbien (ganz selten).))

Betrachtet man die Bedeutungsfelder, denen die Hauptwörter zuzuordnen sind, so zeigt sich, daß mehr als die Hälfte der 231 Substantive dem Bereich des unmittelbar politischen Sprachgebrauchs entstammen. Allgemein politische Wendungen dominieren (38); direkt oder indirekt wird Deutschland häufig angesprochen (14), das „Dritte Reich“ (16), andere Nationen oder politische Geographien (14), politische Gruppierungen (7) und politische und historische Persönlichkeiten (27). Hitler wird allein 18mal erwähnt, Helmut Kohl einmal. Volk und Rasse bezeichnende Wörter treten 7mal auf.

Weitere größere Bedeutungsfelder sind:

  • Tugenden, Werte, Moral;
  • Kultur/Geschichte;
  • Justiz/Recht;
  • Familie, Jugend, Soziales;
  • Medizin;
  • christliche und antike Mythologie.

Häufig (20mal) finden sich Hauptwörter in rhetorischen Floskeln und Redeeinleitungen.

Die Breite dieser Bedeutungsfelder unterstreicht die politische Grundsätzlichkeit des Kaltenbrunnerschen Artikels. Hier geht es um ein ganz zentrales Argument der Neuen Rechten: Die Distanzierung gegenüber der belasteten deutschen Vergangenheit…

Die Bedeutungsfelder der Adjektive sind sehr viel enger. Hier dominiert wieder der politische Wortschatz (ein Drittel aller Adjektive), neben das „Dritte Reich“ betreffenden Wörtern (5), sich auf Vernunft und Moral beziehenden Adjektiven (8) und Normalität/Nicht-Normalität bezeichnenden Wörtern (5). Der Rest ist wenig aussagekräftig. Die benutzten Verben lassen sich folgenden Bedeutungsfeldern zuordnen: denken/sprechen (38), wagen/riskieren (15), bezichtigen/diffamieren (7), normal sein (4) und sonstige (12).

Das bekräftigt die Aussage, daß der Text in erster Linie von den Hauptwörtern lebt. Die relativ große Anzahl der Verben des Sprechens und Denkens, wobei wagen/riskieren hier auch eher gedankliches Wagen bezeichnet, verweist noch einmal auf die rhetorischen Absichten des Autors: Es geht ihm um argumentative Aufklärung (in seinem rechten Sinn).

6.2.4. Feste Wendungen, Anspielungen, Redensarten, Kollektivsymbole

Der Text ist mit solchen Elementen geradezu gespickt. Zählt man die Nennung von Personen mit, so lassen sich über hundert, also etwa drei dieser Merkmale pro Satz, darin feststellen.

Sie lassen sich den folgenden Bedeutungsbereichen zuordnen:

Nationalismus (18)
z.B. „Hitlers Kreuzzug gegen den Osten “ (Z. 69)

Allgemeine Politik (13)
z.B. „die Lage der Nation“ (Z. 9)

Psychobereich (6)
z.B. „kollektive Selbstzerknirschung“ (Z. 21 f.)

Vernunft (5)
z.B. „kategorischer Imperativ“ (Z. 131 f.)
z.B. „Gebot der europäischen Vernunft“ (Z. 50)

Kultur (5)
z.B. „ein Liebhaber Wagnerscher Musik“ (Z. 121)

Mythologie (5)
z.B. „alle Furien diffamierender Verdächtigung loslassen“ (Z. llf.)
oder: „in einer Welt, die des Teufels Wirtshaus ist“ (Z. 93f.)

Tugenden und Werte (5)
z.B. „Tugenden wie Fleiß, Ordnungsliebe, Sauberkeit, Treue und Opfersinn (Z.86f.)

Sprichwörter und Redensarten (3)
z.B. „Gemeinwohl geht vor Eigennutz“ (Z 102)
oder: „Herr im eigenen Haus sein“ (Z. 116)

Antikommunismus (1)
„Sandinistische Parteiherrschaft“ (Z. 47)

DDR (3)
z.B. „Wiederherstellung Deutschlands“ (Z. 41 f.)

