Das erschöpfte Boot

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Otto Schily und die Einwanderer. Von Siegfried Jäger, erschienen in DISS-Journal 3 (1999)

Am 4. Februar 1982 hielt der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Alfred Dregger im Rahmen einer Großen Anfrage an die SPD/FDP-geführte Bundesregierung eine denkwürdige Rede zur Ausländerpolitik. Treu deutsch formulierte er: „Die Völker, nicht nur das deutsche, legen in der Regel Wert darauf, ihre nationale Identität zu bewahren. Diese läßt es zu, eine begrenzte Zahl von Ausländern aufzunehmen.“ Diese Grenze sei aber längst erreicht, was die Regierung aber nicht erkannt habe und wodurch sie zum Entstehen von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in Deutschland beigetragen habe. Dregger, rechts-konservativer Schlußstrichpolitiker und Angehöriger der sog. Stahlhelmfraktion, hat heute, nahezu 17 Jahre nach seinen ethnopluralistischen Ausfällen, unerwartete Konkurrenz bekommen. Durch Otto Schily, den neuen Innenminister, vor wenigen Jahren noch grün, nun rot, und dieser meinte am 15. 11. 1998 in der Berliner Zeitung „Der Tagesspiegel“: die Bundesrepublik könne keinen weiteren Zuzug von Ausländern verkraften. Schily wörtlich: „Die Grenze der Belastbarkeit Deutschlands durch Zuwanderung ist überschritten.“ Daran, so Schily, würde auch ein Einwanderungsgesetz nichts ändern, da die Zuwanderungsquote dann „auf Null“ gesetzt werden müßte. So deutlich hatte es Dregger vor mehr 16 Jahren nicht sagen wollen. Aber das ist ja auch schon lange her.

In der bleiernen Zwischenzeit rechts-konservativer Regierung hat sich in Deutschland eine Form des Einwanderungsdiskurses etabliert, der so massiv rassistisch unterfüttert worden ist, daß markig-ausländerfeindliche Sprüche ehemals linker Politiker wie Schröder, Voscherau, Schnoor und jetzt – Schily – , auch wenn sie Rassismus schüren, kaum noch auffallen. Das Feld des Sagbaren hat sich ausgedehnt. Wenn Jochen Vogel seine Zustimmung zur faktischen Abschaffung des Grundgesetzartikels 16 in seinem politischen Erinnerungsbuch larmoyant als schwerste und möglicherweise problematischste politische Entscheidung seines Lebens bezeichnet, so klingt das heute schon geradezu linksradikal.

So ist das eben: Diskurse, einmal etabliert, brechen nicht einfach ab, wenn die Regierung wechselt. Sie haben das Denken der mediopolitischen Klasse (und der Bevölkerung insgesamt) nachhaltig verändert und die Hirne selbst derjenigen vernebelt, die noch vor wenigen Jahren Willy Brandts „Mehr Demokratie wagen!“ als reformistisch belächelt haben.

Das läßt nichts Gutes für eine demokratische Reform der deutschen Ausländerpolitik ahnen. Zwar soll die Einbürgerung erleichtert werden. Und das ist auch zu begrüßen, wenn auch dieser Akt, ein rassistisch verankertes Verständnis von Staatsbürgerschaft durch das angemessenere Jus Soli zu ersetzen, eigentlich längst zum Selbstverständnis demokratischer Verfassung gehört hätte. (Aber selbst in unserer Verfassung ist ja noch von menschlicher „Rasse“ die Rede, worüber heute selbst konservative Biologen lachen!) Und so kann man denn selbst für diese Selbstverständlichkeit dankbar sein, die offensichtlich nur deshalb gewährt werden soll, weil sie nichts kostet. Denn wenn auch Schwarze und Dunkle dadurch nicht blond und blauäugig werden, ist dies doch ein Schritt zum Abbau von Diskriminierung und öffnet die Möglichkeit zur Wahrnehmung von Bürgerrechten.

Zu befürchten ist allerdings, daß eine wirklich neue Einstellung zum Thema Einwanderung nicht entstehen wird. Die Erleichterung der Einbürgerung ist, wenn sie nicht durch konkrete demokratische Integrationspolitik flankiert wird, nämlich durchaus janusköpfig. Der Druck auf die Einwanderer, auch auf die hier seit langem Ansässigen, sich zu integrieren, wird zum Assimilationsdruck mutieren. Wer sich nicht schnell anpassen kann oder will, wer sich gar schlecht benimmt (wie „Mehmet“), wird auch unter Schily des Feldes verwiesen werden. So werden wir, etwas anders geschichtet als gehabt, auch in Zukunft mit ganz unterschiedlichen Gruppen von Einwanderern zu tun haben: den Assimilationswilligen und Assimilierten einerseits und denjenigen, die sich dabei schwer tun oder aber auch nur einfach ihre Herkunftsgewohnheiten beibehalten wollen: Spaltung ist zu erwarten, nicht Versöhnung von Gegensätzen.

Wo die Spaltungslinie verlaufen wird, das hat schon Alfred Dregger in Stein gemeißelt, der bereits 1982 meinte: Die „Türken … sind nicht zu assimilieren … sie sind auch nur schwer zu integrieren.“ Und dann die Menschen aus den asiatischen und afrikanischen Ländern: „Auch sie werfen bei weiterer Zunahme nicht lösbare Integrationsprobleme auf.“ Dies sei „nicht nur eine Frage unserer nationalen Identität, sondern vor allem auch eine Frage des Arbeitsmarktes und nicht zuletzt der Besiedlungsdichte unseres kleinen und in zwei Weltkriegen verstümmelten Landes.“ Da war sie schon: die Grenze der Belastbarkeit, von der auch der jetzige Innenminister spricht, und von der keiner sagen kann, wo sie liegt und wer sie festsetzt.

Die Folgen dieser in Politik gegossenen Angst vor der Belastung durch Einwanderung und des damit verbundenen populistischen Wortgeklingels könnten darin bestehen, daß der rassistisch aufgeladene Diskurs über Einwanderung sich in Zukunft kaum ändern wird. Vielleicht wird er ein wenig paternalistischer gegenüber mehr Deutschen ausländischer Herkunft. Aber es wird sich kaum etwas daran ändern, daß in Deutschland weiterhin Flüchtlinge und Einwanderer geschlagen und verfolgt werden, daß rechtsextreme Parteien, deren Bekämpfung Schily angeblich so sehr am Herzen liegt, weiteren Zulauf erhalten werden, die Konservativen und Pseudoliberalen ein noch konservativeres bis neurechtes Weltbild entwickeln und programmatisch zu verfestigen versuchen werden, so daß sie in vier Jahren gute Chancen haben, Deutschland in einen neo-konservativen Nationalstaat völkischer Prägung zu verwandeln.

Schon vergessen, übrigens, daß vor einigen Jahrzehnten der deutsche Paß auch nicht ausreichte, Menschenleben zu schützen?