Dazu kommen 27mal Namen und stehende Redewendungen allgemeiner Art wie:

„es mag doch erlaubt sein“ (Z 5f.), „öffentlich über die Frage nachdenken“ (Z 7f.), „etwas nicht länger hinnehmen“ (Z 53), „die unbestreitbare Tatsache“ (Z. 92) usw.

Die Verwendung von so vielen festen sprachlichen Verbindungen und allgemein bekannten Namen sichert dem Text an sich schon einen hohen Grad von Aufmerksamkeit, weil sie einen festen Bestandteil des sprachlichen und allgemeinen Vorwissens des Lesers darstellen.

Daneben geht es um ihre spezifische Wirksamkeit, was ihren Inhalt und das unterstellte Vorwissen der angezielten Leserschaft angeht.

Schauen wir uns einige dieser Passagen einmal etwas genauer an: Die Wendung „Hitlers Kreuzzug gegen den Osten“ (Z. 69) ist eine der vielen Erwähnungen des Nationalsozialismus. Sie hat den Charakter eines Kollektivsymbols für eine bestimmte soziale Gruppe, die sich mit bestimmten historischen Gegebenheiten auskennt (Kreuzzüge), die zudem den Krieg gegen die Sowjetunion kennt, wobei, obwohl diese Wendung dem Gegner in den Mund gelegt wird, mit der Vorstellung eines Kreuzzuges die positive Assoziation verknüpft ist, daß hier ein Gottesauftrag durchgeführt wurde, der aber, wie die Kreuzzüge, sein Ziel nicht erreicht hat. Dies alles zielt auf die national denkende, traditionalistische konservative deutsche Familie mittlerer bis gehobener bürgerlicher Bildungsschichten.

„Die Lage der Nation“ (Z.9) spielt auf die militärische und politische Situation an, sowie auf den Bundeskanzler, der in regelmäßigen Abständen seinen „Bericht zur Lage der Nation“ abzugeben hat.

„durch kollektive Selbstzerknirschung sühnen“(Z. 21 f.) konterkariert ironisierend die Kollektivschuldfrage, wobei das Wort „Zerknirschung“ dem christlichen Ritual von Buße und Reue entnommen ist und soviel bedeutet wie „weichliche innere Niedergeschlagenheit“. Dies aber muß bei der Zielgruppe relativ negativ besetzt sein, was für die oben beschriebene Familie nicht untypisch sein dürfte. Das bedeutet nicht, daß sie nicht ins gesamt christlichen Traditionen und Werten zuneigt, aber bestimmte Rituale und „Weichheiten“ christlicher Ethik ablehnt. (Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang die im allgemeinen positive Aufnahme christlicher Werte in MUT allgemein, besonders aber bei Kaltenbrunner in anderen Artikeln ((Kaltenbrunner ist zwar katholisch, mißt aber „dem Idealismus in seiner konfessionellen Form, in den Religionen, ein(en) geringere(n) Wert zu.“ (Elm 1984, S. 267) )) und bei dem nationalrevolutionären Chefdenker Wolfgang Strauß.)

„kategorischer Imperativ“ (Z. 131f.) Diese Anspielung auf Kant und (s. Kontext) auf das Grundgesetz steht in einem ironisierenden Zusammenhang. Gemeint ist: Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, die Verfassung dieses Staates, ist außer Kraft gesetzt. Demgegenüber waltet als ehernes Gesetz, alles zu unterlassen, was an Hitler erinnern könnte. Das herrscht als absolutes Gesetz wie Kants kategorischer Imperativ. Es erscheint möglich, daß damit auch die negative Besetzung der Rationalität der Aufklärung (kalter Verstand warmes Gefühl) assoziiert werden kann und an das Gefühl diffuser Intellektuellenfeindlichkeit appelliert wird. Auch das würde zu dem oben genannten Familientypus passen (vgl. auch den politisierenden Literaten“ und das „kritische Wort eines Ministers“ in Verbindung mit dem Wort „Intellektuellenfeindlichkeit“ (Z. 148f.).

So paßt auch der positiv besetzte „Liebhaber Wagnerscher Musik“ in dieses Bild, das Sprichwort „Gemeinwohl geht vor Eigennutz“, der Tugendkatalog usw. Der Horizont der Bedeutungsfelder, dem die festen Verbindungen entstammen, sowie weitere Einzelfälle bestätigen dieses Bild ( s. Recht und Ordnung, Verlotterung der Jugend, entartete Literatur, kulturelle Dekadenz usw. usw.)

Insgesamt läßt sich feststellen, daß es Kaltenbrunner gelingt, einen Teil des nationalsozialistischen Begriffsnetzes (System von Kollektivsymbolen) auszuspannen, womit die Nähe zu diesem Denken sichtbar wird; zugleich geht er inhaltlich zum Nationalsozialismus auf Distanz. Der Effekt ist die Normalisierung und Verharmlosung dieses Sprechens (und Denkens).

Die Absicht Kaltenbrunners, die beschriebene Leserschaft nach rechts zu ziehen, und nicht (nur) in ihrer erlernten Ideologie zu befestigen, wird gerade darin deutlich, daß er auch deren innere Vorbehalte gegen und Kritik an Hitler aufnimmt und die damit assoziierte rechte Ideologie davon abzukoppeln trachtet. Zugleich werden dabei bestimmte nationalrevolutionäre Ideologeme „nachgeschoben“, insbesondere die der „Wiederherstellung Deutschlands“, einschließlich der „ehemaligen deutschen Ostgebiete“.

7. Rechtsdruck

Es hat sich gezeigt, daß zwischen dem ideologischen Gehalt des Textes und der Weltsicht der angezielten Zielgruppe, die aufgrund der Analyse des bei ihr vorauszusetzenden Wissenshorizontes als Familie vom Typ ‚konservativtraditionalistisch‘ und bildungsbürgerlich charakterisiert werden konnte, eine gewisse Diskrepanz besteht. Die ideologische Ansprache Kaltenbrunners ist tendenziell nationalrevolutionär. Darauf verweisen insgesamt der Hintergrund der Zeitschrift MUT, ihre ehedem völlig offen zu Tage liegende nationalrevolutionäre Position und die ihrer wichtigsten Mitarbeiter, aber auch bestimmte Elemente des analysierten Textes selbst: besonders die Wiederherstellung Deutschlands (in den Grenzen von 1937), aber auch sein Anti-Amerikanismus und Antisowjetismus (3. Weg), der latente Rassismus, die Affinität zur Ideologie des Hitler-Faschismus, die man nur von dem belastenden Namen Hitlers abkoppeln möchte usw. Die in der Leserschaft in dieser Hinsicht noch zu befürchtende Blockade soll durch besondere rhetorische Bemühungen und den „stringent“ wirkenden Aufbau der Argumente und deren Inszenierung überwunden werden. Die auch bei vielen Konservativen noch vermuteten „Vorurteile“ gegen eine „Enthitlerisierung Deutschlands und der deutschen Politik“ werden in diesem Text sehr umfassend aufgenommen und akribisch „widerlegt“.

Für diese Strategie der Einflußnahme aufs konservative Gemüt spricht daneben, wie oben dargestellt, auch der Tatbestand, daß sich MUT zunehmend bemüht, „solide“ und im bürgerlichen Lager anerkannte Wissenschaftler (Professoren), hochkarätige Journalisten und Politiker (Gertrud Höhler, Ursula Lehr, Rupert Scholz, Ulrich Lohmar, Herrmann Rappe etc.) als Mitarbeiter zu gewinnen.

Die Affinität zu nationalrevolutionären Ideen geht des weiteren daraus hervor, daß der Artikel Kaltenbrunners bei gewissen Streichungen und Umstellungen in anderen eindeutig rechtsextremistischen Zeitschriften abgedruckt worden ist (Sieg, Der Republikaner). Auch der Abdruck in dem in Millionenhöhe aufgelegten Regenbogenblatt BUNTE spricht nicht gegen diese Annahme, im Gegenteil! Hier haben wir es mit einem besonders gut gelungenen Versuch rechtsextremer Propaganda zu tun, auf den Interdiskurs einzuwirken. Die genauere Betrachtung dieses Organs zeigt, daß es seit langem Vermittler rechtskonservativster Ideen ist. Natürlich ist das Zielpublikum der BUNTEN wesentlich breiter und kleinbürgerlicher als das von MUT; doch Kaltenbrunners Artikel kann auch hier, weil von anderen Artikeln flankiert, mit denen tendenziell andere ideologische und andere Lesebedürfnisse angesprochen werden, Platz haben zumal als Gastkommentar, bei dem der Leser von vornherein mit einem anspruchsvolleren Niveau rechnet, als es sonst für eine solche Zeitschrift üblich sein mag.

Die ausladende und wuchernde Verwendung von Kollektivsymbolen, festen Wendungen und stereotypen SprachKlischees (Systeme politischer, nationalistischer und nazistischer Kollektivsymbole) ist zudem geeignet, ein sehr breites Publikum unterschiedlicher Bildungsniveaus anzusprechen. Bei Sieg reizt die faschistische Terminologie: Hier wird verstanden: Im Grunde hatte Hitler also doch recht! Bei MUT-Lesern dagegen dürfte gerade die Befreiung vom Druck der Verbindung eigener Ideologeme mit der Hitler-Vergangenheit positiv wirken.

Es kann abschließend gesagt werden, daß die Zeitschrift MUT und in ihr der Text Kaltenbrunners die Funktion hatte und weiterhin hat, die allgemein zu beobachtende Offensive der neuen Rechten gegenüber konservativer Ideologie zu forcieren, konservativem Denken einen „rechteren“ Gehalt zu geben und den Interdiskurs insgesamt von rechts her zu beeinflussen. Dies scheint mir auch die eigentliche Strategie Kaltenbrunners (und anderer rechter Intellektueller wie etwa Günther Rohrmoser) zu sein, denen es nicht so sehr um den Aufbau rechtsextremer Parteien geht, sondern um den Kampf um die „Kulturelle rechte Hegemonie“, also um eine Rechtsverschiebung des gesamten politischen Spektrums.

Die erhofften Geländegewinne im konservativen Lager, die wirkliche Realisierung einer „geistigmoralischen Wende“ nach rechts ist inzwischen ein Stück weit Realität geworden; diese Offensive „extrem reaktionärer Ideologisierung“ (Elm 1984, S. 274) hat sich synchron mit der weiteren Zuspitzung der Widersprüche der kapitalistischen Wirtschafts und Gesellschaftsordnung gestalten lassen. Damit ist eine neue Ideologie und, damit einhergehend, eine neue politische Praxis markiert, ein rechtsgewandelter autoritärer Konservatismus, der darauf abzielt, „den Trend zu staatlich subventionierter Wohlfahrt aufzuheben, die öffentlichen Ausgaben zu senken, den staatlichen Sektor zugunsten privater Unternehmen zu beschneiden, die Gesetze des freien Marktes und die marktwirtschaftlichen Kräfte wieder herzustellen, die Flut staatlicher Interventionen zurückzudrängen, die Profitabilität zu untermauern, Löhne und Gehälter unter Kontrolle zu halten und die Macht, die die Arbeiterklasse mittels der Gewerkschaften im ökonomischen und politischen Leben gewonnen hatte, zu brechen.“ (Hall 1989, S. 178) ((Diese Aussage Halls über die Entwicklung in Großbritannien läßt sich m.E. durchaus auf die heutige Bundesrepublik Deutschland übertragen.))

Der bundesrepublikanische Rechtsextremismus ist zur Zeit zwar weitgehend ins sog. demokratische Spektrum integriert worden. Die letzten Bundestagswahlen vom Dezember 1990 zeigten einen erheblichen Schwund sozialdemokratischer Wähleranteile; die Partei „Die Grünen“ verschwand aus dem Bundestag. Rechtsextreme Parteien sanken weit unter die 5% Hürde. Das alles ist wohl darauf zurückzuführen, daß die „nationale Frage“ als neues diskursives Ereignis über die Deutschen hereinbrach und alle Aufmerksamkeit auf sich zog. Zur Zeit ist zu beobachten, daß sich das rechtsextreme Parteienlager neu zu formieren versucht und sich besonders um eine Neuformulierung insbesondere seiner Deutschlandpolitik bemüht („Verlust der deutschen Ostgebiete“). ((Zur Zeit, im Januar 1991, bildet sich eine „Deutsche Allianz. Vereinigte Rechte“ als Partei heraus. In der „Deutschen Rundschau“ Nr. 1 vom Januar 1991 heißt es: „Führende Vertreter demokratischpatriotischer Parteien und Organisationen haben nach intensiven Gesprächen beschlossen, die Deutsche Allianz zu gründen. … Zweck des Vorhabens: die Zusammenfassung von Kräften, die bisher neben oder sogar gegeneinander gearbeitet haben, obwohl sie in der politischen Grundorientierung übereinstimmen.“ Genannt werden u.a. Harald Neubauer, ehemaliger Stellvertreter Schönhubers, Martin Mußgnug, ehemaliger Vorsitzender der NPD, und Wolfgang Strauß, Chefideologe des Nationalrevolutionären Lagers.)) Wenn sich die Situation der Bundesrepublik nach der Vereinigung wieder „normalisiert“ haben wird, ist zu befürchten, daß auch solche Bemühungen wieder stärkeren Anklang in der Bevölkerung finden werden. Die Autoren von MUT und anderen Rechtsextremen Redaktionen und Zirkeln, nicht zuletzt Gerd-Klaus Kaltenbrunner, bereiten dafür den Boden, obwohl ihre eigentliche politische Option weit über „kümmerliche Wahlerfolge“ hinausgeht. Ihr Ziel haben sie bisher erst zu einem Teil erreicht. Der Unterschied zwischen der Vereinigung Deutschlands und der von ihnen erstrebten Wiederherstellung Deutschlands, die für sie die Basis für das Entstehen Deutschlands als führender Weltmacht ist, in der sie als Elite das Sagen hätten, markiert zugleich, daß sie zwar Einfluß auf den Interdiskurs nehmen konnten, aber diesen nicht beherrschen. Daß sie dieses Ziel weiterverfolgen, ist jedoch abzusehen.

Diese weitgehenden Schlußfolgerungen wären auf dem Hintergrund der Analyse eines einzigen Textes natürlich wenig glaubwürdig. Sie sind dennoch erlaubt, weil der Text Kaltenbrunners als herausragendes Beispiel für die Beeinflussung des Interdiskurses durch den rechtsextremen Diskurs insgesamt gelten kann.

 Literatur

Dietzsch, Martin 1988: Zwischen Konkurrenz und Kooperation. Organisationen und Presse der Rechten in der Bundesrepublik, in: Jäger (Hg.), S. 31-80.

Elm, Richard (Hg.) 1984: Leitbilder des deutschen Konservatismus, Köln.

Hall, Stuart 1989: Ausgewählte Schriften, Berlin.

Jäger, Siegfried (Hg.) 1988: Rechtsdruck. Die Presse der Neuen Rechten, Bonn.

Jäger, Siegfried 1990: Faschismus, Rechtsextremismus, Sprache. Eine kommentierte Bibliographie, Duisburg (= DISS-Texte Nr. 9)

Jäger; Siegfried / Jäger, Margret 1990: Die Demokratiemaschine ächzt und kracht. Zu den Ursachen des Rechtsextremismus, Duisburg (= DISS-Texte Nr. 12).

Kühnl, Reinhard 1986: Nation, Nationalismus, Nationale Frage. Was ist das und was soll das? Köln.

Meyer, Hartmut 1985: Bewegung in der Braunzone, DVZ/Die Tat v. 5.4.1985

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